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Urlaub in Zeiten von Flugscham: Richtig reisen - geht das überhaupt noch?

Urlaub in Zeiten von Flugscham

Richtig reisen - geht das überhaupt noch?

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    Richtig reisen - geht das überhaupt noch?
    Richtig reisen - geht das überhaupt noch?

    Die Schwedische Bahn setzt künftig mehr Nachtzüge auf der Strecke zwischen Malmö und Stockholm ein. Was uns das angeht? Viel mehr als wir denken. Der neue schwedische Bahn-Boom wurde unter anderem durch Björn Ferry ausgelöst, Biathlet, Olympiateilnehmer und unheimlich populär. Als der 40-Jährige als Kommentator für Sportevents angefragt wurde, ging er auf das Angebot nur ein, wenn der Sender ihm die ausschließliche Anreise per Bahn gestatten würde. Ferry ist nun viel in

    Aus Flygskam wurde nun Flugscham

    Vor wenigen Monaten war dieses Wort noch nicht mal erfunden, jetzt ist es in aller Munde. Flugscham hat sogar eine internationale Karriere hingelegt. Denn die Wortschöpfung bringt ein Gefühl auf den Punkt: auf Kosten anderer, achselzuckend den ökologischen Fußabdruck viel zu lange missachtet zu haben. Neun schlichte Buchstaben und eine sich zur Reisezeit aufdrängende Frage: Wie vertretbar ist es heute noch, in ein Flugzeug zu steigen, um sich nach fünf, sieben oder zwölf Stunden Flugzeit an den Strand zu legen?

    Jeden Freitag gehen tausende von Schülern auf die Straße, um für ein neues Bewusstsein zu kämpfen, demonstrieren für mehr globale Achtsamkeit, weil sie Sorge haben, dass sie sonst ihre Zukunft vergessen können. Sie sind laut. Sie sind beharrlich. Und sie haben sich viel vorgenommen. Sie wollen nichts weniger, als dass weltweit endlich Maßnahmen für eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes ergriffen werden, für Deutschland fordern sie die Nettonull bis 2035. Der Treibhauseffekt hat viele Ursachen, das Flugzeug ist davon das umweltfeindlichste Verkehrsmittel.

    Und trotzdem ist die Hölle los

    Das Klima hat sich gewandelt. Wurden Reise-Rückkehrer vor nicht allzulanger Zeit neugierig nach ihren Erlebnissen gefragt, kann es ihnen heute passieren, dass sie in die Schäm-dich-Ecke gestellt werden. Wie, du bist für drei Tage nach Madrid geflogen? Die Demonstrationen der „Fridays für Future“-Bewegung zeigen Wirkung. Die Stimmungslage hat sich verändert. Theoretisch zumindest.

    Denn da war dieses Wochenende Anfang Juli, welches das ganze Dilemma aufzeigt. Es ist das erste große Reisewochenende des Sommers. Die Ferien in Nordrhein-Westfalen haben begonnen. Stauwarnungen im Verkehrsfunk im Viertelstundentakt. Eine Nation macht sich etappenweise auf den Weg Sommer, Sonne, Strand zu genießen. An den Flughäfen ist die Hölle los. Und genau an diesem Wochenende verkünden Lufthansa und die englische Billigfluggesellschaft Easyjet Erfolgszahlen.

    Plötzlich ist Nachhaltigkeit im Urlaub wichtig

    Reden wir also mehr über das Reisen, als dass wir es verändern? Anruf bei Dr. Christian Schmücker von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen. Dieses Institut ist so etwas wie der Seismograf der Reisebranche. In rund 12.000 Telefoninterviews fängt es jährlich die Stimmungslage der deutschen Urlauber ein. Wie groß ist ihre Lust zu verreisen? Wie viele Reisen sind im Jahr geplant? Und wohin soll die Reise gehen? Das sind nur drei der vielen Fragen, die in den Gesprächen gestellt werden. Seit 49 Jahren gibt es das Institut. In diesem Jahr sind erstmals Fragen zum Umweltbewusstsein der potenziellen Urlauber dazugekommen. 57 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen Nachhaltigkeit im Urlaub wichtig ist.

    „Aber dann kommt ihnen doch etwas dazwischen, diese Einstellung auch in die Tat umsetzen“, erklärt Schmücker. Schon seit Jahren stelle er fest, dass es bei den Reisenden „einen Gap“, eine Lücke, in Bezug auf das gibt, was ihnen wichtig ist und wie sie tatsächlich handeln. Das ist ähnlich wie beim Fleischkonsum. Alle sind für Tierwohl und dann wird doch die Massenware vom Discounter eingekauft, weil es so billig ist. Zu zweit für 999 Euro 14 Tage lang nach Ägypten. Wer kann dazu schon nein sagen?Oder wenn man sich einen Traum erfüllen möchte, geht es nicht, ohne in ein Flugzeug zu steigen. „Wer unbedingt nach Australien möchte, kann nicht dorthin schwimmen.“

    Dass die Welt nun nicht abrupt das Reisen einstellt, weil seit einigen Monaten Tausende von Schülern für eine effektivere Klimapolitik demonstrieren, verwundert Schmücker nicht. Der Meinungsforscher rechnet dennoch damit, dass die „Fridays for Future“-Bewegung langfristig Wirkung zeigen wird. „Aber noch nicht in diesem Jahr.“ Menschen bräuchten einige Zeit, bis sie ihre Gewohnheiten umstellen. Urlaubsreisen würden ja auch langfristiger geplant werden.

    Der Experte rechnet mit zeitverzögertem Greta-Effekt

    Schmücker rechnet deshalb mit einem zeitverzögerten Greta-Effekt. „Ich kann mir für einen Teil der Reisenden durchaus vorstellen, dass sie sich bewusst auf nähere Ziele besinnen.“ Mehr Bernried statt auf die Bermudas, mehr Wandern, mehr Radeln also. Von einem radikalen Verhaltenswandel quer durch die Gesellschaft geht er dennoch derzeit nicht aus. „Auch in zehn bis 15 Jahren werden die Leute noch an Mittelmeerstrände fliegen.“ Reisen, so die Umfragewerte, gehört für rund 80 Prozent der Deutschen zu einem festen Bestandteil ihres Lebensstils. Ähnlich wie der jährliche Christbaum. Der zählt auch zum Standard.

    Doch langsam sickert die Erkenntnis ein, dass Fernweh auch tatsächlich weh tut. Die gigantischen Bettenburgen an den Stränden, die Monsterschiffe der Kreuzfahrtunternehmen, die Stickoxide tonnenweise in dicken Rauchwolken in die Atmosphäre blasen. Grüne Golfplätze, Gärten, Skihallen in der Wüste, die Unmengen von Wasser und Energie fürs pure Vergnügen verbrauchen. In Dubai müssen die Pools auf den Dächern der Hotels gekühlt werden, dass die Gäste sich erfrischen können. Wenn sich über der Tempelanlage von Angkor Wat in Kambodscha die Dämmerung senkt, wird den Einheimischen das Wasser abgedreht, damit die verschwitzten Touristen nach ihrem anstrengenden Tag in den Hotels duschen können. Ein Irrsinn, das alles.

    Moderner Ablasshandel: 23 Euro pro Tonne kostet die Absolution

    Eine neue Form des Ablasshandels ist entstanden. Die Methode sich heutzutage ein besseres Umweltgewissen zu erkaufen, nennt sich Ausgleichszahlungen. Urlauber können auf diese Weise Flug- und Schiffsreisen kompensieren. Organisationen wie Atmosfair, Primaklima oder Klima-Kollekte unterstützen mit diesen Geldern Aufforstungs- und soziale Projekte in Entwicklungsländern.

    Marktführer Atmosfair versorgt zum Beispiel in Afrika Familien mit effizienten Solar-Öfen, sodass dort weniger Feuerholz verbrannt und weniger Wald vernichtet wird. In Nepal verarbeiten Mini-Biogasanlagen Kuhdung zu Gas, mit dem dann gekocht werden kann. Klima-Kollekte ersetzt in Indien Kerosinlampen durch Solarlampen. Andere Unternehmen wie Primaklima forsten mit dem Geld Wald wieder auf. Pflanzen lagern beim Wachsen Kohlendioxid ein. Wenn der Baum verrottet oder verheizt wird, dann wird das Gas allerdings wieder freigesetzt. Deshalb sind Aufforstungsprojekte bei Klimaschützern nur zweite Wahl.

