Es riecht nach kaltem Rauch. Auf dem Tisch liegen Dutzende Zigarettenschachteln, Tabakbeutel und E-Zigaretten. Acht Leute sitzen im Hinterzimmer eines Hotels am Rande von Nürnberg. Alle haben vorher geraucht, alle haben ein Ziel: Endlich aufhören. Ein Seminar soll ihnen helfen. "Nichtraucher in fünf Stunden", lautet das Versprechen des Anbieters. „Bestimmt Hokuspokus, aber versuchen kann man es mal“, sagt Susanne. 51 Jahre, Brille, halblange Haare. Die erste Zigarette hat sie mit 19 Jahren geraucht. Mehrmals hat sie versucht aufzuhören, vergeblich. Ob es diesmal klappt? Ingo Buckert ist zuversichtlich, der Sportwissenschaftler hat schon vielen Menschen das Rauchen abgewöhnt. 20 Jahre hing er am Glimmstängel, inzwischen leitet er Nichtraucher-Seminare und Präventionskurse an Schulen, um Menschen beim Aufhören zu helfen oder dafür zu sorgen, dass sie gar nicht erst anfangen.
Deutschland ist Raucherland. Trotz aller Risiken wird gequalmt und das nicht zu knapp. Jeder Fünfte über 15 Jahren raucht, mit rund 12 Millionen Abhängigen liegt Deutschland auf Platz vier im EU-weiten Vergleich. Nur in Bulgarien, Griechenland und Ungarn wird mehr gequarzt. Zwar ist der Zigarettenkonsum seit Jahren rückläufig, doch bei jungen Menschen ist Rauchen wieder beliebter, wie die Deutsche Befragung zum Rauchverhalten (DEBRA) zeigt. Qualmten 2020 etwa 33 Prozent der 18- bis 24-Jährigen, waren es 2022 schon 41 Prozent. Erschreckend ist die Entwicklung auch bei den 14- bis 17-Jährigen: Obwohl sie Tabakprodukte nicht kaufen dürfen, rauchten 2022 rund 16 Prozent der Jugendlichen - fast doppelt so viele wie 2020. Fachleute gehen davon, dass neben Corona und dem damit verbundenen Stress auch E-Zigaretten, Vapes und Tabakerhitzer dazu beigetragen haben.
Die elektronischen Geräte sind knallbunt und wirken hipper als herkömmliche Kippen. Sie schmecken nach Himbeere, Apfelstrudel, Zitronenlimo oder Buttermilch. Die Geschäfte, in denen sie verkauft werden, erinnern an Apple-Stores und edle Boutiquen. Das kommt an, vor allem bei jungen Menschen. Der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge haben rund 32 Prozent der 18- bis 24-Jährigen schon mal E-Zigaretten ausprobiert. Sieben Prozent qualmen mindestens einmal im Monat elektronisch. Rauchen 2.0 – auf jeden Fall bunter als früher. Aber harmloser?
Bei Jugendlichen kann Nikotin die Hirnreifung beeinträchtigen
Die erste Zigarette. An die erinnern sich die Seminarteilnehmenden noch gut. Heimlich nach der Schule, an Silvester mit dem besten Kumpel, damals auf der Geburtstagsparty. „Ich stand verdruckst im Schwimmbad, als ich mit dreizehn zum ersten Mal gepafft habe“, erzählt Buckert. „Mir wurde schlecht, eine typische Reaktion auf die Nikotinvergiftung im Gehirn. Die meisten finden die erste Zigarette ätzend und müssen sich das Rauchen erst mal antrainieren.“ Susanne schüttelt den Kopf. „Bei mir war das anders, keine war so gut wie die erste“, sagt sie. „Haben deine Eltern geraucht?“, fragt Buckert. Susanne nickt. „Zu Hause, im Auto, überall, war ja normal damals.“ Buckert nickt: „Dann war deine Lunge schon gut trainiert oder besser gesagt, sie wurde früh durchs Passivrauchen geschädigt.“
Die meisten Menschen fangen als Jugendliche an zu qualmen. Das war früher so, das ist immer noch so. Getreu dem Motto der Tabakkonzerne: „Hook them young, hook them forever“. Wer früh anfängt, bleibt eher hängen und kommt später schwerer vom Glimmstängel los. „Nikotin ist ein Gift mit hohem Abhängigkeitspotenzial, das in erster Linie im Gehirn wirkt“, sagt Katrin Schaller von der Stabsstelle Krebsprävention und dem WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Kurzfristig steigert es den Blutdruck und verbessert die Konzentration, langfristig fördert es das Wachstum von Tumoren. Bei Jugendlichen kann Nikotin die Hirnreifung und Lernfähigkeit beeinträchtigen. Mit dem ersten Zug schießt das Nikotin ins Gehirn, schneller als intravenös verabreichtes Heroin. Das Glückshormon Dopamin wird freigesetzt - ein kurzer Kick, Entspannung. Doch die währt nur kurz, nach 90 Minuten verlangt das Gehirn nach mehr.
