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Das Geheimnis hinter der Schweizer Präzision: Züge, Uhren und Landkarten

Die Eidgenossen stehen für Präzision. Ein Besuch in der Schweiz.
Lernen von den Nachbarn

Pünktliche Züge, Landkarten und teure Uhren: Warum Schweizer so präzise sind

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    Der Eurocity nach Zürich ist so überfüllt, dass in den Gängen die Passagiere auf dem Boden sitzen müssen. Die meisten von ihnen sind jung, umklammern ihre Tasche und schauen auf einen Bildschirm. Um 19 Uhr trifft der Zug in der Tessiner Stadt Bellinzona ein. Vom Gleis 1 des Bahnhofs steigen Passagiere zu, irren hektisch durch die Gänge auf der Suche nach einem Sitzplatz. Emmanuel Grossi hat einen ergattert. Der 22-Jährige ist schon in Lugano zugestiegen und tippt auf seinem Tablet. Vom Trubel bekommt er wenig mit. Normalerweise sei der Zug um die Uhrzeit nicht so voll, nach dem verlängerten Wochenende fahren viele Kurzurlauber wieder in Richtung Norden, vermutet er.

    Der Zug rauscht an der malerischen Landschaft vorbei, die aussieht, als sei sie einem Reiseprospekt entsprungen. Die Fahrgäste ratschen, was draußen passiert, interessiert die wenigsten. Dann, kurz vor Biasca kommt der Zug zum Stehen. Beunruhigt ist niemand, von dem plötzlichen Halt lassen sich die Reisenden nicht beirren. Dass es womöglich zu einer Verspätung kommen könnte, scheint kaum denkbar.

    Der Intercity von Lugano nach Zürich durchquert fast das gesamte Tessin.
    Der Intercity von Lugano nach Zürich durchquert fast das gesamte Tessin. Foto: Nicolas Friese

    2022 waren über 96 Prozent der Schweizer Züge pünktlich

    Verspätung in der Schweiz? Ist das überhaupt möglich? Schon immer war ein funktionierendes, und vor allem pünktliches Bahnnetz eines der Aushängeschilder der Eidgenossen. Schweizer Züge sind pünktlich und bringen die Passagiere zuverlässig von A nach B. Das ist kein Mythos: Das Portal Zugfinder hat Verspätungsdaten ausgewertet, 2022 war die Schweiz europaweiter Spitzenreiter. 96,3 Prozent der Züge waren pünktlich, hatten also weniger als drei Minuten Verspätung. Zum Vergleich: Laut einer Auswertung des Bundesverkehrsministeriums kam in Deutschland fast jeder dritte Reisende im Fernverkehr mindestens 15 Minuten später als geplant am Zielort an.

    Wie schaffen es die Schweizer Bundesbahnen, so pünktlich, so präzise zu sein? Wenn es jemanden gibt, der es weiß, ist es Peter Füglistaler. Der 65-Jährige war von 2010 bis 2024 Direktor des Schweizer Bundesamts für Verkehr (BAV). Füglistalers Amt ist in Deutschland mit einem Staatssekretär vergleichbar. Während seiner Amtszeit kritisierte er oft die Schweizer Bahnen und nahm dabei kein Blatt vor den Mund: Kürzlich erst teilte er gegen den Schweizer ÖPNV aus, sagte, die Verantwortlichen hätten ob des stetig anschwellenden Subventionsregens „das Verhältnis zu Geld verloren".

    Die Schweiz investiert Milliarden in ihr Schienennetz

    Füglistaler, dunkelblauer Anzug und grauer Dreitagebart, bezeichnet sich selbst als „Bahnliebhaber". Hinter dem Schreibtisch seines Büros im Norden Berns hängt ein Bild der „British Railway", auf dem Schienenleger bei der Nachtschicht abgebildet sind. Bevor er beim BAV anfing, arbeitete er für die Schweizer Bundesbahnen (SBB). Auf die Frage, ob ihm als erster Begriff „Präzision" einfällt, wenn er an die Bahnen in der Schweiz denkt, antwortet er: „Nicht ganz." Er glaube, Pünktlichkeit passe besser. Nun gut, aber warum sind die Schweizer Züge so präzise, ähh pünktlich? „Meiner Meinung nach sind es zwei Elemente: Das erste ist Geld." Investiert wurde in den vergangenen Jahren zuhauf in die Bahn. Genauer gesagt flossen 2022 laut der Eidgenössischen Finanzverwaltung 5,8 Milliarden Franken in den Schienenverkehr und den öffentlichen Verkehr. Ein Großteil davon kommt aus einem Bahninfrastrukturfonds, den es in der Schweiz bereits seit 2016 gibt. Im August des vergangenen Jahres gab der Schweizer Bundesrat bekannt, man wolle den Etat um 2,7 Milliarden pro Jahr abermals erhöhen.

    Zum Vergleich: Auch Deutschland investiert, besonders im vergangenen Jahr, immer mehr in die Bahn und die Infrastruktur. Im September kündigte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) an, man wolle bis 2030 für die Streckensanierung 40 Milliarden Euro ausgeben. Diese sogenannte "Korridorsanierung" nimmt Füglistaler zwar positiv wahr. Es sei jedoch kein Schritt voraus, sondern etwas „was man machen muss, was für ein tragendes Netz der Zukunft alternativlos ist."

    Nach fast 15 Jahren im Amt tritt Peter Füglistaler zurück. Im Ruhestand, so sagt er, werde er der Schweizer Bahn als Kunde treu blieben.
    Nach fast 15 Jahren im Amt tritt Peter Füglistaler zurück. Im Ruhestand, so sagt er, werde er der Schweizer Bahn als Kunde treu blieben. Foto: Nicolas Friese

    Direktor des Schweizer Bundesamts für Verkehr: „Wir sind traditionell ein Bahn-Land"

    Der zweite Grund, warum der Schienenverkehr in der Schweiz so gut funktioniere, sei die Passion, die dahintersteckt. „Wir sind traditionell ein Bahn-Land", sagt Füglistaler. Schon immer habe der Schienenverkehr in der Schweiz einen hohen Stellenwert gehabt, die Weichen in der Politik seien früh „pro-Bahn" gestellt worden. Deutschland hingehen, so sagt es Füglistaler, sei ein Auto-Land, in dem die Straße einen höheren Stellenwert genieße als die Schiene. „Bis die Bahn in Deutschland das aktuelle Niveau der Schweizer Bahnen erreichen wird, dauert es 20 bis 25 Jahre", schätzt Füglistaler. Konkret heißt das: Die Schweiz verfolgt seit 1982 einen Taktfahrplan, die Deutsche Bahn verschob den „Deutschlandtakt“ auf 2070.

    Nach einem kurzen Halt vor dem Gotthard-Basistunnel nimmt der Eurocity wieder Fahrt auf. Man habe warten müssen, bis ein vorausfahrender Zug die Gleise freigemacht habe, heißt es vom Zugbegleiter. Die Reisenden bleiben gelassen. Man gehe davon aus, der Zug komme ohnehin pünktlich an, sagt Emmanuel Grossi. Auch wenn das mit dem Gotthard-Tunnel so eine Sache ist: Im August vergangenen Jahres entgleiste dort ein Güterzug wegen eines Radbruchs. Seitdem ist eine Röhre gesperrt, bis Ende 2024 fahren nur vereinzelte Züge. Daraufhin war der Aufschrei groß: Vor allem Studierende und Pendler befürchteten längere Fahrtzeiten.

    Konservatorin der Swisstopo: "Kartografen waren früher richtige Abenteurer"

    Das Gotthardmassiv, an der Grenze zu den Kantonen Uri, Wallis, Tessin und Graubünden gilt als einer der zentralen Knotenpunkte der Alpen. Zudem entspringen hier, an einer der wichtigsten Wasserscheiden Europas, Flüsse wie die Reuss, der Ticino oder der Rhein. Es ist diese geologische Vielfalt, die Geologinnen und Kartografen seit dem Mittelalter fasziniert. Wie scharfkantige Haifischzähne ragen die Berge in den Himmel, dahinter unbekanntes Terrain. Die Alpen mussten bedrohlich gewirkt haben für die Menschen auf den Almen und Sennereien. Also begannen sie, alles auf den Zentimeter genau zu bemessen. Die ersten Kupferstich-Karten aus den Schweizer Alpen sind aus dem Jahr 1550. 

    „Kartografen waren damals richtige Abenteurer", sagt Lea Dauwalder. Dauwalder ist Konservatorin und Restauratorin an der Swisstopo, dem Geoinformationszentrum der Schweiz. General Guillaume Henri Dufour bekam Anfang des 19. Jahrhunderts den Auftrag, die ganze Schweiz zu vermessen. Was zunächst eine militärische Maßnahme war, wird sehr früh der Öffentlichkeit zugänglich. "Die Dufourkarte ist Teil der Identität vieler Schweizer", sagt Christoph Streit, der an der Swisstopo die Kartografie leitet.

    Der Gotthardbasistunnel: ein Aushängeschild Schweizer Präzision

    Die historische Schweizer Kartografie setzte sich zu Dufours Zeiten vor allem durch ihre Waghalsigkeit ab, heute ist es die Genauigkeit und Präzision der Mitarbeitenden. „Was auf den Millimeter genau gemacht werden kann, wird auf den Millimeter genau gemacht", sagt der Leiter der Topografie, Emanuel Schmassmann. Die Klimakrise sorgt an der Swisstopo stetig für Arbeit: tauender Permafrost, sich verschiebende Wasserscheiden, Erosion. Aber auch bauliche Veränderungen wie neue Gebäude, Straßen oder Schienen erfasst das Team. Die Karten, die in Bern entworfen und gedruckt werden, haben eine genauere Auflösung als Google Earth.

    Eine Mitarbeiterin der Swisstopo kontrolliert ein 3D-Modell der Schweiz.
    Eine Mitarbeiterin der Swisstopo kontrolliert ein 3D-Modell der Schweiz. Foto: Rosaria Kilian
    Historische Landkarten werden in der Swisstopo in Bern unter Schutzatmosphäre erhalten. Restauratorin Lea Dauwalder sucht nach einer Karte des Tessins.
    Historische Landkarten werden in der Swisstopo in Bern unter Schutzatmosphäre erhalten. Restauratorin Lea Dauwalder sucht nach einer Karte des Tessins. Foto: Rosaria Kilian

    Die Schweizer Bundesbahnen greifen für die Planung ihres Schienennetzes auf die Geodaten der Swisstopo zurück, sagt Topograf Schmassmann. Besonders für baulich anspruchsvolle Projekte im Tunnelbau sind sie auf die Millimeterarbeit der Swisstopo angewiesen. Der Bau des Gotthardbasistunnels ist eines der Aushängeschilder Schweizer Präzision. Nach siebzehnjähriger Bauzeit 2015 fertiggestellt, verbindet er die nördliche Schweiz mit dem Tessin, er ist ein Portal in den Süden. Alexander Grass hat den Bau von Anfang an begleitet. Als Journalist für den Schweizer Rundfunk berichtete er aus dem italienischsprachigen Teil der Schweiz, oftmals schloss er sich den Arbeite(r)n im Tunnel an.

    Er kehrt an den Ort zurück, an dem er 2010 beim Durchbruch dabei war. Neben ihm stehen zwei Tunnelbohrmaschinen, Heidi und Sissi heißen sie. Wie zwei stählerne Riesenwürmer frästen Heidi und Sissi sich durch das Aar-Massiv. Unglaubliche 28 Millionen Tonnen Gestein förderten sie während der Bauzeit zutage.

    Der Gotthardbasistunnel ist der längste Eisenbahntunnel der Welt

    Durch die Löcher, die die Maschinen im Berg hinterließen, und durch die das Material aus dem Felsen heraus transportiert wurde, kroch Grass damals. Er erinnert sich, wie kurz nach dem Durchbruch die ersten Sonnenstrahlen von der anderen Seite durchschienen. Nach fast vier Jahren kam die Tunnelbaumaschine nach einer ausgehöhlten Strecke von 13,5 Kilometern mit einer Abweichung von nur wenigen Zentimetern am Ende des Tunnelabschnitts an. „Es war ein gewaltiges Projekt", sagt er, „unter anderem, weil so viele Arbeiter aus verschiedenen Ländern gekommen waren." Denn in der Schweiz, in dem Land, das weithin für seinen Tunnelbau bekannt ist, das mit dem Gotthard-Tunnel den weltweit längsten Eisenbahntunnel gebaut hat, gibt es keine Möglichkeit, sich zum Tunnelbauer ausbilden zu lassen. Geklappt hat es mit dem Gotthard-Tunnel trotzdem.

