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Wissenschaft: Corona, der Lockdown und die Folgen für die Psyche

Wissenschaft

Corona, der Lockdown und die Folgen für die Psyche

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    Die Corona-Krise kann die Psyche belasten. Die dunkle Jahreszeit kommt erschwerend hinzu.
    Die Corona-Krise kann die Psyche belasten. Die dunkle Jahreszeit kommt erschwerend hinzu. Foto: Peter Steffen, dpa (Symbolbild)

    Je länger die Covid-19-Pandemie andauert, umso mehr rücken ihre psychischen Folgen in den Fokus. Soziale Isolation, eine unsichere Zukunft, ökonomische Sorgen sowie Angst um die eigene Gesundheit und die von Familie und Freunden können die psychische Gesundheit von Menschen weltweit beeinträchtigen. Die psychischen Langzeitfolgen sind noch unklar. Doch erste Studien legen nahe, dass das Risiko für Depressionen, Angsterkrankungen, Belastungsstörungen und Suchtverhalten zunimmt.

    Hinzu kommt: Im Zuge einer Infektion kann das Virus selbst das Gehirn befallen und dort neuropsychiatrische Symptome verursachen. Dazu gehören laut einer britischen Studie in The Lancet Angst, depressiven Verstimmungen, Vergesslichkeit und Verwirrtheit sowie Schlaflosigkeit. Vereinzelt wurde in der Studie auch über Psychosen, Delirien, Demenz-ähnliche und andere Störungen berichtet.

    Noch Monate nach der Entlassung aus der Klinik oft Angstzustände

    Die Zahl der Untersuchungen über die psychischen Folgen der Covid-19-Pandemie wächst rasch. "Mittlerweile gibt es weit über 1000 Veröffentlichungen zu diesem Thema", sagt Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Derzeit werde viel mit vorläufigen Ergebnissen ohne wissenschaftliche Begutachtung gearbeitet. Dazu gehört auch eine Arbeit der Universität von Oxford, der zufolge eine große Zahl der aus Kliniken entlassenen Covid-19-Patienten zwei bis drei Monate nach der Ansteckung mit dem Virus immer noch Symptome wie Angstzustände und Depressionen aufwies.

    Insbesondere bei Erkrankten, die in Kliniken gewesen sind, sei das Risiko für psychische Folgen hoch: "Wenn sie infiziert sind, befinden sie sich in einer potenziell lebensbedrohlichen Situation. Sie kommen auf die Intensivstation, müssen invasiv behandelt, beatmet werden – das hat Auswirkungen auf die Psyche", beschreibt Meyer-Lindenberg. Mehrere Studien aus China hätten gezeigt, dass praktisch alle entsprechenden Patienten Symptome einer Stressstörung hatten. Doch auch die psychische Gesundheit von Nicht-Infizierten kann unter den Folgen von mit der Pandemie verbundenen Ängsten und Kontaktbeschränkungen leiden:

    • So ergab eine Untersuchung der Boston University School of Public Health, dass 27,8 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner Mitte April depressive Symptome zeigten im Vergleich zu 8,5 Prozent vor der Pandemie. Ähnliche Anstiege hätten sich nach den Terrorattacken vom 11. September, dem Ausbruch der Ebola-Epidemie und den Massenprotesten in Hongkong in den jeweiligen Bevölkerungen gezeigt.
    • In einer Umfrage im Juni berichteten gut 40 Prozent von fast 5500 erwachsenen US-Amerikanern, unter mindestens einem Symptom einer psychischen Störung zu leiden. Darunter waren Depressionen, Angstzustände, posttraumatischer Stress und Drogenmissbrauch – drei- bis viermal mehr als ein Jahr zuvor.
    • Eine finnische Studie ergab, dass 25 Prozent von 4000 Befragten seit Beginn der Krise mehr Albträume haben. Immerhin 15 Prozent von 3000 befragten US-Amerikanern berichteten einer anderen Studie zufolge von schlechteren Träumen.

    Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), hebt eine Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim hervor, der zufolge der Corona-Lockdown für Jugendliche und junge Erwachsene sehr belastend war. "Das ist plausibel, weil Jüngere noch mehr soziale Kontakte mit ihren Peer-Gruppen brauchen", erklärt er.

