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Romy Hausmann über die Netflix-Serie „Liebes Kind“ und den Emmy

Interview

Autorin Romy Hausmann: „Ich hatte schon immer eine lebhafte, krasse Fantasie“

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    Romy Hausmann veröffentlichte 2019 das Krimidrama „Liebes Kind“, das nun in einer Netflix-Serie verfilmt wurde.
    Romy Hausmann veröffentlichte 2019 das Krimidrama „Liebes Kind“, das nun in einer Netflix-Serie verfilmt wurde. Foto: dtv Verlagsgesellschaft

    Frau Hausmann, Glückwunsch für den Emmy. Wo steht er denn?
    ROMY HAUSMANN: Im Büro von Isabel Kleefeld, der Regisseurin. Ich durfte ihn anfassen und einmal drüber lecken. Das reicht mir fürs ganze Leben.

    Wie war die Preisverleihung?
    HAUSMANN: Wir saßen zusammen an einem Tisch, und ich musste direkt in meinen Salat heulen. Noch nicht mal die Vorspeise habe ich also ohne Tränen geschafft (lacht). Ich konnte es einfach nicht fassen, dort zu sein, in diesem Saal, bei dieser Feier. Das war auch mein erstes Mal in Amerika überhaupt, und dann gleich bei den Emmys. Als sie „Dear Child“ aufriefen und alle am Tisch sofort aufsprangen und jubelten, bin ich sitzen geblieben. Die anderen haben mich dann mitgeschleppt auf die Bühne.

    Was haben Sie gedacht?
    HAUSMANN: Emotional hat mich das total angefasst. Als ich „Liebes Kind“ schrieb, war ich Mitte 30, hatte keine Kohle, war alleinerziehende Mutter. Jahrelang kam ich mir vor wie die größte Loserin, ich habe sehr viel Ablehnung erfahren. Und dann stehe ich plötzlich da oben. Das war wirklich krass für mich.

    Hatten Sie bei Ihrem ersten New-York-Besuch auch Zeit für touristische Dinge?
    HAUSMANN: Ich habe eine Bootstour zur Freiheitsstatue gemacht, da fing ich dann schon wieder an zu heulen. Zu wissen, mein Buch hat mich nach New York gebracht, war definitiv etwas anderes, als wenn ich einfach dort Urlaub gemacht hätte.

    Sie waren Redaktionsleiterin bei einer TV-Produktionsfirma in München, mit 27 Jahren sind Sie Mutter geworden, später haben Sie zwei erfolglose Frauenromane geschrieben.
    HAUSMANN: Ich würde auch schreiben, wenn ich meinen Lebensunterhalt nicht damit verdienen würde. Das Schreiben ist einfach meine liebste Kommunikationsform. Mir war aber klar, dass ich dieses Leben so nicht mehr länger hätte führen können, alleine für ein Kind verantwortlich, finanziell immer auf halber Hüfte. Mir war es hochnotpeinlich, immer wieder meine Mama fragen zu müssen, ob sie mal zwanzig Euro hat, damit ich einkaufen kann. Wie du schon sagst: Ich kam aus einem guten Job, wollte dieses Leben als Mutter aber nicht mehr führen, gerade weil es keinen Papa gab. Das war eine existenzielle Entscheidung. Ich habe auf vieles verzichtet, aber es auf andere Weise doppelt und dreifach zurückbekommen.

    Wie sind Sie „Liebes Kind“ angegangen? Mit dem Mut der Verzweiflung oder völlig frei?
    HAUSMANN: Ich schwor mir ganz dramatisch an Silvester, dass ich noch einen Text schreibe, in den ich wirklich alles hineingebe, was ich habe. Also einmal noch „volle Lotte“, und dann wollte ich mir angewöhnen, gesünder zu schreiben und das nur noch als Hobby zu machen. Auf diesem Pegel hätte es mich sonst kaputt gemacht.

