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Urlaub in Corona-Zeiten: Grenzenlose Sehnsucht: Ich will zurück nach...

Urlaub in Corona-Zeiten

Grenzenlose Sehnsucht: Ich will zurück nach...

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    Wenn die Grenzen geschlossen sind, ist die Sehnsucht nach dem freien Reisen umso größer, selbst wenn  die Lieblingsorte sich heuer etwas anders anfühlen und vermutlich auch anders aussehen werden.
    Wenn die Grenzen geschlossen sind, ist die Sehnsucht nach dem freien Reisen umso größer, selbst wenn die Lieblingsorte sich heuer etwas anders anfühlen und vermutlich auch anders aussehen werden. Foto: Picture Alliance

    Der kleine Ort in den Bergen ist 259 Kilometer von der eigenen Haustüre entfernt. Wenn man über die Autobahn fährt, sind es etwas mehr, aber die Fahrt dauert dennoch ein paar Minuten weniger. Man sollte aber nie die Autobahn nehmen. Lieber bei Oberaudorf abfahren, dann am Walchsee entlang, wo man schon beim Vorbeifahren aus dem Augenwinkel sehen kann, wie die Kinder von Plastikbojen ins Wasser springen, und dann weiter übers Land nach Lofer. Dort noch einmal rechts ab, dann nicht in den Blitzer bei Weißbach hineinfahren, später im Kreisverkehr dritte Ausfahrt, dann noch dreizehn Kilometer …: Da ist er, der kleine Ort. Urlaubsziel seit Kindertagen. Seitdem auch, wie man so gerne sagt: zweites Zuhause.

    Eine Liebeserklärung also. An einen kleinen Ort in Österreich. Ein Sehnsuchtsort, wie ihn fast jeder hat. Und der gefühlt immer nur einen Katzensprung entfernt war. Dass da eine Grenze dazwischen lag, hat man vor allem daran gemerkt, dass der Telefonanbieter wechselte und einen mit einer Nachricht auf dem Mobiltelefon daran erinnerte: „Willkommen in Österreich.“

    So weit weg wie noch nie

    Seit Mitte März war der kleine Ort in Österreich aber so weit weg wie noch nie, unerreichbar, hinter einer geschlossenen Grenze. Nun wird nur noch stichprobenartig kontrolliert, man könnte es jetzt über Pfingsten also wagen. Aber was, wenn man abgewiesen wird? Denn das will man ja auf keinen Fall: einfach wieder heimgeschickt werden.

    Es ist vielleicht eine der einschneidendsten Erfahrungen der letzten Wochen, wie Europa wie aus dem Nichts heraus wieder in von Polizei und Soldaten bewachte Einzelstaaten zerfiel. Und genau das also Europa abhandenkam, was seine Bewohner am meisten schätzen: überall sein zu dürfen. Ohne Visum, ohne Kontrolle. Überall also auch Urlaub machen zu dürfen. Zwei Wochen am Strand von Sardinien, ein Wochenende in Paris, mit dem Wohnmobil durch Dänemark, schnell mal runter an den Gardasee, nach Südtirol. Grenzenloses Reisen, grenzenlose Freiheit. Etwas, das so selbstverständlich war, dass man gelegentlich schon auch mal den Pass zu Hause vergessen hat. Will doch eh keiner sehen. Und was vor allem die Deutschen auch sattsam auskosteten, auch im Übermaß, auch wenn der Titel des Reiseweltmeisters vor Jahren von den Chinesen gekapert wurde, es nur noch zum Reiseeuropameister reichte.

    Und nun also: ausgesperrt. Und auch unerwünscht, weil man das Virus über die Grenze tragen könnte, weil die Intensivbetten im Notfall nicht auch noch für die Gäste reichen würden. Ein merkwürdiges Gefühl dieses Unwillkommensein, merkwürdig fremd. Grenzen, nun gut, aber doch nicht für uns mit unserem sagenhaften deutschen Reisepass, und vor allem, doch schon gar nicht in Europa.

    Der Schreck sitzt noch tief, wie schnell Grenzen wieder auftauchen...

    Jammern? Selbstverständlich verboten. Denn natürlich waren die Reisebeschränkungen auszuhalten. Zumindest für die Touristen. Etwas anderes zu behaupten, wäre lächerlich. Jeder Mensch braucht mal Urlaub, keiner braucht aber lebensnotwendig seine Portion frische Muscheln an der französischen Atlantikküste, den Cappuccino in der Lieblingsbar in der Toskana, den Infinitypool im Designhotel in Barcelona oder seine Liege am Strand von Kreta … Und spätestens im Sommer ist in Europa ja vielleicht auch wieder fast alles oder zumindest sehr vieles möglich, wenn auch unter manch anderen Umständen – mit Maske, Abstand, Desinfektion.

    Wenn nun die Schlagbäume in Europa nach und nach wieder hochgehen, wird dennoch nicht alles wieder einfach beim Alten sein. Rein gefühlsmäßig schon. Auch, weil man jetzt wieder genau den Unterschied kennt zwischen Sich-wie-zu-Hause-Fühlen und Zu-Hause-Sein. Weil der Schreck doch tief sitzt, wie schnell solche Grenzen plötzlich wieder aus dem Nichts auftauchen können, über die man jahrelang gebraust ist und manchmal auch erst nach ein paar Kilometern feststellte: „Ui, schau mal, wir sind ja schon in Frankreich.“ Das europäische Lebensgefühl wird sich erst einmal erholen müssen von dieser Zeit.

    Es war wie ein erzwungenes Intervallfasten

    Vielleicht ist das aber auch gar nicht das Schlechteste. Weil die letzten Wochen so etwas wie eine Art erzwungenes Intervallfasten waren, was Europa betrifft. Man hat ein bisschen gehungert und vielleicht schmeckt der erste Cappuccino nach dem Brenner jetzt tatsächlich noch besser, als er ohnehin schon immer geschmeckt hat. Vielleicht schätzt man sich noch ein bisschen glücklicher jetzt, wenn man nicht mehr bräsig mit gefühltem Gewohnheitsrecht anreist, am Sehnsuchtsort in Europa, wo immer der sein mag.

    Für das Wochenend-Journal haben wir an solchen Sehnsuchtsorten in Europa nachgefragt, bei Hotelbesitzern, Wanderführern, Strandkorbvermietern, Barbesitzern. Wir wollten wissen: Wie ist es euch in den vergangenen Wochen ergangen? Und wie wird dieser Sommer wohl werden? Es scheint fast so, als freuen sich alle auf uns, die deutschen Touristen, vielleicht auch ein bisschen mehr als sonst … – auch im kleinen Ort in Österreich. Dort stehen die Wiesen gerade noch hoch vor dem ersten Schnitt. Am schönsten ist es, wenn man in der Abenddämmerung ankommt, die Sonne noch hinterm Berg verschwinden sieht. Weil dann die Luft so schön frisch wird, noch besser riecht als ohnehin. Aber wir kommen ja bald.

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