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Alltagssexismus: "War ja nur Spaß": Unsere Autorin über ihre Erfahrung mit sexueller Belästigung

Die Betreiberinnen des Instagram-Accounts "Catcalls of Augsburg" wollen auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum aufmerksam machen.
Alltagssexismus

"War ja nur Spaß": Unsere Autorin über ihre Erfahrung mit sexueller Belästigung

Foto: Catcalls Of Augsburg
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    War ja nur Spaß. Ein Satz, der als ultimative Entschuldigung für eigentlich alles durchgeht – inklusive sexueller Belästigung. Auch mir wurde diese inhaltsleere Floskel schon häufig entgegengeworfen. Im Club an den Po gefasst? "War ja nur Spaß." Gesagt, ich mache bestimmt für jeden die Beine breit? "War ja nur Spaß." Die Liste geht weiter. All die Male habe ich etwas gesagt und mich danach zumindest ein Stück besser gefühlt. Doch etwas zu sagen, sich zu wehren, dazu muss man sich überwinden. Wieso fällt es teilweise so schwer? Und warum gelingt es manchmal gar nicht? Der Erklärversuch einer Betroffenen, die plötzlich nichts mehr sagen konnte. 

    Rückblende zum Jahr 2022. Als Volontärin bei der Augsburger Allgemeinen wurde mir ein Termin zugeteilt: Ich sollte vor Ort über eine Veranstaltung berichten. Mein dortiger Ansprechpartner war ein Mann im mittleren Alter, der am Telefon sympathisch und aufgeschlossen klang. Ich nenne ihn Herr B. 

    Herr B. empfing mich freundlich. Ich meldete mich am Eingang als Presse an und wurde zu ihm geschickt. Ich bekam eine Akkreditierung und seine Erlaubnis, kostenlos zu essen und zu trinken. Wie nett, dachte ich – und schon stand ich innerlich irgendwie in seiner Schuld. Plötzlich griff seine Hand wie selbstverständlich nach meiner und zog mich ein Stück mit sich, um mir zu zeigen, wo es etwas zu trinken gibt. Meine Hand blieb, wo er sie platziert hatte. Er meint es doch nur nett. Ich sollte nicht zu viel reininterpretieren. So standen wir einige Sekunden Hand in Hand da. Ich, eine 23-jährige Vertreterin der Presse, und er, mein deutlich älterer Ansprechpartner, dessen Atem zu sehr nach Alkohol roch. Seine Hand ließ los und verweilte stattdessen kurz auf meinem Rücken. Ich solle mich einfach melden, wenn ich etwas brauche. Dann verabschiedete er sich. Wie nett.

    Die meisten Frauen sind in ihrem Leben von sexueller Belästigung betroffen

    Ich dachte mir anfangs nicht viel dabei. So schlimm war’s ja nicht. Hab dich nicht so. Die nächste Zeit verbrachte ich auf dem Veranstaltungsgelände, machte Fotos, sprach mit den Menschen. Alle waren gut gelaunt, inklusive mir. Die merkwürdige Situation am Anfang war schnell vergessen. Eine kurze, wenn auch ungewollte Berührung: Als Frau viel zu viel Gewohnheit, als dass es alleinstehend im Kopf bleiben würde. Was war das denn schon? Eine Art von sexualisierter Gewalt. 

    Fast jede Frau erlebt in ihrem Leben irgendeine Form von sexualisierter Gewalt. Das sagt Ramona Hubl, Sozialpädagogin und Beraterin bei Wildwasser Augsburg e.V., einer Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt. "Es fängt ja schon bei Belästigung an, bei Worten und Blicken", so die Beraterin. Dass es – auch im Alltag – zu solchen Übergriffen kommt, liege unter anderem an den immer noch ungleichen Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen oder Kindern und Erwachsenen. Denn genau das sind die meisten Fälle, ebenso der Fall Herr B.: Alltagssexismus. 

    Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2020 haben 63 Prozent der Frauen und 49 Prozent der Männer Alltagssexismus gegen sich oder andere wahrgenommen. In einer Studie der Hochschule Merseburg aus dem Jahr 2021 gaben 97 Prozent der befragten Frauen an, schon einmal Formen sexueller Belästigung erlebt zu haben. Bei den befragten Männern waren es 55 Prozent. Die häufigsten Formen waren ungewollte oder unnötige Berührungen und verbale Belästigung, zum Beispiel durch anzügliche Bemerkungen. Letzteres nennt man auch Catcalling, angelehnt an das Heranrufen eines Haustieres.

