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Gebräunte Haut: Warum finden wir das überhaupt schön?

Sommerbräune

Verblasst da gerade ein Schönheitsideal?

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    Eine Frau sonnt sich am Strand der Flensburger Förde.
    Eine Frau sonnt sich am Strand der Flensburger Förde. Foto: Daniel Reinhardt, dpa

    Vor hundert Jahren vergaß Coco Chanel an der Côte d’Azur ihren Sonnenschirm. Ohne üblichen Schutz schipperte sie auf der Jacht ihres Liebhabers, dem Duke of Westminster, an der Küste entlang und holte sich einen Sonnenbrand. „Gerade ich“, wunderte sie sich ein bisschen über sich selbst, „die sonst die Sonne immer gemieden hatte“. Zurück in Paris lichtete ein Fotograf die berühmte Modedesignerin im weißen Leinenkleid ab und siehe da, sie gefiel sich im neuen Look: „Ich sah aus, als sei ich voller Energie“. Einige Zeit später schickte sie gebräunte Mannequins auf den Laufsteg, verlautbarte in der Vogue „Ein goldenes Mädchen ist das Zeichen von Chic“ und der Legende nach begann damit das Unheil – so muss man es wohl nennen.

    Acht von zehn Europäern finden Bräune attraktiv

    Hundert Jahre später gilt gebräunte Haut noch immer als chic. Acht von zehn Europäern finden Bräune attraktiv, das ergab eine Studie des Kosmetikherstellers La Roche-Posay Laboratoires und der Marktforschungsfirma IPSOS aus dem Jahr 2022. Und auch wenn Dermatologinnen und Dermatologen landauf und landab predigen – „eine gesunde Bräune gibt es nicht“ – und auf die steigende Zahl von Hautkrebserkrankungen verweisen, sind 62 Prozent der Befragten nach wie vor genau dieser Ansicht. Ab in die Sonne also … nach Mallorca, an die Ostsee oder an den Millstätter See, Hauptsache Strand. Und nach ein, zwei Wochen dann zurück, mit sogenannter sonnengeküsster Haut als sichtbares Zeichen der Erholung, als Beleg, dass man die richtige Wahl getroffen hat, dass es also schön war, schön sonnig auch. Dass man es geschafft hat, den Sommer mit nach Hause zu nehmen. Wobei: Verändert sich da nicht gerade etwas, zumindest in leichten Schattierungen?

    Sonnenbaden am Strand Cala Pi auf Mallorca.
    Sonnenbaden am Strand Cala Pi auf Mallorca. Foto: Clara Margais, dpa

    Seit Jahren wird immer wieder der Trend zur Blässe ausgerufen. Wenn Trends zu lange als Trends verkauft werden, muss man irgendwann aber ins Grübeln geraten. Meist kommen Mode und Mensch dann doch nicht so ganz zusammen, etwas hakt – so wie bei Langzeitverlobten. Wer Trend und Blässe in seine Suchmaschine im Internet eingibt, landet entweder bei Schneewittchen oder bei Bildstrecken von berühmten Menschen, vor allem Schauspielerinnen, die sich der Sonne verweigern beziehungsweise blass bleiben – Anne Hathaway, Liv Tyler, Nicole Kidman, Juliane Moore. Es sind aber seit Jahren im Grunde die immer gleichen. Selbst die Twilight-Phase, in der weiß-silbrige schimmernde und für ewig junge Vampire sich auf der Kinoleinwand tummelten, hat in erster Linie nur einen Imagegewinn für Untote gebracht.

    Auch der Kanzler hätte gerne mehr Glow

    Wer dagegen nach wie vor ein Imageproblem hat: die Blässe. Allein schon das Wort. Es fehlt ihm an Attraktivität. Blasser Typ, blasse Leistung, blasser Auftritt, kein blasser Schimmer … klingt ja alles nicht positiv. Auch der Kanzler mag nicht blass oder gar farblos erscheinen, sondern hätte gerne mehr Glow – und kündigte eben schon leicht gebräunt an, im Sommerurlaub ein wenig zu faulenzen und „auch mal in die Sonne zu gucken“. Yes, we tan!

