Vier Uhr morgens, der Wecker hat eben klingelt, Rocky Balboa steht vor dem offenen Kühlschrank, Glas obenauf und greift zum ersten Ei, knackt es am Glasrand, lässt den glibberigen Inhalt hineingleiten, dann zum zweiten, dritten, vierten und fünften und trinkt alles in einem Zug. Sein Gesicht verzieht sich kurz – kein Genuss, sondern notwendiges Ritual seines kompromisslosen Trainings. Es ist eine legendäre Szene aus dem Film „Rocky“, mit dem der muskelbepackte Sylvester Stallone zum Star aufstieg und zu einem Idol der bis dato eher belächelten Kraftsportszene wurde.
Knapp 50 Jahre später schwören viele junge Männer auf Balboas Muskelrezept: doch das rohe Ei ist dem Designer-Proteinshake gewichen, der ausgebeulte Trainingsanzug der hautengen Kompressionshose und statt in der muffigen Halle wird heute im schicken High-Tech-Studio nach wissenschaftlichen Plänen trainiert. Kraftsport ist populärer denn je: Wer schön sein will, der pumpt! Warum aber tun sich Männer diese Qualen freiwillig an? Am Ende gar wegen der Frauen?
Die muffige Trainingshalle ist dem High-Tech-Fitnessstudio gewichen
Fitnessstudio, Montagnachmittag, Augsburg: Schnaufende Menschen, klirrende Eisen, stahlharte Muskeln. Es ist viel los, ohne extrem voll zu sein. An den Geräten trainiert ein gemischtes Publikum, mehr Männer als Frauen. Sie sitzen am Rudergerät oder an der Brustpresse, machen zwischen den Sätzen eine kurze Verschnaufpause, unterhalten sich mit den Nachbarn. Sporadisch ertönen Schnaufer aus der Hantelecke, an der Wand ein Spiegel neben dem anderen.
Einer der Hantel-Drücker ist Christian Kohlmus. 27 Jahre alt, Student und Bodybuilder. In schwarzer Sporthose und grünem Shirt steht er vor der Hantelbank. Wäre er nicht doppelt so breit, sähe er aus wie die meisten jungen Männer. Aber die knapp 100 Kilo Körpergewicht und Muskelmasse fallen auf, besonders an den Armen, Rücken und der Brust. Dabei geht es ihm nach sechs Jahren intensivem Training nur noch bedingt um sein optisches Erscheinungsbild wie er sagt: „Mir macht Bodybuilding schlichtweg Spaß. Wäre das nicht so, könnte ich es niemals in dieser Intensität machen, wie ich es jetzt mache. Vor allem nicht als Hobby“, sagt Kohlmus. Mit 19 Jahren trainierte er zum ersten Mal, mit 21 Jahren dann so konsequent wie jetzt. Konsequent, das heißt: fünfmal in der Woche, 5000 Kalorien am Tag, mindestens acht Stunden Schlaf.
Was den Sport ausmacht, ist im Grunde schnell erklärt: Es geht um Muskelmasse. Um Kraft und noch mehr um Optik. Wer sich in einen perfekt definierten Bodybuilder verwandeln will, muss bei jedem Training an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen. Und nochmal eins drauflegen, über den Schmerz hinaus, bis zum absoluten Muskelversagen. Alles für den Pump. Passendes Wort: Nach einer anstrengenden Einheit pumpt das Herz so viel Blut in die Muskulatur, dass man jede Faser spürt. „Und dann spürt man jeden einzelnen Muskel und weiß, wie man ihn am besten trainiert“, sagt Kohlmus und beginnt mit dem Kurzhantel-Rudern. Erst 20 Kilo, dann 30, 40, 50, an guten Tagen 60 Kilo. Für die 60 Kilo muss er zwei Hanteln zusammenbauen, dieses Gewicht hat das Studio nicht mehr auf der Bank liegen.
Nicht jeder geht so weit wie er. Aber Jahr für Jahr sind es mehr, die sich an die Hanteln wagen, wie die Zahlen des Arbeitgeberverbands Deutsche Fitness- und Gesundheits-Anlagen (DSSV) zeigen. Seit den 1980er Jahren stieg die Zahl der Fitnessstudios und Mitglieder kontinuierlich, im Jahr 2024 zählte die Branche rund 12 Millionen Mitglieder, Kartelleichen mit eingerechnet, in knapp 9000 Studios. Gründe dafür seien das wachsende Gesundheitsbewusstsein und die zunehmende Bedeutung von Prävention, so der Verband. Auch der Umsatz legte dementsprechend zu: 2024 lag er bei knapp sechs Milliarden Euro.

