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Wege aus der Einsamkeit: Wie findet man als Erwachsener neue Freunde?

Eine einfache Sache sind Freundschaften im Erwachsenenalter nicht.
Lesetipp

Wege aus der Einsamkeit: Wie findet man als Erwachsener neue Freunde?

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    Mit welchen fünf Eigenschaften würde ich mich beschreiben? Und wonach suche ich hier? Das Textfeld wartet auf eine Antwort. Ratlos blicke ich auf den Bildschirm und lasse das Handy sinken. Eine App, um neue Freundschaften zu knüpfen. Kann das funktionieren? Einen Versuch ist es wert. Freitagabend im Zug nach Hause, ein freies Wochenende steht an. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich entsperre das Handy wieder.

    Wie aber findet man sie eigentlich: Die Freundinnen oder Freunde, mit denen man seine schönsten Momente teilen kann, aber auch die bitteren Tränen nach einer gescheiterten Beziehung? Wenn man erwachsen ist und nicht mehr studiert, eine Ausbildung macht oder sonst regelmäßig Kontakt zu Menschen im selben Alter hat, ist das Knüpfen von Freundschaften tatsächlich eine Kunst. Der erste Schritt in die Arbeitswelt ist kein einfacher. Und oft ein einsamer. 

    Dauerhafte Einsamkeit ist so schädlich wie 15 Zigaretten am Tag zu rauchen

    Mit diesem Gefühl bin ich nicht allein: Freunde und Kolleginnen nicken zustimmend, finden das Thema wichtig und steuern eigene Anekdoten bei. Eine Kollegin sagt: "Ich war nie so einsam wie zu Beginn meines Arbeitslebens". Auch ich kenne das Gefühl. Mich traf es nach dem Abitur, als ich ein Praktikum auf einem anderen Kontinent machte – weit entfernt von meinen Schulfreundinnen und -freunden. Nach einer Zeit voller gemeinsamer Unternehmungen fiel ich unvorbereitet in eine Phase mit wenig Kontakt zu Menschen in meinem Alter. 

    Einsamkeit kommt in verschiedenen Dosierungen und Formen daher. Mal schleicht sie sich an, wenn man alleine zu Hause sitzt, mal nimmt sie einem die Luft zum Atmen, mal spürt man sie inmitten von anderen Menschen. Eines ist Einsamkeit aber in jedem Fall: schlecht für die Seele und den Körper. Einem aktuellen Fachbericht für die WHO zufolge ist der Zustand ungefähr so schädlich wie jeden Tag 15 Zigaretten zu rauchen. Wer sich in mittlerem Alter dauerhaft sozial abgekapselt fühlt, hat ein höheres Sterblichkeitsrisiko. Das Gefühl wirkt sich negativ auf den Blutdruck, die Alterung des Gedächtnisses und das Herz-Kreislaufsystem aus.

    Keine Freundinnen und Freunde zu haben, ist nicht nur seelisch belastend, sondern hat auch körperliche Folgen. Grund genug also, sich bei Zielen fürs neue Jahr auch Gedanken über die Freundschaft zu machen. Vielleicht ist es ja doch wichtiger, neue Freunde und Freundinnen zu finden oder alte Bekanntschaften zu pflegen als die Mitgliedschaft im Fitnessstudio? Oder man lernt einfach Leute beim Sport kennen und verbindet das Ganze? 

    Expertin sagt: "In der Jugend sind Gleichaltrige für die Sozialisation zentral"

    Eine einfache Sache sind Freundschaften im Erwachsenenalter nicht. Wieso aber brauchen Kinder auf dem Spielplatz nicht mal eine halbe Stunde, um eine neue beste Freundin zu finden, während sich Erwachsene oft schwer tun? Nachfrage bei der Soziologin Erika Alleweldt. Sie ist Professorin an der Hochschule für Soziale Arbeit und Pädagogik in Berlin und forscht unter anderem zu Freundschaft. Sie weiß, warum Erwachsene so viel mehr mit und um Freundschaften kämpfen müssen: "Die Gelegenheitsstrukturen ändern sich, wenn man erwachsen ist." 

    Im Kindergarten und der Schulzeit bringen einen die Institutionen zusammen, man verbringt viel Zeit zusammen und es gibt Raum und Gelegenheiten, um neue Freundschaften zu knüpfen. Das ist auch wichtig, sagt Alleweldt: "In der Jugend sind Gleichaltrige für die Sozialisation zentral". Während frühe Freundschaften vor allem helfen, Orientierung zu geben und die eigene Identität zu finden, haben Freundinnen und Freunde bei Jugendlichen eine weitere Funktion: Sie helfen, sich von der eigenen Familie abzugrenzen ohne den Halt zu verlieren. 

    Und wenn man erwachsen ist? Auch dann geht es darum, sich jenseits der eigenen Familie und Arbeit zugehörig und aufgehoben zu fühlen. Menschen zu haben, die einen bei Entscheidungen unterstützen. Die ähnliche Interessen haben. In deren Nähe man eine andere Rolle einnimmt als in der eigenen Familie. 

    Freundschaften im Erwachsenenalter sind also genauso wichtig wie in der Jugend. Gleichzeitig beanspruchen Arbeit, Familie und Alltagspflichten viel Zeit, man ist stärker eingebunden und andere sind es auch. "Bei Freundschaften ist es so: Jeder hätte gerne welche, aber viele unterschätzen, was es bedeutet, in eine Freundschaft zu investieren", sagt die Soziologin Erika Alleweldt. Denn eine gute Freundschaft sei nicht etwas, was man einfach so geschenkt bekommt. Sie zu finden, aber auch sie zu bewahren, ist zeitaufwendig und häufig mit Unsicherheiten verbunden. 

    In sozialen Medien ist die Frage nach der Freundschaftssuche präsent

    Die eigene Erfahrung zeigt es: Neuer Job, neue Umgebung, ich habe wenig Zeit und viel zu tun. Wie finde ich jetzt auch noch Freundinnen und Freunde? Wenn ich durch die sozialen Medien scrolle, ploppt das Thema immer wieder auf. Der Algorithmus scheint mir bei der Suche helfen zu wollen. Da sind lustige Videos darüber, wie schwierig es ist, ein Wochenende zu finden, an dem beide noch nichts vorhaben (wahr, aber wenig hilfreich). Posts, unter denen sich Leute aus denselben Städten vernetzen können (hilfreich, aber auch etwas abschreckend). Listen mit Tipps, wie man neue Freundinnen und Freunde finden kann (nah dran, aber immer noch oberflächlich). Vielleicht doch lieber ein Ratgeber in Buchform? 

    Die beiden US-Amerikanerinnen Jenn Bane und Trin Garritano haben ein Buch über Freundschaft geschrieben. "Tatsächlich würden wir dir überhaupt nicht raten, alle möglichen dramatischen Veränderungen gleichzeitig vorzunehmen, weil sich dieses Level an Verpflichtungen überhaupt nicht durchhalten lässt", erklären sie in "Die Kunst der Freundschaft – Freunde finden, Freunde sein, Freunde bleiben". Klingt plausibel, realistisch irgendwie. Stattdessen raten die Autorinnen, die eigenen Gewohnheiten erst mal nur ein wenig zu verändern. Also warum nicht an dem Ort anfangen, an dem ich ohnehin die meiste Zeit des Tages verbringe: dem Arbeitsplatz. 

    Im Gespräch mit Kollegen lässt sich der Arbeitsalltag gut verarbeiten

    Freundschaften mit Kolleginnen und Kollegen zu schließen, ist nicht ganz einfach, aber möglich. Da sind diejenigen, mit denen man im Job gut klarkommt und ab und zu locker plaudert. Die aber, aus welchem Grund auch immer, kein Interesse an einem Feierabendbier oder einem gemeinsamen Kaffee in der Pause haben. Dann gibt es diejenigen, die an einem ganz anderen Punkt in ihrem Leben stehen oder die, mit denen man nicht mehr gemeinsam hat als den Weg zum Drucker und den Chef. Und es gibt natürlich Vorgesetzte, mit denen eine tiefere Freundschaft schon wegen des Machtgefälles eher schwierig ist.

    Nichtsdestotrotz werden "viele Freundschaften auf der Arbeit geschmiedet", schreiben Bane und Garritano. Die Autorinnen lernten sich selbst über die Arbeit kennen und betrieben mehrere Jahre einen gemeinsamen Podcast – ebenfalls zum Thema Freundschaft. Es spricht also nichts dagegen, sich eine oder mehrere "Lieblingspersonen" auf der Arbeit zu suchen. Jemand, mit dem man eine kurze Krisensitzung abhalten kann, wenn das Projekt nicht läuft wie geplant. Der die Präsentation gegenliest oder einem einen Snack vorbeibringt, wenn keine Zeit bleibt für die Kantine.

