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Ernährung: Wie bitteres Essen das Wohlbefinden steigern kann

Ernährung

Wie bitteres Essen das Wohlbefinden steigern kann

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    Radicchio enthält Bitterstoffe. Obwohl sie gesund sind, müssen wir den Geschmack erst "lernen".
    Radicchio enthält Bitterstoffe. Obwohl sie gesund sind, müssen wir den Geschmack erst "lernen". Foto: Daniel Vincek, Adobe Stock

    Manche Erkenntnis ist bitter. Zum Beispiel die, dass der Geheimtipp vieler Online-Kochportale gar keiner ist. Generationen von Müttern haben ihren Töchtern diese Sache schließlich schon anvertraut, sie war und ist Teil der Küchen-Aussteuer: „Wenn du den Endiviensalat schneidest und ihn vor dem Anmachen für einige Minuten in lauwarmes Wasser legst, schmeckt er nicht mehr so bitter.“

    Bitter. Von allen fünf Geschmacksrichtungen ist sie die, die der Mensch am wenigsten mag. Süß, sauer, salzig – alles kein Problem. Auch mit „umami“ können wir umgehen, selbst wenn dieses japanische Wort zunächst keine Geschmacksvorstellung auslösen mag. Herzhaft, würzig trifft es wohl am ehesten, der Chemiker Kikunae Ikeda „entdeckte“ diesen Geschmack erst Anfang des 20. Jahrhunderts – gegeben aber hat es ihn immer; wir saugen ihn quasi mit der Muttermilch auf.

    Einige Pflanzen wehren sich mit Bitterstoffen gegen Fressfeinde

    Das Bittere dagegen müssen wir lernen wie die Mathematik oder eine Sprache. Babys verziehen in ihren ersten Lebensmonaten das Gesicht, wenn sie etwas anderes als süß, salzig oder umami schmecken. Studien zufolge reagieren sie bereits im Mutterleib mit Grimassen, wenn ihre Mütter bittere oder saure Lebensmittel zu sich nehmen. Diese Abneigung ist uns angeboren, der Grund, sagt Gewürz-Expertin Bettina Matthaei, liegt in der Evolutionsgeschichte.

    „Süß bedeutete eine reife und damit energiereiche Frucht. Salzig wurde bald als lebenswichtiges Mineral ausfindig gemacht“, erklärt die Kochbuch-Autorin, die der ungeliebten Geschmacksrichtung jüngst eine ganze Rezeptsammlung gewidmet hat. Eiweißreiche Nahrung wie Fisch oder Fleisch wurde mit den Umami-Rezeptoren als wohlschmeckend erkannt, sauer signalisierte dagegen unreife und möglicherweise unbekömmliche Nahrungsmittel. Und bitter? „Da war man sofort in Alarmbereitschaft, denn dieser Geschmack warnte vor möglichem Gift.“

    Tatsächlich schützen sich einige Pflanzen mit Bitterstoffen gegen Fressfeinde. Wobei „schützten“ die korrektere Ausdrucksweise wäre, denn die Lebensmittelwirtschaft hat vielen Gemüsesorten diesen Geschmack seit den 1980er Jahren bis (fast) zum bitteren Ende ausgetrieben. „Der Trend geht geschmacklich weg von

    Schon Hildegard von Bingen schrieb Bitterstoffen eine positive Wirkung zu

    In der Gemüseabteilung der meisten Supermärkte wird so – von Radicchio und Grapefruit vielleicht abgesehen – vor allem Obst und Gemüse angeboten, dessen Geschmack die Mehrheit als angenehm empfindet. „Die normalen gelbe Rüben, die man dort zu kaufen bekommt, sind extrem mild und süß“, sagt Scheu-Helgert. Auch dem Chicorée habe man die Bitterstoffe weggezüchtet, ihm immerhin könne man sie aber wieder entlocken: „Lagert man ihn im Dunkeln, bleibt er hell und mild. Sobald er Licht bekommt, werden die Blätter grün und bitterer.“ Rehe, weiß Scheu-Helgert, seien „ganz wild“ auf diese dunklen Sprossen. Kluge Tiere offenbar.

    Denn abgesehen davon, dass viele milde Gemüsesorten als angenehmer empfinden, bringt der Verlust der Bitterstoffe eher Nachteile mit sich – für Mensch und Pflanze. „Mit manchen alten Sorten hätten Kleingärtner womöglich weniger Sorgen“, glaubt Nicole van Dam vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig. Beim Weißkohl zum Beispiel gebe es eine Sorte, die zwar weniger bitter schmeckende Senfölglykoside enthalte, dafür aber empfindlicher sei für den Befall mit Fadenwürmern. 

    Wie man es dreht und wendet, eine bittere Pille muss der Verbraucher also schlucken: Entweder, er bekommt Lebensmittel mit gewöhnungsbedürftigem Geschmack, oder solche, die mit Pestiziden gegen Schädlinge geschützt werden müssen. Dabei wäre das Gewöhnungsbedürftige durchaus gesund …

    Dass sich Bitterstoffe positiv auf das Wohlbefinden auswirken können, war bereits früh bekannt. Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) sagte den sogenannten Amara eine verdauungsfördernde Wirkung nach, sie regen die Magen-, Gallen- und Darmtätigkeit an. Sie fördern außerdem den Abbau überschüssiger Säure und stärken die Abwehrkräfte. „In der jüngsten Medizingeschichte spielen Polyphenole, zu denen auch Bitterstoffe gehören, eine immer wichtigere Rolle“, sagt Autorin Bettina Matthaei. Bekannt sei inzwischen auch, dass sie die Lust auf Süßes hemmen und angeblich sogar eine antidepressive Wirkung haben.

    Bei Gurken oder Zucchini kann Bitterkeit schädlich bis tödlich sein

    Und es ist ja auch nicht so, dass wir Bitterstoffe komplett ablehnen: In Kaffee oder Rotwein, in Schokolade mit höherem Kakaoanteil oder Gewürzen wie Zimt und Wacholder akzeptieren die meisten Menschen diese Geschmacksrichtung, ohne sie zu hinterfragen. In vielen Fällen empfinden wir sie sogar als angenehm. Ob wir Bitteres ablehnen oder uns daran gewöhnen können, ist aber nicht allein Kopfsache. 

    Geschmacksforscherin Linda Bartoshuk von der Yale-Universität fand in den 90er Jahren heraus, dass es sogenannte „Superschmecker“ gibt, die Bitteres als besonders abstoßend empfinden. „Etwa die Hälfte der Menschen hat ein normal ausgeprägtes Bitterempfinden, ein Viertel, die Nicht-Schmecker, ist wenig empfindlich, das andere Viertel nimmt schon sehr geringe Bitternoten als unangenehm wahr“, bestätigt Bettina Matthaei. Sie empfiehlt, sich langsam an die Geschmacksrichtung heranzutasten: Tonic statt Limonade, ein Schuss Aperol zum Orangensaft, ein paar Radicchiostreifen in den Salat …

    Dabei sei nur etwas Vorsicht geboten, sagt Marianne Scheu-Helgert von der Bayerischen Gartenakademie: „Bei Gewächsen wie Gurken, Zucchini oder Kürbis sollte man schon die kleinste Bitterkeit meiden, da sie schädlich bis tödlich sein kann.“ Vorkommen könne dies vor allem in heißen Jahren, da die Gurken aufgrund des Hitzestresses vom Stielansatz her bitter werden können. Allerdings sei dies am Geschmack sofort erkennbar, „und eine kleine Menge davon bringt niemanden um“.

    Bio-Landwirte und -Gärtnereien sind in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, wieder mehr bittere Gemüsesorten anzubauen. In vielen Selbstversorgergärten liegt Zuckerhut im Trend, ein Wintersalat, der – anders als sein Name verheißt – eher bitter schmeckt. Auch einige Sterneköche setzen bewusst bittere Nahrungsmittel ein, um Gerichte interessanter zu machen. „Bittere Zutaten“, sagt auch Bettina Matthaei, „bringen Tiefe und Spannung in das Essen und setzen kulinarische Highlights.“ Also: Raus mit der Endivie aus dem lauwarmen Wasser! (mit dpa)

    Rezept für Bittergurken-Curry mit Linsen und Kokosmilch

    Zutaten für 2 Portionen

    • 100 g Belugalinsen
    • 1 Lorbeerblatt
    • 1 Bittergurke (ca. 150 g)
    • Salz
    • 30 g natives Kokosöl
    • je 1/4 TL Samen von Bockshornklee, Cumin, Ajowan und braunem Senf
    • 100 ml Gemüsebrühe
    • 100 ml Kokosmilch
    • 1/4 TL Kurkuma-Pulver
    • Cayenne-Pulver
    • 1/2 Bund Koriandergrün
    • 100 g griechischer Joghurt oder Naturjoghurt
    • 1 Msp Asant

    Zubereitung (ca. 40 Minuten)

    • Die Linsen kalt abbrausen, mit dem Lorbeerblatt in reichlich Wasser ca. 20 Minuten köcheln.
    • Inzwischen Bittergurke waschen, längs halbieren, entkernen und in ca. 1,5 cm breite Stücke schneiden. Kräftig salzen, mindestens 10 Min. ziehen lassen, dann kalt abbrausen und abtropfen lassen.
    • In einer Pfanne Kokosöl erhitzen. Bockshornkleesamen darin 1 Min. unter Rühren anrösten. Dann Cumin und Ajowan dazugeben und 2 Min. unter Rühren rösten. Zum Schluss die Senfkörner hinzufügen. Nach wenigen Sekunden beginnen diese zu platzen und aus der Pfanne zu springen, deshalb sehr schnell die Bittergurken daraufgeben und ca. 5 Min. bei mittlerer Hitze unter Rühren braten.
    • Die Brühe angießen und aufkochen. Etwas einkochen, dann mit der Kokosmilch noch leicht köcheln lassen. Die Linsen durch ein Sieb abgießen und untermischen. Das Curry mit Kurkuma, Cayenne und Salz abschmecken. Das Koriandergrün abbrausen, trockentupfen, mit den zarten Stielen hacken und darüberstreuen.
    • Den Joghurt mit etwas Salz und Asant verrühren, zum Curry reichen. Mit Naan (indischem Fladenbrot) oder Basmatireis servieren.

    Achtung: Dieses Rezept ist nichts für „Bitter-Anfänger“.

    Das Rezept stammt aus dem Buch „Bitter“ von Bettina Matthaei. (Hädecke, 264 S., 34 Euro).

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