    Noch immer jedenfalls werben Frauenmagazine mit Tipps zur „gesunden Bräune“ und wie man sie möglichst lange behält – stellen Selbstbräuner wie auch Bräunungsbeschleuniger vor, wenngleich immer mit erhobenem Zeigefinger: Schön aufpassen, gell, nicht in die pralle Sonne legen und nicht den Sonnenschutz vergessen! Genau das aber tun die Sonnenhungrigen. Cremen sich zum Beispiel nach dem Schwimmen nicht noch einmal ein – 40 Prozent der Frauen und Männer nach einer Umfrage des Industrieverbandes Körperpflege und Waschmittel e. V. aus dem Mai dieses Jahres. Und die große Mehrheit auch nicht täglich, sondern nur am Strand oder im Schwimmbad.

    Man kann solch eine Umfrage aber natürlich so oder so lesen, auch dem Wandel nachspüren und zum Beispiel dieses Ergebnis herauspicken: 61 Prozent der Befragten kennen nach eigenen Angaben ihren Hauttyp und wählen den Lichtschutzfaktor dementsprechend. Fifty Shades of Brown – wobei, was die Hauttypen betrifft, gibt es laut einer Klassifikation des amerikanischen Hautarztes Thomas Fitzpatrick von 1975 nur sechs – die Übergänge sind fließend. Als europäische Typen gelten eins bis vier – keltisch, nordisch, Mischtyp, mediterran. Udo Jürgens zählte vermutlich zum Mischtyp, braunes Haar, braune Augen. „Die Sonne und du, du Uh-uh-uh“ sang er Mitte der 80er und reimte sonnenverliebt: „Und wenn mich heute einer fragt, wie definierst du schön, dann werde ich ihm selbstverständlich sagen: Die Sonne, die Sonne und du Uh-uh-uh-uh, gehör‘n dazu.“

    Bräune - eigentlich ein Hilfeschrei des Körpers

    Die Sonne und du – seit Jahren wird aufgeklärt, was sie mit dir und deiner Haut macht: Durch langwellige UVA-Strahlen in der tieferen Hautschicht die Pigmente umverteilen, die dunklen nach oben, durch die kurzwelligeren UVB-Strahlen die Melaninbildung anregen. Bräune als Schutz – aber eigentlich ein Hilfeschrei des Körpers, wie einem gleich die Dermatologin Julia Welzel erklären wird. Irgendwann aber kommt die Haut nicht mehr hinterher – mit dem Schützen und dem Reparieren von den DNA-Schäden in den Zellen. Aus einem Lichtschaden, so nennt man das, kann sich dann auch erst Jahre später Krebs entwickeln. Die Haut vergisst leider nie.

    Es tut sich etwas in unserem Verhältnis zur Sonne. Julia Welzel, Präsidentin der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, bemerkt einen Wandel im Strandleben.
    Es tut sich etwas in unserem Verhältnis zur Sonne. Julia Welzel, Präsidentin der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, bemerkt einen Wandel im Strandleben. Foto: Marcus Merk

    In Kindergärten wird aufgeklärt, in Schulen, in Arztpraxen ohnehin oder aber auf Instagram, wo man zum Beispiel Maria Prudovski, Hamburger Medizinstudentin, nicht nur zusehen kann, wie sie über den Lernstress während der Klausurenphase spricht, sondern auch, wie sie unter einem Sonnenschirm mit einer überdimensionierten Sonnencremeflasche Lichtschutzfaktor 50 posiert. Oder wie sie während des Schminkens einen Monolog hält als Antwort auf die Frage: „Ist es okay, wenn man sich so 30 Minuten lang mit Sonnenschutz bräunt.“ Prudovski sagt da unter anderem: „Leute, ich will es nicht schönreden, aber nein … eure Haut findet das nicht okay. Jedes unnötige Aufhalten in der Sonne, was eine Veränderung eurer Hautfarbe bewirkt, das ist schon ein Zellschaden.“ Prudovski zählt zu der wachsenden Zahl der Skinfluencer, die in den Sozialen Medien über ihre tägliche Hautpflege berichten, inklusive Sonnencreme. 77 Tausend Menschen folgen ihr auf Instagram, beim Kanal xskincare ihres Kollegen Leon sind es über eine Million. Der spricht über die drei Sonnenbrandstufen, zeigt dabei unschöne Bilder – Aufklärung wie Abschreckung – und sagt: „Viele wissen nicht, dass sie schon im zweiten Grad sind …“ Da bilden sich Blasen. Vermutlich wurde also noch nie so viel über „Die Sonne und du“ gesprochen wie momentan. Und eben von der Frankfurter Allgemeinen vermeldet: Die AOK gibt mit dem Erotikhandel Amorelie ein Spiel zum „sinnlichen Hautkrebs-Check“ heraus.

    Dermatologin Julia Welzel: „Ich glaube, es tut sich etwas“

    Und damit jetzt aber mal ins kühle Büro von Julia Welzel in die Hautklinik nach Augsburg-Haunstetten. Welzel, blond, heller Typ also, ist die Direktorin, Professorin an der Universität Augsburg und Präsidentin der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DGG). Außerdem als gebürtige Norddeutsche auch immer wieder Besucherin am Timmendorfer Strand. Wie sieht es also aus mit der Sonne, der Bräune und uns? „Ich glaube, es tut sich etwas“, sagt Welzel. Ihre Eindrücke vom Strandleben: „Es ist schon so, dass es noch Menschen gibt, die sich mittags in die Sonne knallen. Das sind aber tatsächlich eher die Älteren.“ Immer noch sehe sie auch unvernünftige Eltern, die ihre Kinder lustig in der Sonne spielen lassen. Obwohl nichts so empfindlich ist wie Kinderhaut. „Da ist noch ein bisschen Aufholbedarf“, sagt Welzel. Aber junge Menschen, die sich nach dem Bratwurstprinzip grillen, immer wieder wenden, die entdeckt Julia Welzel nur noch selten. „So wie wir es aus den 70 und 80ern Jahren kennen …“.

    Es sind vor allem die Älteren, die sich mittags in die Sonne knallen, beobachtet die Dermatologin.
    Es sind vor allem die Älteren, die sich mittags in die Sonne knallen, beobachtet die Dermatologin. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Wer Geschichten aus dieser Zeit, der Hochphase des Bronzezeitalters erzählen kann, wird von Jüngeren heute mit großen Augen angeschaut. Opa erzählt vom Strand … Oder Mama und Papa. Von brutzelbrauner Haut, schön eingerieben nur mit Tiroler Nussöl. In den Filmen von damals – aus dermatologischer Sicht heute Horrormovies – rekelt sich Romy Schneider bronzefarben am Pool, zeigt Tom Selleck im buntgemusterten Hawaiihemd als Serienheld Magnum seine dunkle Brust, darf selbst George Hamilton als Dracula lebensbejahende Farbe im Gesicht tragen. Auch eine einst schneeweiße Plastikpuppe wird mit braunem Schimmer überzogen – die Malibu-Barbie, seit 1971 auf dem Markt. Lichtschutzfaktor? Pah. Lieber noch die Schwimmmatratze mit Alufolie umwickeln, um auf dem Wasser dann im eigenen Saft zu braten, nachts dann halt mit kühlendem Quark auf dem Rücken schlafen. Sonnenbrand gilt als bester Schutz. Erst als 1985 das Ozonloch entdeckt wird, beginnt sich das Verhältnis zur Sonne zu trüben. Im selben Jahr rät Professor Julius Hackethal aber noch in der : „Raus in die Sonne, sie ist ja so gesund. Wer zweimal im Jahr tiefbraun ist, der kann fast nicht mehr krank werden!“ Fast.

    Tom Selleck als Serienheld Magnum
    Tom Selleck als Serienheld Magnum Foto: Archiv

    Seit Jahren steigt die Zahl der Hautkrebserkrankungen in Deutschland. In Bayern hat sie sich innerhalb von 20 Jahren verdoppelt, meldete vor Kurzem die Techniker Krankenkasse: 2003 seien noch rund 8600 Fälle registriert worden, 2022 mit 17.100 fast doppelt so viel. Größter Risikofaktor für Hautkrebs, insbesondere bei dem relativ gut behandelbaren weißen: Die UV-Strahlung, die Sonnenbrände der Kindheit, die Sonnensünden der Jugend. Je älter, umso häufiger die Diagnose. Bei den über 70-Jährigen in Bayern hat sich die Zahl fast verdreifacht, aber auch bei den Jüngeren häufen sich die Diagnosen, bestätigt auch Julia Welzel. Wobei „wir auch viel besser erfassen als früher.“ Ungefähr 35 Prozent der Menschen gehen in Deutschland zum Hautscreening, mehr Frauen als Männer. „Wir hätten gerne mehr“, sagt Julia Welzel. Zur Untersuchung würden vor allem jene gehen, die ohnehin aufmerksam sind. Wen sie sich aber dort wünschen würde, vor allem auch Landwirte, all jene, die viel an der frischen Luft arbeiten.

