Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

Günther Krabbenhöft: Vom Zufallsbild zum Internet-Star

Interview

Günther Krabbenhöft: „Ich habe so viel Lust aufs Leben“

    • |
    • |
    Günther Krabbenhöft im Gespräch in seinem Lieblingscafé in Berlin-Kreuzberg, der Chocolateria Sünde.
    Günther Krabbenhöft im Gespräch in seinem Lieblingscafé in Berlin-Kreuzberg, der Chocolateria Sünde. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Wann waren Sie das letzte Mal zu Techno tanzen?
    GÜNTHER KRABBENHÖFT: Letzte Woche – und zwar nicht geplant. Das sind die schönsten Momente. Ich bin von einer Varieté-Veranstaltung gekommen, es war schon spät nachts. Ich war müde. Eine Freundin hat gefragt, ob wir noch was trinken wollen. Dann kamen wir an einem Gebäude vorbei, aus dem Musik drang: Wir fragten die Dame, die davorstand, was los sei. Sie sagte: Party, kommt mal rein.

    Also eine spontane Geschichte?
    KRABBENHÖFT: Wir sind da rein, haben unsere Jacken in die Ecken gefeuert und getanzt, als ob es keinen Morgen gäbe. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal um halb fünf in der Nacht meine Wohnungstür aufgeschlossen habe.

    Sie sind 79 Jahre alt, gehen regelmäßig aus, bereichern Berlins Party-Szene. Aber ich höre heraus, dass Sie nicht immer zu so später Stunde tanzen gehen?
    KRABBENHÖFT: Zum Glück geht das auch anders. Wenn ich immer sage, dass ich am Sonntag zum Gottesdienst gehe, meine ich, dass ich am Sonntagvormittag in einen Club gehe. Die Leute dort tanzen schon die ganze Nacht. Die Partypeople sind schon erschöpft, und der alte Herr stößt fit am Morgen dazu. Die Jungen fragen sich: Was hat der Alte genommen? Die Antwort lautet: einfach nur eine Mütze Schlaf.

    Wann haben Sie Techno für sich als Musik entdeckt?
    KRABBENHÖFT: Ich fand das schon immer gut. Die einschlägigen Clubs kannte ich vom Hörensagen. Ich wollte sie mir ansehen, hatte aber eine Schere im Kopf. Ich habe geglaubt, dass die jungen Leute sich fragen werden, was der Alte bei ihnen will, so nach dem Motto: Der bekommt gleich einen Herzkasper und dann ist die Party für alle zu Ende.

    Wie kam es zum ersten Techno-Club-Besuch?
    KRABBENHÖFT: Zwei junge Mädels haben mich vor zehn Jahre auf der Straße angesprochen, weil sie fanden, dass ich cool aussah. Sie fragten mich, ob ich mit ins Berghain wolle. Ich bin mit, habe mir alles zeigen lassen, bin dort acht Stunden geblieben und habe mir die Seele aus dem Leib getanzt. Als ich spät am Abend heimgegangen bin, fühlte ich mich so schwebend und leicht, dass ich kaum die Erde berührte. Mir war klar, dass ich das öfters machen werde.

    Der 79-jährige Influencer Günther Krabbenhöft hat 300.000 Follower auf der Social-Media-Plattform Instagram.
    Der 79-jährige Influencer Günther Krabbenhöft hat 300.000 Follower auf der Social-Media-Plattform Instagram. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Waren Sie früher schon ein großer Tänzer?
    KRABBENHÖFT: Ich habe immer schon gerne getanzt. Es fing in den 1970er Jahren mit der Discowelle an, als die Rhythmen anders wurden. Von den Songs von damals wird heute viel musikalisch verwurschtet. Ich frage mich immer, wo die Leute in meinem Alter sind, die damals Spaß daran hatten. Haben die aufgehört zu tanzen? Fühlen sie sich heimatlos, weil sie meinen, das Tanzen nur mit Senioren machen zu können?

    Welche Reaktionen bekommen Sie im Club?
    KRABBENHÖFT: Die jungen Leute freuen sich, dass ich mit ihnen feiere. Ich durfte tolle Abende erleben und spüre, dass uns etwas verbindet.

