Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

Demokratie: Meine erste Demo: Neun Menschen erzählen, was sie antreibt

Tausende Menschen haben in München gegen Rechtsextremismus demonstriert.
Demokratie

Meine erste Demo: Neun Menschen erzählen, was sie antreibt

    • |

    Doris Rehle, 67, mit Bernd Rehle, 79 Jahre, München:

    "Nachdem 'Correctiv' über ein Geheimtreffen von Rechtsextremisten in Potsdam recherchiert hatte und die Medien jetzt davon berichteten, war für meinen Mann Bernd und mich klar, dass für uns Grenzen überschritten wurden und wir nicht tatenlos bleiben können. Mein Mann las dann von der geplanten Demonstration beim Siegestor und beschloss, zum ersten Mal in seinem bald 80-jährigem Leben, daran teilzunehmen. Und obwohl ich nie im Leben gedacht hätte, dass ich einmal zu einer

    Doris und Bernd Rehle
    Doris und Bernd Rehle Foto: privat

    Wir haben uns also aufgemacht und sind bis zum Siegestor gekommen. Wir hätten nicht gedacht, dass sich da so eine riesige Masse versammelt, wir waren verblüfft – und für eine Dreiviertelstunde waren wir mit dabei. Was wir schön fanden: Wir haben bei der Demo erstaunlich viele Menschen in unserem Alter gesehen, teilweise noch ältere Leute, manche hatten sich sogar trotz Gehbehinderung auf den Weg gemacht. Aber von Jung bis Alt waren alle Generationen vertreten, auch viele Familien waren zu sehen. Eltern haben ihre Kinder auf den Schultern getragen. Allerdings ist lautes Skandieren in der Gruppe nicht unser Stil, manche harten Parolen und Suggestivfragen von manchen Rednern auf der Bühne haben uns ein bisschen irritiert. Damit fühlen wir uns nicht so wohl. Da waren auch vereinzelt sehr weit links orientierte Gruppen, Demonstranten mit den Antifa-Fahnen, das sind nicht die Gruppen, mit denen wir uns identifizieren. 

    Aber das war für uns und unsere Erfahrung nur Beiwerk. Die überwiegende Zahl der Demonstranten und Demonstrantinnen kam aus der bürgerlichen Gesellschaft, es war ein Protest aus der Mitte heraus. Und das fanden wir gut, richtig und beeindruckend."

    Kerstin Weichenhain, 55, Einzelhändlerin, Seesen:
    "Bei der AfD hatte ich in den letzten Jahren schon immer ein mulmiges Gefühl, aber sie war – obwohl schon immer weit rechts - noch im legalen Bereich. Was jüngst aber in Potsdam geschehen ist, hat mich komplett entsetzt. Mit den Deportationsplänen ist für mich eine rote Linie überschritten worden. Ich fürchte außerdem, dass die

    Kerstin Weichenhain
    Kerstin Weichenhain Foto: privat

    Seit den Vorfällen in Potsdam war ich zweimal auf Demonstrationen in Hannover – zum ersten Mal seit Langem wieder, mein Mann war überhaupt zum ersten Mal auf einer Demo. Diesen Samstag fahren wir nach Hildesheim. Bei den Demos habe ich einen guten Querschnitt der deutschen Bevölkerung wahrgenommen: Menschen mit Migrationshintergrund und ohne, Familien, Menschen mit Kindern und Hunden, sogar ältere Leute mit Rollatoren, die jetzt sicherlich nicht im Ruf stehen, ständig auf die Straße zu gehen. Obwohl die Leute erregt sind, dass in Potsdam diese Linie überschritten wurde, war die Stimmung unfassbar friedlich.

