Hallo Frau Fried, Ihr neuer Erfolgsroman „Der längste Sommer ihres Lebens“ spielt im Spannungsfeld zwischen Autohandel und Klimaaktivismus. Er spiegelt sozusagen die Folgen auf das familiäre Biotop einer traditionellen schwäbischen Autohaus-Dynastie wider? Wie kamen Sie zu dieser Konstellation?
AMELIE FRIED: Ich habe die Klimaaktivistinnen- und aktivisten und ihre Aktionen längere Zeit beobachtet. Und ich habe mich gefragt: Wie würde es mir als Elternteil gehen, wenn eines unserer Kinder sich auf die Straße kleben würde?
Wäre das denkbar?
FRIED: Der Gedanke wäre tatsächlich nicht so weit hergeholt, denn mein Mann und ich haben unsere Kinder zu verantwortungsbewussten Menschen erzogen, die sich für Dinge einsetzen, die ihnen wichtig sind. Und da unseren Kindern das Thema Klima wichtig ist, wäre es nicht völlig abwegig, wenn sie sich dafür engagieren würden. So kam jedenfalls die Idee für das Buch.
… die Sie dann in der Fiktion noch ein bisschen pikanter gestaltet haben.
FRIED: Klar, als Autorin überlegt man ja immer, wie man die Geschichte noch spannender machen kann. Und ich dachte mir: Besonders schwierig für Eltern wäre es natürlich, wenn das alles in einer Familie passiert, die seit Generationen ein Autohaus besitzt. Und die Mutter politische Ambitionen hat. Und dann war schnell klar, dass diese Familie ein Abbild der Gesellschaft sein würde. Denn in der Familie finden diese gesellschaftlichen Debatten statt. Wenn sie noch stattfinden …
Inwiefern noch stattfinden?
FRIED: Leider finden ja insgesamt viel zu wenige konstruktive Diskussionen mehr statt. Es herrscht zwischen den unterschiedlichen Lagern – auch zum Thema Klimawandel – eine furchtbare Aggressivität. Darum soll mein Buch auch ein Appell sein, dem anderen wieder zuzuhören. Man muss die Meinung des anderen ja nicht teilen, aber man kann zumindest versuchen, sich in dessen Perspektive zu versetzen. Vielleicht muss man Aktivisten dann auch nicht gleich so hart verurteilen, nur weil man einmal im Stau gestanden hat. Aber auch die Aktivisten müssten ihre Perspektive mehr öffnen.
Das heißt?
FRIED: Man kann gegen die Bürger nur schwer etwas durchsetzen. Darum sollte man Protestformen finden, die die Menschen mitnehmen und nicht gegeneinander aufbringen.
Also eher motivierende Aktionen?
FRIED: Das wäre wünschenswert. Andererseits hat ziviler Ungehorsam ja eine lange und auch wichtige Geschichte. Die Suffragetten, die für Frauenrechte gekämpft haben, waren auch nicht gerade beliebt. Wenn es keine Rosa Parks gegeben hätte, die sich in den USA irgendwann einmal im Bus über das Verbot hinweggesetzt hat, dass Schwarze da nicht sitzen dürfen, dann wäre die US-Bürgerrechtsbewegung später oder nie so entstanden. Wenn es keinen Gandhi und seinen zivilen Ungehorsam gegeben hätte, wäre auch vieles anders. Also, viele wichtige Bürgerbewegungen sind durch zivilen Ungehorsam entstanden.
Aber die hatten eine Mehrheit hinter sich.
FRIED: Nicht immer und nicht von Anfang an. Man denke an die Anti-Atomkraftbewegung, die nun auf lange Sicht erfolgreich war. Es gibt wissenschaftliche Studien, die besagen, dass es einen sogenannten Tipping Point gibt, der bei 3,5 Prozent liegt. Das heißt, 3,5 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung können ausreichen, um eine Massenbewegung in Gang zu bringen. Ich glaube, man muss die Menschen überzeugen – und zwar nicht ideologisch, sondern, indem man auf ihre Bedürfnisse eingeht. Denn wir alle haben doch ähnliche Bedürfnisse. Wir wollen in Sicherheit und Frieden leben, wir wollen nicht materiell bedroht sein und wir wollen eine Zukunft haben für uns, unsere Kinder und Enkel. Und wenn man dieses Gemeinsame zur Grundlage einer Bewegung machen würde, wären die Chancen aus meiner Sicht größer, etwas zu bewegen.
Haben Sie eine konkrete Idee?
FRIED (LACHT): Wenn ich die hätte, wäre ich Consultant der Klimaschutz-Bewegung! Aber darüber können sich ja kluge Menschen mal Gedanken machen. Letztlich versuchen die Klimaaktivisten ja nur, die Regierung dazu zu bringen, in Sachen Klimaschutz ihre Arbeit zu machen, wie es ihnen übrigens auch das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben hat.
Die Klimaaktivisten liegen Ihnen am Herzen, oder?
FRIED: Ich kann diese jungen Menschen zumindest verstehen. Die machen das ja nicht aus Spaß oder weil sie jemanden ärgern wollen, die handeln aus Wut und Verzweiflung, aus Sorge um unser aller Zukunft. Sie nehmen so viele Nachteile in Kauf, lassen sich bespucken und beschimpfen und von der Straße reißen. In Bayern werden sie in Präventivhaft gesperrt. Ich halte es übrigens für einen Skandal, dass man jemanden ohne Gerichtsverfahren bis zu 60 Tage einsperren kann, nur weil er möglicherweise plant, eine Straße zu blockieren. Das entsprechende Gesetz war ursprünglich dazu gedacht, islamistische Terroristen davon abzuhalten, Bomben zu werfen, die sie in ihrem Keller gebunkert haben. Es auf Klimaaktivisten anzuwenden ist völlig unverhältnismäßig. Die Aktivisten mögen lästig und nervig sein, aber es sind keine Terroristen.
Zurück zum Roman beziehungsweise der Literatur. Sie sind eine anerkannte Bestseller-Autorin, haben aber in einem Interview kürzlich gesagt, Sie könnten gut damit leben, keine Literatin zu sein. Wann darf man sich denn mit dem rechtlich ungeschützten Titel Literat oder Literatin schmücken?
FRIED: Ganz ehrlich – ich schere mich gar nicht so sehr um die Unterscheidung zwischen E- und U. Für mich ist gute Unterhaltung auch Literatur.
So. Und warum halten Sie sich dann für keine Literatin?
FRIED: Diese Bemerkung war ein wenig ironisch gemeint, weil in Deutschland diese U- und E-Diskussion so verbissen geführt wird. Die Angloamerikaner sind da viel entspannter. Die sagen, wenn man Menschen auf einem gewissen Niveau gut unterhält, ist das Literatur. Und ich habe mich immer als jemanden betrachtet, der die Menschen gut unterhalten will, spannende Geschichten erzählt, dabei aber auch interessante Themen transportiert. Andernfalls würde mich das Schreiben langweilen. Ich muss selbst eine Herausforderung spüren. Ob das dann Literatur ist, hat mich eigentlich nie interessiert. Es sind immer die anderen, die mich in eine Schublade stecken wollen. Gerade wird Johannes Mario Simmel groß gefeiert, der dieses Jahr hundert geworden wäre. Zu Lebzeiten wurde er als angeblicher Trivialschriftsteller geschmäht, heute erkennt man endlich seine Qualität an. Also, vielleicht hört das mit den Schubladen auf, wenn ich tot bin. In den Schreibworkshops, die mein Mann und ich geben, bringen wir den Teilnehmenden bei: Einfachheit ist das Geheimnis, nicht geschraubte Sätze mit fünf Nebensätzen und 22 Adjektiven.
Seit sechs Jahren machen Sie die Workshops zusammen mit ihrem Mann Peter Probst, ebenfalls Schriftsteller. Finden sich bei solchen Gelegenheiten auch Talente?
FRIED: Durchaus. Da sind Journalisten, Wissenschaftler, Menschen aus der Werbung dabei, denen es darum geht, Zugang zum erzählenden Schreiben zu finden. Wir haben aber auch Leute, die noch nie geschrieben haben, aber die eine Geschichte im Kopf haben. Eine Frau wollte ihren Enkeln beispielsweise ihr Leben in der DDR erzählen. Eine andere Frau macht Sterbebegleitung und hat Miniaturen über ihre Arbeit mit Sterbenden geschrieben. Und wieder eine andere wollte ein Sachbuch schreiben, wie löse ich mein Elternhaus auf, mit all den Fragen drumherum. Die hat drei Kurse bei uns gemacht, das Buch geschrieben, einen Verlag gefunden – und es landete auf der Bestsellerliste.
Wie darf man sich den Alltag eines Schriftsteller-Ehepaars vorstellen – sitzt da ihr Mann in einem Schreibzimmer und Sie im anderen und beide hacken wie wild in die Laptops und dann trifft man sich mittags zum Essen in der Küche?
FRIED: Genauso ist es. Kein Witz. Manchmal schreiben wir uns eine Mail von Zimmer zu Zimmer: Bis du schon so weit, sollen wir Pause machen? Ab und an treffen wir uns auch an der Kaffeemaschine. Das ist total unspektakulär. Sitzfleisch ist neben der guten Idee eine der wichtigsten Eigenschaften von Schriftstellern.
Aus dem Fernsehen, das Sie groß gemacht hat, haben Sie sich weitgehend zurückgezogen.
FRIED: Das ist der normale Gang der Dinge, dass Frauen im deutschen Fernsehen über 40 immer weniger werden und ab 60 regelrecht verschwinden.
Warum?
FRIED: Weil die Männer, die an den Machtpositionen beim Fernsehen sitzen, wohl gerne junge Gesichter sehen wollen.
Aber es gibt doch auch Frauen an diesen Positionen?
FRIED: Aber überwiegend sind es schon Männer. Vielleicht sehen aber auch Frauen in diesen Positionen gerne junge Gesichter. Ich sehe übrigens auch gerne junge Gesichter, aber ein bisschen Lebenserfahrung kann auch im Fernsehen nicht schaden. Ich hatte, ehrlich gesagt, irgendwann keine große Lust mehr auf Fernsehen. Ich habe das 35 Jahre gemacht und irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich sagte: Leute, ich kann es jetzt. Entweder, ihr kommt mit einer wirklich guten neuen Idee oder ich mache etwas anderes.
Thomas Gottschalk und Günther Jauch finden nicht ganz so leicht raus.
FRIED: So lange man Lust hat und gefragt ist, ist es ja in Ordnung, weiterzumachen. Ich finde es aber wichtig, den Punkt zu erkennen, ab dem die Sache ins Lächerliche driftet und die Leute sagen: Ach, der alte Sack schon wieder!
Bei Jauch nimmt man diese Diskussion nicht wahr, bei Gottschalk schon.
FRIED: Jauch ist mehr der Journalist, Gottschalk mehr der Unterhalter. Vielleicht geht die Zeit in dieser Branche schneller über einen hinweg, weil sich auch Humor verändert. Das hat Gottschalk ja selbst gesagt.
Bei Ihnen aber kam etwas anderes.
FRIED: Ja, ich habe dann zwei Ausbildungen gemacht, bei denen ich meine alte Liebe zur Psychologie auffrischen konnte, also Mediation und systemisches Coaching. Dann habe ich mit den Schreibkursen angefangen. Außerdem reisen mein Mann und ich gerne. Für mich ist die Lage sehr in Ordnung und ich verspüre nur mehr selten den Zirkusgaul in mir.
Zur Person
Amelie Fried , Tochter des Verlegers Kurt Fried und der Buchhändlerin Inge Fried-Ruthardt, geboren 1958 in Ulm, wurde durch die Sendung „Live aus dem Alabama“ im Bayerischen Rundfunk bekannt. Die erfolgreiche Moderatorin hat sich auch als Schriftstellerin einen Namen gemacht und mehrere Bestseller veröffentlicht, mehrere davon wurden verfilmt. Vor Kurzem ist im Heyne-Verlag Frieds Roman "Der längste Sommer ihres Lebens" erschienen. Sie arbeitet außerdem als systemischer Coach. Fried ist verheiratet mit dem Drehbuchautor und Schriftsteller Peter Probst, das Paar lebt in München und hat zwei erwachsene Kindern.