    Hat es Sie Überwindung gekostet, als Senior im Gentleman-Style in die Clubs zu gehen?
    KRABBENHÖFT: Jetzt nicht mehr, aber am Anfang schon. Ich wollte kein peinliches Bild abgeben. Aber das hörte schnell auf, als die Jungen mir sagten, dass ich die Musik hören und fühlen würde beim Tanzen.

    Wie hat das Tanzen Ihr Leben verändert?
    KRABBENHÖFT: Ich habe davon profitiert, durfte viele jungen Menschen kennenlernen. Ich habe gemerkt: Wenn Jung und Alt die gleiche Leidenschaft haben, spielt das Alter keine Rolle.

    Sind dadurch tiefere Kontakte entstanden?
    KRABBENHÖFT: Ja natürlich. Seit zehn Jahren gibt es junge Menschen in meinem Leben, mit denen ich immer Kontakt habe, die gerne mit mir sind. Auch wenn die Zeiten andere geworden sind, die Ängste, die Sehnsüchte der jungen Leute sind gleich. Wo will ich hin in meinem Leben? Wo finde ich meinen Platz in der Gesellschaft? Ungefragt gebe ich keine Ratschläge, aber wenn jemand etwas wissen will, erzähle ich von mir. Andersherum lerne ich eine Menge von den jungen Leuten, etwa ungezwungener und lockerer in Situationen zu gehen und etwas auszuprobieren – auch im Alter. Das inspiriert mich.

    Von außen schaut es aus, als ob Sie Ihr Leben vor zehn Jahren neu erfunden haben.
    KRABBENHÖFT: Ich habe früh geheiratet und eine Familie gegründet. Ich habe ein Kind und jetzt Enkelkinder. Jetzt bin ich in einem Lebensabschnitt, in dem ich freier über mich entscheiden kann. Ich bin kein Großvater, der zu Hause sitzt und wartet, dass er besucht und bespaßt wird. Ich habe so viel Lust aufs Leben. Wenn ich in einen Club gehe, in dem mir die Bässe um die Ohren fliegen, gibt mir das Kraft.

    Hätte der Günther Krabbenhöft aus dem Jahr 2024 einen Lebenstipp für den Günther Krabbenhöft des Jahres 1974?
    KRABBENHÖFT: Sei Du selbst, laufe nicht irgendwelchen Dingen nach. Finde heraus, wer Du bist, was in Dir ist.

    Wie war das bei Ihnen mit Mitte 20?
    KRABBENHÖFT: Da war ich zurückhaltend, ich kannte auch Verzweiflung. Weil ich mich anders gekleidet und bewegt habe als andere, habe ich das auch gespürt. Aber ich wusste, dass ich diesen Weg weitergehen muss, auch wenn ich manchmal angefeindet oder lächerlich gemacht worden bin. Das musste ich aushalten. Später habe ich gemerkt, dass das der einzige Weg ist, um herauszufinden, wer man wirklich ist.

    Wann haben Sie begonnen, sich wie ein Gentleman mit Weste, Fliege, Einstecktuch und oft auch Melone zu kleiden?
    KRABBENHÖFT: Das kam mit den Jahren. Schon als Junge wusste ich, dass ich anders war. Wenn Menschenmengen sich alle äußerlich und im Denken gleichen, erzeugt das in mir den Impuls, etwas anders zu machen. Früher habe ich mir Sachen selbst zusammengesucht, Second-Hand gekauft, etwas verändert. Ich wusste: Kleidung ist mein Rahmen, wobei mich die Mode nicht interessiert hat. Ich wollte herausfinden, was zu mir passt.

    Sie haben vor zehn Jahren Social-Media für sich entdeckt und sind dort in kürzester Zeit zu einem Influencer mit großer Reichweite geworden. Haben Sie sich das je vorstellen können?
    KRABBENHÖFT: Nein, nie. Das hatte ich nie im Kopf. Vor zehn Jahren ist ein Bild von mir hier in Berlin aufgenommen worden, das um die Welt ging. Das hat eine Tür geöffnet – und ich bin hindurchgegangen.