    Ich werde jetzt auf jede Demonstration gehen, die in meiner Nähe stattfindet und verbinde damit einen klaren Auftrag: Die demokratischen Parteien müssen, pardon, ihren Hintern bewegen und vernünftige Politik machen. Das ist das Einzige, womit man den Verein aufhalten kann. Wichtig ist aber auch, dass die, die jetzt auf den

    Susanne Beck, 60, Familientherapeutin, Augsburg:

    "Warum das meine erste Demo war? Weil ich bislang nie so eine Dringlichkeit verspürt habe, mich zu positionieren, aber jetzt ein übermächtig starkes Bedürfnis hatte, aufzustehen gegen rechts und dafür auf die Straße zu gehen. Was nun ans Licht gekommen ist, das Geheimtreffen von Neonazis, hochrangigen AfD-Politikern und Unternehmern, deren Pläne zur Remigration, hat mich wirklich sehr erschreckt. Vor allem weil mir bewusst ist, wie sich bei einem Erfolg der AFD solch krude Vorstellungen in Form von Gesetzesänderungen manifestieren könnten, die rechte Realität also komplett im Alltag ankommen würde. 

    Susanne Beck
    Susanne Beck Foto: privat

    Was ich dann bei der Kundgebung in München wirklich unglaublich fand, war zu sehen: Mensch, wir sind echt viele. Das war ein erhebendes Gefühl. Einen zwiespältigen Eindruck hat bei mir hinterlassen, was bei den Reden übers Mikrofon gesagt wurde. Das fand ich teilweise zu plakativ und zu wenig differenziert, auch bei Sprechchören wie "

    Ich werde sicher demnächst wieder demonstrieren und überlege auch, ob man nicht etwas im Kleinen organisieren könnte. Zum Beispiel in meinem Augsburger Stadtteil Pfersee. Also nicht nur andere machen lassen und davon partizipieren, sondern auch Eigeninitiative zeigen. Es wäre toll, wenn aus dieser Bewegung der Mitte etwas Größeres entstehen könnte, vielleicht sogar wie einst bei Friday for Future über die Grenzen hinaus, und das Ganze nicht nur ein Strohfeuer bleibt. Ich würde jetzt übrigens auch auf die Straße gehen, wenn es eine Demonstration gegen die Bahnstreiks gäbe, die finde ich wirklich unsäglich."

    Mike Couball, 66, Rentner, Aichach:

    "Es war aufregend, zum ersten Mal an einer Demonstration teilzunehmen. Auf manchen Plakaten standen Sprüche, die ich nicht teile. Ich war auch nicht mit allem einverstanden, was die Rednerinnen und Redner gesagt haben, aber dann habe ich eben einfach nicht mitgeklatscht. Ich bin ja nicht wegen ihnen hingegangen, sondern um ein Zeichen zu setzten, weil ich das Gefühl habe, dass wir immer weiter nach rechts driften. 

    Mir macht das Angst. Man hat doch aus der Geschichte gelernt und weiß, dass sich das nicht wiederholen darf. Man muss rechten Tendenzen frühzeitig etwas entgegensetzen. Ich bin für ein breites Parteienspektrum, aber die AfD hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter radikalisiert. Die Enthüllungen über das Geheimtreffen in Potsdam und die Deportationspläne haben mir das noch mal deutlich vor Augen geführt. Extremistische Tendenzen dürfen wir als Gesellschaft nicht tolerieren. 

    Meine Frau sitzt für die SPD im Stadtrat, wir reden viel über Politik und ich engagiere mich seit einiger Zeit im Ortsverband der AWO gegen Ausgrenzung. Umso wichtiger war es mir jetzt, gegen rechts aufzustehen. Vielleicht tragen die Demonstrationen dazu bei, dass Menschen, die aus Protest die AfD gewählt haben, es sich beim nächsten Mal anders überlegen und wieder mehr in die Mitte der Gesellschaft zurückgeholt werden. Damit wäre schon viel gewonnen. 

    Bei der Demonstration in München dabei zu sein, war eine wichtige Erfahrung. Wohin ich geschaut habe, überall waren Menschen und es wurde immer enger. Es war ein beklemmendes Gefühl und bei dem Gedanken, dass ich keine Chance habe, da jetzt einfach rauszukommen, musste ich kurz schlucken, aber es verlief alles friedlich und wenn es der Sache dient, muss man auch mal Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen. 