    Aber Freundschaften auf der Arbeit bergen auch ein Risiko: Ein Streit ist oft schwieriger zu handhaben und kann ernstere Konsequenzen haben, betonen die Freundschaftsexpertinnen Bane und Garritano. Und natürlich gibt es das klassische Gegenargument: Geht man abends mit Kolleginnen und Kollegen aus, wird auch der Job meist Gesprächsthema sein. Arbeit und Freizeit vermischen sich zwangsläufig. 

    Die Soziologin Erika Alleweldt hält das aber nicht unbedingt für schlecht: "Die Arbeit muss nicht komplett aus den Gesprächen rausgehalten werden." Schließlich bietet sie auch Stoff, auf denen sich Freundschaften aufbauen lassen. Im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen lässt sich der Arbeitsalltag gut verarbeiten, denn sie haben den Tag ähnlich erlebt, können Situationen nachfühlen oder neue Perspektive setzen. 

    Es ist einfacher mit Menschen zu reden, mit denen man schon viel erlebt hat

    Aber nicht in jedem Job bieten sich Möglichkeiten für eine Freundschaft. Anruf bei einer Freundin: Sie ist vor Kurzem für einen neuen Job nach Brüssel gezogen. Sie kennt zwar ein paar Leute, fängt aber trotzdem so gut wie von vorne an. Anschluss auf der Arbeit gibt es für sie nicht wirklich: Das Team ist klein, niemand ist in ihrem Alter, gesprochen wird Französisch und das lernt sie gerade erst, erzählt sie. Der Klang ihrer Stimme verrät, wie sehr sie das belastet. 

    Anschluss findet sie vor allem in der WG oder beim Sport. Einem Verein oder einer Sportgruppe beitreten, um neue Leute kennenzulernen? Standard-Tipp. Aber es gibt wohl auch Sportarten, die sich schlechter eignen als andere. Yoga zum Beispiel. "Alle kommen nur direkt zur Stunde und gehen danach wieder", erzählt die Freundin. Auch beim Salsa seien alle in ihren festen Gruppen und hätten teils wenig Interesse daran, neue Leute in ihren Kreis aufzunehmen. "Und ganz ehrlich, ich kann das verstehen, mir würde es vermutlich auch so gehen", sagt sie. 

    Die Situation kennen wohl viele: Man kommt neu in eine Gruppe, alle sind "versorgt" und haben keinen Bedarf an weiteren Freundinnen oder Freunden. Oder man sieht andersherum, dass jemand neu dazukommt, hat aber keine Energie, sich mit ihr oder ihm zu unterhalten. Denn es ist schlichtweg bequemer, mit Menschen zu reden, mit denen man schon viel erlebt hat und sich nicht komplett neu erklären muss.

    Einfacher ist es da, wenn man jemanden hat, mit dem man eine neue Sportart anfangen kann. Das kann zufällig passieren – ich kam etwa durch einen gemeinsamen Freund mit zwei Frauen ins Gespräch, die denselben Sport ausprobieren wollten, und wir verabredeten uns für eine Probestunde. Es gibt aber auch Wege, wie man gezielt nach Menschen suchen kann, zum Beispiel Freundschafts-Apps. 

    Kann man per App echte Freunde finden?

    Ich blicke aufs Handy und öffne die Freundschafts-App wieder. Theoretisch kann ich hier nach allem suchen: mit jemanden zum Feiern gehen, für Spieleabende, Wanderungen, Kinobesuche oder einen Tanzpartner. Einfach nach rechts wischen, wenn man mit der anderen Person schreiben möchte. Nach links, wenn nicht. Ganz wie bei einer normalen Dating-App auch, aber irgendwie auch nicht. Denn ich merke schnell, dass ich für die digitale Freundschaftssuche bisher gar keine Kriterien habe. Wie entscheide ich denn, mit wem ich befreundet sein möchte – anhand von ein paar Sätzen und Bildern? Nett wirken die Menschen, die mir die App vorschlägt, auf den ersten Blick zumindest alle.

