Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

Interview: Bettina Göring: "Ich konnte die Schuld Deutschlands fast körperlich spüren"

Interview

Bettina Göring: "Ich konnte die Schuld Deutschlands fast körperlich spüren"

    • |
    Bettina Göring ist die Großnichte des NS-Verbrechers Hermann Göring. In ihrem Buch "Der gute Onkel: Mein verdammtes deutsches Erbe" setzt sie sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinander.
    Bettina Göring ist die Großnichte des NS-Verbrechers Hermann Göring. In ihrem Buch "Der gute Onkel: Mein verdammtes deutsches Erbe" setzt sie sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinander. Foto: Klaus Pieper

    Frau Göring, Sie sind die Großnichte des NS-Verbrechers Hermann Göring. Wie schwer ist es, die Bürde dieses schwer belasteten Namens zu tragen?
    BETTINA GÖRING: In meiner Kindheit und der frühen Jugend habe ich den Namen nicht als problematisch empfunden. Da gab es in Wiesbaden, wo ich aufgewachsen bin, viele Görings, darunter auch Verwandte. Niemand hat uns da in irgendeiner Weise besonders behandelt. Erst als meine Großmutter zu uns gezogen ist, wurde es schwierig. Die hatte zuvor in der Nähe von

    Davor hatten Sie keine Ahnung?
    GÖRING: Ich wusste nur, dass mein Großonkel und der Großvater Piloten waren und Hermann Göring sogar Chef der Luftwaffe. Das hörte sich erst mal gar nicht so schlecht an. Ich war damals ja erst elf Jahre. 

    Was war für Sie das Schwierigste an dieser familiären Last?
    GÖRING: Na, erst einmal überhaupt detailliert herauszufinden, was während der NS-Zeit alles passiert ist. Das war ja schrecklich! Aber nicht nur für mich, sondern für meine ganze Generation. Für unsere Familie aber war es vielleicht noch etwas schlimmer. Ich konnte die Schuld Deutschlands fast körperlich spüren, obwohl ich persönlich nicht betroffen war. Das Gute war, dass mein Großvater von der anderen Familienseite ein Antifaschist war. Der war mein Hero. Von der Göring-Seite waren hingegen so gut wie alle tot. Nur mein Vater hat überlebt, aber der war keine Respektsperson. Den hat der Faschismus nicht interessiert, aber er hat natürlich die Vorteile in der Nazizeit schon genossen. Dann war er in russischer Kriegsgefangenschaft, kam zurück und hatte gar nichts mehr. Das war auch für ihn ein schwerer Schlag. 

    Sie haben ein Buch über Ihre Geschichte und die Wechselwirkung zwischen Ihrer Familie und Ihnen geschrieben. Was hat Sie dazu bewogen?
    GÖRING: Ich hatte schon mit 20 das Gefühl, dass meine Geschichte und die meiner Familie verrückt und wichtig genug ist, um sie aufzuschreiben und zu teilen. Es hat dann aber doch sehr lange gedauert, bis es geschehen ist. Denn ich kann zwar die Geschichte ganz gut erzählen, aber ich bin kein Schreiber. So habe ich die erste Fassung zunächst einmal mit meinem Mann verfasst. Dann haben wir einen Verlag gesucht und gefunden. Das gelang über die österreichische Journalistin und Autorin Melissa Müller. Die hat dann auch sehr viel mitgearbeitet. Deren Mitwirkung als Co-Autorin war wirklich gut. Die hat noch Leute interviewt, bei denen auch für mich neue Einzelheiten herausgekommen sind. 

    Der Kriegsverbrecher Hermann Göring leitete die NS-Luftwaffe und das Reichswirtschaftsministerium.
    Der Kriegsverbrecher Hermann Göring leitete die NS-Luftwaffe und das Reichswirtschaftsministerium.

    Der Buchtitel lautet: „Der gute Onkel". Ist das angesichts der Tatsache, dass Göring für die Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden mitverantwortlich war, nicht sehr provokativ?
    GÖRING: Der Titel ist natürlich sarkastisch. Allerdings war er ja auch tatsächlich der gute Onkel zur Familie. Der hat denen Jobs zugeschustert, er hat meine Oma auch finanziell unterstützt. Und so war es: Für die Familie war er der gute Onkel und gleichzeitig war er ein Massenmörder.

    Ihn mit dem Wort „Monster“ zu charakterisieren halten Sie aber für falsch, wie Sie mal in einem Interview erklärten.
    GÖRING: Ich würde sagen, Hermann Göring war ein Psychopath. Der war auf so vielen Drogen. Insofern ist es schwer zu differenzieren, was er für ein Mensch gewesen wäre, wenn er diese Mittel nicht genommen hätte (*Anmerkung der Redaktion: Göring wurde beim Hitlerputsch 1923 angeschossen und nahm seitdem unter anderem Morphium und Methamphetamin). Aufgrund seiner Schmerzen kam er von den

    Sie selbst haben Ihren Großonkel nicht gekannt, aber der Name lastete auf der Familie. Wie war es für Sie, damit aufzuwachsen?
    GÖRING: Na ja, ich hatte ziemlich wüste Verhältnisse zu Hause – nicht nur von der Göring-Seite. Meine Mutter war Alkoholikerin. Und nach einem Kampf mit meinem Papa bin ich früh ausgezogen. Ich bin dann zunächst einmal in eine politische Gruppe gegangen, die war so links, wie es nur ging. Da habe ich mich tiefer mit der NS-Zeit beschäftigt. Wir hatten damals die Illusion, dass der Kommunismus besser sei. Aber das stellte sich als ein Trugbild heraus. So ging es weiter, bis ich mit 17 Jahren auch da ausstieg. Ich merkte, der Kommunismus ist keine Antwort. Die wollte ich dann selbst in mir finden. Die suchte ich dann in Poona bei Osho.

