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Garten : Der Schrebergarten: Eine kleine Keimzelle

Garten

Der Schrebergarten: Eine kleine Keimzelle

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    Museumsparzelle im "Kleingartenverein Dr. Schreber"
    Museumsparzelle im "Kleingartenverein Dr. Schreber" Foto: Birgit Müller-Bardorff

    Man muss es ja nicht gleich so sehen wie der Schriftsteller Wladimir Kaminer, der nach einem Jahr in der Gartenkolonie „Glückliche Hütten“ der gepachteten Parzelle 118 den Rücken kehrte: „Von weitem schienen die Gärten leer, doch wenn man sich einem Grundstück näherte und über den Zaun schaute, sah man sofort das Hinterteil des Besitzers über den Beeten schweben. Was sie da gerade machten, woran sie arbeiteten, war schwer zu begreifen. Sie krochen über die Erde, sie pflanzten ein, sie pflanzten aus, gruben, harkten, bewässerten ihren Rasen oder steckten einfach wie Strauße den Kopf in die Erde, wenn sie Fremde bemerkten. Wenn man über den Zaun grüßte, grüßten sie nicht zurück, als wollten sie sagen: Ihr werdet auf euren Platz an der Sonne in dieser Kolonie lange warten müssen, nämlich mein langes Leben lang. Denn alles, was ihr hier seht, jeden Millimeter Erde, haben wir mit Schweiß, Blut und Tränen begossen und zu dem gemacht, was es heute ist – ein Buddelkasten für Erwachsene, die mit ihrer Freizeit in der Großstadt nichts anfangen können.“ So zu lesen in seinem Buch „Mein Leben im Schrebergarten“ (Goldmann) aus dem Jahr 2009.

    Das Klischee vom Schrebergarten als Hort deutschen Spießbürgertums und Terrain außerordentlicher Regulierungswut ist offenbar so wenig auszurotten wie Nacktschnecken im Gemüsebeet. Aber vielleicht sollte sich Wladimir Kaminer heute noch einmal bei den „Glücklichen Hütten“ umsehen. Denn durch deutsche Kleingärten weht seit einigen Jahren ein neues, frisches Lüftchen. Junge Familien, Menschen aus vielen Nationen, Hipster aus den Szenevierteln der Großstädte – sie genießen ihre grüne Parzelle heute ebenso wie die 70-Jährige im Ruhestand und der Witwer, der den Garten jahrzehntelang zusammen mit seiner Frau gepflegt hat.  Aber woher kommt dieser Wandel, warum sind Schrebergärten von großer Bedeutung für die Gesellschaft und wieso ist eine Heckenhöhe von 1,50 Meter sinnvoll? Eine Erkundungs-Tour durch das deutsche Kleingartenwesen, auf der man Gartenfreunden unterschiedlichster Couleur begegnet.

    Eine Parzelle im Kleingartenverein Dr. Schreber in Leipzig
    Eine Parzelle im Kleingartenverein Dr. Schreber in Leipzig Foto: Birgit Müller-Bardorff

    Ins Paradies sind es vom Hauptbahnhof Leipzig nur drei Stationen mit der Straßenbahn. Die meisten kommen hierher in die Kleingartenanlage „Dr. Schreber“ aber mit dem Fahrrad oder zu Fuß, denn, so wird man später erfahren, Schrebergärtner wohnen meist nicht weit entfernt von ihrer Parzelle. Es ist einer jener etwas kühleren Sommerabende, die man doch lieber im Wohnzimmer als in der Gartenlaube verbringt, aber um ein wenig Unkraut zu zupfen, die Tomaten auszugeizen und zu gießen ist es gerade recht. Oder um Salat zu ernten, wie Susanne und Matthias Sowa, die mit Tochter Ida zwei Köpfe in Tüten gepackt haben. „Viel ist noch nicht reif“, sagt Sabine Sowa, „aber eine Gurke könnte ich Ihnen anbieten.“ Sie hat also noch ein wenig Verschnaufpause, ehe all das Gemüse und Obst den Sommer über wachsen wird, sich in der Küche stapelt und verarbeitet werden muss. Der Rosenkohl und die Zucchini, die Karotten und der Kohlrabi, die Pflaumen am Baum und die Jochelbeeren am Strauch. Für Kartoffeln hat sie dieses Jahr gar keinen Platz gefunden, „die kann ich schließlich nicht zu den Tomaten setzen, sind ja beides Nachtschattengewächse.“

     Ida, Matthias und Susanne Sowa in ihrem Schrebergarten in Leipzig.
    Ida, Matthias und Susanne Sowa in ihrem Schrebergarten in Leipzig. Foto: Birgit Müller-Bardorff

    Seit 2018 haben die Sowas ihren Garten beim „Kleingartenverein Dr. Schreber“ mitten in Leipzig und sind damit quasi Nachfolger der ersten Schrebergärtner im Land. Unweit der heutigen Anlage an der Aachener Straße entstanden nämlich vor 160 Jahren die ersten Schrebergärten. Der namensgebende Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808 – 1861), Orthopäde und ein Mann mit festen Prinzipien, hatte damit allerdings nur indirekt etwas zu tun. Es sind Ernst Hauschild, Direktor einer Leipziger Bürgerschule, und Karl Gesell, pensionierter Oberlehrer, die als Väter der Schreberbewegung gelten. Und im Vordergrund stand dabei erst einmal nicht das Gärtnern, sondern das Spielen und die Bewegung an der frischen Luft.

    Die Keimzelle: eine große Wiese in Leipzig

    Die Keimzelle der Schrebergärten ist nämlich eine große Wiese, die von der Stadt Leipzig angemietet wurde, auf der Kinder an Spielgeräten turnen, schaukeln oder im Sandkasten buddeln konnten, denn Freiräume für Kinder im öffentlichen Leben waren zu jener Zeit nicht vorhanden. Das Kind als eigenständige Persönlichkeit spielte in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts noch keine Rolle. Dem Pädagogen Hauschild aber lag viel daran, Kindern einen Platz zur Entfaltung zu bieten und so gründete er 1864 in Leipzig jenen Verein, den er als Hommage nach dem vier Jahre zuvor verstorbenen Dr. Schreber benannte. Schließlich hatte schon der sich für Tummelplätze für die Kinder eingesetzt. Und damit zurück zu jener großen Wiese, an deren Rand Oberlehrer a. D. Karl Gesell kleinere Beete anlegen ließ, damit sich die Kinder im Anbau von Gemüse üben konnten. Aber wie es so ist, die Kleinen hatten dazu bald keine Lust mehr, ihre Eltern aber umso mehr, und so entwickelte sich der Spielplatz Zug um Zug zur Gartenanlage.

    Die große Wiese in der Mitte, meist mit einem Spielplatz darauf, ist auch heute noch das Herz vieler Kleingartenanlagen in Deutschland. Auch im „Dr. Schreber“ in Leipzig ist sie ortsbeherrschend gleich am Eingang, zwar ein wenig dezimiert, weil in den 1970er Jahren ein Stück abgeknapst wurde für neue Parzellen, aber immer noch mit der historischen Anmutung: der Lindenallee mit den Bänken drumherum, Spielgeräten wie Klettergerüst, Schaukel und Reckstangen und – als besondere Referenz an die historische Bedeutung dieser Anlage – einem Rundlauf, einer Art Karussell mit Seilen, an denen man um einen Mittelmast läuft. Äußerst beliebt war dieses Spielgerät einst und in keinem Schrebergarten durfte es fehlen.

    Zu jedem Schrebergarten gehörte früher der Rundlauf, ein bei Kindern beliebtes Spielgerät
    Zu jedem Schrebergarten gehörte früher der Rundlauf, ein bei Kindern beliebtes Spielgerät Foto: Birgit Müller-Bardorff

    Wobei man nun mal erst eine feine, aber wichtige Begriffsklärung vornehmen muss: Heute werden die Bezeichnungen Klein- und Schrebergarten durcheinandergewürfelt, nach Geschmack mal dieser, mal jener verwendet. Aber Kleingärten gab es in Deutschland auch schon vor 1864, genauer gesagt seit 1814. Da entstand der erste in Kappeln an der Schlei. Der feine Unterschied zu den späteren Schrebergärten aber: Kleingärten und die dazugehörigen Vereine dienten vor allem dazu, den bedürftigeren Teil der Bevölkerung, Arbeiter und einfache Handwerker, mit frischen Nahrungsmitteln zu versorgen, während es den „Schrebern“, in der Regel Professoren, Fabrikanten oder Lehrer, nicht so sehr um Kohl und Kartoffeln als die Freude am Gärtnern, Erholung und Erbauung ging.

    Erinnerungstafeln an den Gartentoren erzählen von den ersten Besitzern der Parzellen im "Kleingartenverein Dr. Schreber"
    Erinnerungstafeln an den Gartentoren erzählen von den ersten Besitzern der Parzellen im "Kleingartenverein Dr. Schreber" Foto: Birgit Müller-Bardorff

    Dementsprechend wurden die gemeinschaftlichen Flächen in den Kleingartenanlagen möglichst reduziert gehalten, Priorität lag auf den einzelnen Parzellen, während die Kolonien der Schrebervereine – siehe große Wiese – eben auch Gemeinschaftsflächen enthielten, die von der Öffentlichkeit mitgenutzt werden durften.

    Schrebergärten als Teil der Lebensreformbewegung

     „Die Schrebergärten sind ein Teil der Lebensreformbewegung“ erklärt einem die Historikerin Alexandra Uhlisch, nachdem man mit ihr die enge Holztreppe eines Fachwerkhauses, das mit seinem Turm eigentlich eher ein Schlösschen und das historische Vereinsheim des „Kleingartenvereins Dr. Schreber e.V“ ist, hinaufgestiegen ist. Dort ist im 1. Stock das Deutsche Kleingärtnermuseum eingerichtet, das mit diesen Feinheiten der Materie vertraut macht. „Keine Bewegung ohne Gegenbewegung“ weiß die Historikerin Uhlisch – Brille, kurzes braunes Haar, in T-Shirt und Jeans gekleidet.

    Alexandra Uhlisch, Historikerin und stellvertretende Leiterin des Deutschen Kleingaärtnermuseums in Leipzig
    Alexandra Uhlisch, Historikerin und stellvertretende Leiterin des Deutschen Kleingaärtnermuseums in Leipzig Foto: Birgit Müller-Bardorff

    Sie erklärt, dass die Lebensreformbewegung, deren Anhänger auch jener Dr. Schreber war, der fortschreitenden Industrialisierung ein Zurück zur Natur, zu gesunder Bewegung und Ernährung, zu Luft und Sonne entgegensetzte, um die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen auszugleichen – die Enge der Mietskasernen, den zunehmenden Verkehr, die monotone Arbeitswelt der Fabriken.

    160 Jahre später ist das Interesse vieler Bewerber um eine Gartenparzelle ähnlich gelagert. Jetzt ist es der Drang, einer digitalisierten und durchgetakteten Lebenswelt ins frische Grün zu entfliehen, der in vielen Menschen den Wunsch nach einem Garten weckt. Hinzu kommt, dass die Nähe zur Natur, Selbstversorgung und Gärtnern Teil eines Lifestyles geworden sind, den die jüngere Generation pflegt. Guerilla Gardening und Gemeinschaftsgärten in den Städten sind die eine Seite dieses Trends, die Mitgliedschaft in einem Kleingartenverein die andere. Nicht zu vergessen, dass sich in Zeiten der Klimakrise in der Verbundenheit mit einen Fleckchen Natur das gewachsene Bewusstsein für die Umwelt und ihre Gefährdung ausdrückt.

    Während der Corona-Pandemie war das Bedürfnis nach eigenem Grün besonders groß

    Ganz besonders groß war das Bedürfnis nach dem eigenen Grün während der Corona-Pandemie, als Kontaktbeschränkungen den Umgang mit Freunden und Familie in geschlossenen Räumen verboten, als das Reisen nicht möglich war und man nach Erholung in der Nähe suchte. „Das erste Corona-Weihnachten haben wir hier im Garten gefeiert“ erinnern sich Susanne und Matthias Sowa, „mit einem Weihnachtsbaum auf dem Fahnenmast und Glühwein.“ Die Sowas hatten ihren Garten da schon zwei Jahre. Zum Glück, denn für viele der rund 900.000 Kleingärten in Deutschland gibt es längere Wartezeiten. In Baden-Württemberg, Berlin und Hamburg dauert es am längsten, bis das Gartenglück wahr wird. Im Schnitt fünf Jahre, hat der Bundesverband der Kleingartenvereine Deutschlands in seiner jüngsten Umfrage im März dieses Jahres herausgefunden. In Niedersachsen kann man schon nach ein paar Wochen mit dem Gärtnern beginnen.

    Ehe es so weit ist, ist allerdings noch eine Hürde zu überwinden, und da kommt nun der Mann ins Spiel, der für unbedarfte Gartenfreunde eine Schreckensgestalt sein könnte: der Vorsitzende des Kleingartenvorstandes. Im „Dr. Schreber“ heißt er Eckhardt Schrepfer, ist seit 2017 in seinem Amt, Pächter der Parzelle 121 – und im übrigen sehr sympathisch. Aber er sagt auch in einem ein wenig strengen Ton: „Natürlich führen wir immer erst ein Bewerbungsgespräch, bevor wir eine Parzelle vergeben“. Das klingt nach strenger Examination, und ist auch so. Wer sich um einen Kleingarten bewirbt, muss seine Beweggründe darlegen, erklärt Schrepfer. An jenem Sommertag in der Leipziger Anlage hat man ihn leider nicht angetroffen, am Telefon aber strahlt Schrepfer nun eine freundliche Bestimmtheit aus, die Autorität verschafft. Und er stellt gleich klar: Ein Bewerber muss erkennen lassen, dass er das Bundeskleingartengesetz, die Kleingartenverordnung des Stadtverbandes und die Satzung von „Dr. Schreber“ befolgen will. Ganz schön viel an Regeln und Vorschriften für ein kleines Stückchen Garten, oder Herr Schrepfer? „Wer das spießig findet und meint, dass das nicht fetzt, wer in seinem Garten ein Trampolin oder einen 12 Kubikmeter großen Pool aufstellen und Party machen will, dem sage ich: Das respektiere ich, aber bitte nicht bei uns. Aus. Ende“. Klare Worte des Mannes, der schon mal Vizepräsident des größten Volleyballvereins der Stadt war und seinen Führungsstil als Mittelweg zwischen kumpelhaft und autoritär beschreibt. Dass er jeden der 159 Pächter mit Gesicht, Name und Parzellennummer kennt, ist sein Anspruch.

    Die berüchtigte Ein-Drittel-Regelung - Trampolin nicht vorgesehen

    Um zu beschreiben, was es heißt, einen Garten nach den Regeln des Bundeskleingartengesetzes zu bewirtschaften, gibt es ein Wort, das jedem Schreber wohl selbst dann noch über die Lippen kommt, wenn man ihn aus tiefem Schlaf weckt: die berüchtigte Ein-Drittel-Regelung, also die Nutzung des Gartens nach der Verteilung ein Drittel Obst, Gemüse, Kräuter, ein Drittel Wiese mit Blumen und Rabatten und das letzte Drittel Erholungsfläche, also Terrasse, Wege, die Laube. Wobei es gerade bei letzteren natürlich auch noch bauliche Vorschriften gibt. Man kann verstehen, dass das manchen abschreckt, wenn Schrepfer im Bewerbungsgespräch die Einzelheiten dieses Regelwerks aufführt, nebenbei vielleicht noch die Heckenhöhe von 1,50 Metern erwähnt und einen absoluten Bann über Nadelbäume und Wacholder ausspricht. Vorschriften und Regeln wohin man also sieht in dieser Kleingartenwelt, in der Zirkel und Meterstab wichtigere Werkzeuge zu sein scheinen als Rechen und Harke.

