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Buchrezension: Cho Nam-Joo: Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah

Buchrezension

Cho Nam-Joo: Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah

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    Cho Nam-Joo: Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
    Cho Nam-Joo: Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah

    In diesem Roman platzt ein ganzer Lebenstraum. Wie ein Luftballon, in den man einen Atemzug zu viel an Hoffnung und Fantasie gepustet hat. Den Knall aber? Hört man nicht beim Lesen. Es ist vielmehr eine Kette an kleinen, sehr leisen Niederlagen, die in Cho Nam-Joos „Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah“ zur Enttäuschung führen. 

    Die Roman-Heldin heißt Mani. Sie lebt in der Megametropole Seoul, unter einem Dach mit ihrem Vater (Imbiss-Betreiber ohne jeden Erfolg) und ihrer Mutter (Glucke ohne jedes Gefühl für die Grenzen der Bemutterung). Aus diesem Trott, dem Mittelschichts-Mittelmaß wollte das Mädchen Mani ausbrechen. Und als sie eines Tages ein Video sah, mit Szenen der Olympiade, erlebte sie eine Vision: „Meine Augen klebten regelrecht am Bildschirm. Sie stand am Ende des Schwebebalkens.“ Sie – die Legende Nadia Comaneci. Turn-Göttin aus Rumänien und ab diesem Tag Manis Idol für das Leben. 

    Die Heldin sortiert in Rückblenden ihre Lebenserinnerungen: Heute ist sie 36 Jahre, unverheiratet, frisch gefeuert. „In meinen Augen bist du immer noch ein kleines Mädchen“, zetert die Mutter. Aber die Welt rundum hat zu rasen begonnen. Highspeed-Kapitalismus auf südkoreanische Art: Hochhäuser sollen sprießen, wo bis jetzt Hütten stehen. Die Bosse im Viertel lassen sich schmieren, locken die Bewohner mit der Verheißung neuer Apartements aus ihren Löchern. Aber wer wird sich das leisten können? Nicht Manis Familie. 

    Die Autorin Cho Nam-Joo schrieb neun Jahre lang Drehbücher, sie verzichtet im Roman aber auf jeden Special Effect: Die Geschichte bewegt sich im kleinsten Kreis. In der kleinen Bude, in der Ich-Perspektive. Was den Roman liebenswert macht, ist sein leiser Witz mit leisem Schmerz: Die beste Freundin zertrümmert bei einer Turnübung fast Manis Nase. Die Heldin will Turnkunststücke lernen, endet aber im Aerobic-Unterricht. Und sie lernt, dass Spitzenleistung auch oft vom Kontostand abhängt. 

    Mani akzeptiert die Härten dieser Welt, sie findet ihren Frieden als Heldin im Mittelmaß: „Aus kleinen Handlungen entsteht das Leben, aus vielen Leben entsteht die Welt.“ Dass ihr Traum von Olympia platzt, ist im Rückblick nicht tragisch. Selbst Nadia Comaneci machte bald keine olympischen Sprünge mehr. „Im Laufe der Zeit waren ihr Land, seine Ideologie und ihr einstiges Leben untergegangen.“ Mit einem lauwarmen Gefühl legt man das Buch am Ende zur Seite wie die Heldin ihre Träume. Warm zumindest in der Sympathie für Mani, weil sie eine so herrlich unliterarische Figur ist, jenseits aller Fantasterei. Enttäuscht? Mani lässt sich nicht mehr täuschen. 

    Cho Nam-Joo: Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah. Kiepenheuer & Witsch, 273 Seiten, 23 Euro

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