    Hier also der erste Teil der Antwort. Ungleiche Machtverhältnisse führen zwangsläufig dazu, dass man sich als Frau gegenüber einem Mann nicht einfach traut, laut zu werden. Wieso halten sich viele Frauen beim Lachen eigentlich die Hand vor den Mund und Männer nicht? Seit Jahrhunderten wird Frauen beigebracht, nicht aufzufallen, nicht zu schreien, nicht hysterisch zu sein. Ein Begriff, der übrigens so gut wie nie für Männer verwendet wird. 

    Zurück zu meinem Termin. Irgendwann suchte ich Herrn B. erneut auf, weil ich noch einige Informationen benötigte. Während wir sprachen, schweifte sein Blick immer wieder nach unten. Über mein Kinn, meinen Hals, bis zu meiner Brust. Immer wieder zu meiner Brust. Ich muss verwirrt ausgesehen haben, denn er sagte: "Entschuldigung, ich will da ja nicht hinschauen, aber deine Tasche betont deine Weiblichkeit einfach so sehr." 

    Meine schwarze Umhängetasche, die trug ich quer, ihr dünner Gurt verlief schräg über meinen Oberkörper. Wie ich sie schon hunderte Male davor getragen habe. Wieder die Hand von Herrn B., die sich wie in Zeitlupe auf mich zubewegte, an den Gurt griff und dabei meine Brust streifte. Was passiert hier gerade? Ich blieb stumm, erstarrt von seinen Worten, die er aussprach, als gehörten sie zum normalen Umgangston. Als hätte er aus Versehen sein Getränk auf mir verschüttet und würde sich dafür entschuldigen. Doch das war kein Versehen. Herr B. schaute mich an und sagte: "War ja nur Spaß." Kein Witz, keine Satire – das sagte er.

    Ich war in diesem Moment schockiert, aber nicht wirklich überrascht. Wie oft ich es schon mitbekommen habe, dass mein Körper oder der meiner Freundinnen ungewollt kommentiert wird – unzählige Male. Mit der Sammlung an hinterhergerufenen Sprüchen könnte man ein Buch füllen. Etwas Ähnliches machen Jana, Yasmin und Katja aus Augsburg. Sie betreiben den Instagram-Kanal „Catcalls of Augsburg“. Dort machen sie öffentlich, welcher Belästigung Menschen tagtäglich ausgesetzt sind. 

    Das funktioniert so: Wer möchte, kann den Frauen eine Nachricht schreiben und erklären, wo und wie man belästigt wurde. Den prägnantesten Teil der Nachricht schreiben sie mit Kreide auf die Straße, und zwar dort, wo es passiert ist. Ihr Ziel ist es, Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Sensibilisieren dafür, dass Übergriffe überall passieren und jeden treffen können. Hier nur ein Vorfall als Beispiel. An der Universität Augsburg sagte ein Dozent zu einer Studentin: "Quantenmechanik ist eh keine Frauensache. Sie würden eine mündliche Prüfung bei mir nicht bestehen, es sei denn, Sie haben andere Fähigkeiten, die ich nicht nennen möchte.“ Der Fall sei damals völlig ohne Konsequenzen geblieben, obwohl die Universität mitbekommen habe, dass die Aktivistinnen den Vorfall angekreidet hatten. 

    Mit der Strafbarkeit ist es so eine Sache. Um den Strafbestand eines Sexualdeliktes zu erfüllen, muss eine Berührung, zum Beispiel an Brust- oder Schambereich, vorausgehen. Rein verbale Äußerungen können unter Umständen als sexualisierte Beleidigung gewertet werden. Was genau als Beleidigung zählt, ist vom Einzelfall abhängig und nicht deutlich einzugrenzen, wie die Augsburger Rechtsanwältin Mandana Mauss erklärt: "Das Problem ist, dass Sie als Opfer nicht entscheiden, ob Sie jetzt beleidigt wurden oder nicht. Der Vorfall muss objektivierbar sein. So, dass jeder vernünftige Mensch sagen würde, das ist eine Beleidigung." Laut Mauss ist die aktuelle Gesetzeslage ausreichend, um auch Fälle von verbaler sexueller Belästigung angemessen bearbeiten zu können. Mehr Vorschriften, wie etwa ein Catcalling-Verbot, hält sie nicht für notwendig. "Es ist ein sehr schwieriges Thema, und das wird nicht besser durch mehr Straftatbestände. Die aktuellen Gesetze können solche Grenzfälle erfassen", so Mauss. 

    Eine andere Meinung haben die drei Frauen von Catcalls of Augsburg. Sie finden: Ja, Catcalling sollte strafbar sein. "Man braucht ein Verbot, um überhaupt ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Die juristischen Maßnahmen geben vor, wie sich eine Gesellschaft formen kann. Sie müssen dann aber auch durchgesetzt werden", meint Jana. Das Gesetz habe eine signifikante gesellschaftliche Signalwirkung. "Als Staat zu sagen, wir bestrafen das, weil wir so was nicht wollen, hat schon eine große Wirkung", findet Katja. In mehreren europäischen Ländern ist Catcalling inzwischen strafbar, etwa in Frankreich, Portugal und den Niederlanden. In Frankreich kann Catcalling mit Geldstrafen von bis zu 750 Euro geahndet werden. 

    In Deutschland wurde im Jahr 2016 sexuelle Belästigung als Straftatbestand eingeführt. Ein Auslöser dafür war die Silvesternacht 2015 in Köln, in der unzählige sexuelle Übergriffe stattfanden. Diese Übergriffe fielen damals allerdings in eine Grauzone, wie Sabine Rochel, Opferschutzbeauftragte der Polizei Augsburg, erklärt. Heute gibt es eine klare Regelung – die verbale Belästigung abgesehen von einer Beleidigung jedoch außen vor lässt. "Damit der Straftatbestand erfüllt ist, reicht theoretisch auch eine Berührung am Arm. Aber der Tatverdächtige muss eine sexualisierte Intention haben", so Rochel. 

    Die Anzahl der polizeilich erfassten Sexualdelikte ist in den vergangenen Jahren gestiegen, auch bei den Fällen der sexuellen Belästigung. Das liegt laut Polizei aber nicht zwingend daran, dass tatsächlich mehr passiert. "Es kommt immer mehr in das Bewusstsein von Betroffenen, dass man so etwas auch wirklich anzeigen kann", erklärt Rochel. 

    Trotzdem ging mir in der Situation mit Herrn B. durch den Kopf: Ich hätte mit einer Anzeige keine Chance. Ich sagte nichts. Ich wies ihn nicht zurecht. Stattdessen kehrte ich zurück hinter meine Fassade der Journalistin, die eine Frage nach der nächsten stellt, bis alle Antworten geliefert sind. Ich wollte professionell bleiben – und ihn nicht verärgern. Was, wenn er mich rauswirft, wenn ich etwas dagegen sage? Ich muss doch meinen Artikel schreiben können. Das waren die Gedanken, die mir – einer Berufsanfängerin – durch den Kopf gingen. Als ich wieder ging, zog ich sofort eine Jacke an und verschränkte die Arme vor meiner Brust. Vielleicht hätte ich etwas anderes anziehen sollen.

    Schon stellt sich mir die nächste Frage: Hätte ich den Vorfall verhindern können? Oder, weitergedacht, kann man sich vor sexualisierter Gewalt schützen? Liegt die Rettung vielleicht doch im dicken Rollkragenpullover? Nein, stellt Wildwasser-Beraterin Hubl fest. "Es kann jeden und jede treffen. Es spielt keine Rolle, wie man aussieht oder was man anhat." Es sei leider noch stark im kollektiven Bewusstsein verankert, dass Betroffene selbst schuld sind, wenn ihnen so etwas passiert. "Schuld ist allein die gewaltausübende Person, sonst niemand", sagt Hubl. 

    An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen: Nicht nur weiblich gelesene Menschen werden sexuell belästigt. Auch Männer oder nonbinäre Menschen sind betroffen und Frauen können ebenso Täterinnen sein, wenngleich das weitaus seltener vorkommt. Darauf weisen auch die drei Augsburger Aktivistinnen hin. "Uns schreiben verschiedenste Menschen. Das ist nicht nur ein Problem von Frauen, es ist ein gesellschaftliches Problem", erklärt Jana. "Der Ursprung des Übels ist nicht das Geschlecht, sondern der Machtmissbrauch. Und dass eine Position mehr Macht hat", ergänzt Yasmin. 

    Auch müsse man sehen, dass ein betroffener Mann sich von Beginn an in einer blöden Rolle befinde, so Katja aus Augsburg. "Männern wird oft von vornherein schon unterstellt, dass sie sich immer geschmeichelt fühlen und immer Lust darauf haben", sagt sie. 

    Später musste ich Herrn B. ein letztes Mal sprechen. Er schaute mich schon von Weitem an. Wenige Meter entfernt sah ich es erneut. Seine Augen, ohne Scham auf meine Brust gerichtet. Zwei, drei – zu viele Sekunden lang. Nicht aus Versehen. "Es tut mir ja leid, dass ich da so hinschaue." Bitte nicht schon wieder. "Aber der Gurt betont deine Weiblichkeit so. Und dann sitze ich auch noch auf so einer blöden Höhe", sagte er, begleitet von einem Lachen. Blöde Höhe, heißt: Sein Kopf auf Höhe meiner Brust. Als ich dachte, das sei der letzte Kommentar gewesen, blieb sein Blick an einem Sticker hängen, den ich mir zur Akkreditierung seitlich an den Oberkörper geklebt hatte. "Wer hat dir denn den Aufkleber da hingemacht?", fragte er. "Ich selbst", antwortete ich. "Den hätte ich dir da gerne hingemacht", sagte Herr B. Ich glaubte ihm. 

    Wieder ließ ich es über mich ergehen. Ich stellte ihm meine Fragen und bedankte mich am Ende sogar. Lächelnd reichte ich ihm zum Abschied meine Hand. Als ich mich umdrehte, verschwand das Lächeln. Den restlichen Tag und noch viele Stunden nach den Geschehnissen verbrachte ich mit dem Versuch zu verstehen, was passiert war und wieso ich mich nicht deutlicher gewehrt habe. Wieso habe ich nichts gesagt? Wieso habe ich seine Hand nicht weggeschlagen? Wieso bin ich nicht gegangen? Wieso habe ich nicht einfach...

    Doch nichts an dieser Sache ist einfach. All diese Fragen stelle ich mir heute und während meiner Recherche immer noch. Ein Teil von mir ärgert sich noch immer darüber, dass ich so schwach war. Weil es mir eigentlich nicht ähnlich sieht, Belästigungen dieser Art unkommentiert zu lassen. Ein Teil von mir glaubt, ich sei selbst schuld. Hätte ich nur andere Klamotten getragen, hätte ich nur anfangs meine Hand sofort weggezogen. Wieso habe ich nicht anders reagiert?

    Betroffene geben sich nach einem Übergriff oft selbst die Schuld

    Meine Gedanken spiegeln ein Muster wider, das typisch für solche Situationen ist. Ungleiche Machtverhältnisse sorgen dafür, dass Betroffene die Schuld zuerst bei sich suchen. Noch dazu sind sie sich womöglich gar nicht bewusst, dass sie einen sexuellen Übergriff erlebt haben oder belästigt wurden. Egal, was passiert, die erste Frage stellt man erst mal sich selbst. In der Fachberatungsstelle erlebt Hubl das regelmäßig. "Betroffene fragen dann, was denn ihr Anteil an dem Geschehenen ist, ob sie denn nicht selbst schuld sind, weil sie sich nicht gewehrt haben", erzählt die Augsburgerin. Da kann man dem Patriarchat schon mal auf die Schulter klopfen: Es hat es tatsächlich geschafft, dass wir Frauen Erniedrigung und Machtmissbrauch gar nicht als solche einordnen. 

    Macht. Letztlich geht es dabei um nichts anderes. "Jemandem auf der Straße ungewollt etwas hinterherzurufen, ist eine ganz klare Machtdemonstration im öffentlichen Raum", sagt Katja. So etwas ergebe sich auch aus den patriarchalen Strukturen, in denen man aufwächst. Wer immer wieder von so etwas betroffen ist, sei davon irgendwann massiv im Alltag eingeschränkt. "Das führt dazu, dass Leute sich klein machen im Alltag, dass sie sich vielleicht weniger schminken oder andere Kleidung tragen. So etwas schränkt das Leben von anderen Menschen ein", erklärt sie. 

    In meinem Fall gibt es wohl mehrere Gründe dafür, dass ich mich nicht gewehrt habe. Erstens: Es war leichter, so etwas über sich ergehen zu lassen, als etwas zu sagen. Erst recht, wenn man allein ist und niemanden hat, der sich auf die eigene Seite stellt. Ich war 23 und kannte niemanden. Er war deutlich älter, dort beliebt und in bekannter Atmosphäre.

    Zweitens: Ich war abhängig von Herrn B. Ich war nur dort, weil er mich ließ. Ich durfte umsonst essen und trinken, weil er mich ließ. Ohne seine Auskünfte wäre mein Artikel unvollständig gewesen. Er war zwar nicht mein Vorgesetzter, aber ich brauchte ihn. Das Resultat war ein Machtgefälle zu seinen Gunsten, was den primitiven Po-Grapscher von diesem Übergriff unterscheidet. Ich hatte Angst, dass es sich schlecht auf meine Arbeit niederschlagen würde. Was, wenn mir niemand glaubt, was passiert ist?