    Oder die Sonnenanbeterinnen und Sonnenanbeter, die auf der Suche nach der sogenannten perfekten Bräune nicht nur die Sonne aufsuchen – sondern auch das nächstgelegene Sonnenstudio. Wenngleich deren Zahl sinkt, wie eine Langzeitstudie des Instituts für Medizininformatik, Biometrie und Epidemiologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen zeigt. Botschaft also angekommen? 2009 stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO die Benutzung von Sonnenbänken als krebserregend für den Menschen ein. In Australien und Brasilien sind Solarien bereits verboten, gleiches fordert die Deutsche Krebshilfe seit 2020 – nicht nur für Minderjährige.

    „Mit jeder halben Stunde im Solarium kauft man sich Hautkrebsrisiko ein“

    Im Jahr 2022 nutzten laut Studie noch 5,1 Prozent der 16- bis 65-Jährigen Sonnenbänke. Was die Erlanger Professorin Katharina Thiel aber mit Besorgnis betrachtet: Immer häufiger stehen die auch im Spa-Bereich, also an Orten, die mit Gesundheit und Wohlbefinden verbunden werden. „Das ist nicht Wellness“, warnt selbst der Deutsche Wellnessverband. Auf TikTok häufen sich derweil unter dem Hashtag sunbed Vorher-Nachher-Bilder – gepostet von jungen Solariumnutzern. Auch das alarmierend. Auf die Frage, warum sie ins Solarium gehen, gaben die Befragten am häufigsten an: Um zu entspannen, um attraktiver zu wirken, um sich vorzubräunen. Julia Welzel geht bei der Werbung für Sonnenstudios die Galle hoch, wie sie sagt. „Gesunde Bräune, das ist absolut irreführend. Mit jeder halben Stunde im Solarium kauft man sich Hautkrebsrisiko ein.“

    Und nicht nur das. UV-Strahlen lassen die Haut schneller altern – jeder Sonnenbrand um sechs Monate. Sechs Monate! Laut einer Forsa-Umfrage für das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) vom Mai dieses Jahres riskiert das halb Deutschland: Etwa die Hälfte der Befragten hatte in den vergangenen zwölf Monaten einen Sonnenbrand – bei den 18- bis 34-Jährigen waren es sogar acht von zehn. Weil sich die Folgen erst später zeigen, lassen sie sich ja auch so schön verdrängen. Zur Internet-Berühmtheit wurde der janusköpfige Trucker-Fahrer William Edward McElligott, der mehr als 28 Jahren einen Milch-Laster durch die Vereinigten Staaten fuhr: Die linke Gesichtshälfte, die durch das Lkw-Fenster von der Sonne beschienen wurde, sah irgendwann aus wie runzelige 89, die rechte Seite nach relativ glatten 69 – sein damaliges tatsächliches Alter. Die Berliner Hautärztin und Sachbuchautorin Yael Adler, bekannt geworden durch ihr Buch „Haut nah“, schlägt ihren Patientinnen über 35 gerne vor, sich ihren nackten Po im Spiegel anzuschauen und dann mit dem eigenen Gesicht zu vergleichen. Beide ja gleich alt. Aber sind da auf dem Po Falten oder Flecken? Für sie sei „Arschgesicht“ daher ein Kompliment.

    William Edward McElligott, der Truckerfahrer mit den zwei Gesichtern.
    William Edward McElligott, der Truckerfahrer mit den zwei Gesichtern. Foto: Archiv

    „Man kann sich nicht waschen, ohne sich nass zu machen“, sagt Julia Welzel. Wenn das aber ginge, makellose Bräune ohne die bekannten Makel an der Sache. Wobei, wäre die Sonnenbräune dann noch so attraktiv? „Biste braun, kriegste Fraun“ singt Mickie Krause und zappelt im Video dazu lustig in der Sonnenbank. Anruf beim Attraktivitätsforscher, Professor Martin Gründl, der die Coco-Chanel-Geschichte gleich mal schreddert. Beziehungsweise aus wissenschaftlicher Sicht zur Legende herabstuft. „Die habe ich natürlich auch gelesen“, sagt Gründl, der an der Hochschule Harz in Wernigerode lehrt, aber aus Sicht eines Attraktivitätsforschers sei es nun wirklich sehr unplausibel, dass eine einzelne Person durch ihr eigenes Aussehen einen Trend setzt. Eher sei es so, dass einzelne Personen Trends verstärken. Taylor Swift, blassgesichtige Pop-Göttin, könnte also auch in Sachen Haut vielleicht ähnliches bewirken wie einst Coco Chanel. Und damit zum Grundsätzlichen, das kleine ABC der Attraktivitätsforschung sozusagen. „Attraktiv ist alles, was Gesundheit ausstrahlt, was Jugendlichkeit ausstrahlt, und auch das, was auf einen hohen sozialen Status schließen lässt“, sagt der Wissenschaftler. Und Haut erzählt einiges darüber. Nicht nur, ob einer jung oder alt ist, sondern auch, wie er seine Tage verbringt.