    Oft ist Alexander Grass nicht mehr am südlichen Ende des Gotthardtunnels. Ende April begutachtet er die Maschine, die sich durch das Aar-Massiv fräste.
    Oft ist Alexander Grass nicht mehr am südlichen Ende des Gotthardtunnels. Ende April begutachtet er die Maschine, die sich durch das Aar-Massiv fräste. Foto: Nicolas Friese
    Minenarbeiter aus vielen verschiedenen Nationen feiern am 6. September 2006 den Durchbruch des östlichen Gotthardbasistunnels in Faido.
    Minenarbeiter aus vielen verschiedenen Nationen feiern am 6. September 2006 den Durchbruch des östlichen Gotthardbasistunnels in Faido. Foto: Martin Ruetschi, dpa

    Und auf den sind die Schweizer mächtig stolz: Zur Einweihung 2016 wurden Staatsoberhäupter aus den Nachbarländern eingeladen, die durch das 57 Kilometer lange Portal reisen durften. Sowohl im Norden als auch im Süden gab es große Feiern, bei denen auch die unzähligen Arbeiter gewürdigt wurden. Wegen seiner herausfordernden Topografie sieht der Untergrund der Schweiz in Teilen des Landes aus wie ein Schweizer Käse. Und Schluss ist mit der Tunnelbauwut der Eidgenossen noch lange nicht.

    Das nächste Mega-Logistikprojekt der Schweizer ist ein unterirdisches Tunnelsystem namens „Cargo sous terrain“. 2031 sollen die ersten automatisierten Wagen in 30 Meter Tiefe Güter durch die Schweiz transportieren. Nach den Plänen des Unternehmens fahren eines Tages Kabinen auf insgesamt 500 Streckenkilometern im Gebiet zwischen Bodensee und Genfersee. Das Schienennetz soll komplett digitalisiert betrieben werden – das erfordert Präzision in besonderem Maße. Schweizer Medienberichten zufolge steht das Projekt allerdings vor mehreren ungeahnten Problemen.

    Eine Schweizer Luxusuhr kostet im Schnitt 5.500 Franken

    Dort, wo sich unter Tage mit Akribie um eine moderne Art und Weise des Gütertransports bemüht wird, setzen überirdisch Unternehmen auf ein etabliertes, aber nicht minder Präzision erforderndes Handwerk. Am Fuße des Jura liegt Biel, die größte zweisprachige Stadt der Schweiz – und die Wiege der Schweizer Uhrmacherei. Rolex, die wohl bekannteste Luxus-Uhrenmarke der Welt, fertigt hier seine mechanischen Uhren. Das Stadtbild dominiert allerdings ein anderer Hersteller. Wie eine träge Schlange liegt das Firmengebäude der international agierenden Swatch-Group im lieblichen Aaretal. Cité du Temps, also Stadt der Zeit, heißt die Bieler Firmenzentrale.

    Mit dem Firmengebäude des japanischen Architekten Shigeru Ban bringt die Uhren-Firma Swatch internationales Flair ins beschauliche Biel. Links im Bild der wohl einzige Uhren-Drive-In der Welt.
    Mit dem Firmengebäude des japanischen Architekten Shigeru Ban bringt die Uhren-Firma Swatch internationales Flair ins beschauliche Biel. Links im Bild der wohl einzige Uhren-Drive-In der Welt. Foto: Rosaria Kilian

    Der japanische Star-Architekt Shigeru Ban hat dem Uhrenkonglomerat mit dem eindrucksvollen Gebäude ein Denkmal gesetzt. Neben Swatch gehören beispielsweise auch die Marken Omega und Tissot zur Gruppe. Die Uhren von Omega waren mit der Nasa auf dem Mond und mit James Bond auf der Kinoleinwand. Zahlreiche Museen, der wohl weltweit einzige Uhren-Drive-In in der Optik eines US-amerikanischen Fast-Food-Restaurants, ein Skulpturenpark: In Biel wird man an jeder Ecke an die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung der Uhrenindustrie erinnert.

    Darum siedelten sich Uhrmacher in der Schweiz an

    Uhren sind ein Schweizer Exportschlager. Laut Zahlen des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) verzeichnete die Schweizer Uhrenindustrie 2023 ein Export-Hoch von 26,7 Milliarden Franken. Den Weg in den deutschen Markt finden immer weniger Uhren. An der Spitze der wichtigsten Märkte für den Verkauf von Schweizer Uhren sind die Vereinigten Staaten, vor China und Hongkong. Für eine Omega-Uhr mit dem Siegel „Made in Switzerland“ geben Kundinnen und Kunden laut einer Studie des Schweizer Beratungsunternehmens Luxeconsult im Schnitt 5.500 Franken aus. Purer Luxus. Für echte Begeisterung, heißt es aus dem Hause Omega, brauche es ein Produkt, dessen Perfektion man spürt. Diese Präzision liege in der DNA der Marke, die auf einer langen Tradition Schweizer Uhrmacherkunst fuße.

