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Wetter-Apps: Wetter-Apps: Das unsichere Geschäft mit dem Wetter

Wetter-Apps

Wetter-Apps: Das unsichere Geschäft mit dem Wetter

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    Die kleinen Programme sind wahnsinnig erfolgreich - aber leider nicht immer zuverlässig.
    Die kleinen Programme sind wahnsinnig erfolgreich - aber leider nicht immer zuverlässig. Foto: bernardbodo, Adobe Stock

    Jacke oder T-Shirt? Fahrrad oder Auto? Große Fragen des Alltags, die sich Millionen Menschen jeden Morgen stellen. Und die Antworten liefert in den meisten Fällen ein Blick aufs Telefon – noch bevor der Rollladen vor dem Schlafzimmerfenster nach oben gezogen worden ist. Wetter-Apps gehören zu den erfolgreichsten Programmen für Smartphones. Der Wahnsinnssommer, in dem ein Tag schöner war als der andere, hat ihnen sogar noch einen Schub gegeben: Weit über 250 Millionen Mal wurde die Seite des deutschen Marktführers Wetteronline von Juni bis August von Deutschland aus aufgerufen, der größte Anteil lief dabei über die App.

    Eigentlich nicht so überraschend. Heute läuft es so: Wer in zwei Wochen in den Urlaub fliegt, schaut bis dahin täglich, wie am Reiseziel das Wetter wird. Für jeden Ort der Welt ist sofort eine Prognose verfügbar. Ob die Zahlen, die dann hübsch aufgemacht auf dem Bildschirm stehen auch stimmen, ist eine andere Frage. In der allzeit vernetzten Welt sind wir darauf konditioniert, jederzeit alles wissen zu können. Eigenen Erfahrungen und Beobachtungen zu vertrauen, verlernen wir dabei zunehmend. So wie die Autofahrer, die immer nur aufs Navi hören und sich dann wundern, warum sie plötzlich in der Wiese feststecken. Anderes Thema. Jetzt erst mal wieder zurück zu der Frage nach der richtigen Garderobe.

    Es ist Donnerstag, der 6. September, kurz vor neun Uhr morgens. Für heute ist die Klamottenfrage geklärt, aber wir machen einfach mal den Test: Eine Reihe kostenloser Wetter-Apps soll uns das Wetter für den Tag des Redaktionsschluss dieses Artikels, heute in einer Woche, Donnerstag, 13. September, vorhersagen. Wir fangen erst mal ganz simpel an, mit dem Wetter jetzt gerade. Ein Blick aus dem Fenster zeigt: Alles ruhig, die Sonne kämpft sich durch ein paar Wolken. Ganz gut eigentlich. Was sagen die Apps?

    Für 36 Stunden im Voraus stimmt die Vorhersage immerhin noch zu 92 Prozent

    "12° Nebel", meldet Clearday, das es auf das Tablet geschafft hat, weil es tolle animierte Bilder in der Vorschau hatte und auch noch gut bewertet war. Nicht so schick, aber näher dran ist Wetter.com (147.000 positive Bewertungen!): "15° bedeckt". Wetteronline misst "14° wechselnd bewölkt". Das kommt hin. Aber drei Grad Unterschied allein bei der Anzeige der aktuellen Temperatur? Wie genau kann da die Vorhersage sein?

    Wir brauchen Hilfe. Ein Anruf bei Diplom-Meteorologe Gerhard Lux vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. Der klärt erst einmal das Grundsätzliche: "Wir werden nie eine hundertprozentige Wettervorhersage haben. Das ist physikalisch nicht möglich. Die Wettervorhersage ist die Auseinandersetzung mit dem, was in unserer Atmosphäre geschieht. Aber die Atmosphäre ist ein chaotisches System. Kleinste Schwankungen oder Unsicherheiten in den Ausgangsdaten für die Wetterberechnung können nach kurzer Zeit zu völlig unterschiedlichen Vorhersagen führen." Man nennt das den Schmetterlingseffekt. Zugespitzt bedeutet das: Flattert in Brasilien ein Schmetterling nach links statt nach rechts, kann es eine Woche später bei sonst gleicher Ausgangslage in Texas einen Tornado geben.