    Rosenkohl, Kohlrabi, Karotten, ein Drittel der Fläche im Kleingarten sollte mit Gemüse bepflanzt werden.
    Rosenkohl, Kohlrabi, Karotten, ein Drittel der Fläche im Kleingarten sollte mit Gemüse bepflanzt werden. Foto: Birgit Müller-Bardorff

     Allzu schlimm kann es mit der Bundeskleingartenverordnung nicht sein, denkt man sich aber dann, wenn man durch die Anlage „Dr. Schreber“ wandert, die ja schon wegen ihrer historischen Verpflichtung einen gewissen Vorbildcharakter hat. Da sprießt und blüht es in den Gärten, dass man nicht das Gefühl hat, als würden hier Schablonen das Regiment führen und der Natur nicht auch zu ihrem Recht verholfen. Und sind nicht auch die meisten der Regeln sehr sinnvoll? Der Wacholder zum Beispiel schleppt den Birnengitterrost ein, Nadelbäume haben einen sehr hohen Wasserverbrauch und die Heckenhöhe, die von Stadt zu Stadt durchaus mal um zehn Zentimeter variieren kann, ermöglicht es Besuchern und Flaneuren, an den prächtigen Gärten ebenfalls ihre Freude zu haben. Denn die Grundstücke der Kleingärten gehören der Stadt und erfüllen wichtige Aufgaben für das Gemeinwohl: Neben ihrer Funktion als Erholungsort für die Öffentlichkeit reinigen sie die Luft, unterstützen die Artenvielfalt und verschaffen den überhitzten Städten die wichtige Abkühlung. Wer will da noch von Spießigkeit reden, wenn es um die Rettung der Natur und des Klimas geht?

    Die Gartengrundstücke wecken in Städten Begehrlichkeiten

    Trotzdem steht der Kleingarten unter Rechtfertigungs-Druck – und zwar durch die Auswüchse der Stadtentwicklung, vor denen er einst Zuflucht bieten sollte. Nicht im „Dr. Schreber“, der unter Denkmalschutz steht, aber an vielen anderen Orten wecken die Grundstücke mittlerweile Begehrlichkeiten. Der Wohnraum in Deutschlands Städten ist knapp und teuer und die Möglichkeiten der Bebauung werden immer weniger. Und so lassen mancher Bauunternehmer und manche Politikerin den Blick träumerisch über die Gartenanlagen schweifen, allerdings nicht wegen der schön blühenden Rosen, sondern weil sich dort doch auch gut Neubauten errichten ließen.

    Die Grundstücke der Schrebergärten wecken Begehrlichkeiten, könnten hier doch auch Neubauten entstehen.
    Die Grundstücke der Schrebergärten wecken Begehrlichkeiten, könnten hier doch auch Neubauten entstehen. Foto: Birgit Müller-Bardorff

    Das erklärt ein bisschen, warum Begehungskommissionen und Vorstände so penibel darüber wachen, dass die Verordnungen eingehalten werden. Wenn Kleingärten, die zu einem günstigen Preis (z. B. 13 Cent/Quadratmeter in Leipzig) von den Kommunen gepachtet werden können, nur noch der privaten Verwirklichung dienen, wird schnell die Frage gestellt, wie sich das angesichts hoher Mieten und Wohnungsnot noch rechtfertigen lässt. Kurzsichtig gedacht, findet Museumsfrau Alexandra Uhlisch, wenn man sie auf dieses Thema anspricht. Öffentliche Grünanlagen wie die Kleingärten erhöhten doch gerade die Attraktivität von Städten. „Kleingärten sind eine klassische Win-win-Situation. Die Stadt stellt die Grundstücke günstig zur Verfügung, bekommt dafür die für das Stadtklima so wichtigen Grünflächen, muss sich aber nicht um Erhalt und Pflege kümmern“, macht sie eine ganz nüchterne Rechnung auf.

