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Klima: Gegen das Kohlendioxid: Mit Luftstaubsauger, Gestein oder mehr Bäumen?

Klima

Gegen das Kohlendioxid: Mit Luftstaubsauger, Gestein oder mehr Bäumen?

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    Die Anlage Orca sagt Kohlendioxid aus der Luft, um es dann in Gestein zu verwandeln.
    Die Anlage Orca sagt Kohlendioxid aus der Luft, um es dann in Gestein zu verwandeln. Foto: Climeworks

    Luftstaubsauger, verwittertes Gestein oder neue Bäume: Es gibt verschiedene Methoden, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen. Solche negativen Emissionen werden nach Ansicht von Wissenschaftlern dringend gebraucht, um den Klimawandel zumindest abzumildern. Die entsprechenden Maßnahmen und Technologien sind allerdings mit unterschiedlichen Aufwänden, Risiken und Potenzialen verbunden – ein Überblick.

    Eine grüne Hügellandschaft in Island, gut 30 Kilometer östlich von Reykjavík: Hier stehen acht dunkle Container mit Lamellen auf der einen und Ventilatoren auf der anderen Seite. Bei dem Ensemble handelt es sich um „Orca“: Die Anlage ging im September 2021 in Betrieb und soll Kohlendioxid (CO2) aus der Luft saugen, um es dann in Gestein umzuwandeln. Im Launch-Video wird beschrieben, dass „Orca“ jährlich 4000 Tonnen CO2 aus der Luft holen könne, was sie zur größten entsprechenden Anlage der Welt und „einen Meilenstein im Kampf gegen den Klimawandel“ mache.

    Klimaziel höchstens 1,5 Grad Erwärmung: Das Zeitfenster schrumpft

    Dieser Meilenstein relativiert sich angesichts des weltweiten Ausstoßes von 36,4 Milliarden Tonnen CO2, die nach Schätzungen des Global Carbon Project (GCP) 2021 emittiert wurden. Das Zeitfenster, in dem es noch gelingen könne, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, schrumpfe: Bliebe der Ausstoß an Treibhausgasen auf dem heutigen Niveau, werde das Emissionsbudget dafür 2032 aufgebraucht sein, warnt das GCP. Ähnliche Zahlen finden sich in Berechnungen des Weltklimarats (IPCC): Diesen zufolge könnte die Atmosphäre mit Stand von Anfang 2020 noch 400 Gigatonnen CO2 aufnehmen, um das 1,5 Grad-Ziel mit 66-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu erreichen.

    Der Rauch eines Buschfeuers im US-Bundesstaat Kalifornien verdunkelt den Himmel.
    Der Rauch eines Buschfeuers im US-Bundesstaat Kalifornien verdunkelt den Himmel. Foto: Ringo H.W. Chiu, dpa

    Entsprechend formulierte die Weltklimakonferenz COP26 im vergangenen Herbst, dass die weltweiten CO2-Emissionen bis 2050 auf netto Null sinken sollten. Jene Klimaneutralität hat sich Deutschland Fraktionen einigen sich auf Eckpunkte zur Energie- und KlimapolitikKlimaschutzgesetzbereits für 2045 verordnet. Doch schon jetzt ist abzusehen, dass es nicht möglich sein wird, die Emissionen bis dahin so weit zu senken, dass sie komplett durch die Natur wieder gebunden werden können. So erklärt etwa Roland Dittmeyer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dass selbst bei vollständigem Verzicht auf fossile Energieträger immer noch Kohlendioxidemissionen wie etwa bei der Herstellung von Zement, bei bestimmten chemischen Produktionsverfahren oder am Ende der Lebenszyklen von Kunststoffen auftreten würden: „Ferner wird bei der Lebensmittelproduktion in der Landwirtschaft Methan freigesetzt, und bei bestimmten Anwendungen im Verkehr, wie etwa Langstreckenflügen, besteht auf absehbare Zeit keine wirkliche Alternative zu kohlenstoffhaltigen Energieträgern.“ Deshalb bedeute bereits Netto-Null immer eine gewisse Menge an negativen Emissionen, um diese zu kompensieren.

    Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Atmosphäre also aktiv CO2 entzogen werden, was als Carbon Dioxide Removal (CDR) bezeichnet wird. Eine Methode dafür ist die großflächige (Wieder-)Aufforstung, der zugrunde liegt, dass Bäume durch Photosynthese CO2 in Kohlenstoff und Sauerstoff umwandeln, wobei der Kohlenstoff im Holz gespeichert wird.

    Kann man CO2 abfangen und wiederverwerten?

    Laut einer Studie des Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) in Berlin könnten neue Wälder maximal 3,6 Milliarden Tonnen CO2 jährlich binden. Doch Wälder brauchen viel Platz; wenn das Holz verbrannt wird oder verrottet, entweicht das gespeicherte CO2 zudem wieder in die Atmosphäre.

    Noch dazu kommt es darauf an, was für Bäume gepflanzt werden, wie eine in Nature veröffentlichte Studie betont: Künstliche Baumplantagen könnten CO2 wesentlich schlechter binden als natürliche Wälder. Umso wichtiger sei eine differenzierte, nicht wahllose Aufforstung sowie die Bewahrung bestehender natürlicher Wälder.

    Auf Pflanzen setzen auch BECCS-Verfahren, die Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (Bionenergy with Carbon Capture and Storage) verbinden. Ihr Potenzial zur CO2-Entnahme liegt laut MCC-Studie bei maximal fünf Milliarden Tonnen pro Jahr. Für BECCS werden Nutzpflanzen, Bäume oder Pflanzenreste verbrannt, um Strom oder Wärme zu erzeugen – alternativ wird die Biomasse zum Kraftstoff Ethanol verarbeitet. Das bei der Verbrennung von Mais, Raps oder anderen Pflanzen entstehende CO2 soll abgefangen und gespeichert oder wiederverwendet werden. Dafür wären allerdings große Ackerflächen nötig, sodass der Anbau von Energiepflanzen mit dem von Lebensmitteln konkurrieren könnte.

    Eben jene Auswirkungen werden auch für das Enhanced Rock Weathering (ERW) diskutiert, mit dem das Ausstreuen von gemahlenem Basaltgestein auf Ackerböden gemeint ist. Bei der Verwitterung des Staubs entsteht ein Karbonat, in dem CO2 dauerhaft gebunden wird. Eine in Nature Geoscience veröffentlichte Arbeit plädierte gar dafür, auch über die Ausbringung in natürliche Ökosysteme nachzudenken, da hier der klimaschützende Effekt noch größer sein könnte. Allerdings schreiben die Autoren selbst, dass zunächst Risiken für Böden, Tiere und Pflanzen sowie die menschliche Gesundheit ausgeschlossen werden müssten. Zudem sei eine relativ große Industrie für Abbau und Transport des Gesteins nötig. Dann liege das Potenzial des Enhanced Rock Weathering zur CO2-Bindung jedoch bei maximal vier Milliarden Tonnen pro Jahr.

    Die Studie nennt mit der optimierten Landwirtschaft eine weitere mögliche CDR-Methode: Ein vermindertes Pflügen von Feldern könnte dafür sorgen, dass sich Humus in der obersten Bodenschicht anreichert, der mehr Kohlenstoff speichert. Ebenso könnten Landwirte auf tief wurzelnde Pflanzen setzen, die CO2 besser binden – beide Maßnahmen zusammen hätten laut MCC-Studie ein Potenzial von bis zu fünf Milliarden Tonnen jährlicher CO2-Entnahme.