    Osho, auch Bhagwan genannt, war ein indischer Guru. Stimmt es, dass Sie dort mehrere Nachgeborene von Nazi-Kriegsverbrechern getroffen haben?
    GÖRING: Ja, das war so, und auch viele Kinder von Juden. Wir haben uns da sozusagen wiedergetroffen. Unter den Sannyasin (*Anmerkung der Redaktion: Sannyasin nannten sich die Anhängerinnen und Anhänger des Gurus) waren ganz viele Deutsche. Viele der Therapeuten bei Osho wiederum waren Juden. Auch viele Japaner waren da, gewissermaßen alle Kriegsgeschädigten. Nur die Russen konnten nicht raus. Das war schon interessant. Ich habe da tolle Erfahrungen mit jüdischen Menschen gemacht, die ich kennengelernt habe.

    War dieser Kult nicht auch eine Art faschistisches System?
    GÖRING: Am Anfang noch nicht wirklich. Aber als wir die Ranch in Oregon in den USA aufgebaut haben, wurde es immer militanter. Das ist ja oft so, wenn es Feinde von außen gibt, dann schließt sich die Wagenburg. Bhagwan hat ja viele Frauen in Führungspositionen gebracht. Und die waren wirklich schlimm. Wen die alles vergiften wollten ... Gott sei Dank ist niemand gestorben. 

    Sie haben dem Kult den Rücken gekehrt und leben heute in Thailand, aber ihre Familiengeschichte hat Sie immer begleitet. Vor einigen Jahren haben sich die Görings als Sippe noch einmal getroffen?
    GÖRING: Ja, die Görings haben sich tatsächlich getroffen. Hintergrund war, dass ein entfernter Cousin dazu eingeladen hat. Denn 1911 hat es schon einmal ein großes Familientreffen der Görings gegeben und 100 Jahre später wurde das dann wiederholt. 

    Adolf Hitler und der spätere Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, 1933 am Obersalzberg.
    Adolf Hitler und der spätere Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, 1933 am Obersalzberg. Foto: dpa

    Wie darf man sich so ein Treffen vorstellen?
    GÖRING: Das war schon etwas Besonderes. Das wusste auch jeder, denn wir haben uns in dieser Generation zum ersten Mal getroffen. Ich kannte fast niemand von diesen Leuten. Die meisten waren aus meiner Generation, von den Alten war nur eine Verwandte da, die damals 90 war. Die meisten kamen übrigens aus der Münchner Gegend. Da waren Ärzte darunter, Notare, Anwälte, Architekten, alles gutbürgerlich gesettelte Leute. 

    Spielte die Vergangenheit eine Rolle oder wollte davon niemand etwas wissen?
    GÖRING: Nein, die waren durchaus auch an mir und dem Thema interessiert. Denn zu dieser Zeit hatte ich schon eine Filmdokumentation über meine Familie gedreht. Der Organisator hatte die dabei und die Verwandten empfand ich als durchaus aufgeschlossen. 

    Was löst es in Ihnen aus, wenn Sie lesen, dass in Deutschland eine Partei wie die AfD, die in Teilen als rechtsextrem gilt, nach der Macht greift?
    GÖRING: Es macht mir Angst. Und gleichzeitig finde ich die aktuellen Demos gegen Rechtsextremismus ganz toll. Dass es so viele Leute gibt, die jetzt auf die Straße gehen. Vielleicht hat es den Auslöser, dieses Treffen in Potsdam, gebraucht. Ursprünglich hatte ich ja gedacht, dass so etwas wie die NS-Zeit in Deutschland nicht mehr passiert. Aber trotzdem kam dann die AfD hoch. Aufgrund einer schwierigeren wirtschaftlichen Lage und den komplexen Herausforderungen greifen viele wieder nach dem Strohhalm des Populismus. Die Weimarer Zeit ist gerade mal 100 Jahre her und das wirkt nun auf mich alles so ähnlich wie damals. Deshalb sollten wir die Geschichte schon genau anschauen, damit wir so eine Entwicklung nicht noch einmal bekommen.

    Zur Person

    Bettina Göring ist die Großnichte des Nationalsozialisten und Kriegsverbrechers Hermann Göring, der die NS-Luftwaffe und das Reichswirtschaftsministerium leitete. Sie wurde 1956 in Wiesbaden geboren, in den 1970er-Jahren zog sie als Bhagwan-Anhängerin nach Indien, später nach Santa Fe im US-Bundesstaat New Mexico. Heute lebt die gelernte Heilpraktikerin in Thailand. In ihrem Buch „Der gute Onkel. Mein verdammtes deutsches Erbe“ setzt sich Göring mit ihrer Familiengeschichte auseinander. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden