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Bei den 100-Jährigen in der Blue Zone auf Sardinien

Italien

Willkommen in der Blue Zone: Darum werden die Menschen auf Sardinien so alt

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    Lächelnd alt werden. Auf Sardinien werden überdurchschnittlich viele Menschen 100 Jahre alt.
    Lächelnd alt werden. Auf Sardinien werden überdurchschnittlich viele Menschen 100 Jahre alt. Foto: Jochen Müssig

    „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“, war ein fideler Zeitgenosse, der jede Menge Abenteuer in der ganzen Welt erleben durfte. Die Realität sieht nicht ganz so agil aus, wie bei Allan Karlsson, dem hundertjährigen Helden im Bestseller-Roman. Die meisten Hundertjährigen aus der Blue Zone von Sardinien wären nicht mehr in der Lage, aus einem Fenster zu steigen. Aber viele von ihnen sind geistig fit und einige durchaus in Gesprächslaune von ihrem Leben zu erzählen.

    Wie der Begriff „Blaue Zone“ auf Sardinien entstand

    „Blaue Zone …“, sagt Professor Giovanni Mario Pes, 66 Jahre alt, Demograf an der sardischen Universität von Sassari, „das fing so an: Ich untersuchte ab 1999 die Mortalität in Sardinien und markierte die Regionen mit signifikanten Abweichungen mit acht Kreisen mit einem blauen Markierungsstift auf einer Landkarte.“ Pes wertete aus sardischen Zeitungen 16.000 Todesanzeigen aus, besuchte 377 Gemeinden auf der Insel und glich alles mit dem Sterberegister ab, so dass ein wissenschaftlicher Bericht erstellt werden konnte. Die erste Datenbank bestand aus rund 4000 Hundertjährigen. Die Letzte von Anfang 2024 wies 677 Hundertjährige auf, die alle in den acht von Pes blau markierten Gemeinden im östlichen Zentrum der Insel in den Bergen lebten, der Blue Zone von Sardinien.

    „Blaue Zone?“, fragt Mario Lovina, am 27. Oktober 1923 geboren, jetzt also 101 Jahre alt. „Das sagt mir nichts …“. Mario ist seit 20 Jahren blind, wird seitdem von seiner jüngsten Tochter versorgt. Die Familie hat die unverheiratete Maria, selbst schon knapp 70 Jahre alt, ganz in Schwarz gekleidet, den Auftrag dazu gegeben. Hundert Jahre früher wäre sie wohl im Kloster gelandet.

    Marios Cousine ist ebenfalls 101 Jahre alt

    Vater und Tochter wohnen in dem Bergdorf Osini, das sich eng an die Monti del Gennargentu anschmiegt. „Aus dem Haus kann ich kaum noch, das geht schon seit zehn Jahren nicht mehr“, sagt er. Es gäbe Hochs und Tiefs, aber das sei normal in seinem Alter. Er kenne das auch von seiner Cousine, die sei ebenfalls 101 und sie berichte dasselbe.

    Mario ist jetzt 101 Jahre alt. Betreut wird er von der 70-Jährigen Tochter Maria.
    Mario ist jetzt 101 Jahre alt. Betreut wird er von der 70-Jährigen Tochter Maria. Foto: Jochen Müssig

    Professor Pes fragte bei seinen Forschungen natürlich nach dem Warum für das hohe Alter und die Angaben von Mario Lovina sind quasi deckungsgleich mit Pes‘ Ergebnissen: „Ich war Bauer. Das ist eine harte Arbeit!“, sagt der Hundertjährige, der auf der Couch sitzt und dessen Hand während des Interviews von seiner älteren Tochter gehalten wird. Die ältere Tochter ist 75, verheiratet und trägt ein farbenfrohes Blumenkleid, während die kleine Schwester Maria wort- und regungslos im Hintergrund zuschaut. Er esse wenig und habe auch früher wenig gegessen. Im Krieg gab es kaum etwas und auch die Nachkriegsjahre waren hart. Da gewöhne man sich dran. „Am liebsten mag ich Minestrone mit Bohnen und ich liebe mein Gläschen Rotwein pro Tag“, sagt Mario. „Aber das wichtigste für mich ist, dass 80 Prozent unserer Nahrung vom eigenen Feld oder Hof kommt, viel Olivenöl, wenig Fleisch“. Und „im Bett macht er jeden Abend ein wenig Gymnastik“, erzählt die Händchen haltende Tochter und blickt stolz auf ihren Vater. Maria im Hintergrund schweigt.

    Das Geheimnis der Langlebigkeit von Sardinien

    Auch die Bürgermeisterin ist zum Interview erschienen. Die 53-jährige Tonina Serra setzt sich zu Mario Lovina auf die Couch: „Tutto bene, Mario?“ – „Si! Si!“, lautet die Antwort. „Wissen Sie, Mario ist einer unserer sieben Hundertjährigen im Dorf. Bei nur 727 Einwohnern! Wir haben sogar ein Altersheim: für zehn Leute, aber es ist kein Hundertjähriger darunter …“

    „Das ist absolut typisch“, sagt Professor Pes, der die Gründe für die Langlebigkeit aufführt: „Die Familienbande macht 25 Prozent aus. Ein Altersheim kann Familie nicht ersetzen. Dazu kommen die DNA mit zehn Prozent, Aktivitäten, wie harte körperliche Arbeit, zu 30 Prozent, gesundes Essen aus eigener Herstellung, wenig Alkohol und nicht Rauchen 15 Prozent sowie mit 20 Prozent auch die notwendige Portion Glück“.