    Es gibt nicht die eine Antwort auf die Frage, wieso Menschen sich nicht gegen sexuelle Belästigung wehren. Wird es wahrscheinlich nie geben. Sollte es auch nicht. Denn die Reaktion auf einen solchen Vorfall ist so individuell wie die Wahrnehmung des Vorfalls selbst. Eine andere Frau hätte die Kommentare von Herrn B. womöglich nicht als belästigend wahrgenommen. Wieder eine andere wäre vielleicht wütend weggestürmt. Ich für meinen Teil hoffe, dass ich beim nächsten Mal – ja, ich glaube, es wird leider ein nächstes Mal geben – stärker bin. Nicht schweige, nicht lächle, nicht so tue, als wäre das alles ganz normal. Hab dich mal so.

    Betonung auf "so tue". Denn sobald ich die Veranstaltung verlassen hatte, war mir durchaus bewusst, dass dies kein normaler Umgang war. Daheim angekommen, sprach ich mit meinen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern über das Geschehene. Alle sprachen mir Mut zu, es nicht auf mir sitzen zu lassen. Also ging ich zu meinen Vorgesetzten. Kein Zweifel, kein Hinterfragen meiner Erzählung. Mein Chef: "Da müssen wir unbedingt was machen." Zum Glück glauben sie mir.

    Das nächste Gespräch hatte ich mit der internen Rechtsabteilung der Augsburger Allgemeinen. Wir schrieben einen Brief an Herrn B., mit der Forderung einer schriftlichen Entschuldigung für das von mir geschilderte Verhalten. Das hätte mir gereicht. Ich wollte glauben, dass er es nicht so gemeint hat. Dass ihm die Folgen seines Tuns gar nicht bewusst waren. 

    Herr B. stritt alle Vorwürfe wegen sexueller Belästigung ab

    Auftritt Herr B.: "Mit Sicherheit pflege ich einen überaus freundschaftlichen und humorvollen Umgangston auch mit meinen Geschäftspartnern, dies dürfte in Ihrem Haus bekannt sein. […] Die Darstellung und Auffassung von Frau Dimarsico haben schlichtweg so nicht stattgefunden. […] Hier findet sich sicherlich auch der ein oder andere Zeuge, der zur Klarstellung des tatsächlichen Vorgangs beitragen kann." 

    Es folgten Briefwechsel, in denen wir auf eine Entschuldigung bestanden und er sich weigerte. Sein Anwalt drohte mir mit einer Verleumdungsklage, sollte ich meine Vorwürfe nicht zurücknehmen. Am Ende liefen unsere wie auch seine Forderungen ins Leere. Ich erhielt nie eine Entschuldigung, er verklagte mich nie wegen Verleumdung. Eine Anzeige hätte ich privat, außerhalb des Unternehmens, stellen müssen. Aber ohne Beweise, ohne Zeuginnen oder Zeugen – es war mir das Risiko und den Stress nicht wert. Stattdessen fand ich einen anderen Weg, um damit abzuschließen: diesen Text. 

    Nun zurück zum Anfang. Wieso ich mich also nicht gewehrt habe? Schon die Ausgangsfrage ist falsch. Denn es ist nicht meine Schuld. Schuld sind einzig und allein die Herrn B.s dieser Welt. Schuld daran, dass die Worte mir immer wieder durch den Kopf schießen. Dass ich bei jedem Arbeitstermin penibel auf den Abstand zwischen meinem Interviewpartner und mir achte. Dass ich meine schwarze Umhängetasche nicht mehr mag.

    Man sollte nicht erwartungsvoll auf die Betroffenen schauen. Niemand sollte sich fragen, wieso ich mich nicht gewehrt habe. Wichtig ist doch vielmehr: Wieso denkt Herr B., dass dieser Umgang mit einer Frau in Ordnung ist? Wieso streitet er meine Vorwürfe, mit denen er einige Wochen nach den Vorfällen konfrontiert wurde, als haltlose Anschuldigungen ab? Ich weiß, was er denkt. Er hat es mir ins Gesicht gesagt. Eine Entschuldigung, von der er genauso gut wie ich weiß, dass sie eine Lüge ist. Es war ja nur Spaß. Nicht für mich.

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