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Ein Hoch auf die Bürokratie! Warum wir froh sein sollten, dass wir sie haben

Wahlversprechen

Ein Hoch auf die Bürokratie! Warum wir froh sein sollten, dass wir sie haben

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    Das Wachstum der Wirtschaft erstickt in der staatlichen Überregulierung, heißt es immer so schön.
    Das Wachstum der Wirtschaft erstickt in der staatlichen Überregulierung, heißt es immer so schön. Foto: Nomad_Soul, Adobe Stock

    Na, Sie sind doch sicher auch dafür, oder? Sonst könnten Sie womöglich gar keine Partei finden, bei der Sie Ihre Vorstellungen kreuzträchtig in Wahlversprechen verwandelt fänden. Denn alle scheinen einig, was sein muss: Bürokratieabbau! Auch wenn alle irgendwie was anderes meinen, Umweltauflagen oder Planungvorschriften, Arbeits- oder Asyl- oder Steuerrecht, die Datenschutzrichtlinien, jedenfalls muss vereinfacht und entschlackt und dereguliert werden, um das Land zu entfesseln, raus aus dem Regelchaos, aus den Fängen dieses umfassend lähmenden und aus allen Ritzen lugenden Bösen: dieser Bürokratie!

    Die Bürokratie ist das Herzstück des Rechtsstaates in der Demokratie

    Der FDP-Mann Marco Buschmann hat sich dabei vor bald einem Jahr und noch als Bundesjustizminister sogar einen „der wichtigsten Denker der deutschen Geistesgeschichte“ zum Zeugen berufen, den Soziologen und Nationalökonom Max Weber. Der nämlich habe in seinem berühmten Bürokratiemodell schon vor mehr als hundert Jahren erkannt, dass der moderne Staat nach und nach zur Überregulierung und zur Verdichtung neige. Buschmann bedauert in seinem Gastbeitrag in der FAZ: „ …die Erfüllung der Pflichten und Einhaltung der Regeln bindet wertvolle Kräfte; wirtschaftliche Initiative unterbleibt.“ Also lasst uns aufräumen damit wie es radikal Donald Trump und Elon Musk in den USA tun, wie es Argentiniens Präsident Milei in seinem Land mit der symbolischen Kettensäge tut? Wenn es die Wähler doch auch wollen, endlich mal Durchregierende statt der ewigen Trippelschritte im Abwägen! Vielleicht halt auf die ein bisschen deutschrationalere Art halt …

    Gerade mit Max Weber aber lässt sich ja lernen, was das in der Konsequenz heißt. Denn die Bürokratie ist bei ihm zuallererst ja das Kennzeichen „legaler Herrschaft“ – im Kontrast zur einst verbreiteten, durch Gott oder Erbe gerechtfertigten „traditionaler Herrschaft“ und zu eben heute in handelnden Helden wieder auflebenden „charismatischer Herrschaft“. Die Bürokratie sorgt demnach mit ihrer „Sachlichkeit, Unpersönlichkeit und Verlässlichkeit“ für Gerechtigkeit und Integrität, wirkt gegen das ansonsten immer Drohende: Willkür, Korruption und Banausentum. Die Bürokratie ist das Herzstück des Rechtsstaates in der Demokratie – und damit etwas, wovon viele Menschen in aller Welt als Grundzug ihres Heimatlandes noch immer nur träumen können. Muss vielleicht in diesen Zeiten auch mal gesagt sein also: Ein Hoch auf die Bürokratie! Dass sie (politisches) Gestalten einhegt, ist ein Segen – bis sie diese tatsächlich allzu sehr einzuengen beginnt.

    Auch Firmen etablieren gern eine postmoderne Form der Bürokratie

    Aber das ist ja – Weber hat da eh keinen Unterschied gemacht – längst nicht nur im Staat, sondern auch in den Firmen selbst so. Bemerkenswert, wie kürzlich ein oft von Firmen als aufräumender Interimsmanager namens Bodo Antonic im Spiegel sagte, die Firmenlenker redeten sich „mit der Regelungswut des Staates heraus“, sie pflegten vielmehr selbst ängstlich eine „Firmokratie“.

    Die deutschen Wirtschaftsverbände klagen unisono über zu viel Bürokratie. (Symbolbild)
    Die deutschen Wirtschaftsverbände klagen unisono über zu viel Bürokratie. (Symbolbild) Foto: Patrick Pleul, dpa

    Und bereits mehrfach haben Denker wie David Graeber („Bullshit-Jobs“) und Colin Crouch („Postdemokratie“ und „Die bezifferte Welt“) auf einen Mechanismus in klassischen Unternehmen hingewiesen, der gerade in Zeit der technologischen Transformation (und drohenden Disruption) einsetzt: Aus vorauseilender Sorge eingespart wird in allen Bereichen, deutlich aufgerüstet wird lediglich im Bereich des mittleren und höheren Managements.

    Die so neu Angeheuerten müssen zuallererst ihre vergleichsweise höheren Gehälter amortisieren, indem sie in anderen Bereichen weiter sparen. Ihre besondere Kompetenz ist keine faktische, sondern eine performatorische – sie müssen sich also irgendwie glaubwürdig darstellen, sich gut verkaufen können. Und sie signalisieren Tätigkeit durch das immer neue Anstoßen von Projekten und Projektgruppen, führen neue „Tools“ zur „Evaluation“, am besten in einem nie versiegenden Strom, sodass die Effizienz auch nur irgendeiner einzelnen Maßnahme nie verlässlich zu prüfen ist, aber bis zur Erschöpfung weiterwirbelt – und in Spiegelung des eigenen Wirkens auch zu dem Eindruck führt, die Qualität eines Produkts sei letztlich egal, es ging nur darum, es so effizient wie möglich herzustellen und bestmöglich zu verkaufen. Wie? Darüber lässt es sich doch in immer neuen Sitzungen mit immer neuen Kriterien verständigen! Wenn man so will: eine postmoderne Form der Bürokratie.

    Von Max Weber lässt sich dabei als Wähler im Staat oder Teil eines Unternehmens lernen: Zu trauen ist denen, die „mit leidenschaftlicher Hingabe an die Sache“ und Augenmaß aus Verantwortung das Richtige tun wollen, nicht aus ihrer Gesinnung heraus. Und sei es für die Frage der Bürokratie im Konkreten oder den Wahlversprechen im Allgemeinen – da helfe Kollege Umberto Eco: „Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist falsch.“

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    1 Kommentar
    Wolfgang Boeldt

    Fast seit ich denken kann ist vom Bürokratieabbau die Rede. Selbstredend muß es in einem Staat Regeln, Vorschriften und weitere Vorgaben geben. Alle Ansätze zum Abbau sind kläglich gescheitert. Hat man mal was beerdigt kamen sofort 2 neue Vorschriften. Als Vorbild scheint die Hydra, ein Urahn der EU, zu gelten. Damals war Herakles der Disruptor, heute ist din Deutschland, in der EU, keiner in Sicht. Also => bleibt alles wie gehabt.

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