    Dabei erfüllen Kleingärten noch eine ganz andere Funktion, eine gesellschaftspolitische, weiß Estrid Sørensen, Anthropologin an der Ruhr-Universität in Bochum, aber eben auch Kleingärtnerin in der Berliner Anlage „Bornholm II“. 2019 hat die gebürtige Dänin auf der Grundlage von Beobachtungen und Gesprächen mit ihren Mitgärtnern für das Magazin Parzelle einen Beitrag geschrieben, in dem sie die Bedeutung von Kleingärten so zusammenfasst: „Der Kleingartenverein ist ein Miniaturmodell der Gesellschaft. Hier gibt es links und rechts, Jung und Alt, Ossi und Wessi, reich und arm: Gärtner und Besucher. Anders als da draußen, ist es hier schwieriger sich zu verstecken. Dadurch sind wir ein Labor von Gemeinschaftsformen. Hier kann experimentiert werden – wie löst man Konflikte, wie schließt man Freundschaften, wie lernt man vom anderen? Plötzlich wird es spannend: Passt auf! Wir machen hier gerade Gesellschaft!“

    Am Gartenzaun muss man lernen, den Konflikt auszutragen

    Nicht unerheblich in einem Land, in dem man verstärkt das Gefühl hat, dass sich die Menschen auseinanderdividieren und vorzugsweise in ihren eigenen Blasen bewegen, sich nur noch nach ihrer Interessenlage informieren und die Verschiedenheit der Meinungen und Lebensweisen zu Konflikten führt, die immer persönlicher und aggressiver ausgetragen werden. Im Kleingarten kommen sie, wie nur noch an wenigen anderen Orten in der Gesellschaft – alle zusammen, Rentnerinnen, Angestellte, Handwerker, Akademikerinnen, Schüler, Studentinnen … . „Zu Hause auf der Couch siehst du solche Leute vielleicht im Fernsehen. Du schüttelst den Kopf und fängst an, über sie zu moralisieren. Und sie sitzen auf ihrer Couch und moralisieren über Leute wie mich. Aber wenn wir am Gartenzaun stehen und einander in die Augen schauen, müssen wir klarkommen. Da müssen wir lernen, den Konflikt auszutragen“, hält Estrid Sørensen fest. Den Artenreichtum und die Vielfalt zu pflegen, diese Aufgabe der Kleingärtner bezieht sich also nicht nur auf Flora und Fauna.

    So kommt zwangsläufig, am Ende dieser Kleingarten-Tour  – Gartenzwerge hin, Heckenhöhe her – der Gedanke auf, dass es sich bei den Kleingartenvereinen um ein Modell der Zukunft handelt, das eine wichtige Rolle in der Frage nach dem Klima einer Stadt – und das ist unbedingt nicht nur wörtlich zu verstehen – spielen könnte. Einen Tag nach der Rückkehr aus Leipzig findet sich eine E-Mail von Susanne Sowa im Postfach, in der sie noch etwas los werden möchte: „Der Schrebergarten bedeutet, Aktivurlaub vom stressigen Alltag nehmen, auf Menschen treffen, die ungeachtet ihrer beruflichen oder gesellschaftlichen Stellung dort einfach nur Gartenfreunde sind und einander helfen, wenn Not am Mann ist. Ich würde sagen, es ist schon eine kleine Welt für sich.“ Vielleicht sollten wir alle wieder ein wenig spießiger werden.

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