Das Fitnessstudio ist im Mainstream angekommen – vor allem bei der Jugend. Nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach besuchen in Deutschland rund 1,5 Millionen Personen zwischen 14 und 19 Jahren häufig oder gelegentlich ein Fitnesscenter. Das ist in dieser Altersgruppe mehr als jede und jeder Dritte. Bei den Jungen ist nur noch Fußball beliebter. Den Soundtrack fürs Gym liefern Deutschrapper wie Majoe mit dem Album „Breiter als der Türsteher“, Kollegah, der über seinen eigenen Bizepsumfang rappt oder Farid Bang mit dem Song „Muckis wie Popeye“. Sind Muskeln also ein Zeichen unserer Zeit?
Nicht so ganz, meint Martin Gründl. Der 49-Jährige ist zwar kein Pumper, kennt sich aber mit Muskeln aus. Denn als Attraktivitätsforscher begleiteten sie ihn im Kontext der Wissenschaft schon lange. „Ein muskulöser Körper ist seit Jahrtausenden ein männliches Schönheitsideal. Die Faszination für Muskeln lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen“, erklärt Gründl, der an der Hochschule Harz in Wernigerode lehrt. Egal, ob bei den griechisch-antiken Olympioniken oder bei den römischen Gladiatoren – Körperkraft zog die Menschen schon 800 v. Chr. in den Bann.
Die Faszination für Muskeln lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen.
Martin Gründl, Professor für Wirtschaftspsychologie und Attraktivitätsforscher
Um ihre Athleten bestmöglich auf den Wettbewerb in Olympia vorzubereiten, gründeten die Griechen mehrere Athletikschulen. Auf dem Stundenplan standen Krafttraining, Speer- und Diskurswurf, dazu gab es Ernährungspläne und stetige Körperoptimierung. Gepumpt wurde mit hantelähnlichen Gebilden, gegessen wurden Unmengen an eiweißhaltigem Fleisch. Antike Fitnessstudios mit den besten Voraussetzungen, die Athleten in Muskelberge zu verwandeln. Wer bei den Olympischen Spielen triumphierte, übrigens völlig nackt, dem wurden Ruhm und Ehre zuteil. Kunstvolle Statuen verewigen die Helden aus längst vergangener Zeit, die für den modernen Menschen nach wie vor attraktiv sind. Was aus evolutionspsychologischer Sicht durchaus Sinn macht, erklärt Gründl: „Ein muskulöser Körper steht für Gesundheit, Vitalität und Jugendlichkeit, da die Muskelmasse mit dem Alter abnimmt. Es war schon immer attraktiv, jung und gesund auszusehen.“ Also schlechte Nachrichten für alle, die in ihrer Freizeit lieber auf dem Sofa statt auf dem Bauchmuskeltrainer abhängen. Verflixte Evolution.
Muskeln gelten bis heute als typisch männlich, sagt Experte Martin Gründl
Dabei trifft der andauernde Muskelwahn primär Männer, so Gründl. „Der Mann ist dann attraktiv, wenn er aussieht wie ein typischer Mann. Die Frau ist attraktiv, wenn sie aussieht wie eine typische Frau. Männer haben im Durchschnitt mehr Muskelmasse als Frauen. Daher sind ausgeprägte Muskeln etwas typisch männliches und bei Männern ein Schönheitsideal.“ Allerdings nur, wenn es nicht zu viele Muskeln sind, wie eine amerikanische Studie herausfand: Der Körper, von dem die Männer dachten, dass Frauen ihn attraktiv finden, enthält etwa 14 Kilogramm mehr Muskeln als der, der den Frauen tatsächlich gefiel.
War dies vor über 2000 Jahren auch schon so? Da beschwerte sich der Philosoph Seneca in einem Brief über den Lärm unter seinem Schlafzimmer: „Kraftmenschen üben hier, schwingen ihre hantelbeschwerten Hände, bringen sich dabei in Schweiß oder tun zumindest so. Jetzt hört man sie stöhnen, wenn sie den angehaltenen Atem wieder ausstoßen, klingt es wie ein Zischen.“ Und weiter: „Die Armmuskeln zu stählen, den Nacken zu dehnen, die Brust zu kräftigen – das ist törichte, keineswegs für einen Wissenschaftler passende Betätigung.“ Ob sich der genervte Seneca wohl traute, den Brief seinen pumpenden Nachbarn in die Hände zu drücken? Oder war er einfach nur neidisch auf dieses typische Männerding?
Mit der Frage, was nun solch ein typisches Männerding sein soll, beschäftigt sich Christoph May. Der 45-Jährige gründete 2016 mit der Schriftstellerin Stephanie May das Institut für Kritische Männlichkeitsforschung. „Männer können heute alles sein, was sie wollen. Warum entscheiden sie sich dann für diese immer gleichen, stumpfen und ausgehärteten männlichen Körperpanzer?“ Den Körperpanzer hat sich May nicht etwa ausgedacht. Er stammt von dem Männerforscher Klaus Theweleit und bezieht sich auf die Art und Weise, wie Männer ihre Emotionen unterdrücken, um vermeintlichen gesellschaftlichen oder kulturellen Normen zu entsprechen. May erklärt: „Ein archaisches und antikes Männerbild, das ihn als Krieger mit ausgehärteten Muskeln darstellt, der dominant, wortkarg und unsozial ist.“ Da sind sie wieder, die Griechen. Und mit ihnen eine patriarchale Anspruchshaltung an das eigene Männerbild, so May. Der Körperpanzer aus Stahl, The Man of Steel, die Verfilmung von Superman aus dem Jahr 2013. Übermännliche, nicht übermenschliche Fähigkeiten, die mühsam antrainiert werden müssen. Ist also der Fitness-Hype ein Ausdruck eines toxischen Männerbildes?
Übermännliche, nicht übermenschliche Kraft wie Superman
Nachgefragt bei Bodybuilder Kohlmus. „Ja, das Körperbild des Bodybuildings überschneidet sich mit der Hypermännlichkeit. Leider, denn es spiegelt die Szene überhaupt nicht wider. Zumindest nicht die heutige“, sagt der 27-Jährige. Eher müsse man als Bodybuilder ein gefestigtes Selbstbild haben. Von der Allgemeinheit bekommt man wenig Anerkennung, im Gegenteil: „Ich werde häufig mit Vorurteilen konfrontiert. Ich muss daher mehr in mir ruhen als andere.“ Oft seien die Menschen überrascht, dass er Erziehungswissenschaft studiert. Was, du? Ein Bodybuilder in einem typischen Frauenberuf? Um mit diesen Vorurteilen lässig zu jonglieren, hilft das Training wiederum: Endorphine als natürliche Stimmungsaufheller werden freigesetzt, Stress und Angst abgebaut und das allgemeine Wohlbefinden gesteigert.
Zeit für einen flüchtigen Blick in die neueste Ausgabe der Mens Health. Die Legenden-Ausgabe, wie auf der Titelseite über dem Kopf von David Beckham steht. Im Magazin gibt ein Musical-Darsteller, der Herkules spielt, Tipps für göttliche Muskeln. Die Fotos im Heft passend. Die Botschaft an die männliche Leserschaft klar: Kümmer dich mal schön um deinen Body! Die Werbung vermittelt das gleiche Bild. In 20 Jahren ist der Werbemann etwas schlanker und einen Tick muskulöser geworden, so das Ergebnis einer deutschen Studie, in der 560 TV-Spots der Jahre 1997 und 2017 miteinander verglichen wurden. Nochmals mehr Muckis also. Wobei es mittlerweile bei zehn Prozent der Werbungen auch den weichen und sympathischen Typus gibt, der mit Dominanz, Stärke und Härte bricht. Und auch James Bond, für viele ein Schönheitsideal, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mehr Muskeln antrainiert: Roger Moore, der Bond der 70er und 80er, wirkt verglichen mit dem letzten Bond-Darsteller Daniel Craig geradezu schmächtig. Oder Chris Hemsworth, der den germanischen Gott Thor in den Marvel-Filmen verkörperte: Während er schon 2011 muskulös war, erreichte er in den späteren Filmen wie „Avengers: Infinity War“ und „Avengers: Endgame“ eine noch massivere Körpergröße. Für die Avengers-Filme legte auch Chris Evans als Captian America ordentlich zu.

Wann ist ein Mann ein Mann? Erst, wenn er genügend Muskeln hat? Es gibt auch diese Interpretation: Dass nämlich die Emanzipation der Frauen die Männer erst so richtig an die Geräte getrieben hat, zumindest sehen dies einige Autoren so. Männer würden nach etwas suchen, was sie besonders auszeichnet - der Bizeps zum Beispiel. Doch seit den Achtzigerjahren machen ihnen die Frauen auch das streitig. Seit Lisa Lyon im Jahr 1979 zur ersten Weltmeisterin gekürt wurde, ist auch das Bodybuilding keine absolute Bastion der Männlichkeit mehr.
Was aber macht die Schönheit von Muskeln aus? Frage jetzt an Tayfun Ayra. Der 34-Jährige ist der offizielle Fotograf für „NPC Worldwide Germany“, die deutsche Niederlassung einer der größten Organisationen für Bodybuilding-Wettkämpfe weltweit. „Es sind nicht unbedingt die Muskeln an sich, die attraktiv sind. Sondern die Leistung und die Disziplin, die bei den Athletinnen und Athleten dahintersteckt“, erklärt der Karlsruher. Am Strand räkelnd, auf der Beinpresse thronend oder in der Front Double Biceps-Pose verharrend – in einer Sportszene, die wie kaum eine andere auf die Körperoptik aufbaut, haben die Fotos der Wettkampf-Bodybuilder einen persönlichen Mehrwert. Als Erinnerung, als Bestätigung, als Ego-Boost für die monatelange Diät, nach dem jahrelangen Eisen-Exorzismus… Oh, jetzt schon zehn Likes auf Instagram.
Auf den sozialen Medien wird Perfektion abgefeiert, daher sind hier die extremen Bodybuilder, die sich zeigen wollen. Instagram, TikTok und Youtube ermöglichen es ihnen, sowohl Gleichgesinnte außerhalb des Studios als auch Millionen anderer zu erreichen. Und dann sind da die Algorithmen der Plattformen, die Inhalte der Szene bevorzugen: prägnante Vorher-Nachher-Bilder, extreme Trainingseinheiten und eine spendable Industrie, die auf Eiweißshake-Produktplatzierungen setzt.
Und sollten die Muskel-Männer an körperliche Grenze stoßen, geht es bei manch einem mit Anabolika weiter. Es ist ein offenes Geheimnis in der Szene, dass einige der hypertrainierten Körper mithilfe von Dopingmitteln gestählt wurden. Zumindest fast offen: Jeder kennt’s, keiner nimmt’s. Die Welt-Antidoping-Agentur (WADA) schätzte im Jahr 2007, dass weltweit etwa 700 Tonnen Steroide von 15 Millionen Konsumenten missbraucht wurden. Zudem berichtete der Deutsche Olympische Sportbund im selben Jahr von immer mehr Anabolika im Hobbybereich, wobei insbesondere die Zahl der jugendlichen Dopinganwender steigt. Auf Youtube gibt es allerhand Videos mit Titeln wie „Der erste Steroid Stack – so geht’s richtig!“ oder „Intramuskulöse Injektionen? So angenehm wars noch nie!“. Wirklich neu ist das nicht. Schon die Gladiatoren und Olympioniken in der Antike hatten es sich zum Ziel gesetzt, noch mehr aus ihrem schweißtreibenden Training herauszuholen. Sie griffen nachweislich zu einem Dopingmittel, um das sie nicht zu beneiden sind: Stierhoden, die einen leistungssteigernden Effekt gehabt haben könnten. Also ein tief liegendes, unersättliches Bedürfnis nach mehr?

Zugegeben, steht man im Fitnessstudio neben ultra-trainierten Oberschenkeln, fühlt man sich schon etwas schwach. Wie ein Lauch, so würden junge Sportlerinnen und Sportler sagen. Magerquark, mit fett Arm. Ein Blick in den Spiegel, dann der Gedanke „ein bisschen mehr könnte es ja schon sein“. Und schon ist der Vertrag für durchschnittlich 46 Euro unterschrieben. Was bei regelmäßigem Besuch auch gesundheitliche Vorteile mit sich bringt: Die Knochendichte nimmt zu, die Motorik verbessert sich und auch die Psyche profitiert. Zudem ist das Verletzungsrisiko verglichen mit anderen Sportarten gering, meint Heinz Kleinöder von der Deutschen Sporthochschule Köln.
Es gibt Schätzungen, dass 30 bis 50 Prozent des Muskelwachstums in den ersten sechs Monaten, bevor sich der Körper an die wiederholte Belastung gewöhnt, erreicht werden können. Danach muss viel trainiert werden, um wie Arnold Schwarzenegger auszusehen. Der siebenfache Mr.-Olympia gilt als einer der erfolgreichsten Bodybuilder aller Zeiten. Seine körperliche Erscheinung is bis heute ein Ideal - das aber nur wenige erreichen. Gepaart mit intensivem Training kann der Sport eine psychische Störung auslösen: Die Muskelsucht oder Muskel-Dysmorphie, manchmal auch Adonis-Komplex genannt. Noch ist die Muskelsucht keine Diagnose, zu neu das Forschungsfeld, sagt Luisa Frinter. Die Psychologin arbeitet für die Fachambulanz für Essstörungen bei der Caritas München. Und berät vorwiegend Angehörigen von jungen Menschen mit Muskelsucht. Denn bei vielen Betroffenen fehle die Einsicht. Man mache doch nur Sport, das sei doch gut, denken sie.
Sie blicken in den Spiegel, haben stark ausgeprägte Muskeln und fühlen sich dennoch schmächtig.
Luisa Frinter, Psychologin
Bewegung ist gut, ja. Bei der Muskelsucht, einer Mischung aus Ess- und Zwangsstörung, jedoch nicht mehr. Da verursacht das Krafttraining einen Leidensdruck. „Die Betroffenen haben eine verzerrte Körperwahrnehmung. Sie blicken in den Spiegel, haben stark ausgeprägte Muskeln und fühlen sich dennoch schmächtig“, erklärt Frinter. Wie bei der Magersucht liegt ein starker Fokus auf dem Essverhalten. Wie eine männliche Magersucht, nur mit viel Eiweiß und wenig Fett. Und Essenspläne, Proteinpräparate, Tischzwang. „Ein Essen im Restaurant ist undenkbar, weil dort etwa Fette verwendet werden, die nicht in den Ernährungsplan passen. Der soziale Kontakt bricht ab, weil neben dem Training keine Zeit mehr für Freunde bleibt. Es ist erst Sportsucht, wenn es ein Leiden verursacht.“

Gesundheitsschädigendes Doping, tägliche Trainingsqualen, unerreichbare Ideale und ein kritisches Männerbild – und trotzdem folgen viele junge Menschen dem Ruf der Hantel-Hölle. Liegt das nur an der harten Bewertung des männlichen Körpers oder ist da noch mehr? Eine Frage, mit der sich auch der Sportwissenschaftler Mischa Kläber in seinem 2013 erschienenen Werk „Moderner Muskelkult“ beschäftigt hat. Der Eisen-Sport ermögliche es, sich seine Trainingszeiten selbst einzuteilen und dennoch Loyalität, Kooperation und Identifikation zu erleben. Tugenden, die traditionell zum Sportverein dazugehören. Pflichten und Termine jedoch auch. „In Fitness-Studios kommt oft das zur Sprache, was man im Alltag zu Hause verschweigt.“ Die Gespräche vor, während und nach dem Krafttraining seien gesellig, durch die regelmäßigen Aufenthalte im Studio würden feste Beziehungen entstehen. Das Fitnessstudio als Treffpunkt, Hobbyraum und Zufluchtsort.
Bodybuilding ist harte Arbeit an sich selbst. Das soll so sein, sonst ließe sich ja kaum Befriedigung oder Selbstwirksamkeit daraus ziehen. Sportwissenschaftler Kläber erkennt in dem körperlichen Training die Möglichkeit, sich etwas Eigenverantwortung zurückzuholen, die wir als moderne Menschen im rationalisierten Arbeits- und Gesellschaftssystem nur noch selten erleben können. Ein körperliches Freiheitsgefühl also, klingt verlockend. Nur wozu für das stickige Fitnessstudio zahlen, wenn ein Marathon über 42 Kilometer oder Yoga dieselbe kathartische Wirkung verspricht?
Das Fitnessstudio ist Treffpunkt, Hobbyraum und Zufluchtsort
„Schlussendlich war es Zufall, dass Bodybuilding zu meiner Sportart geworden ist“, sagt Kohlmus. Angefangen habe es mit dem Wunsch nach einem besseren Aussehen, weitergegangen sei es mit der Vielfalt an Übungen, die er alle ausprobieren wollte, und übergegangen ist es in Freude beim Training und Spaß an der körperlichen Verausgabung. Mittlerweile sei Bodybuilding ein Teil seiner Identität geworden. Nicht zuletzt, da er sein Hobby wortwörtlich mit sich herumträgt. Letzte Frage also, bevor Kohlmus seinen Hanteln für heute weglegt: Wie kann da eine ungetrübte Beziehung zum Sport aussehen? „Man sollte sich nicht zu sehr verkopfen und der Fortschritt darf nicht im Mittelpunkt stehen. Sich nicht in den sozialen Medien verlieren und die eigene Leistung anerkennen. Und was am wichtigsten ist: Wenn dir das Training keinen Spaß macht, dann mach es nicht. Mach es nicht nur für einen attraktiven Körper.“
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