Ein lauter Schlag. Buckert klopft mit der Hand gegen die Wand. Alle zucken zusammen. Ein weiterer Schlag. Immer schneller und lauter hämmert Buckert gegen die Wand. „So klingt die Sucht“, sagt er. „Wie ein nerviger Wecker, den man am liebsten aus dem Fenster werfen möchte.“ Susanne nickt, sie kennt dieses unbändige Verlangen nach einer Zigarette. „Ihr könnt dem Gefühl nachgeben und zur Kippe greifen, dann wird es immer wieder kommen“, sagt Buckert. „Oder ihr könnt euch dagegen entscheiden, dann wird es irgendwann verschwinden.“ Die körperlichen Entzugserscheinungen sind schnell vorbei, nach ein paar Tagen ist das Nikotin aus dem Körper. Schwieriger ist die psychische Abhängigkeit. „Wichtig ist, dass ihr wirklich etwas verändern wollt“, sagt Buckert. „Visualisiert das mal, stellt euch ein Leben ohne Zigaretten vor.“ Susanne blickt ins Leere: „Schönes Bild, aber auch vollkommen surreal.“
Die meisten Rauchenden können sich ein Leben ohne Zigaretten nicht vorstellen. Gepafft wird zum Kaffee, zum Bier, im Stau, nach dem Essen, nach dem Sex, in einsamen, stressigen und langweiligen Momenten, bei der Arbeit, im Urlaub. Jede Lebenssituation hängt an der Kippe, sie steht für Spaß, Entspannung, Geselligkeit. „Die Tabakkonzerne haben ganze Arbeit geleistet, denn mit der Realität hat das nichts zu tun“, sagt Buckert. „Menschen sind nicht gesellig, cool oder interessant, weil sie rauchen, sondern weil sie offen sind, coole Dinge tun oder interessante Ansichten haben.“ Aber das Narrativ aus dem Kopf zu bekommen, ist nicht leicht.
Je früher Menschen mit dem Rauchen beginnen, desto mehr Momente verbinden sie damit. Kaffee nur mit Kippe. Quarzen nach Feierabend. Auf den Zug warten und paffen. Rauchende haben das jahrelang internalisiert. Sie greifen automatisch zur Zigarette, unabhängig davon, ob der Körper nach Nikotin verlangt oder nicht. Fachleute nennen das operante Konditionierung. „Die Kippe kommt wie ein Wundermittel daher, das jede Lebenssituation zu verbessern scheint“, sagt Buckert. „Dabei ändert sie nichts an der Situation. Sie stillt nur das Bedürfnis nach Nikotin, das ohne die Kippen gar nicht erst da wäre. Man raucht, um sich normal zu fühlen und weil man es nicht anders kennt.“ Die Kombination aus Nikotin und psychischer Abhängigkeit macht die Zigarette zu einem so starken Suchtstoff – und sie macht es Rauchenden so schwer, vom Glimmstängel loszukommen.
Kurze Raucherpause. Susanne bleibt sitzen. „Im Moment geht es ohne“, sagt sie und linst auf die Kippenschachteln, Tabakbeutel und E-Zigaretten, die Buckert auf dem Tisch verteilt hat. „Ich habe meine Zigaretten zu Hause gelassen, aber es ist beruhigend, dass ich mir jederzeit eine nehmen könnte“, sagt sie. Sie hatte auch schon rauchfreie Phasen, mal für vier Wochen, als sie im Krankenhaus lag, mal mehrere Monate, als sie mit einem Nichtraucher zusammen war, aber irgendwann hing sie wieder am Glimmstängel. „Corona war mein Untergang“, sagt die 51-Jährige. „Ich saß im Home-Office und konnte ungestört eine nach der anderen rauchen.“ Im November dann die bittere Diagnose: COPD. „Seitdem zähle ich jede Zigarette“, sagt Susanne.