    Werden mit Samthandschuhen angefasst: Drei Uhren der Schweizer Firma Omega.
    Werden mit Samthandschuhen angefasst: Drei Uhren der Schweizer Firma Omega. Foto: Georgios Kefalas, dpa

    Der Ursprung der Uhrmacherei liegt ausgerechnet in der protestantischen Vergangenheit der Schweiz. Der puritanische Reformator Johannes Calvin ließ im Genf des 16. Jahrhunderts Schmuck verbieten. Calvin hielt es für frevelhaft, sich mit Gold und Geschmeide zu behängen. Uhren hingegen, das sah Calvin ein, sind nötig, um pünktlich zum Gottesdienst zu erscheinen. Die findigen Schweizer Juweliere legten daraufhin ihr Geschäft mit den Uhrmachern zusammen und statteten die Schweizerinnen und Schweizer mit schmuckvoll gestalteten Uhren aus.

    In einem Schweizer Uhrengehäuse ist nichts dem Zufall überlassen

    Die Uhrmacher siedelten sich entlang des Jura an. Nahe der französischen Grenze fand die Uhrenindustrie dort eine bäuerlich geprägte Region mit günstigen Arbeitskräften vor. Rasch entwickelte sich ein eigenständiger Wirtschaftszweig, Ende des 18. Jahrhunderts exportierte die Schweiz bereits jährlich 60.000 Uhren in die Nachbarländer. La Chaux-de-Fonds und Le Locle, zwei Städte im Drei-Seen-Land, erkannte die Unesco 2009 als monoindustrielle Handwerksstädte als Weltkulturerbe an.

    Wahre Präzisionsarbeit leistet dieser Uhrmacher in Biel.
    Wahre Präzisionsarbeit leistet dieser Uhrmacher in Biel. Foto: Rosaria Kilian

    „Nicht die Größe einer Armbanduhr macht sie stark, sondern die Großartigkeit ihres Mechanismus“, lautet ein Werbespruch des Unternehmens Omega aus dem Jahr 1929. Auf 34 bis 42 Millimetern Uhrengehäuse ist nichts dem Zufall überlassen. Jedes kleinste Detail, jedes Material, jede Legierung erfülle einen Zweck. Ins Innere des Uhrwerks etwa sind kleine, glänzende Steine eingelassen. Sehr früh entdeckten Uhrmacher, dass strategisch positionierte Edelsteine die reibungslose Funktion einer Uhr optimierten. Die harten Edelsteine nämlich verringern die Reibung zwischen den Metallteilen und erhöhen damit die Lebensdauer und Präzision der Uhr.

    Die Präzision, die Ganggenauigkeit, einer mechanischen Uhr wird anhand von zwei Faktoren gemessen: Der Genauigkeit und der Geschwindigkeitsstabilität. Dafür gibt es in der Schweiz aufwendige, sogenannte chronometrische Tests, bei denen sich die Hersteller jedes Jahr gegenseitig überbieten. Mit offiziellen staatlichen, aber auch selbstauferlegten Qualitätsstandards versuchen die Schweizer Luxus-Uhren-Marken ihren Rang und ihr Ansehen in der Welt zu verteidigen.

    Präzision hat in der Schweiz eine lange Tradition

    Geld für innovative Projekte, Passion und der Wille, immer das Optimum aus den Gegebenheiten herauszuholen. Von den Kartografen, die jeden unwegsamen Zentimeter des Alpenstaats vermaßen, zu den ausgefuchsten Uhrmachern im Jura und den Tunnelgräbern am längsten Bahntunnel der Welt. Präzision hat in der Schweiz eine lange Tradition.

    Der Eurocity taucht aus dem Schlund des Tunnels auf, vor dem Fenster weicht das hochalpine Bergpanorama dem Schweizer Mittelland mit seinen zahlreichen Seen. Um 20.45 Uhr fährt der Eurocity in den Zürcher Hauptbahnhof ein. Pünktlich natürlich. Für Emmanuel Grossi geht es weiter nach Bern, wo er studiert. Zum Umsteigen hat er nur wenige Minuten, die reichen aber.

    Dieser Text ist Teil der AZ-Sommerserie „Lernen von den Nachbarn“. Alle weiteren Artikel finden Sie hier.

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