Die Frage nach dem Alter. Spätestens ab Anfang 40 wird sie vielen Menschen unangenehm. Man möchte einfach nicht darauf angesprochen werden, dass man nicht mehr so fit ist wie früher und sich die ersten grauen Haare langsam, aber sicher bemerkbar machen. Doch es gibt Hoffnung: Der Blickwinkel macht den Unterschied.
Wenn wir vom Alter sprechen, meinen wir meist die Anzahl der Jahre seit unserer Geburt. Seien es 30, 50, 70, mehr, oder weniger. Experten nennen das „chronologisches Alter“. Doch das hat nur wenig mit dem biologischen – viele nennen es auch das „tatsächliche“ – Alter zu tun. Dieses biologische Alter kann je nach Person durchaus um einige Jahre vom chronologischen abweichen.
Beim biologischen Alter geht es nicht um die Kalenderjahre
Beim biologischen Alter geht es also nicht um die Kalenderjahre, die ein Mensch hinter sich hat. Vielmehr sind die körperliche sowie geistige Verfassung und die Gene dafür verantwortlich. Unter anderem entscheiden auch sie, wie schnell der körperliche Verfall voranschreitet.
Das biologische Alter lässt sich auf verschiedene Arten messen. Das Fraunhofer Institut etwa hat vor Kurzem eine zumindest für den Probanden verhältnismäßig unkomplizierte Methode entwickelt: Aus einem einfachen Abstrich der Mundschleimhaut können die Wissenschaftler das „tatsächliche“ Alter eines Menschen herauslesen. Unterstützt werden sie bei der Analyse von einer Künstlichen Intelligenz.
Um zu verstehen, wie das funktioniert, braucht es einen kurzen Exkurs in die Epigenetik: Während man früher davon überzeugt war, dass sich Erbgut nicht verändern kann, sind Wissenschaftler heute anderer Meinung: Im Lauf der Jahre lagern sich an bestimmten Stellen der DNA kleine Molekülbausteine, sogenannte Methylgruppen, an. Dies kann dazu führen, dass bestimmte Gene nicht mehr abgelesen werden können – was auch die Wahrscheinlichkeit einer Genveränderung erhöht. Dadurch können Forschern zufolge auch Krankheiten entstehen. Fachleute sprechen deshalb bei der sogenannten Methylierung auch von einer „Verschmutzung“ des Erbguts.
Forscher lesen aus der DNA-Verschmutzung das biologische Alter ab
Dieser Vorgang ist ganz natürlich und steuert einige biologische Prozesse in unserem Körper: Forscher des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön untersuchten vor wenigen Jahren etwa die epigenetische Veränderung bei Wildmäusen und fanden heraus, dass etwa fettreiche Nahrung und längeres Tageslicht solche Veränderungen auslösen. Durch deren Zusammenspiel würden Stoffwechsel-Gene in der Leber aktiv, mit denen die Tiere die energiereiche Nahrung effektiver verwerten können. Es handelt sich also um eine Anpassung an – in diesem Fall relativ milde – Veränderungen der Umwelt. Diese Anpassung wird den Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts zufolge jedoch nicht an Nachkommen weitergegeben.
Andere Untersuchungen haben herausgefunden, dass ein besonders hoher Methylierungsgrad des Erbguts dem Körper auch schaden kann. So konnte etwa nachgewiesen werden, dass DNA-Hypermethylierung sogenannte Tumorsuppressorgene ausschalten kann, die das Zellwachstum kontrollieren und damit ungebremstes Tumorwachstum verhindern können.
Der Mensch kann den Grad der Methylierung in gewisser Weise beeinflussen: Rauchen, Alkohol trinken, ungesunde Ernährung, all das wirkt sich auf den Methylierungsgrad aus. Aber auch bestimmte Umweltfaktoren, wie beispielsweise Stress, haben Einfluss auf die „Verschmutzung“ unserer DNA.
Das Verfahren wird bereits als Lifestyle-Produkt verkauft
Die Forscher des Fraunhofer Instituts wollen aus dem Methylierungsgrad ablesen können, wie alt ein Mensch – im biologischen Sinne – ist. Die Methylierung unseres Genoms also ist gewissermaßen ein Gradmesser für die Alterung des Körpers. Dafür werden die im bereits erwähnten Abstrich enthaltenen Gene von Wissenschaftlern im Labor auf ihren Methylierungsgrad untersucht.
Das Institut testet das Verfahren und die zugehörige Analysesoftware noch für die medizinische Anwendung. Später soll es auch in der Entwicklung neuer Medikamente verwendet werden. Die Gesundheits- und Lifestylebranche indes hat das Verfahren bereits für sich entdeckt: Die Firma Cerascreen, die vor allem für Vitamin- und Lebensmittelreaktionstests bekannt ist, hat in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut einen „Genetic Age Test“ entwickelt, der sich die Erkenntnisse der Forscher zunutze macht. Das Unternehmen verspricht seinen Kunden die genaue Messung des biologischen Alters plus Ergebnisbericht und individuelle Handlungsempfehlung. Der stolze Preis: 199 Euro.
Doch was nützt das? Wie genau ist die Methode? In einer Versuchsreihe wurde das beim Fraunhofer Institut an 150 Probanden getestet. Demnach stimmten die Schätzungen des biologischen Alters durch die Künstliche Intelligenz bei gesunden und fitten Menschen meist gut mit dem tatsächlichen chronologischen Alter der Probanden überein. Die Abweichung betrug lediglich ein paar Monate. Jonathan Mayer