    Noble Blässe – die musste man sich einst leisten können

    Mit harter körperlicher Arbeit unter freiem Himmel zum Beispiel. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts ließ in Europa gebräunte Haut daher auf einen eher niedrigen sozialen Status schließen. Wer es sich leisten konnte, der musste sich nicht wie die Landbevölkerung der Sonne auf dem Feld aussetzen, sondern konnte im Haus oder auf jeden Fall gut beschattet seine Zeit verbringen – seine noble Blässe schützen. Helle Haut galt als dermaßen attraktiv, dass nachgeholfen wurde – mit einem Aderlass oder mit kosmetischen Mitteln. Die englische Königin Elizabeth I. trug im Gesicht schwere Narben davon, weil sie ihre Haut wie üblich im 16. Jahrhundert regelmäßig mit venezianischem Bleiweiß behandeln ließ. Ein hochgiftiger Stoff, toxisch wie auch viele Inhaltsstoffe in heutigen Hautbleichmitteln. Weltweit benutzen angeblich 27 Prozent aller nicht-weißen Frauen solche Mittel, um ihre Haut um ein paar Nuancen aufzuhellen. Es ist ein Milliardengeschäft, wie auch das mit Sonnenschutzprodukten. Da betrug der Umsatz im Jahr 2023 weltweit 12,37 Milliarden.

    Die englische Königin Elizabeth behandele ihre Haut mit venezianischem Bleiweiß und trug schwere Narben davon.
    Die englische Königin Elizabeth behandele ihre Haut mit venezianischem Bleiweiß und trug schwere Narben davon. Foto: dpa

    Wovon aber erzählt die heutige Bräune? Immer noch vom Luxus-Urlaub, wie einst bei Coco Chanel? Von Rimini und Mallorca, den sogenannten Teutonengrills, wie sie in den 70er-Jahren getauft wurden, als die Deutschen den Urlaub im heißen Süden für sich entdeckten? Oder von schicken Hobbys wie Skifahren und Segeln? Auch, sagt Martin Gründl. Bräune werde heutzutage aber vor allem mit Sportlichkeit und Gesundheit assoziiert. Auch das eine Statusfrage. „Jemand, der im Freien Sport treibt, der muss sein Leben erst einmal im Griff haben und dafür noch Zeit und Geld übrig haben.“ Wobei die Bräune natürlich auch auf ganz anderem Wege entstehen kann: Zum Beispiel, indem man abends noch mal schnell mit dem Bräunungstuch über die Beine wischt. Oder, neuer und skurril anmutender Trend in den Sozialen Medien: In dem man sich die Bräune samt Bräunungsstreifen auf den Körper schminkt! Oder gleich einen Sunburn Blush – so als habe man etwas zu viel Sonne abbekommen. Es gibt dafür extra Make-up.

    Die Nachfrage nach Bräune aus der Tube oder Flasche steigt

    Seit Jahren steigt die Nachfrage nach Bräune aus Tube oder Flasche – denn die Mittel versprechen ja genau das, was eigentlich nicht geht. Waschen ohne nass zu werden, beziehungsweise, bräunen ohne sich dabei Hautkrebsrisiko und Falten einzuhandeln. In den Fünfziger Jahren kamen die ersten Bräunungscremes auf den Markt und versprachen Ibiza-Bräune für alle Daheimgebliebenen, die Als-Ob-Bräune, die sich dann manchmal aber als auffälliger Orangeton entpuppte. Mittlerweile gibt es Tücher, Konzentrate, Schaum und Cremes, die in Drogeriemärkten immer mehr Platz in den Regalen füllen. Versehen mit Namen, die die Sehnsucht nach Sonne, Sommer und Wärme in sich tragen: St. Tropez, Sundance oder Hawaiian Tropic.

    Auf ein neues Schönheitsideal aber verweist das Angebot wiederum nicht. Das zu verändern, darauf müsste bei der Aufklärung mehr Wert gelegt werden, findet daher auch die Wissenschaftlerin Katharina Diehl von der Universität Erlangen. Sie schreibt: „Deshalb sollten zukünftige Präventionskampagnen nicht nur auf potenzielle Risiken der UV-Strahlung fokussieren, sondern auch einen Schwerpunkt auf die Reduzierung der positiven Bewertung gebräunter Haut und damit auf die Veränderung westlicher Schönheitsideale legen.“

    Und hier nun zum Selbsttest: Sprechen Sie folgenden Satz bitte laut aus. „Bist du aber schön blass“. Wie sagt man da heute: Fühlen Sie das?

    Gefeiert wird heute der sogenannte natürliche Glow

    Attraktivitätsforscher Martin Gründl sagt: Schönheitsideale wandeln sich nur langsam. Es muss sich dann auch etwas in der Gesellschaft verändern. „Und meist behält man das bei, was man im jungen Erwachsenenalter als attraktiv kennengelernt hat.“ Er vergleicht es mit dem Schönheitsideal des schlanken Körpers in westlichen Industrienationen. Früher zeigte ein speckiger Körper Wohlstand und damit einen hohen Status an, in Zeiten von Fast Food wurde dieses Ideal sozusagen auf den Kopf gestellt. „Aber auch nicht von heute auf morgen“. Veränderungen von Schönheitsidealen würden sich über Jahrzehnte hinziehen, das andere seien nur Moden.

    Frisch geföhnt und gut gebräunt: Thomas Anders (links) und Dieter Bohlen 1985 als Popduo „Modern Talking“.
    Frisch geföhnt und gut gebräunt: Thomas Anders (links) und Dieter Bohlen 1985 als Popduo „Modern Talking“. Foto: Von Maydell, dpa

    Da aber zeigt sich ein Wandel. Was einst das brutzelbraun – man muss sich da nur mal die Delial-Werbung aus den 70ern ansehen oder aber das frisch geföhnte Modern-Talking Duo – ist heute der natürliche Glow, der auch in Frauenmagazinen gefeiert wird: Nuancen in Bronze und bloß nicht zu viel. Selbst Thomas Anders, der Zuhause eine Sonnenbank stehen hat, erscheint heute fast ein wenig fahl – zumindest im Vergleich zu seinem früheren Modern-Talking-Ich. Das Verblassen eines Schönheitsideals in Nuancen – Julia Welzel sagt, sie sieht es auch auf ihren Fotos vom eigenen Strandleben. Früher, sagt sie, „wenn man aus dem Urlaub nicht schön braun zurückkam, musste man sich ja etwas anhören. Das wird jetzt langsam besser.“

    Sonnenschutz – meist landet nicht genug Creme auf dem Körper.

    Letzte Frage also, beziehungsweise letzter Tipp vor dem Urlaub: Die Sonne und ich – wie kann da eine ideale und ungetrübte Beziehung aussehen? Abgesehen von den üblichen Ratschlägen, die pralle Mittagssonne meiden, lange Kleidung tragen und sich eincremen? Julia Welzel korrigiert: Sich richtig eincremen. Nämlich mit viel mehr Sonnencreme als viele verwenden. Der Lichtschutzfaktor werde im Labor gemessen, aber da gehe man von einer Menge aus, die viel höher ist als jene, die dann auf den Körpern landet. Im Falle von Sonnenschutz aber gelte: Viel hilft auch viel. Der Unterschied zwischen den Lichtschutzfaktoren sei eigentlich gar nicht so hoch. Eine 15er-Sonnencreme absorbiere 93 Prozent der Strahlung, eine 50er etwa 96 Prozent. „Aber wenn Sie die Creme mit Sonnenschutzfaktor 15 nur dünn auftragen, dann absorbiert sie nur 30 Prozent.“ Ein praktischer Ratschlag der Dermatologin. Sich eincremen, dann etwas anderes tun, zum Beispiel Zähneputzen, sich dann wieder eincremen. „Dann erwischen Sie auch die Ecken, die Sie zuvor vergessen haben.“ Die Unterlippe zum Beispiel, die bekommt oft nichts. Teure Sonnencreme sei übrigens nicht automatisch besser als die günstigere. Und wie sieht es aus mit dem Vitamin D? „Davon bekommen Sie auch genug, wenn Sie morgens und abends Spazierengehen.“ An der Ostsee, in Bibione oder zu Hause. Schön wäre es, wenn dann die Sonne scheint …

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