COPD steht für Chronic Obstructive Pulmonary Disease, auf Deutsch chronisch obstruktive Lungenerkrankung. Typische Raucherkrankheit, 90 Prozent der Betroffenen sind oder waren Rauchende. Weil sich die Atemwege verengen, leiden Betroffene an Husten und Atemnot. Medikamente können die Beschwerden nur lindern, heilbar ist COPD nicht. Ein Rauchstopp kann den Verlauf aber verlangsamen. Die Liste an Erkrankungen, die durch das Qualmen verursacht werden, ist lang: Verstopfte Arterien, Diabetes, Magengeschwüre, Thrombose, Komplikationen in der Schwangerschaft. Mit jeder Zigarette steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle und Herzinfarkte. Durch die Chemikalien im Tabakrauch verengen sich die Gefäße. Herz, Hirn oder Beine werden schlechter durchblutet.
Auch um die Mundgesundheit, Leistungsfähigkeit und Potenz ist es schlecht bestellt. Vor allem aber verursacht Rauchen Krebs – in der Lunge, Leber, Brust, Speiseröhre sowie im Kehlkopf, Magen oder Rachen. Rund 80 Prozent aller Lungenkrebsfälle in Deutschland sind aufs Rauchen zurückzuführen. Jedes Jahr sterben mehr als 120.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Das Gesundheitswesen kostet das Gequalme jährlich 97 Milliarden Euro, Rauchende bezahlen ihre Sucht im Schnitt mit zehn Lebensjahren.
Harter Tobak, erst mal eine Kippe zur Beruhigung. Bevor es rausgeht, noch ein Appell von Buckert: „Qualmt die Zigarette mal ganz bewusst, haltet den Rauch im Mund, schluckt ihn, atmetet ihn durch die Nase aus.“ Skeptische Blicke, ab auf die Hotelterrasse. „Schon heftig, was wir uns da antun“, sagt ein Mann mit fränkischem Dialekt, während er eine Zigarillo aus der Schachtel fummelt. Er habe mehrmals versucht aufzuhören, schon seinen Kindern zuliebe, wurde aber immer wieder rückfällig. „Mein Vater hat geraucht wie ein Schlot, vor zwei Jahren ist er an Lungenkrebs gestorben. Bei meinem Opa war es dasselbe. Ich will nicht, dass meine Kinder das mit mir durchmachen müssen“, sagt er und steckt sich die Fluppe an. „Jetzt also mal ganz bewusst rauchen“, sagt er und zieht. Mit aufgeplusterten Backen steht er da, schluckt, verzieht das Gesicht und pustet röchelnd eine Rauchwolke aus. „Ist das ekelig, das beißt und brennt ja richtig“, sagt er und starrt auf die Zigarillo. Noch mal inhalieren, innehalten und langsam den Rauch aus der Nase ausströmen lassen. „Die schmeckt wirklich nicht“, sagt er leicht angewidert und drückt die Kippe in den Aschenbecher.
Zigaretten sollen schmecken. Nach Freiheit und Abenteuer, das versprach der Marlboro-Mann, als er in den 1960er-Jahren quarzend durch die Prärie ritt. Zwar war damals schon bekannt, dass Rauchen Krebs verursacht, aber die Tabakindustrie war um zynische Werbeversprechen nie verlegen. Unverfroren wurden Kippen als gesunde Schlankmacher und stilvolle Genussmittel vermarktet. Konzerne investierten Milliarden, um Zigaretten in Szene zu setzen. Stars wie Humphrey Bogart oder James Dean hatten die Kippe verwegen im Mundwinkel hängen und machten sie zum Symbol für männliche Coolness. Unvergessen, wie Audrey Hepburn in schwarzen Handschuhen eine gertenschlanke Zigarettenspitze zwischen ihren Fingern balanciert. Wie sich Sean Connery eine Fluppe im Casino ansteckt und „Bond, James Bond“ raunt. Oder wie John Travolta und Uma Thurman paffend über peinliche Stille sinnieren, bevor sie ihren Pulp-Fiction-Twist tanzen.
Die Zigarette als Stilmittel für schlaue Gedanken, weibliche Selbstermächtigung und Sexyness. Das Bild zieht, vor allem bei jungen Menschen. Studien zeigen: Je mehr in Filmen gepafft wird, desto eher probieren es Jugendliche aus. Zwar wird auf der Leinwand inzwischen weniger gequarzt, und wenn meist nikotinfreie Kräuter. Doch die Tabakindustrie hat andere Tricks, um neue Konsumierende zu gewinnen und Rauchende bei der Stange zu halten.
Rund 70 Prozent aller Rauchenden würden gerne aufhören
Alle im Seminar haben schon mal versucht aufzuhören. Akupunktur, Nikotinpflaster, Susanne hat einiges probiert: „Von den Pflastern wurde mir so schlecht, dass ich zum Arzt musste. Gebracht hat es nichts.“ Sie qualme weniger als früher, komme tagsüber auch mal ohne Zigarette aus, doch die Fluppen nach Feierabend dürfen nicht fehlen. „Jede Zigarette weniger ist gut, aber es kann auch kontraproduktiv sein, den Konsum zu reduzieren“, sagt Buckert. Oft bekommen die einzelnen Kippen einen höheren Stellenwert. Ganz auf sie zu verzichten, fällt dann schwerer. „Mit der Methode quälen sich Rauchende besonders lange“, sagt Buckert. „Die Sucht hört nicht auf, es braucht immer eine Willensentscheidung und einen Schlusspunkt.“ Der Rauchstopp werde häufig mit Verzicht und Durchhalten verknüpft, sagt Buckert. Dabei hole man sich zurück, was man jahrelang nicht hatte: Freiheit und Lebensqualität.
Rund 70 Prozent aller Rauchenden würden gerne aufhören. Meist gelingt der Ausstieg erst nach mehreren Versuchen. Es gibt viele Hilfsangebote, von der Telefonberatung, über Apps, Seminare und verhaltenstherapeutische Maßnahmen bis zu medikamentösen Therapien. Trotzdem sieht Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum Nachholbedarf. „Viel mehr Rauchende könnten erfolgreich aufhören, wenn der Zugang zu Unterstützungsmethoden erleichtert und die Kosten für eine Therapie erstattet würden“, sagt sie. Das wäre eine von vielen Maßnahmen, um die Raucherquote zu senken. Und wie sieht es mit Alternativen wie E-Zigaretten oder Erhitzern aus? Erleichtern sie den Rauchstopp?
„E-Zigaretten oder Erhitzer sind nicht als Entwöhnungsmittel zugelassen“, sagt Schaller. Sie könnten als solche vermarktet werden, dafür müssten die Hersteller medizinische Studien zur Wirksamkeit vorlegen, aber die sind aufwendig und teuer. „Für die Hersteller ist es lukrativer, die Geräte als vermeintlich harmlose Life-Style-Produkte zu verkaufen und sie als Massenprodukt anzubieten“, so die Expertin.
200 Millionen Euro investiert die Tabakindustrie jährlich in die Promotion ihrer Produkte. Im Fokus stehen vermehrt E-Zigaretten und Erhitzer. Sie werden als die hippen Rauchalternativen angepriesen - mit Erfolg, der Absatz ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Der größte Tabakkonzern Philip Morris gründete 2017 eine Stiftung, um die Schadensminderung durch alternative Tabakprodukte zu propagieren. Zahlreiche Gesundheitsorganisationen distanzierten sich.
„Wir wissen nicht, was diese Produkte langfristig im Körper anrichten“, sagt Schaller. „Aber so viel ist sicher: E-Zigaretten sind keine harmlosen Lifestyle-Produkte.“ Denn in den Liquids, mit denen E-Zigaretten betankt werden, stecken schädliche Substanzen. Meist bestehen sie aus den Grundstoffen Glyzerin und Propylenglykol. Letzteres wird auch bei Kunstnebel oder zum Enteisen von Flugzeugen verwendet. „Der Stoff ist nicht dafür vorgesehen, um ihn sich in die Lunge zu pfeifen“, sagt Schaller. Neben Nikotin enthalten die Liquids verschiedene Aromastoffe. „Oral aufgenommen gelten sie als unbedenklich. Welche Auswirkungen sie haben, wenn sie häufig und lange inhaliert werden, ist bislang kaum untersucht“, sagt Schaller. Tier- und Zellversuche deuten darauf hin, dass sie die Blutgefäße, die Erbsubstanz oder das Immunsystem schädigen können. Und das ist nur die Rohform.
Beim Erhitzen entstehen weitere gefährliche Substanzen. Forschende entdeckten Toluol, Benzol, Formaldehyd oder Acrolein im Dampf. Auch Arsen, Blei und Nickel, die wohl aus dem Heizdraht oder anderen metallischen Teilen stammen, wurden nachgewiesen. Herkömmlicher Zigarettenrauch enthält ein Gemisch aus rund 5300 Substanzen, von denen rund 250 giftig und 90 krebserzeugend sind. Blausäure, Benzol, Kohlenmonoxid, Blei – Kippen können es mit Batterien, Autoabgasen oder Pestiziden aufnehmen. „Im Vergleich dazu schneiden E-Zigaretten besser ab, aber ihr Aerosol enthält auch zahlreiche Schadstoffe“, sagt Schaller.
Für die alternativen Produkte gibt es noch keine Langzeitstudien
Neben E-Zigaretten werden seit 2017 auch Tabak-Erhitzer verkauft. Sie werden nicht mit Liquids betankt, sondern in die Geräte wird eine Art Mini-Zigarette gesteckt und elektronisch erhitzt. Der Tabak ist stark verarbeitet und mit jeder Menge Glyzerin versetzt. „Das Aerosol der Erhitzer enthält weniger Schadstoffe als herkömmlicher Tabakrauch, manche sind aber auch in höherer Konzentration vorhanden“, sagt Schaller. „Da die Geräte erst seit Kurzem auf dem Markt sind, wissen wir über sie noch weniger als über die E-Zigaretten“, sagt Schaller. Langzeitstudien fehlen für beide Produkte. „Trotzdem werden sie so vermarktet, dass sie auch für Nichtraucher attraktiv sind.“
Das hat Folgen. „Achtjährige wissen teilweise schon, wie E-Zigaretten und Erhitzer funktionieren“, sagt Ingo Buckert. Auch sein zwölfjähriger Sohn habe schon Vapes im Schrank versteckt. Die Hemmschwelle sinke, durch die Aromastoffe müssten Jugendliche nicht mal mehr den beißenden Geschmack der ersten Zigarette überwinden. Auch in den Nichtraucher-Seminaren sitzen immer häufiger Menschen, die alternative Produkte nutzen. „Viele sagen, dass sie öfter rauchen und in Situationen, in denen sie früher nicht gequalmt hätten wie abends beim Lesen im Bett“, sagt Buckert. Hinzu kommt: Ein Großteil qualmt neben den alternativen Produkten weiter Zigaretten.
Letzte Raucherpause. Alle bleiben sitzen.
Die EU will bis 2040 rauchfrei sein, manche Länder sind auf dem besten Weg dahin. England und Schweden haben in den vergangenen Jahren strikte Präventionsmaßnahmen durchgesetzt, der Anteil an Rauchenden hat sich mehr als halbiert. Schweden nennt sich schon jetzt rauchfrei, auch wenn Fachleute das kritisch sehen. Rund 27 Prozent der Menschen sind immer noch nikotinabhängig. Sie stillen ihre Sucht nicht mit Zigaretten, sondern mit Snus. Der Lutschtabak wird in kleinen Beuteln verpackt unter die Lippe geschoben und gelutscht. „Snus enthält auch schädliche Substanzen und ist nicht unbedenklich“, sagt Schaller.