    Die Absolution kostet durchschnittlich 23 Euro pro Tonne CO2. Bei einem Flug von Frankfurt nach Berlin würden demzufolge bei Atmosfair 2,30 Euro für die Kompensation fällig werden. Bei einem Flug von

    Fliegen gilt nicht nur wegen des CO2-Ausstoßes als Klimakiller. Stickoxide, Aerosole und Wasserdampf, die bei der Verbrennung von Kerosin entstehen, bauen sich in der Luft nicht nur langsamer ab als am Boden, sie wirken in der Atmosphäre stärker und beschleunigen dadurch den Treibhauseffekt.

    1000 Kilogramm pro Kopf sind das Ziel

    Es gibt verschiedene Berechnungen von Klimaschützern: Mit einem Flug nach Thailand und zurück etwa verursache jeder Passagier fast so viel Kohlendioxid, wie normalerweise in sechs Monaten zu Hause. Bei einem Flug von Deutschland auf die Malediven – hin und zurück sind es jeweils 8000 Kilometer – werden fünf Tonnen CO2 in der Atmosphäre geblasen. Diesen Wert erreicht ein normaler Mittelklassewagen nach einer Fahrleistung von rund 25.000 Kilometern. Das ist ungefähr so viel, wie ein Vielfahrer im Jahr auf den Straßen abspult. Wer von Berlin nach Gran Canaria und zurückfliegt, emittiert rund eineinhalb Tonnen Kohlendioxid – das ist etwa so viel, wie ein Mensch durchschnittlich in Indien im ganzen Jahr verursacht. Wenn Deutschland laut Klimaschutzplan bis 2050 die erwünschte Klimaneutralität erreichen will, kann jeder in Deutschland nur rund 1000 Kilogramm Kohlendioxid emittieren. Derzeit verursachen die Deutschen durchschnittlich 11.000 Kilogramm.

    Verfluchter Tourismus, geliebter Tourismus

    Gut, dann bleiben wir eben alle zu Hause. Bernried ist auch gut. Fürs Gewissen und das Klima sowieso. Aber globale Lösungen sind komplexer. Als in Ägypten in Folge des Arabischen Frühlings und wegen Anschlägen der Tourismus vollkommen zum Erliegen kam, mussten tausende Droschkenfahrer mit Lebensmittelpaketen unterstützt werden, damit sie ihre Familie ernähren konnten. In Uganda würde der Dschungel weniger geschützt, wenn die Berggorillas keine Attraktion wären. In Botswana gäbe es kein Verbot der Trophäenjagd, wenn es nicht schlecht fürs Image wäre. In Marokko hätten viele Familien kein Auskommen, wenn nicht Frauen Arganöl an Touristen verkaufen könnten. Ein paar Beispiele von vielen, dass Reisen tatsächlich auch Gutes bewirken kann. Das vergisst man heutzutage leicht.

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    Der moderne Tourismus ist ein einziges Dilemma, er bewegt sich in einem fast irrsinnig weiten Spannungsfeld zwischen Himmel und Hölle. Es ist zum einen ein Zuviel von allem und doch wird er vielerorts dringend benötigt. In zahlreichen Ländern ist er der größte, wenn nicht der einzige Wirtschaftsfaktor. In Deutschland hängen beispielsweise 2,9 Millionen Arbeitsplätze direkt vom Geschäft mit den Urlaubern ab. Laut Zahlen des Deutschen Tourismusverbands liegt der Anteil am Bruttoinlandsprodukt bei 3,9 Prozent, die Autoindustrie erwirtschaftet 4,4 Prozent.

    Durch die Besucher können Strukturen erhalten und neu geschaffen werden – in den überrannten Städten Amsterdam, Venedig, Dubrovnik nicht gerade die erwünschten. In Bergdörfern und einsamen Gegenden ist der Tourismus oft die einzige Möglichkeit, Leben im Ort zu erhalten.

    Aber die Kosten und die Zeit ...

