Dreimal in ihrem Leben hat Francesca Melandri ihrem Vater diese Frage gestellt. „Papa, hast du im Krieg mal jemanden umgebracht?“ Dreimal die gleiche Antwort: „Ja, einmal, da hatte ich Hunger und habe mir einen Vogel geschossen“. Als Kind beruhigen sie diese Worte, als Teenager gerät sie über die Lüge in Rage, als sie dem gebrechlichen alten Mann die Frage stellt, schämt sie sich danach.
In „Kalte Füße“ geht Melandri, die mit ihrem Debüt „Eva schläft“ auch in Deutschland bekannt wurde, der Frage noch einmal nach. Was hat der Vater als Leutnant der italienischen Alpini im Zweiten Weltkrieg 1943 als Teil der faschistischen Besatzungsmacht getan – und zwar in jenem Land, in dem heute wieder Krieg herrscht: der Ukraine. Was ihr aber erst bewusst wird, als sie in den Ortsnamen, die in den Nachrichten auftauchen, die des damaligen Krieges wieder erkennt, bekannt aus der innerfamiliären Saga „Papa in Russland“.
Blumig erzählt der Vater vom Krieg, aber auch lückenhaft
Es ist ein persönliches Buch, eine Auseinandersetzung mit dem Vater, Journalist und Autor, der blumig erzählen konnte, anekdotenreich auch vom Krieg, vom Rückzug durch eisige Kälte in Schuhen mit Pappsohlen, dabei aber Lücken ließ. Als „anständigen Faschisten“ hatte ihn einst ein Freund bezeichnet. Aber Melandri geht über dieses intime Zwiegespräch mit dem Vater hinaus – verschränkt ihre Familiengeschichte mit dem Zeitgeschehen, schreibt über italienische Erinnerungskultur und Opfernarrative, und versucht, die für sie drängenden Fragen als friedensverwöhntes Kind der italienischen Nachkriegszeit zu beantworten. „Ich muss herausfinden, was Krieg ist“. Wie sonst kann man sich dazu verhalten.
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