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Foto: stock.adobe.com; Montag: ws
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Das Sternchen zwischen der immer mehr ausdifferenzierten Diversity-Flagge und traditioneller Ordnung

Gesellschaft
02.07.2023

Das Gendersternchen – zwischen Integration und Spaltung

Von Wolfgang Schütz

Ein kleines Schriftzeichen hat durch die Markierung geschlechtlicher Vielfalt eine große Karriere gemacht – und sorgt für hitzige Debatten. Eine vorübergehende Erscheinung?

Eigentlich kann das hier ganz so unkompliziert wie korrekt beginnen: Liebe Lesende! Denn damit sind ja alle gerade im Vollzug des Lesens nachweislich gemeint und geschlechterneutral bezeichnet. Und die allermeisten würden sich sicher auch noch mit der Anrede wohlfühlen, die über die traditionell alle Geschlechter verallgemeinernde Form des generischen Maskulinums hinaus geht, also statt „Liebe Leser“ nun ansetzt mit: Liebe Leserinnen und Leser! Ganz anders sähe es freilich aus, stünde hier: Liebe Leser*innen! Das wollte die absolute Mehrheit hier nun gerade nicht lesen wollen. Aber wäre es darum falsch, es auch zu schreiben? 

Zehn Jahre Gendersternchen: ein Aufstieg und eine Eskalation

Und damit ist es eben bereits sehr kompliziert geworden mit dem vermeintlich Korrekten. Zehn Jahre ist es jetzt jedenfalls her, dass die große Karriere eines kleinen Sternchens in Deutschland begonnen hat. Da nämlich beschloss die Freie Universität in Berlin – und damit nicht von ungefähr ein junges, akademisches und progressives Milieu – die Verwendung jenes Zeichens zur Vermeidung jeglicher sprachlicher Diskriminierung von Geschlechtern. Denn im Gegensatz zu der zu jener Zeit noch vorherrschenden Form des sogenannten Binnen-I, das also LeserInnen begrüßt hätte, sollten sich damit auch alle die explizit mitgemeint fühlen können, die sich nicht in der binären Ordnung von männlich oder weiblich wiederfinden. Auf halbem Weg ins Heute wurde das sogenannte Gendersternchen sogar als Anglizismus des Jahres ausgezeichnet – aber von da an hell strahlend am Firmament der deutschen Sprache zu stehen, ist das Sternchen bekanntlich zu einem Zeichen unserer in unerbittlichen Grabenkämpfen zerrütteten Gegenwart geworden.

Nun fungierte Sprache ja immer schon gerne als Distinktionsmerkmal, will heißen: Wer wie schreibt und spricht, soll auch signalisieren, wo man sich in der Gesellschaft zugehörig fühlt, gerne auch noch verbunden mit dem Anspruch einer Erhabenheit gegenüber den anderen Nicht-Zugehörigen. Und im Fall des Gendersternchens könnte man damit ja eigentlich getrost sagen: Sollen sie doch! Sich die einen mit dem Zeichen schreiben und mit dem Glottisschlag die zugehörige Pause setzend sprechen in ihren Milieus und sogenannten „Sozialen Netzwerken“ – und sich dabei moralisch erhaben fühlen gegen jede Diskriminierung. Sich die anderen dagegen einig in Begegnungen und auf Plattformen erhaben fühlen gegenüber einem alle Grundordnung zerstörenden, moralisch überbordenden Zeitgeist fühlen, das traditionell Schöne, das Funktionale, das Normale hütend. 

Und in zehn Jahren? Wird das Gendersternchen normal oder Geschichte sein?

Die einen können ja die Grünen wählen und die linke taz lesen, einig Sternchen-Land – die anderen die konservative FAZ lesen, die wohl eher ihr Erscheinen einstellen würde als zu gendern, und Union wählen, die sich mit Friedrich Merz ja kürzlich auch noch mal klar beim sprechlückenlosen Zusammenhalt positioniert hat. Aber hätte der CDU-Chef dann nicht erst recht, wenn er meinte, das Zeichen sorge viel mehr für Spaltung zwischen Andersmeinenden als für Integration Andersfühlender? 

Interessant wird sein, wie die nächsten zehn Jahre der Sternchen-Karriere nun ablaufen. Was meinen Sie? Werden wir dann zurückblicken auf eine vorübergehende und vorübergegangene Episode der Sprachverwirrung? Oder auf eine nicht untypische Verwerfung im gesellschaftlichen Wandel bis zur Durchsetzung von etwas Neuem? 

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Von drei Wahrscheinlichkeiten ist bis dahin auszugehen. 1. Die Menschen, die sich nicht im binären Männlich-Weiblich-Muster aufgehoben fühlen, werden mehr werden. 2. Die Mehrheit der Menschen, die gegen das Sternchen sind, wird trotzdem stabil bleiben. 3. Die gar nicht so Wenigen, die sich staunend zwischen den Grabenkämpfen wiederfinden, werden noch mehr Anlass haben zu fragen, ob wir nicht andere existenziellere Probleme vorher oder stattdessen zu lösen hätten. 

Die Medien, ihr Publikum und die Frage: Gilt es, eine höhere moralische Wahrheit zu vermitteln?

Das Problem dabei wird die Moderation bleiben. Ein mediales Problem gerade für jene, die nicht bloß bestimmte Milieus abbilden und deren Haltung bestätigend spiegeln. Medien, in denen die gesellschaftliche Debatte eigentlich geführt werden soll, die ja aber immer selbst eine sprachliche ist und damit auch ins Entweder-Oder der Sternchenfrage zu führen scheint. Die meisten klassischen Medien suchen trotzdem ein Dazwischen, gendern im eigentlichen Sinne nicht selbst, haben bloß den (bei aller generischen Neutralität) Anschein männlichen Dominanz entschärft, indem sie den angesprochenen Lesern verstärkt die Leserinnen hinzugesellen – und erlauben bloß in ausdrücklichen Fremdäußerungen Leser*innen. Das macht sie von beiden Seiten angreifbar, der moralischen wie der Zeitgeist-kritischen. 

Drastisch entlädt sich Wut, wenn sich Medien auf eine Seite der Sternchenfrage stellen und damit gegen den Geschmack ihres Publikums handeln – wie es in manchen Teilen der Öffentlich-Rechtlichen geschieht. Die zuallermeist ja gar nicht von Menschen aus einig Sternchenland konsumiert werden, jung-akademisch-progessiv streamt und scrollt sich vor allem durch private Plattformen. Und so wirkt ein solches, sich in sprachlicher Distinktion moralisch richtig wähnendes Programm auf sein eigenes, vor allem das traditionell Schöne, das Funktionale, das Normale hütendes Publikum als unwillkommen bevormundend. Ist es darum aber falsch? 

Interessanterweise war es mit Robert Habeck ausgerechnet ein Grüner, der in einem Buch über sein politisch-gesellschaftliches Verständnis feststellte, man dürfe in die Debatte nicht mit dem absoluten Anspruch gehen, es gebe eine höhere Wahrheit, der es zur Durchsetzung zu verhelfen gelte. Die Wahrheit entsteht in der gesellschaftlichen Debatte des Für-und-Wider selbst – im Ideal auch nicht durch die Mehrheit, sondern durch die Kraft des besseren Arguments. Und bitte: Argumente sind auch zu verstehen, ob sie nun an Bürger, an Bürger und Bürgerinnen oder an Bürger*innen gerichtet sind.

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