    Was verstehen Sie unter „volle Lotte“ schreiben?
    HAUSMANN: Ich gehe an meine Grenzen, schreibe drei, vier Monate lang Tag und Nacht, schlafe nur wenig. Vor zwei Jahren bei meinem Projekt „True Crime. Der Abgrund in dir“ erreichte ich den Tiefpunkt. Ich hatte zehn Kilo abgenommen und drei Schachteln Kippen am Tag geraucht. Da merkte ich selber: Das ist ein Schritt zu weit. Ich habe danach lange gebraucht, um mich körperlich wieder hinzubekommen. Aber ich denke, ich brauche diesen Wahnsinn auch. Je mehr ich selber fühle, desto besser kann ich das an meine Leserinnen und Leser weitergeben.

    Warum hat Sie Ihr True-Crime-Buch besonders mitgenommen?
    HAUSMANN: Es gab einen Fall, den von Phoebe Handsjuk aus Australien, die tot in einem Müllschacht aufgefunden wurde, der mich nicht mehr losgelassen hat. Ich nahm Kontakt auf zu Phoebes Mutter Natalie, daraus entwickelte sich eine intensive E-Mail-Brieffreundschaft. Je mehr mir Natalie über ihre Tochter erzählte, desto stärker dachte ich „das hätte auch ich sein können“. Auch Phoebe hat immer einen Tick zu viel gefühlt und wusste nicht, wohin mit den ganzen Gefühlen. Sie hatte extreme Phasen, die sie mit Drogen reguliert hat. Ich habe nie in meinem Leben Drogen genommen, aber aufgrund meiner Persönlichkeitsstruktur wäre ich gefährdet. Zum Glück habe ich meinen Sohn und das Schreiben. Das erdet und festigt mich.

    Wie alt ist Ihr Sohn jetzt?
    HAUSMANN: Der ist fünfzehn. Ein cooler Typ mit Bart und Dauerwelle (lacht).

    Liest er Ihre Bücher?
    HAUSMANN: Nee, der steht mehr auf Mangas. Der Junge ist ziemlich abgeklärt, er hat mit sechs beim gemeinsamen Filmgucken schon gesagt „Das ist doch Kunstblut“. Aber die „Liebes Kind“-Serie hat er schon auch gesehen.

    Darin geht es um zwei Kinder und eine Mutter, die jahrelang gefangen gehalten werden. Hatten Sie reale Vorbilder?
    HAUSMANN: Natascha Kampusch. Ich habe damals ihr erstes Fernsehinterview mit Günther Jauch gesehen. Das werde ich nie vergessen. Ich dachte, wie kann eine junge Frau, die acht Jahre lang eingesperrt war, die keinen Zugang hatte zu Bildung, wie kann die nur so klug und reflektiert sein? Hannah und ihr kleiner Bruder Jonathan kennen die Welt draußen nicht. Ihre Normalität ist die Gefangenschaft mit ihren Eltern. Und dann plötzlich hast du den Zusammenprall mit der Wirklichkeit. Das ist für mich das Spannende an „Liebes Kind“.

    Die Geschichte ist abgründig, aber es gibt auch diese kleine Familie, die zusammenhält. Wie kam Ihnen die Idee zum Buch?
    HAUSMANN: Meine Texte waren immer schon ein bisschen sperrig. Einfach, weil ich Bock hatte, sperrig zu sein. Ich wollte nie dem Mainstream angehören. Sogar meine Agentin meinte zu mir, ich solle mich ein bisschen am Riemen reißen und nicht immer so schnell eskalieren beim Schreiben. Mein Ventil bei „Liebes Kind“ ist letztlich Hannah, die Tochter. Sie gab mir die Perspektive, aus der ich richtig schräg erzählen konnte.

    Waren Sie schon als Jugendliche von monströsen Verbrechen fasziniert?
    HAUSMANN: Nee, gar nicht. Ich hatte jedoch schon immer eine lebhafte, krasse Fantasie. Wir sind oft umgezogen, ich habe immer wieder Freunde verloren und musste dann neue finden, ich war auch ein sehr schüchternes Kind. Ich habe total gerne die Seifenopern der 1980er geguckt, „Dallas“ und „Denver Clan“ und mir vorgestellt, ich wäre eine der Figuren.

    Woher kommt Ihre Liebe zum Bösen und Dunklen?
    HAUSMANN: Während meiner Ausbildung, mit 19, habe ich immer „Autopsie“ geguckt, diese TV-Reihe mit Mark Benecke, den ich hart gefeiert habe. Dann las ich eine Rezension meines zweiten Liebesromans, der schamlos floppte. „Das ist der totale Psycho-Gehirnfick, tarne das doch bitte nicht als Frauenroman“. Ich war zunächst tödlich beleidigt, doch dann dachte ich „Eigentlich hat sie recht“. Und so kam es, dass ich das ausprobierte.

    Ihre Romane sind feinfühliger als die so mancher Kollegen. Absicht?
    HAUSMANN: Ja. Blut und Gedärme sind nicht mein Ding. Ich stehe mehr auf Kopfkino, auf hintergründige Psychologie. Am Unheimlichsten finde ich es, wenn sich Verbrechen im kleinsten Kreis abspielen – in der Familie. Wenn dir etwas passiert in einem Umfeld von Menschen, denen du am meisten vertraust – das ist das Allergrausamste. Das reißt dich emotional in Stücke. Und es kann auch jeder nachvollziehen. Wir alle haben eine Mutter oder einen Bruder. Aber nur die Wenigsten sind persönlich mit einem Serienmörder bekannt.

    Ist mit Ihnen und Ihrer Familie soweit alles in Ordnung?
    HAUSMANN: (lacht) Meine Mama hat mich auch gefragt, warum bei mir die Mütter so oft Täterinnen oder Todesopfer sind. Ich weiß es auch nicht. Ich habe ein ganz tolles Verhältnis zu meiner Mutter. Zwischen meinen Eltern und mir ist nichts unaufgearbeitet.

    Sie sagen, die beiden wesentlichen Motive für Verbrechen sind Liebe und Angst. Können Sie das näher erläutern?
    HAUSMANN: Verbrechen entstehen, weil du jemanden entweder sehr liebst. Oder weil du Angst hast, etwas zu verlieren. Die wenigsten Menschen morden, weil sie gerne Organe in Einmachgläsern sammeln. Sondern weil ihnen jemand etwas weggenommen hat, einen anderen Menschen zum Beispiel, oder ihre Würde. Oder weil sie Angst haben, jemanden zu verlieren.

    Haben Sie Ihren nächsten Thriller schon in Planung?
    HAUSMANN: Der ist sogar schon fertig und kommt im nächsten Jahr raus. Begleitend mache ich mit Mark Benecke wieder einen Podcast, darin geht es um die True-Crime-Fälle, die den neuen Roman mit inspiriert haben. Das Buch ist fiktional, aber ich habe einige echte Fälle darin verwoben.

    Ihr aktuelles Buch „Princess Standard“ ist anders, es besteht aus 52 Gedichten in englischer Sprache. Welche Teile Ihrer Persönlichkeit sind in die Gedichte geflossen?
    HAUSMANN: Alle (lacht). Ich habe einfach alles rausgeschrieben, ohne mir viel dabei zu denken. Dieses Buch entspricht dem Leben. An manchen Tagen fühlen wir uns wie ein kleiner Schmetterling, an anderen möchten wir nur betrunken auf dem Boden rumliegen. In der Poesie geht es ganz viel um Akzeptanz und das Loslassen-Lernen, das hat für mich etwas Friedliches und Tröstendes.

    Sie haben die Texte auf einer Princess-Standard-Schreibmaschine vom Flohmarkt geschrieben. Wo ist sie jetzt?
    HAUSMANN: Im Wohnzimmer. Ich habe sie kaputt geschrieben. Sie hat das Buch leider nicht überlebt (lacht).

    Zur Person

    Romy Hausmann ist in Thüringen aufgewachsen. Mit ihrem Buch „Liebes Kind“ gelang ihr 2019 der Durchbruch. Der Thriller schaffte es auf den ersten Platz der Spiegel-Bestsellerliste und wurde 2023 unter dem gleichnamigen Titel als deutsche Mini-Serie verfilmt. Nun ist die Netflix-Serie mit dem Emmy ausgezeichnet worden. Auch mit ihren beiden Folgeromanen „Marta schläft“ und „Perfect Day“ landete Hausmann Bestseller. Für ihr neues Buch „Princess Standard“ hat die 43-Jährige Gedichte geschrieben und mit der Kölner Indie-Band Fortuna Ehrenfeld vertont. Hausmann wohnt mit ihrer Familie in einem abgeschiedenen Waldhaus in der Nähe von Stuttgart.

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