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Buchkritik: "Liebes Arschloch" von Virginie Despentes: So viel besser als Juli Zeh

Buchkritik

"Liebes Arschloch" von Virginie Despentes: So viel besser als Juli Zeh

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    Die Autorin Viginie Despentes, 53, beeindruckt mit ihrem Debattenroman.
    Die Autorin Viginie Despentes, 53, beeindruckt mit ihrem Debattenroman. Foto: Juan Carlos Hidalgo, dpa

    Was für eine wunderbare Fügung! Gerade hat die deutsche Star-Autorin Juli Zeh mit „Zwischen Welten“ den nächsten Bestseller gelandet, indem sie hitzig geführte Gesellschaftsdebatten und die sich darin zeigende Debatten(un)kultur direkt in einem Debattenroman thematisiert: ein Abtausch von Social-Media-Nachrichten und E-Mails. Da erscheint in deutscher Übersetzung „Liebes Arschloch“, der neue Roman der französischen Bestseller-Autorin Virginie Despentes, in dem sie tatsächlich genau das Gleiche tut. Nur eben so viel besser. 

    Juli Zeh und das Rechthaben – Virginie Despentes und die Wahrhaftigkeit

    Der Unterschied ist einer, der die beiden Schriftstellerinnen ohnehin kennzeichnet, hier aber besonders zum Tragen kommt. Juli Zeh, 48, aus Bonn, Tochter eines SPD-Bundestagsdirektors, studierte Juristin und Philosophin: Sie legt ihre Bücher (mit Ausnahmen wie zuletzt „Neujahr“) als Versuchskonstruktion über die Gesellschaft an, die sich mal mehr („Unterleuten“), mal weniger („Leere Herzen“) mit Leben füllen. Wie in „Über Menschen“ führte das nun in „Zwischen Welten“ dazu, dass überdeutlich in den Vordergrund tritt, was gesagt werden soll, unterentwickelt aber bleibt die Beglaubigung dessen, es bleibt Behauptung. Das führt in Zeiten verhärteter Fronten zu einer umso gespalteneren Diskussion des Rechthabens auch über das Buch selbst.

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    Foto: Montage AZ

    Virginie Despentes, 53, aus Nancy, Tochter einer sehr links engagierten, einfachen Postangestellten und zwischenzeitlich als Prostituierte arbeitend: Sie schnitzt ihre Bücher unmittelbar aus dem Anspruch der Wahrhaftigkeit ihrer heftigen Charaktere. Das begann mit dem auch von ihr selbst verfilmten „Baise-moi“ („Fick mich“), machte sie zum Star mit der Trilogie über „Das Leben von Vernon Subutex“, in dem sich unweigerlich auch politische Entwicklungen wie der Rechtsruck in Frankreich abbildeten. 

    "Liebes Arschloch": MeToo, Altersdiskriminierung und Corona

    In diesem Verhältnis sind nun auch die Debattenromane. Zeh behauptet etwas über die Gesellschaft, bei Despentes bildet sich etwas aus dem Leben ab. Es geraten aneinander: die Schauspielerin Rebecca, über 50, einst als Diva gefeiert und nun erschüttert von der Altersdiskriminierung gegen Frauen, in die nun ein Schriftsteller gehässig auf Social Media einstimmt. Das ist Oscar, 43, dem sie dann mit der titelgebenden Anrede „Liebes Arschloch“ per Mail antwortet. Der sich als der kleine Bruder ihrer einst besten Freundin herausstellt, der sie immer heimlich verehrt hat; und der gerade zum „MeToo“-Fall wird, als Täter, auf Social-Media angeklagt von der Verlagsmitarbeiterin, die den Erfolgsautor betreute. Diese Zoé wiederum wird für ihren feministischen Kampf selbst angefeindet und bedroht – und in den Mail-Austausch zwischen Rebecca und Oscar schneiden immer wieder auch ihre Nachrichten zwischen Wut und Verzweiflung … 

    So entfaltet sich eine Gesellschaftsgeschlechterdebatte, die bald auch zu einer Corona-Maßnahmen-Debatte und zu einer Debattenkultur-Debatte wird. Aber während bei Zeh das Geschreibsel die Wirkung der Wirklichtsnähe anstrebt, geht es hier ausgefeilter, erzählerischer, deutlich literarischer um eine Wahrheit, die sich gerade auch in der Uneindeutigkeit der Positionen zeigt. Hier ringen gerade – bei allen auch mal rauen Tönen untereinander – Menschen miteinander; aber auch mit sich. Und in deren Gesellschaft lebt es sich viel lieber, auch lesend. 

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