Madeleines Angst vor den Tieren spielt ab der ersten Seite eine Rolle. Die Ich-Erzählerin im Teenageralter wächst zusammen mit ihrer Schwester und Mutter auf dem Land im Mecklenburg-Vorpommern nach der Wende auf. Während die Mutter ihren antikapitalistischen Traum auf dem Land verwirklicht und sich mehr für Tiere einsetzt als für ihre eigene Familie, müssen die Kinder in dem Chaos zu Hause lernen, ihren Platz zu finden.
Alina Herbing schreibt über die Region, in der sie aufgewachsen ist
In einem Anwesen nahe Lübeck baut die anfangs sechsköpfige Familie ihr autarkes Leben auf. Was nach dem Traum von einem besseren Leben klingt, entpuppt sich als zunehmende Herausforderung: ein langsam verfallendes Haus, Wildschweine und Ziegen, die den Garten ruinieren. Ein Zimmer, in dem wilde Katzen leben, Mäuse und Ratten in der Scheune. Und eine Vielzahl von Hunden, die zumindest gefühlt immer mehr werden. Der Vater verlässt die Familie, die beiden Brüder ziehen ebenfalls aus. Madeleine und ihre Schwester Ronja bleiben zurück mit ihrer Mutter. Die allerdings sorgt sich lieber um Tiere als ihre Kinder, auch wenn die Hunde den Kindern Wunden zufügen.
Alina Herbing schreibt in "Tiere, vor denen man Angst haben muss", wie in ihrem Debütroman "Niemand ist bei den Kälbern", über die Region, in der sie aufwuchs. Auch ihr zweites Buch handelt von dem Spagat zwischen dem Traum der Eltern und der Wirklichkeit. Die Kinder müssen den Lebensentwurf der Mutter mittragen, was mit den eigenen Bedürfnissen eines 90er-Jahre-Teenager-Lebens kollidiert: Durch einen Quelle-Katalog blättern, von Robbie Williams träumen, Grießpudding in der Schulpause löffeln. Stattdessen melken sie Ziegen, suchen mitten in der Nacht nach einem ausgebüxten Hund und übernehmen Reparaturen am Haus.
Am Ende der Lektüre bleiben gemischte Gefühle zurück
Herbing schreibt leicht, gleichwohl präzise und hart, wie das Leben der Kinder. Mit vielen Zeitsprüngen zwischen Gegenwart und Vergangenheit trägt die Geschichte durch Madeleines Jugend im ländlichen Raum in Mecklenburg. Im Balanceakt mischt Alina Herbing prekäre Erfahrungen der Armut mit liebevollen Erlebnissen und lässt den Leser mit gemischten Gefühlen zurück.
Alina Herbing: Tiere, vor denen man Angst haben muss, Arche Literaturverlag, 256 Seiten, 23 Euro