    Ich kann verstehen, wenn ältere Menschen nicht an den Protesten teilnehmen, weil es anstrengend ist, lange in der Masse zu stehen, aber ich bin froh, dass ich hingegangen bin. Denn all die Menschen zu sehen, die für die gleiche Sache einstehen, hat mir Mut gemacht. Ich werde jetzt häufiger demonstrieren, wenn es darum geht, ein Zeichen gegen rechts zu setzen. Am heutigen Samstag sind Proteste in Aichach geplant, da bin ich dabei und habe auch schon ein Plakat gemalt."

    Jürgen Schmitt, 49, Content Creator Finanzindustrie, Frankfurt:

    "Unsere Demokratie war noch nie so gefährdet wie jetzt. Das haben mir die Enthüllungen der 'Correctiv'-Recherche rund um das Geheimtreffen in Potsdam deutlich gemacht. Deshalb habe ich mit 49 Jahren das erste Mal überhaupt an einer Kundgebung teilgenommen: 'Frankfurt gegen AfD und Rechtsruck'. Früher habe ich ländlich gewohnt, dort bin ich nie mit Demonstrationen oder Protesten in Berührung gekommen. Zudem war für mich bisher kein Thema brisant genug, um auf die Straße zu gehen. Jetzt war es aber dringend nötig, ein Zeichen gegen rechts zu setzen.

    undefined
    Foto: Jürgen Schmitt, privat

    In Frankfurt war es sehr voll, darauf habe ich allerdings auch gehofft. Ich bin nur einer von Millionen, die aktuell auf die Straßen gehen – dieser gesellschaftliche Zusammenhalt gibt mir ein gutes Gefühl. Ohne mich zu verabreden, habe ich viele Bekannte getroffen und gute Gespräche geführt. Da es meine erste Demonstration war, habe ich mich erst einmal in der Menge treiben lassen und Eindrücke gesammelt. Die Sprechgesänge habe ich beispielsweise nicht erwartet. Meine einzige Vorbereitung war das zweite Paar Socken, das ich mir wegen der eisigen Temperaturen angezogen habe.

    Jürgen Schmitt hat mit 49 Jahren zum ersten Mal an einer Kundgebung teilgenommen. In Frankfurt hat er gegen die AfD und den Rechtsruck demonstriert.
    Jürgen Schmitt hat mit 49 Jahren zum ersten Mal an einer Kundgebung teilgenommen. In Frankfurt hat er gegen die AfD und den Rechtsruck demonstriert. Foto: Jürgen Schmitt, privat

    Wenn es um den Kampf gegen Rechtsextremismus geht, werde ich ab jetzt immer wieder an Demonstrationen teilnehmen. Ich habe die AfD anfangs als Randgruppe gesehen und unterschätzt – damit ist jetzt Schluss. Ein paar Proteste werden aber leider nicht reichen, um AfD-Wählerinnen und -Wähler umzustimmen. Ich hoffe vor allem, dass die Kundgebungen ein unmissverständliches Signal an die Politik sind. Es sind Politiker, die am meisten bewirken können. Unabhängig davon kann ich aber meinen Beitrag leisten, indem ich auf die Straße gehe." 

    Pauline von Erffa, 20, Studentin, Halle

    "Ich bin am Samstag in Halle bei der Demonstration gegen rechts mitgelaufen, zusammen mit meinen WG-Mitbewohnern. 16.000, mit so vielen Menschen hatte wohl niemand gerechnet. Ich glaube, auch die Organisatoren sind überrascht worden, da lief nicht alles perfekt. Selbst wenn man zum Beispiel wie ich relativ weit vorne stand, hat man von den Sprechbeiträgen nur wenig verstanden, weil es keine Lautsprecher gab. 

    Pauline von Erffa
    Pauline von Erffa Foto: privat

    Natürlich waren vor allem sehr viele junge Leute unterwegs, viele Studenten, mit zum Teil auch sehr kreativen und lustigen Plakaten. Aber was mich positiv überrascht hat, war dann doch, wie viele ältere Menschen auf der Straße waren. Damit hatte ich hier in Halle nicht gerechnet. 'Omas gegen rechts' zum Beispiel. Es war schön zu sehen, dass wir Jungen da nicht alleine kämpfen. Dass ich nun zum ersten Mal demonstriert habe, liegt natürlich an den aktuellen Gegebenheiten. Ich glaube es ist gerade wirklich wichtig, für unsere Demokratie Präsenz zu zeigen. Und dann hat es diesmal auch einfach gut gepasst: richtige Zeit, richtiger Ort. Ich kann mir vorstellen, dass da gerade etwas entsteht und die Demos nun regelmäßig stattfinden – und dann laufe ich auch wieder mit."