    Wer ein Smartphone hat, hat auch eine Wetter-App.
    Wer ein Smartphone hat, hat auch eine Wetter-App. Foto: Marc, Adobe Stock

    Am Anfang jeder Prognose steht also ein möglichst genaues Bild des Ist-Zustands. Dafür überziehen die DWD-Meteorologen am Computer die ganze Welt mit einem virtuellen Netz. 75 Kilometer reicht dieses Netz in die Höhe und für jeden seiner 256 Millionen Knotenpunkte berechnet der Supercomputer des DWD aus den gemessenen Daten mehrmals am Tag neu, wie dort das Wetter wird. Der

    Kein Land auf der Welt hat so ein enges Messnetz wie Deutschland. Aber von weiten Teilen Afrikas und einigen Gebieten Asiens gibt es gar keine Bodendaten. Und im Vergleich zur Fläche des Pazifischen Ozeans wird Deutschland plötzlich sehr klein. Auf dem Wasser fahren zwar viele Schiffe, die auch Daten an das globale

    Die Daten sind das eine. Das andere ist, was man daraus macht

    Samstag, 8. September, 8.30 Uhr, Zeit für die nächste Stichprobe. Zeit für die nächste Überraschung. Clearday ist heute deutlich optimistischer: "19° bedeckt", zeigt die App als aktuellen Wert. Wetteronline meldet ziemlich passend "13° bewölkt". Meteo Earth, das in der Gratisversion gar keine längere Vorhersage anbietet, gar nur "12° bewölkt". Für Donnerstag liegen die Prognosen merkwürdigerweise wieder näher beisammen. Clearday sagt 26 Grad voraus, bei zehn Prozent Niederschlagswahrscheinlichkeit; Wetter.com 24 Grad, kein Regen; Wetteronline sieht sogar 27 Grad, aber auch 30 Prozent Regenwahrscheinlichkeit. Glauben würde ich am liebsten Wetter.com. Aber wenn es danach geht, brauche ich ja keine Wetter-App. Was also ist da los, Herr Lux?

    "Da kann ich auch nur spekulieren, ich weiß ja nicht mal, woher die Anbieter ihre Daten bekommen", sagt der Wetter-Profi. Gerade vorinstallierte Apps kommen meist aus Amerika und greifen auf die Daten der großen US-Anbieter Accuwheather oder Wheather Channel zurück. Die verwenden aber ein anderes Wettermodell mit einem grobmaschigeren Messnetz. Das mag für die eher großräumig strukturierten USA gute Ergebnisse liefern. In Europa, wo die Landschaft viel kleinteiliger ist, stößt das an Grenzen.

    Woher die Apps ihre Daten haben, bleibt dem Nutzer fast immer verborgen. Technisch möglich wäre auch, dass die angezeigte aktuelle Temperatur gar nicht an einer Station gemessen wurde, sondern nur aus den aktuellen Daten der Umgebung vorhergesagt wurde. Das bietet sich an, wenn keine offizielle Messstelle vor Ort ist – und ist für DWD-Meteorologen Lux auch legitim: "Aber man sollte dann auch sagen, dass dieser Wert nicht gemessen, sondern berechnet ist."

    Trotz seiner rund 2000 amtlichen Messstellen kann auch der DWD nicht überall messen. Eine private Wetterfirma könnte sich so ein großes Messnetz oder ein vergleichbares Rechenzentrum erst recht nicht leisten. Muss sie auch nicht unbedingt. Denn wie andere staatliche Wetterbehörden auch, stellt der DWD alle von ihm gemessenen und vorhergesagten Daten der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung. Aber die Daten sind das eine. Das andere ist, was man daraus macht.