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    Foto: Screenshot

    Zeit, jemanden zu fragen, bei der die digitale Freundschaftssuche erfolgreich war: Samira ist Masterstudentin. Wir verabreden uns in dem Café, in dem sie vor über einem Jahr eine ihrer mittlerweile besten Freundinnen zum ersten Mal getroffen hat. Kennengelernt haben sie sich über eine App. "Bei unserem zweiten Treffen hatten wir schon das Gefühl, dass wir uns schon ewig kennen und wir haben dann den ganzen Sommer miteinander verbracht", erzählt sie. Mindestens einmal in der Woche treffen sich die beiden. 

    "Es ist aber leichter, Apps zum Daten zu nutzen als um Freundschaften zu finden", sagt Samira. Denn auf einem ersten freundschaftlichen Treffen würde ein anderer Druck lasten als auf einem romantischen: "Beim Daten spielt die körperliche Anziehung eine große Rolle, bei Freundschaften nicht. Da hängt alles davon ab, ob der Vibe zwischen zwei Menschen stimmt", sagt die 26-Jährige. Entweder die Wellenlänge passt – oder eben nicht. Und das sei eben nicht bei jeder Person der Fall. 

    Auch Soziologin Alleweldt kennt diesen besonderen Druck, der auf Freundschaften lastet: Bei einer Beziehung könne man oft eher akzeptieren, dass man sich entliebt hat und die Begierde nicht mehr da ist. "Bei Freundschaften bezieht man es eher auf sich selbst als Person, wenn sie enden", erklärt sie. Das sei ein Grund dafür, warum manche Freundschaften eher stillschweigend auslaufen, als dass es eine klare Trennung gibt.

    Überhaupt seien Freundschaften mit vielen Unsicherheiten verbunden. Im Gegensatz zur romantischen Liebe gebe es schlicht kein festes Skript, dem man folgen könne. Kein Vokabular, um über Konflikte oder den Freundschaftsstatus zu sprechen. Keine Möglichkeit, die Freundschaft in irgendeiner Form zu institutionalisieren. "Das führt dazu, dass Probleme innerhalb der Freundschaft oft nicht angesprochen werden, weil man Angst hat, die Freundschaft zu verlieren, wenn man zu viel Kritik äußert", sagt Alleweldt. 

    Ob man auf einer Wellenlänge ist, zeigt sich oft erst bei einem realen Treffen

    Aber es deshalb gar nicht erst versuchen? Das ist – für mich zumindest – keine Option. Zu wichtig und wertvoll sind die Momente, die ich mit meinen Freundinnen und Freunden schon geteilt habe. Die Unterstützung und den Halt, den sie mir geben. Und zu groß die Hoffnung, neue Menschen kennenzulernen, die mich zumindest einen Teil meines Weges begleiten. So sieht es auch Samira: "Im schlimmsten Fall hat man eben nur einen Kaffee zusammen getrunken." Sie hat über die App nicht nur enge Freundschaften gefunden, sondern auch Menschen kennengelernt, die sie nun grüßt, wenn sie ihnen in der Stadt über den Weg läuft. Und solche, mit denen sie sich zumindest einmal im Monat in einem Café trifft. Nicht immer muss es also gleich die beste Freundin sein.

    Aber wie gehe ich am besten vor mit der Freundschafts-App? Ein paar Tipps von Samira: Sie schreibt immer nur eine Person auf einmal an, um sich selbst nicht mit zu vielen Nachrichten zu überfordern. Wichtig außerdem für sie: die Fotos. Wirkt die andere Person sympathisch? Hat sie vielleicht auch ein Foto, auf dem sie sich nicht so ernst nimmt? Wenn Samira das Gefühl hat, dass es nach den ersten Nachrichten weiterhin passen könnte, schlägt sie ein Treffen vor: "Erst wenn man sich trifft, merkt man, ob die Wellenlänge wirklich passt."

    Also nochmal Blick aufs Handy und die Freundschafts-App öffnen. Ich schreibe einer neuen Bekanntschaft, ob wir uns treffen wollen – und werde belohnt: Sie sagt zu. Herzklopfend fahre ich durch die frostige Stadt zum vereinbarten Café. Mal sehen, ob es passt, das mit der gemeinsamen Wellenlänge.

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