    Warum Perdasdefogu auf Sardinien im Guinnessbuch der Rekorde ist

    Glück müssen sie in Perdasdefogu, nur wenige Kilometer von Osini entfernt und 600 Meter hoch gelegen, haufenweise gehabt haben: Wegen der Langlebigkeit ihrer Bewohner kam die Gemeinde sogar ins „Guinness-Buch der Rekorde“. Entlang der Hauptstraße, dem Corso Vittorio Emanuele, finden sich 21 Fotos von Bewohnern, die mehr als hundert Jahre alt wurden. Rein statistisch ist jeder 250ste hundert Jahre alt oder älter. Es ist ein normales Dorf mit Tankstelle, Schule, kleinen Geschäften, dem Tabakladen, einem Ristorante und der Poste Italiane. Aber „es ist stinklangweilig hier“, sagt Barista Sofia, 17 Jahre jung, in der einzigen annehmbaren Bar im Ort. „Wenn mir die Decke auf den Kopf fällt, fahre ich nach Cagliari.“ Warum die Leute so alt werden, wisse sie nicht, „es ist einfach so: Auch der Opa meiner Kollegin ist einen Tag nach seinem 102. Geburtstag gestorben“.

    2004 wurde der Begriff Blue Zone erstmals veröffentlicht. Ein Journalist der „National Geografic Society“ besuchte Professor Pes auf Sardinien und überzeugte ihn noch weitere Blue Zones auf der Erdkugel zu finden. Pes fand „nach mühsamer Feldforschung“ eine auf der Halbinsel Nicoya in Costa Rica. Weitere Drei kamen hinzu: Okinawa in Japan, Ikaria in Griechenland und Loma Linda in Kalifornien, USA. „Die Blauen Zonen sind aber nicht für immer gleichbleibend“, sagt der Professor. „Es kann sein, dass in der nächsten Generation neue Gebiete dazu kommen oder es vielleicht keine Blue Zone mehr auf Sardinen oder den anderen Gebieten mehr gibt.“

    Die sardische Küche trägt zur Langlebigkeit bei

    Dessen ungeachtet sagt Massimo Balia: „Die sardische Küche wird sich nicht ändern“. Der Küchenchef im „Falkensteiner Resort Capo Boi“ ist auf der Insel geboren, sein Vater wurde 96 Jahre alt, die Mutter 94. „Beide kümmerten sich bis zum letzten Moment um die Olivenbäume und den Gemüsegarten. In jeder Familie, die ich kenne, gibt es mindestens einen, der um die Hundert geworden ist.“ Es sind wohl die einfachen regionalen Gerichte, die die sardische Küche so gesund machen: „Viel Gemüse und Cerealien, wenig Fleisch“. Massimos Vater war Bauer: „Wir haben nie Gemüse gekauft, kein Brot, nicht einmal das Mehl. Wir haben alles selber gemacht. Ich liebte unsere hausgemachte Pasta mit Tomaten und Zwiebeln von unserem Garten“. Einmal pro Woche kocht Massimo Balia für einen sardischen Abend. Dann kann man sich von der Vorspeise, etwa sardischer Fregola, Pasta-Perlen mit Gemüse, übers Hauptgericht Culurgiones, gefüllt mit Kartoffeln und Käse, bis zum Nachtisch mit Seadas durch die sardische Küche schlemmen. Seadas ist ein salzig-süßes Geschmackserlebnis aus Honig und Käse.

    Osini, ein Bergdorf auf Sardinien.
    Osini, ein Bergdorf auf Sardinien. Foto: Marco, stock.adobe.com

    Und dann rollen Alice Antonietta Tarocco, 102 Jahre alt, und Angela Strazzera, 100, daher und könnten in Sachen Familienbetreuung und Essgewohnheiten den Gegenbeweis zu Professor Pes antreten, aber sie sind wohl nur die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Beide sitzen im Rollstuhl und sind die beiden einzigen Hundertjährigen unter den 18 Bewohnern des Altersheims von Villasimius, in das sie vor drei Jahren eingezogen sind, weil es zuhause nicht mehr ging. Angela erzählt, dass sie eigentlich nie Hundert werden wollte, „aber irgendwann merkte ich: Ich habe die Energie für dieses Alter! Ich kann nicht mehr tanzen wie früher im Ballhaus, aber ich bin noch vital, spiele Karten und ich habe wohl die richtigen Gene: Mein Vater wurde 107, meine Mutter 97 …“ Von der Blauen Zone haben Angela und Alice nie etwas gehört. „Ich habe alles mit dem Fahrrad gemacht. Ein Auto gab’s bei uns nicht damals. Das war purer Luxus!“, erzählt Alice. Schwester Pia vom Altersheim, selbst bereits 83 Jahre alt, flüstert uns augenzwinkernd zu: „Sie führt penibel Buch über ihre Ausgaben …“ Sie geht näher ans Ohr von Alice und fragt laut: „Für was gibst Du denn dein Geld aus?“ Alice grinst und sieht glücklich aus, als sie antwortet: „Für Süßigkeiten!“ Alle lachen. „Ich habe keine Angst noch älter zu werden, aber auch keine Angst zu sterben“, sagt sie dann ernst. Angela ergänzt: „Das entscheidet sowieso nur Gott …“

    Blue Zone auf Sardinien

    Anreise: „Condor“ fliegt im Sommer von fünf deutschen Flughäfen ab 200 € nach Sardinien (condor.com)

    Unterkunft: Das „Falkensteiner Resort Capo Boi“ liegt mit Pools, Spa und Restaurant direkt an einem Privatstrand von Villasimius, DZ ab 315 € (falkensteiner.com) 

    Essen und Trinken: „Sa Domu Sarda“ tischt in Cagliari sardische Küche auf, mit Lob vom „Guide Michelin“ versehen (osteriasadomusarda.it). Und sardisches Büffet 1x wöchentl. im „Falkensteiner“.

    Weitere Auskünfte: sardegnaturismo.it

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