So unvorstellbar das scheint: Das Mittelmeer trocknete einst weitgehend aus. Das Meerwasser wurde im Zuge dessen immer salziger, unzählige Tier- und Pflanzenarten starben aus. Lediglich etwa elf Prozent der Arten überlebten die Krise, berichtet ein Forschungsteam im Fachmagazin Science. Mindestens 1,7 Millionen Jahre habe die Artenvielfalt gebraucht, um sich zu erholen, als wieder Wasser in das gewaltige Becken schoss.
Noch heute gibt es nur einen Durchlass vom Atlantik zum Mittelmeer: die Straße von Gibraltar. Die nur wenige Kilometer breite Rinne lässt frisches Wasser aus dem Atlantik ins salzhaltigere Mittelmeer strömen. Durch Bewegungen im oberen Erdmantel vor etwa sechs Millionen Jahren schloss sich die Passage der heute gängigen Theorie zufolge.
Forschende untersuchen 12 Millionen Jahre alte Fossilien aus der Tiefsee
Schon ab der Zeit vor etwa 7,6 Millionen Jahren kam es im Zuge der Verengung des Durchgangs zu starken Salzgehalts- und Temperaturschwankungen im Mittelmeer. Ohne Zufluss vom Atlantik verdunstete das Wasser – der Zufluss aus Strömen wie dem Nil oder dem Ebro war zu gering, um das Becken gefüllt zu halten.
Noch heute zeugt eine kilometerdicke Salzschicht unter dem Meer vom Zustand vor 5,5 Millionen Jahren: Rund eine Million Kubikkilometer Salz sammelte sich an, wie das Team um Konstantina Agiadi von der Universität Wien schreibt. Um den Einfluss der extremen Veränderungen auf das Leben im Mittelmeer zu ergründen, bezogen Forschende 12 bis 3,6 Millionen Jahre alte Fossilien von Fundstellen in den Anrainerstaaten sowie aus Sedimentkernen der Tiefsee in ihre Analyse ein.
Demnach gab es gut zwei Drittel der Arten im Mittelmeer nach der sogenannten Messinischen Salinitätskrise nicht mehr. Tropische, riffbildende Korallen starben aus. Von 779 nur im Mittelmeer vorkommenden Arten hätten 86 überlebt – wie und wo ihnen das gelang, sei bisher unklar.
Nachdem der Atlantik vor etwa 5,33 Millionen Jahren in das Becken strömte, eroberten zuvor nicht heimische Spezies den Lebensraum. Auch Weiße Haie und Delfine kamen ins Mittelmeer, die Erholung des Ökosystems dauerte überraschend lange, wie das Team um Agiadi schreibt. Heutzutage sei die Artenvielfalt im Verhältnis zur Größe des Beckens überproportional hoch.
Das Becken füllte sich über den „gewaltigsten Wasserfall, den die Erde je gesehen hat“
Im Buch „Urwelten“ hat der Paläontologe und Evolutionsbiologe Thomas Halliday beschrieben, wie sich Forschende den Ablauf der Geschehnisse vorstellen. Im Mittelmeergebiet seien Inseln zu Gebirgen geworden, als das Wasser schwand, heißt es. Vier Kilometer unter dem Meeresspiegel liegende Täler seien entstanden – das am tiefsten liegende Land der Welt.
Fallwinde seien an den Felswänden herabgestürzt, so Halliday. „Obwohl es sich gerade um einen eher kühlen Zeitabschnitt der Erdgeschichte handelt, kann die maximale Lufttemperatur an einem heißen Sommertag vier Kilometer tief auf dem Grund der Schlucht höllische 80 Grad Celsius erreichen – etwa 25 Grad mehr als die wärmste Temperatur, die in der Neuzeit je im kalifornischen Death Valley gemessen worden ist.“
Am Boden des Mittelmeerbeckens habe sich eine mehr als drei Kilometer dicke, glänzende Mischung aus Gips und Natriumchlorid abgelagert. Dann sei das Wasser des Atlantik wieder ins westliche Becken geschossen. Später füllte sich auch der östliche Teil – womöglich über den „gewaltigsten Wasserfall, den die Erde je gesehen hat“.
1.500 Meter sei er Annahmen zufolge hoch gewesen, heißt es im Buch, das Wasser könne dort mit einer Geschwindigkeit von fast 250 Kilometern pro Stunde über den Steilhang geschossen sein und sich in Nebel verwandelt haben, bevor es den Grund erreichte.
Bewegungen der Erdkruste haben im Laufe der Erdgeschichte immer wieder zur Isolierung regionaler Meeresgebiete von Ozeanen und zu massiven Salzansammlungen geführt, wie die Forschenden erläutern. Tausende Kubikkilometer umfassende Salzablagerungen – Salzriesen genannt – seien auch in Australien, Sibirien, dem Mittleren Osten und anderswo gefunden worden.
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