Expertin sagt: „Die Tabaklobby in Deutschland ist sehr stark"
England geht einen anderen Weg. Vergangenes Jahr verschenkte die britische Regierung in einem Pilotprojekt eine Million E-Zigaretten, um Rauchende zum Verzicht auf Tabak zu ermutigen. „Dazu muss man wissen, dass England im Gegensatz zu Deutschland seit Jahren eine vorbildliche Tabakprävention hat“, sagt Schaller. Der Inselstaat geht strikt gegen das Gequalme vor: Zigarettenautomaten sind verboten, Tabakwaren dürfen nicht sichtbar im Supermarkt gelagert werden und Zigarettenschachteln müssen einheitlich aussehen. Werbung für Tabakprodukte ist selbst online verboten. Die Steuern sind deutlich höher als in Deutschland – eine Packung mit 20 Glimmstängeln kostet rund 17 Euro, also etwa doppelt so viel. Premierminister Rishi Sunak hat vor Kurzem ein neues Gesetz vorgeschlagen, das den Verkauf von Tabakwaren an Menschen, die ab 2009 geboren sind, verbieten soll. Damit würde das Mindestalter fürs Rauchen de facto jedes Jahr um ein Jahr angehoben, bis langfristig die gesamte Bevölkerung betroffen ist. Der Anteil der Rauchenden ist bereits auf 13 Prozent gesunken.
Davon ist Deutschland weit entfernt. „Die Tabaklobby hierzulande ist sehr stark, was zu laxen Tabakkontrollen führt“, sagt Schaller. Im europäischen Vergleich gehöre Deutschland zu den Ländern mit dem größten Handlungsbedarf. Das belegt die Tabakkontrollskala, bei der Faktoren wie Zigarettenpreise, Werbeverbote, staatliche Ausgaben für Anti-Rauch-Kampagnen oder der Einfluss der Tabakindustrie auf die Politik berücksichtigt werden. Das ernüchternde Ergebnis: Deutschland belegte 2019 den letzten Platz im EU-weiten Ranking. Dabei zeigen Studien: Je besser Tabakkontrollmaßnahmen umgesetzt werden, desto weniger Menschen rauchen. Und klar ist auch: Es lohnt sich immer mit dem Rauchen aufzuhören. Selbst bei über Sechzigjährigen verzögert ein Rauchstopp das Risiko zu sterben um mehrere Jahre.
Einen Monat nach dem Seminar. Anruf bei Susanne. Und, wie läuft es? „Ich kann es kaum glauben, aber ich bin Nichtraucherin“, sagt sie. „Und es ist gar nicht so schwer.“ Zu verstehen, wie das Nikotin im Körper wirkt, was beim Aufhören passiert und wie die Sucht funktioniert, habe ihr geholfen. Gab es kritische Momente? „Klar, einige“, sagt Susanne. Sie habe oft daran gedacht, wie Buckert gegen die Wand gehämmert hat. „Genauso fühlt es sich an, wenn das Verlangen stark wird“, sagt sie. „Aber das Gefühl geht vorbei, man muss nur diesen Moment überstehen.“ Spazieren gehen, Tee kochen, Wäsche machen - Ablenkung hilft. Einmal musste Susanne den Notfallknopf drücken, also ein kurzes Online-Video des Nichtraucher-Programms anschauen. „Das hat mich daran erinnert, dass eine Zigarette jetzt nichts an der Situation ändern würde“, sagt Susanne. Im Gegenteil, sie würde sich über den Rückfall ärgern, das Nikotin wäre im Körper und sie stünde wieder am Anfang. Eins hatte Buckert im Seminar betont: Wer mit dem Rauchen aufhört, bekommt nicht nur positive Rückmeldung. Vor allem Rauchende unterstellen schnell mal Spießigkeit oder mangelndes Durchhaltevermögen, dahinter stecke Neid und Hilflosigkeit. „Eine Freundin meinte, ich soll mal abwarten, ob ich das wirklich durchziehe. Das hat mich getroffen“, sagt Susanne. Aber es gab auch schöne Momente. „Meine Ärztin, die mich wegen COPD behandelt, hat sich ehrlich für mich gefreut“, sagt Susanne. Noch hat sie eine Schachtel Kippen in der Schublade liegen. Für den Notfall. Ob sie sich sicher fühlt? „Man weiß nie, was kommt, aber ich bin nicht allein, mein Partner hat mit mir aufgehört. Und es haben schon so viele vor uns geschafft.“