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Wohnen: Gartenglück im Schottergarten?

Wohnen

Gartenglück im Schottergarten?

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    Impressionen aus Stein
    Impressionen aus Stein Foto: Aus dem Buch „Gärten des Grauens“

    Der Mörder war wieder der Gärtner, und der plant schon den nächsten Coup. Der Mörder ist immer der Gärtner, und der schlägt erbarmungslos zu.

    Kann das wirklich sein? Hat Reinhard Mey tatsächlich schon 1971 den aktuellen Gartentrend besungen? Man könnte es glatt meinen. Das Wetter ist grau, die Gärten sind grau. Was ist da los?

    Gar nichts ist da los. Einfach nichts. Und das mit voller Absicht. Grau ist das neue Grün. Keine Blüten, keine bunten Blätter, die auf einen Rasen wehen... Und wenn der Gärtner ganz erbarmungslos zuschlägt, ist da nicht mal mehr ein Fitzelchen Löwenzahn hinterm Zaun – dabei wächst der eigentlich überall. Dafür aber Ordnung. Jede Menge Ordnung. Schottergärten sind das neue Gartenglück, so scheint es. Jedenfalls gibt es immer mehr davon.

    Im Herbst macht der Garten besonders viel Mühe

    Gärten machen Mühe – jetzt im Herbst ganz besonders. Blätter müssen zusammengerecht, Pflanzen zurückgeschnitten werden, abgeblühte Blumen wandern auf den Kompost oder in die Biotonne, die Quittenernte läuft, die letzten Tomaten werden abgezupft. Krokuszwiebeln kommen in die Erde. Überhaupt jetzt ist Pflanzzeit.

    Impressionen aus Stein
    Impressionen aus Stein Foto: Aus dem Buch „Gärten des Grauens“

    Der Coup für gestresste Gärtner jedoch: Raus mit dem Grün! Kies statt Wiese, Pflastern statt Astern, Gabionen statt Gladiolen. Steingärten sind auf dem Vormarsch. „Seit ungefähr zehn Jahren“ beobachtet Marianne Scheu-Helgertvon der Bayerischen Gartenakademie diesen Trend zum Steingarten, den ausgerechnet die Staudengärtner selbst mit ausgelöst hätten. Denn um den Arbeitsaufwand zu verringern, sei in den 90er Jahren für Staudenanpflanzungen Kies in Mode gekommen. Eine etwa fünf Zentimeter dicke Kiesschicht, auf dem Boden verteilt, soll sogenannte „anfliegende Unkräuter“ verhindern „Das ist aber nur dann gut gelungen, wenn man den Kies nicht sieht“, sagt die Expertin.

    Es gibt sogar einen Preis für „Terror Gardening“ 

    Impressionen aus Stein
    Impressionen aus Stein Foto: Aus dem Buch „Gärten des Grauens“

    Aus dem von Staudengärtnern losgetretenen Trend wurde eine Epidemie. Etwa 500 bis 1.000 Fotos bekommt Ulf Soltau in der Woche zugeschickt. Alles Beweisfotos, dass die Idee mit dem unsichtbaren Kies nicht unbedingt gelingen muss. Im Gegenteil: Von unsichtbarem Kies kann keine Rede sein. Aus seiner Facebook-Initiative ist mittlerweile ein Buch geworden: „Gärten des Grauens“ heißt es vielsagend. Da sind zum Beispiel die zehn Reihenhausbesitzer, die sich offensichtlich abgesprochen haben, natürlichem Grün in der Stadt keine Chance zu geben. Schotter in Grau, Weiß und Rostfarben vor der Haustür. Ein paar Kübelpflanzen in grauen Töpfen. Einzige Farbtupfer soweit das Auge reicht: ein grüner Briefkasten und eine einsame grüne Kehrschaufel.

    Impressionen aus Stein
    Impressionen aus Stein Foto: Aus dem Buch „Gärten des Grauens“

    Oder da ist der Besitzer eines Hanggrundstücks, der nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlassen wollte und seinen ganzen Hügel mit Pflanztrögen zugezimmert hat – in denen jedoch nichts wächst. Mehrstöckige Pflanztrogwüste. Ein trüber Novembertag in all seiner Tristesse ist dagegen eine fröhliche Angelegenheit.

    Manchmal schlägt der Gärtner noch erbarmungsloser zu und arbeitet mit einem bunten Materialmix aus Schottersteinen. Angedeutete Bäche gibt es dann, Wege, die ins Nichts führen. Oder Yin-und-Yang-Muster in Schwarzweiß. Oder im grauen Steinkreis von Pflastersteinen umrahmt eine Trauerweide – aus Plastik.

    Impressionen aus Stein
    Impressionen aus Stein Foto: Aus dem Buch „Gärten des Grauens“

    Mancher, dem es in der schönen, neuen Gartenwelt gar zu grau wird, hübscht sein Areal mit Baumarktdesign wieder auf. Bunte Schaf-Figürchen haben dann ihre große Stunde. Oder das graue Steineselchen, das einen Blumentopf mit Primeln auf dem Rücken trägt – der Gärtner allein weiß, warum es unter einer Plastikhaube steht. „Honeybee’s Nightmare – wenn Bienen schlecht träumen“ schreibt Ulf Soltau unter solche Bilder.

    Bitterbös komisch sind seine Anmerkungen zu den Stilblüten aus der deutschen Vorgartenlandschaft. Doch der Sarkasmus verrät den Idealisten. Der Schleswig-Holsteiner jobbte als DJ in Lübeck, dann wurde er Biologe. Nach seinem Diplom arbeitete er im Naturkundemuseum in Senckenberg, wechselte dann an die Universität Bayreuth und verbrachte zwei Jahre mit Studien im Bergnebelwald in Ecuador. Dieses intensive Leben mit und in einem der artenreichsten Ökosysteme der Erde bezeichnet er als „prägendste Zeit meines Lebens“.

    2006 ging er nach Berlin und beschäftigte sich zunehmend mit Gartenbau und -kultur, was ihn vor zwei Jahren veranlasste die Facebook-Seite „Gärten des Grauens“ zu gründen. Einmal im Monat vergibt Soltau auch den „Terror-Gardening-Award“, also den Preis für den schrecklichsten Garten. Seine Initiative bezeichnet er als erste Gartensatire der Welt.

    „Ein Affront gegenüber der Gesellschaft“

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    Impressionen aus Stein Foto: Aus dem Buch „Gärten des Grauens“

    Doch der Mann hat eine Mission. Schottergärten sind für den 49-Jährigen „tote Fläche, denen jede kulturelle, gesellschaftliche oder ökologische Funktion eines richtigen Gartens abgeht“. Dass mittlerweile immer mehr Kommunen diese Steingärten verhindern wollen, ja zuweilen gar blaue Briefe an Grundstücksbesitzer schreiben, freut Soltau, sieht er auch als Erfolg seiner Initiative. Soltau, der Satiriker kann auch ernst: Der private Vorgarten sei ein gestalterisches Element des öffentlichen Raums, mahnt er. „Ihn in eine tote Schotterfläche zu verwandeln, gleicht einem Affront gegenüber der Gesellschaft.“

    Optisch ein Affront, ökologisch eine Katastrophe. Steingärten bieten heimischen Tier- und Pflanzenarten keine Nahrung, keinen Unterschlupf oder Lebensraum. Ein britischer Biologe hat auf seiner privaten Scholle im Lauf mehrerer Jahre 2500 verschiedene Arten von Pflanzen und Tieren gezählt. Schottergärten sind, was das angeht, eine Nullnummer.

    Ihnen liegt meist eine Plastikfolie zugrunde, dadurch haben nicht mal Mikroorganismen im Boden eine Chance. Regenwasser kann nicht in den Boden versickern, was sich negativ auf den Grundwasserhaushalt auswirkt. Schottergärten dämmen auch keinen Verkehrslärm, heizen in Ballungsräumen die Luft auf. Über den oftmals dunklen Steinflächen wird eine um bis zu fünf Grad höhere Temperatur als über bepflanzten Arealen gemessen. Dazu komme: Steine binden weder Feinstaub noch Kohlendioxid.

    Grün, das ist erwiesen, trägt zur Reduzierung von Stress bei und erhöht die Frustrationstoleranz. Nicht von ungefähr gehen jetzt alle Waldbaden. „In Anbetracht verschwindender Oberflächen, einer hochindustrialisierten Landwirtschaft und eines nie dagewesenen Artensterbens vor unserer Haustür“, schimpft Soltau, „kann man den zu Tode aufgeräumten, gepflegten Garten nur als Anachronismus betrachten“.

    Aber woher rührt diese deutsche Liebe zum Schotter? Soltau spürt da einen „gesellschaftlichen Druck, einen unkrautfreien, ordentlich getrimmten Garten vorweisen zu müssen.“ Und dann sei da natürlich der alte unerfüllte Traum vom Garten, der keine Arbeit mache. Aber was, fragt Soltau, spreche dagegen, einen Garten würdevoll zuwuchern und die gleichen Geschichten erzählen zu lassen wie Falten in einem Gesicht. Um mit Reinhard Mey zu sprechen: Gärtner, das wäre mal ein Coup!

    Das Buch

    Ulf Soltau: Gärten des Grauens. Eichborn, 128 S., 14 Euro

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