    Bundesumweltamt erwartet sogar Nutzungskonflikte

    Genauso hoch beziffern die Autoren das Potenzial für Direct Air Capture (DAC): Mit dieser Methode wird CO2 direkt aus der Luft gefiltert, so wie bei der eingangs beschriebenen „Orca“-Anlage des Schweizer Startups Climeworks. Sie saugt die Umgebungsluft auf und lenkt sie durch Filter, in denen chemische Stoffe das Kohlendioxid binden. Dieses könnte dann etwa als Dünger oder zur Anreicherung von Mineralwasser wiederverwendet werden. Bei „Orca“ auf Island hingegen wird das CO2 mit Wasser vermischt und mehrere hundert Meter tief in die Erde gepumpt, wo es im Basalt versteinert.

    Laut Climeworks kann die Anlage prinzipiell an vielen Orten der Welt aufgebaut werden – wenn entsprechende unterirdische Speichermöglichkeiten für das abgeschiedene CO2 vorhanden sind. Diese wären auch nötig, wenn das Kohlendioxid nicht aus der Luft geholt, sondern schon bei seiner Entstehung, etwa in der Industrie, bei der Müllverbrennung oder Energieerzeugung, abgefangen werden soll. Ein solches Carbon Capture and Storage (CCS) wird bereits erprobt, in Europa setzt vor allem Norwegen auf die Technologie: Ab 2024 soll dort verflüssigtes CO2 aus Industrieabgasen in ein riesiges Reservoir unter dem Meeresboden gepumpt werden.

    In Deutschland gibt es bislang keine derartigen Pläne, zudem melden Umweltverbände Bedenken an. So warnt etwa Greenpeace: „Die Endlagerung von CO2 unter der Erde bedeutet für zukünftige Generationen ökologische und wirtschaftliche Altlasten.“ Das Umweltbundesamt (UBA) sieht hingegen mögliche Nutzungskonflikte insbesondere zur Geothermie und zur Speicherung von Erdgas oder regenerativ erzeugtem Methan.

    In einer eigenen Studie erarbeitete das UBA Szenarien auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität bis 2050 und kam dabei zu dem Schluss: „In der Rescue-Studie wird aufgezeigt, dass dies in Deutschland durch die natürlichen Senken (etwa Wälder) und nachhaltige Holzwirtschaft vollständig gelingen kann, sodass CCS für die Erreichung der Treibhausgasneutralität in Deutschland nach derzeitigem Kenntnisstand nicht erforderlich ist.“

    Das Land kann nicht doppelt genutzt werden. Es kann nur der Mix helfen

    Eine Einschätzung, die sich nach Ansicht von Roland Dittmeyer ändern könnte: „Werden die Ziele bezüglich der Treibhausgasemissionen deutlich verfehlt, dürfte diese Position jedoch nicht mehr haltbar sein.“ In Deutschland stünden geeignete unterirdische Lagerstätten zur Verfügung. Tatsächlich zeigte ein Experiment unter Leitung des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel, dass die Endlagerung von CO2 in leeren Erdgasfeldern unter der Nordsee nicht nur möglich, sondern auch sicher sei. Allerdings sind solche CCS-Technologien genauso wie das Absaugen von Kohlendioxid aus der Luft noch mit hohem Energieverbrauch und Kosten verbunden. Zudem lässt sich kaum beantworten, wie groß das Gesamtpotenzial aller CDR-Maßnahmen ist.

    So erklären etwa die Autoren der MCC-Studie, dass sich die einzeln genannten CO2-Einsparpotenziale nicht einfach addieren ließen: „Land, das beispielsweise für eine Biomasse-Plantage mit nachgelagerter BECCS-Anlage genutzt wird, steht also nicht auch noch für Aufforstung zur Verfügung.“ Nur ein Grund dafür, dass sich die Forscher nicht für eine einzige Technologie aussprechen. Sie schreiben: „Im Gegenteil deutet alles auf die Notwendigkeit hin, einen geeigneten CDR-Mix zu finden, mit dem so viel CO2 entnommen werden kann, wie es für nötig befunden wird (…), während die technischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Risiken der Skalierung auf ein Minimum reduziert werden müssen.“

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