Früher, ach früher war alles besser. Denkt mancher angesichts der vielen Krisen, die einem tagtäglich aus der Zeitung ins Gesicht schlagen. Das führt zu verklärten Erinnerungen an die Kindheit. Schwups, schon ist das Fotoalbum aus dem Schrank gezogen. Beim Blättern leuchten einem viele bunte Bilder aus der Kindheit entgegen, mit der ersten Sandkastenfreundin im Planschbecken, dem Bruder in einer Baumkrone. Noch weiter zurück lächeln einen die Eltern an, noch ohne Kinder und in Cordschlaghose und langen bunten Blumenröcken. Die Aufnahmen werden immer seltener, werden Sepiafarben und Schwarz-weiß. Und wie ist es heute?
2024 sollen laut Statista rund 1,2 Billionen Fotos auf der ganzen Welt entstanden sein. Eine fast unbeschreibliche Bilderflut. Auf sozialen Medien wie Instagram werden pro Sekunde fast tausend Fotos geteilt. Dieses immer schneller und immer mehr macht das Smartphone möglich. Doch wer soll all diese Bilder anschauen? Ursprünglich waren Fotografien ein Luxusgut, der Termin beim Fotografen etwas ganz Besonderes, um Meilensteine im Leben festzuhalten: eine Hochzeit, eine Geburt, eine Beerdigung.
Anlalog, aber trotzdem schnell fertig: Darum sind Polaroid-Fotos im Trend
Weit weg scheinen die Zeiten, als Nina Hagen in den 70ern in der DDR verzweifelt, sang: „Du hast den Farbfilm vergessen.“ Eine Anspielung auf den bisweilen herrschenden Mangel an Waren in Ostdeutschland. Und auf die Vergesslichkeit von Michael. Etwas, was heute dank der dauernden Verfügbarkeit von Smartphones und damit auch Fotos unvorstellbar ist.
Klappe am Fotoapparat aufmachen, Filmrolle einlegen, durch den Sucher blicken, das Bild scharfstellen, mit dem Finger auf den Auslöserknopf drücken. Immer mehr Menschen auf TikTok packt deshalb die Sehnsucht nach einem analogen Foto. Aber bitte einem, dass trotzdem schnell fertig entwickelt ist.
Natürlich nicht wie in den Anfängen der Fotografie als 1826 der Fotograf Joseph Niépce mithilfe einer Zinnplatte das erste Foto acht Stunden lang belichtete, wer hätte dafür noch die Geduld. Kuriose Vorstellung für das nächste Foto, wenn sich nach kurzer Zeit Muskelkrämpfe einstellen, der Mund trocken wird, die Kinder schlecht gelaunt herumnörgeln oder aus einer Tanzparty auf diese Weise eine Stehparty wird. Verständlich, wer darauf keine Lust hat. Für den gibt es die Polaroidkamera.
Polariod-Bilder sind teuer, aber dennoch angesagt
Auf den Auslöser gedrückt und schon sorgen chemischen Reaktionen im Inneren des Apparates für die Entstehung eines Bildes. Einen Euro pro Bild kostet der Spaß und trendet doch. Auf TikTok hat ein Paar ein Jahr lang alle Leute fotografiert, die sie in ihrer Wohnung besucht haben und damit eine ganze Wand gestaltet. Gute Laune für schlechte Zeiten, mit allen wichtigen Sozialkontakten. Mit den Fingern über die glatte Oberfläche fahren, in Erinnerungen schwelgen und am weißen Rand mit einem Edding beschriften. Gut, die Bildqualität ist nicht immer die beste, aber das ist auch der Clou daran: Unperfekt perfekt.
Das Polaroid ist der Gegenentwurf zu den gängigen Instagram-Bildern. Endlich keine Selfiesticks mehr, kein Dauerposieren und am Ende am besten noch per App nachbearbeiten. Sodass das, was am Schluss noch zu sehen ist, kaum noch an die Wirklichkeit erinnert. Dafür gibt es dann auf Instagram zwar Likes oder Herzchen, oder eben auch nicht: die Jagd nach dem perfekten Bild, der besten Kulisse und dem aufregendsten Dress beginnt. Das kann Spaß machen, aber auch in Stress ausarten. Wer will sich schon dauernd wie bei Heidi Klums Germany’s Next Topmodel fühlen: In ängstlichem Warten auf das vernichtende Urteil: „Ich habe heute leider kein Foto für dich.“ Nur, weil die Pose nicht ganz so saß.
Als Smartphones sich verbreiteten, ging die Firma Polaroid bankrott
Also zurück zur Spontanität. Gemeinsam darauf warten, dass der Schnappschuss aus der Kamera herauskommt und trocknet. Aufpassen, dass er nicht zu viel Sonne abbekommt. Dabei ergeben sich lustige Momente: die Jacke gemeinsam über das Bild halten, um alles abzudunkeln oder sogar gleich noch ein neuer Trend: sich gleich in einen Fotoautomaten verziehen. Das, was viele früher nur aus dem Passamt kannten, findet sich heute auf vielen Schulfeiern und in angesagten Locations wie der „Gans am Wasser“ in München wieder: eine Fotobox. Aber statt allein ein biometrisches Foto von sich zu machen, auf dem das Gesicht möglichst starr blickt, quetschen sich jetzt ganze Gruppen in die kleine Fotobox und strahlen wie die Glühwürmchen. Ein kurzes Surren später kommt ein Bild zum Vorschein. Aber Vorsicht! Bloß nicht zu früh die Finger auf das Bild legen, sonst ist die schönste Aufnahme futsch.
Erfunden hat das Polaroidbild übrigens der Physiker Edwin Land in den 1930er und 1940er Jahren in den USA. Mit dem Aufkommen von Smartphones und Co. ging die Firma bankrott, um wenige Jahre darauf ein Comeback zu erleben.
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