    Da mach es mal richtig als Reisender … Wenn richtig nicht geht, dann vielleicht besser. Wer nicht fliegt, sondern mit dem Zug fährt, spart laut Berechnungen des Bundesumweltamtes pro Kilometer zirka 170 Gramm Treibhausgase ein – er braucht aber auch deutlich länger und darf für sein Umweltbewusstsein auch tiefer in die Tasche greifen. Wer Mitte August von München nach Hamburg möchte, ist über sechs Stunden unterwegs und zahlt 93,90 Euro. Auf Internetportalen finden sich Flüge ab 68 Euro. Die Flugzeit beträgt 80 Minuten. Die günstigen Tickets bezahlen übrigens alle mit. Fluggesellschaften zahlen zwar eine Luftverkehrsabgabe, Kerosin wird aber nicht besteuert. Vor allem kleinere Regionalflughäfen versuchen durch geringe oder auch gar keine Gebühren, Airlines an ihren Standort zu holen. Das ist das Prinzip Ryanair. Frankreich kündigte kürzlich eine Umweltsteuer in Höhe von 18 Euro auf Flugtickets an. Und in Deutschland? Da hat die Diskussion gerade erst darüber begonnen.

    200 Millionen Passagiere im Jahr - bald

    Aber lässt sich die globalisierte Gesellschaft überhaupt aufhalten? Eine Milliarde Menschen macht sich mittlerweile jährlich auf den Weg: Geschäftsreisen, Urlaubsreisen, Verwandtenbesuche … Zwei Mega-Projekte zeigen, dass mit noch mehr Reisenden weltweit gerechnet wird. Im April ist in Istanbul der neue Flughafen in Betrieb gegangen. Nach der vollständigen Fertigstellung sollen dort 200 Millionen Passagiere pro Jahr abgefertigt werden. Das wären doppelt so viele Fluggäste, wie sie derzeit in Atlanta, am mit Abstand am größten Airport, durchgeschleust werden.

    Bescheidenheit ist auch in Peking kein Thema. Ende September wird dort der futuristische Flughafen eröffnen. In Form eines Seesterns werden acht Start- und Landebahnen nebeneinander aufreiht sein. Langfristig soll der Flughafen 100 Millionen Passagiere pro Jahr in die Luft bringen, vorerst sollen es 45 Millionen sein. Zum Vergleich: In Heathrow, Europas größtem Airport, werden 75 Millionen gezählt. Der Umweltbericht zur Europäischen Luftfahrt, den die Europäische Kommission 2016 veröffentlicht hat, kommt zu dem Schluss, dass sich die Zahl der Flüge und die durch sie verursachten Treibhausgasemissionen bis 2035 verdoppeln werden. Der Flugzeugbauer Airbus rechnet mit einem jährlichen Wachstum von 4,5 Prozent bei den Passagierzahlen. Ein Greta-Effekt ist da nicht mit eingerechnet.

    Es ist auch eine Chance

    Mobilität ist ein Weltgefühl geworden. Dr. Schmücker von der Forschungsgemeinschaft Reisen und Urlaub erarbeitet an seinem Institut gerade eine Studie für das Umweltministerium über das Reiseverhalten der Generationen. Schmücker sagt: Für die 19- bis 30-Jährigen ist die Globalisierung selbstverständlich. Wenn Jugendliche heute aus der Schule kommen, ist es gang und gäbe, dass sie ein Jahr in Südostasien oder Neuseeland verbringen. Studiert wird später in Budapest, London oder Paris. Für diese Generation ist es normal, dass ein Ticket durch ganz Europa 19 Euro kostet. Sie hat es nie anders erlebt.

    Dass wir Reisen können, ist eine Errungenschaft der modernen, offenen Gesellschaft. Reisen steht auch für Freiheit. Es ermöglicht Einblicke, wie unsere Welt so tickt. Wenn Urlaub nicht darin besteht, im All-inklusive-Resort das Büffet abzuräumen, besteht die Chance, dass sich der Horizont weitet, Verständnis für andere Kulturen geschaffen wird. Und doch droht nun alles zum Fluch zu werden. Touristen sind immer seltener Gäste und immer häufiger Massenware. In Flugzeugen ist es zu eng, in Städten zu voll, Warteschlangen sind zu lang, Einheimische protestieren gegen Touristen. Flugscham bedeutet in vielerlei Hinsicht eine Chance.

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