    Tipps für eine stabile Psyche im Umgang mit Corona 

    Auf weitere besonders anfällige Gruppen verweist Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin: Zu diesen gehörten Menschen, die bereits unter einer psychischen Erkrankung leiden, aber auch Ältere, Alleinstehende und Menschen, die kaum soziale Netzwerke haben. In diesem Zusammenhang seien speziell Obdachlose betroffen, die ohnehin ein stärkeres Vereinsamungsrisiko aufwiesen. Hinzu kämen Menschen, deren ökonomische Lage fragil sei.

    Tatsächlich ergab auch die Studie der Boston University, dass Menschen mit geringeren finanziellen Ressourcen in den USA ein höheres Depressionsrisiko während der Pandemie zeigten. "In Deutschland ist die ökonomische Situation vieler Menschen allerdings eine andere", betont Heinz. Überhaupt sei hierzulande gerade zu Beginn der Pandemie eine Welle der Solidarität zu beobachten gewesen: "Das hat dazu beigetragen, dass wir bislang relativ gut durch die Zeit gekommen sind."

    Laut Andreas Meyer-Lindenberg haben frühere Studien zu Quarantäne- und Isolationssituationen bei Infektionskrankheiten wie Mers oder der Schweinegrippe einen Anstieg von posttraumatische Belastungsstörungen, Depressivität und Suchterkrankungen gezeigt wie auch eine Stigmatisierung von Erkrankten. Schon jetzt ließen sich Faktoren nennen, welche die psychische Widerstandskraft (Resilienz) von Menschen im Umgang mit der Pandemie, aber auch mit Quarantäne- und Lockdown-Situationen stärkten. So sei das Informationsmanagement wichtig: "Wir empfehlen, sich eine offizielle, glaubwürdige Quelle auszusuchen, Informationen von dieser Quelle zu beziehen und dafür nur einen eingeschränkten Anteil von Zeit pro Tag aufzuwenden."

    "Trinken Sie viel, aber nicht unbedingt Alkohol"

    Zentral sei auch, Isolation zu brechen, indem man mit Freunden und Familie kommuniziere. Hinzu komme allgemeines Stressmanagement mit Routinen, regelmäßigem Schlaf und Erinnerungen an die Dinge, über die man Kontrolle hat – etwa "was man kocht, was man anzieht", sagt Meyer-Lindenberg.

    Psychotherapeut Munz rät zusätzlich gerade Menschen, die im Homeoffice arbeiteten, sich in der aktuellen Situation eine feste Tagesstruktur zu schaffen. Zudem gelte es, körperlich aktiv zu bleiben und sich nicht zu sehr zurückziehen. Wer dazu neige, sich zu stark mit seinen Ängsten zu beschäftigen, sollte Ablenkung suchen. Weitere Präventionsempfehlungen gibt es im BPtK-Papier "Corona-Pandemie und psychische Erkrankungen". Darunter etwa: "Trinken Sie viel, aber nicht unbedingt Alkohol."

    "Vor allem aber sollte man sich auch zugestehen, dass man belastet ist – und sich gegebenenfalls Hilfe suchen", so Munz. Er geht von vielfältigen Folgen der Pandemie aus: "Einige werden mit einer Resilienz aus der psychischen Belastung rauskommen, bei manchen wird diese Belastung bleiben und bei wieder anderen wird es zu Folgeschäden kommen." Der Psychotherapeut nennt in diesem Kontext vor allem Kinder und Erwachsene, die von häuslicher Gewalt betroffen waren. Jene sollten bei der Planung künftiger Maßnahmen im Zuge der Pandemie besonders berücksichtigt werden wie überhaupt Menschen, die mehr als andere durch die psychischen und sozialen Folgen der Schutzbestimmungen belastet seien.

    Wann professionelle Hilfe nötig ist? Laut Heinz sei es zunächst eine ganz übliche Reaktion, traurig oder bedrückt zu sein. Aber: "Wenn man aus den Gedankenkreisen nicht mehr herauskommt, beispielsweise nur noch über eine mögliche Ansteckung mit dem Virus nachdenkt, und dadurch immer mehr eingeschränkt ist, sollte man sich helfen lassen." Die Grenze zwischen normalen Sorgen und einer Erkrankung sei allerdings nicht immer klar zu ziehen.

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