    Sie wollten nicht, dass das Bild um die Welt geht.
    KRABBENHÖFT: Als das Foto auf dem U-Bahnhof gemacht wurde, hatte ich zwar schon ein Smartphone in der Hand, aber ich konnte es noch nicht richtig bedienen. Das hat sich danach erst alles entwickelt.

    Wie haben Sie sich die neue digitale Welt erobert?
    KRABBENHÖFT: Freunde haben mir am Anfang damit geholfen und mir alles gezeigt. Dann habe ich meinen Account selbst mit Bildern und Gedanken von mir bestückt. Heute habe ich über 300.000 Follower.

    Bereuen Sie Ihr neues Leben auf Social-Media als Berühmtheit?
    KRABBENHÖFT: Ich bin so alt, wo vor soll ich Angst haben? Ich bin eine gewisse Zeit auf der Welt und danach bin ich verschwunden. Danach kommt etwas Neues und der Herr Krabbenhöft ist Geschichte.

    Wenn Sie auf Ihre Altersgenossen schauen, die oft schauen müssen, noch genügend Kontakte zu Menschen haben, was raten Sie Ihnen?
    KRABBENHÖFT: Runter vom Sofa und rein ins Leben. Schluss ist erst, wenn es Schluss ist. Natürlich gibt es Menschen, die eingeschränkt sind, weil sie eine Krankheit haben und gebrechlich sind. Wichtig ist, dass wir teilnehmen an dem Weltgeschehen im Hier und Jetzt.

    Immer stilvoll aus dem Haus: Günther Krabbenhöft.
    Immer stilvoll aus dem Haus: Günther Krabbenhöft. Foto: Richard Mayr

    Was ist Glück für Sie im Leben?
    KRABBENHÖFT: Das Leben zeigt, dass Glück nichts Großes ist, also nicht die sechs Richtigen im Lotto. Das Glück ist klein, ich muss es erkennen, es ist tausendfach im Alltag zu finden. Doch dazu gehört, es in den normalen Dingen zu erkennen. Wenn in meiner Wohnung im Frühling die Sonne wieder an bestimmte Ecken im Zimmer kommt und dort Bilder zum Leuchten bringt, spüre ich, dass jetzt wieder eine neue Zeit anbricht, es Frühling wird. Ich kann mich auch über den Duft des Kaffees freuen. Oder ich schaue einem Kind mit seiner Eiskugel zu. Das rührt mein Herz. Glück setzt sich aus vielen kleinen Momenten zusammen. Das trägt mich durch den Alltag.

    Glück finden Sie nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart?
    KRABBENHÖFT: Im Hier und Heute finde ich es, in dem Moment. Und der Austausch mit Menschen ist wichtig.

    Sie haben schon vor vielen Jahren eine besondere Wohngemeinschaft gegründet.
    KRABBENHÖFT: Mir war nie klar, wohin das geht, aber ich habe gespürt, dass da Potenzial ist. Mit elf Menschen bin vor 37 Jahren in unser Haus gezogen. Wir sind dort gemeinsam alt geworden. Mittlerweile sind schon die Kinder von bereits Verstorbenen eingezogen – mit den neuen Familien in die Wohnung der Eltern. Das ist wunderbar. Das lässt sich vielleicht nicht auf jeden übertragen, aber jeder hat die Möglichkeit, sich diesen Fragen, wie man Leben und alt werden möchte, zu stellen. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit dem Tod. Ich teile mit sechs Leuten eine Grabstätte, ich nenne das flapsig meine Urnen-WG. Das macht mich relaxed und glücklich, dass ich diese Dinge aktiv angegangen bin. Der Weg im Leben geht dahin, wo die Angst ist.

    Was heißt das zum Beispiel?
    KRABBENHÖFT: Da wo die Angst lauert, muss man genau hinschauen. Je mehr mich etwas erstarren lässt, desto mehr weiß ich, dass ich da ran muss.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden