Als Sprinter tun wir Menschen uns im Tierreich nicht sonderlich hervor, im Ausdauerlaufen sind wir allerdings ziemlich stark. Unsere Fähigkeiten auf der Langstrecke waren früher möglicherweise ein Vorteil bei der Jagd nach Beutetieren, wie eine Studie im Fachjournal Nature Human Behaviour nahelegt. Dass uns eine solche Ausdauerjagd, bei der die Beute erschöpft wird, erst einmal ineffizient erscheint, könnte dabei mit unserer heutigen Lebensweise zusammenhängen. Ein Blick auf die menschliche Anatomie zeigt, dass die Evolution uns das Laufen in den Körperbau gelegt hat: Die Form unserer Füße, unsere Beinmuskulatur und Beinsehnen, Becken, Wirbelsäule und Brustkorb sowie unser empfindlicher Gleichgewichtssinn sind spezifisch an den aufrechten Gang angepasst.
Marathonläufer verlieren rund anderthalb Liter Schweiß pro Stunde
Im Vergleich zu Gazellen und Geparden sind unsere Sprint-Fähigkeiten wenig beeindruckend. Anders sieht es mit unserer Ausdauer aus: Unter den Primaten ist der Mensch der einzige, der so lange auf zwei Beinen rennen kann. Das zeigen nicht zuletzt die Beispiele von Menschen, die über Monate täglich Marathons (42,195 Kilometer) laufen.
Hilfreich für diese Ausdauer sind dabei zwei bei Säugetieren seltene Merkmale: Zum einen werden unsere Bewegungsmuskeln von ermüdungsresistenten Fasern dominiert. Zum anderen können wir bei längerer intensiver Aktivität die entstehende Stoffwechselwärme effektiv durch Schwitzen abführen – als hätten wir eine Klimaanlage eingebaut. So dünsten etwa Marathonläufer im Durchschnitt anderthalb Liter Schweiß pro Stunde aus.
Langes Laufen kostet viel Energie - lohnte sich das?
Warum wir diese Merkmale entwickelt haben, ist umstritten. Schon vor 40 Jahren spekulierte der US-amerikanische Evolutionsbiologe David Carrier, dass unsere Vorfahren auf diese Weise „eine neue Nische als tagaktiver Ausdauerjäger“ bei Hitze besetzt haben könnten. Wie in der jetzt veröffentlichten Studie betont wird, gebe es aber zwei Einwände gegen diese Theorie: Erstens würde Laufen – gerade im Vergleich zum Gehen – viel Energie kosten und zweitens gebe es nur wenige Berichte übermoderne Menschen, die derart jagen. Diese beiden Punkte würden darauf hindeuten, dass die Verfolgung von Beutetieren über lange Strecken ineffektiv sei.
Die nordamerikanischen Wissenschaftler Eugène Morin von der kanadischen Trent University und Bruce Winterhalder von der University of California entwickelten nun Modelle, um den Kaloriengewinn des Ausdauerlaufs mit anderen Jagdmethoden zu vergleichen. Dabei haben sie berechnet, dass die durch Ausdauerjagd erbeutete Nahrung genug Kalorien liefern kann, um das Laufen eine vorteilhafte Taktik sein zu lassen. Zusätzlich erstellten Morin und Winterhalder eine Datenbank mit ethnografischer und ethnohistorischer Literatur von den frühen 1500er bis zu den frühen 2000er-Jahren, um die Rolle des Ausdauerlaufs bei der Jagd zu untersuchen. Auf diese Weise fanden sie fast 400 Beispiele dafür, dass Menschen Ausdauerläufe für die Jagd nutzten. Diese Beispiele stammen von 272 Orten weltweit und deuten darauf hin, dass diese Strategie nicht so selten ist, wie bisher angenommen.
Bewegungsmuffel schätzen Laufleistung höher ein als sportliche Personen
In der Datenbank finden sich Beispiele für Ausdauerjagden mit einzelnen Jägern und für Gruppenjagden in verschiedenen Ökosystemen, von offenen Ebenen bis hin zu Wäldern, und in unterschiedlichen Klimazonen. So etwa folgender Bericht aus dem Jahr 1850, in dem es um die Gwich'in geht, eine indigene Gruppe im Grenzgebiet zwischen Kanada und Alaska: „Früher haben wir mit Bogen und Speer gejagt. Damals waren unsere jungen Männer stark. Wir jagten den Elch, indem wir ihn auf Schneeschuhen zu Tode hetzten, und wir konnten den ganzen Tag laufen, wie Wölfe.“ Ein anderer Bericht aus dem Jahr 1901 beschreibt die Jagd der Bororo, eines brasilianischen indigenen Volkes: „Sie [die Ureinwohner] bewundern die Jagd mit Pferden und Hunden sehr, und das ist auch gut so, denn bei ihrer Jagdmethode müssen sie ein Tier stundenlang zu Fuß und mit voller Geschwindigkeit verfolgen.“
Morin und Winterhalder mutmaßen in der Studie, dass die Beurteilung von Ausdauerjagden als kostenintensiv und ineffizient auch mit der heutigen bewegungsarmen Lebensweise zusammenhängen könnte: „Untersuchungen zeigen, dass die wahrgenommene Anstrengung bei gleicher Laufleistung von Bewegungsmuffeln höher eingeschätzt wird als von sportlichen Personen.“ Die beiden Wissenschaftler schließen, dass die aufgeführten Fälle zwar sehr viel jünger seien als die Entwicklung der fürs Ausdauerjagen nötigen Eigenschaften. Dennoch enthalte die Studie Hinweise auf den möglichen Ursprung durch natürliche Selektion: Wahrscheinlich habe das lange Laufen als Jagdstrategie für unsere Vorfahren vor Millionen von Jahren Vorteile gehabt. Die Forscher schreiben: „Die Ausdauerjagd als Methode der Nahrungsbeschaffung wäre für Homininen des Plio/Pleistozäns wahrscheinlich verfügbar und attraktiv gewesen.“ (Alice Lanzke, dpa)