    Wer nicht in Euro und Cent bezahlt, verkauft sich durch die Nutzung seiner Daten

    Es ist wieder Montag, 10. September, kurz vor 9 Uhr. Clearday ist schon gut drauf und jubelt mir zu: "21° klar". Meteo Earth zeigt mir vor allem Werbung, dann immerhin auch "19° bewölkt". Wetter.com und Wetteronline sind mit zwölf respektive 14° deutlich verhaltener – aber eben auch näher dran an der Wahrheit an diesem Montagmorgen. Immerhin sind die Prognosen für Donnerstag nicht so weit auseinander: alle liegen zwischen 25 und 27 Grad sowie 35 bis 50 Prozent Niederschlagswahrscheinlichkeit. Heißt wohl: Mit dem Auto zur Arbeit.

    "Die Qualitätsunterschiede bei der Wettervorhersage haben vor allem etwas mit dem Aufwand zu tun, den ich treibe, wenn ich Messdaten auslese und aufbereite", sagt DWD-Meteorologe Lux. Das fängt schon bei den Symbolen an, die Sonne, Wolken oder Regen darstellen. Es gibt dafür internationale Vorgaben. Aber am Ende kann jeder private App-Anbieter selbst entscheiden, wie die kleinen Piktogramme aussehen sollen. Viel wichtiger für die Qualität der Vorhersage ist aber: Wie oft wird die Prognose erneuert?

    Der DWD rechnet bis zu achtmal am Tag eine neue Vorhersage. Und acht Wissenschaftler sind nur dafür da, alle DWD-Vorhersagen laufend zu überprüfen und nachzujustieren. Dazu kommt, dass die Vorhersagen inzwischen im Ensemble gerechnet werden, das heißt statt einer Vorhersage werden 30 oder 40 Vorhersagen parallel mit leicht unterschiedlichen Ausgangsdaten gerechnet. So erkennt man welche Vorhersage die wahrscheinlichste ist.

    Daten, Daten, Daten. Dabei sind gerade bei kostenlosen Wetter-Apps in der Regel ja nicht einmal die Daten, die ins Gerät kommen, das größte Problem, sondern jene, die wieder rausgehen. Das Verbraucherschutzportal "Mobilsicher" hat einige Wetter-Apps auf ihre Datenschutzeinstellungen getestet. Das Fazit der Experten lautete Ende 2017: kommerzielle Wetter-Apps sind vor allem, wenn sie gratis angeboten werden, "eher als Datensammler mit Zusatzfunktion Wetterdienst zu betrachten".

    Zu den Daten, die von den Apps vieler privater Wetterfirmen vor allem mit Werbevermarktern, aber zum Beispiel auch mit Facebook – egal ob man dort eingeloggt ist oder nicht – geteilt werden, gehören etwa, welches Gerät mit welchem Betriebssystem man benutzt, der Standort, manchmal sogar Geschlecht und Alter des Nutzers. Woher letztere Daten stammen, konnten die IT-Experten nicht klären.

    Auch so wird klar: Wer nicht in Euro und Cent bezahlt, verkauft sich durch die Nutzung seiner Daten selbst. Auch die Warnwetter-App des DWD war zunächst kostenlos – eine App, die nach Meinung der Datenschützer vorbildlich war. Nach einer Klage von Wetteronline muss man nun dafür bezahlen. Nur eine abgespeckte Version, die vor Unwettern und Naturkatastrophen warnt, gibt es weiterhin gratis. Eine kostenlose Wetter-App einer staatlichen Stelle sei nichts anderes als steuerfinanzierte Wettbewerbsverzerrung, sagen die Privaten. Der Rechtsstreit läuft noch.

    Donnerstag, 13. September, 17 Uhr. Zeit für einen letzten Blick aus dem Fenster. Ein Regenschauer ist gerade vorbei, zwischen den Wolken scheint wieder etwas Blau durch. Wetter.com hat bei der letzten Vorhersage gestern Morgen eine Punktlandung hingelegt. Clearday hatte die Uhrzeit richtig, aber gleich ein Unwetter vorhergesagt. Der DWD hat aktuell tatsächlich eine

    Eine Empfehlung? Wetter-Apps sind Geschmackssache. Und wer sie nutzt, muss sich überlegen, was er bereit ist, dafür zu bezahlen. Was sonst auch ginge: Jacke mitnehmen, wenn man das Haus verlässt.

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