    Heidi Drescher, 72, Rentnerin, Estenfeld

    "Ich bin wirklich in großer Sorge um unsere Demokratie. Sie wird von der AfD, aber auch von anderen Gruppen und Verschwörungstheoretikern immer stärker unterwandert und zersetzt. Das ist weit fortgeschritten und ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Deshalb sind mein Mann und ich – über dreißig Jahre nach meiner letzten Demonstration gegen den Golfkrieg, aber das zählt ja schon fast nicht mehr, so lange ist das her – auf die Straße gegangen. Ich wollte selbst etwas tun, nicht nur abwarten und zuschauen. Wir können uns jetzt nicht mehr in der Komfortzone aufhalten und müssen raus, die Demokratie verteidigen! Wir haben die Generation meines Vaters gefragt: 'Wie konnte es sein, dass ihr nichts von den Nazi-Verbrechen gewusst habt?' Ich möchte selbst nicht irgendwann gefragt werden: 'Was habt ihr eigentlich dagegen getan?' Wir müssen uns rechtzeitig wehren. Ich vermute, das Programm der AfD ist den wenigsten bekannt. Es muss transparent gemacht werden, was diese Leute wirklich wollen. 

    Heidi Drescher
    Heidi Drescher Foto: Andreas Jungbauer

    Die Demo hat mir unglaublich gutgetan: So viele Menschen, die fühlen wie ich und die Sorge haben, dass gerade etwas aus dem Ruder läuft. Dass so viele für die Demokratie aufstehen, das macht mir Mut. Natürlich sind wir bei weiteren Demos dabei: Wir dürfen nicht nachlassen, es fängt doch gerade erst an!" 

    Cedric Heil, 43, leitender Angestellter aus München

    "Ich verfolge die Politik, lese viel, diskutiere mit Freunden. Aber außer wählen zu gehen, habe ich mich bisher politisch nicht engagiert. Die Demo am Sonntag in München, bei der ich mit meiner Familie war, war meine erste Demo überhaupt. Ein Auslöser für mich war das Geheimtreffen von Potsdam. Früher dachte ich: Manche Dinge passieren nur in Agentenfilmen. Mitzubekommen, dass so etwas in der Realität geschieht, macht mir Angst. Da sind gewisse geschichtliche Parallelen zu erkennen, eine gefährliche Entwicklung. Ich will einfach früh sagen: 'Nein, so nicht. Das will ich nicht.' Aber das kriegt niemand mit, wenn ich mich nur hier im Wohnzimmer aufrege. 

    Cedric Heil
    Cedric Heil Foto: privat

    Ich würde mich als politisch links einordnen. Mich treibt die Ungerechtigkeit der Gesellschaft um: Wie man geboren ist, bestimmt immer noch den Werdegang. Das ist nicht richtig. Auch die Diskussion um Migration ist aus meiner Sicht vor allem eine soziale Frage. Generell wird das Thema Migration sehr negativ diskutiert, es geht um Risiken, Abschottung. Dabei ist Zuwanderung auch eine Riesenchance! Ich habe in Südafrika studiert. Da läuft auch nicht alles super, aber sie sind stolz darauf, sich 'Rainbow Nation' zu nennen. Wir in Deutschland haben die Schönheit der Vielfalt nicht erkannt. Das finde ich schade. 

    Wenn die Leute jetzt für Vielfalt und Demokratie auf die Straße gehen, ist das toll. Da ist ein Riesenpotenzial. Aber es muss immer erst was passieren, damit eine Reaktion entsteht. Ohne diese Potsdam-Geschichte hätte es nie im Leben solche Proteste gegeben. Die Welt dreht sich so schnell, dass wir auch schnell wieder vergessen. Wichtiger, als einmal auf eine Demo zu gehen, ist, ständig und mit allen über diese Dinge zu sprechen. Vielleicht schafft man es, bei einer Person etwas zu verändern."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden