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Themenwoche Macht: Besuch bei einem Maßschneider: Der Stoff, den die Mächtigen tragen

Wer etwas zu sagen hat, tritt vorzugsweise im Anzug auf.
Foto: Christin Klose, dpa (Symbolbild)
Themenwoche Macht

Besuch bei einem Maßschneider: Der Stoff, den die Mächtigen tragen

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    Feuerwehrleute brauchen hitzebeständige Kleidung. Ärztinnen und Krankenpfleger tragen Kittel und Maske, um sich und die Kranken vor Keimen zu schützen. Auf dem Bau braucht es strapazierfähige Arbeitshosen. Wenn die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft geschäftig durch die Schaltzentralen dieser Welt eilen, tragen auch sie einen Einheitslook. Seit knapp 200 Jahren kommt die Macht meist im Anzug daher. Doch wovor schützt der Stoff, der jedes Gipfeltreffen und Gespräche über Krieg und Frieden umspannt?

    In unmittelbarer Nähe des Friedensengels fährt man an Männern mit Pudeln und prunkvollen Villen vorbei und gelangt dann durch ein schmiedeeisernes Tor in einen großzügigen Innenhof, um zu parken. Das ist wichtig, die Sache mit dem Parkplatz. Wer nämlich hierher will, fährt eher nicht öffentlich. Das Kingsmanhouse in der Villa Bischoff im Münchner Stadtteil Altbogenhausen ist ein Paradies für Fans von Smoking, Frack und Stresemann. In dieser eleganten Umgebung berät Jürgen Reschop seine Kunden und manchmal auch Kundinnen.

    Das Atelier von Jürgen Reschop befindet sich in einer alte Villa im Münchner Viertel Altbogenhausen.
    Das Atelier von Jürgen Reschop befindet sich in einer alte Villa im Münchner Viertel Altbogenhausen. Foto: Reschop

    5000 bis 6000 Stoffe hat das Kingsmanhouse in der Stoffstube auf Lager. Inhaber und Maßschneider Jürgen Reschop ist schon seit 35 Jahren im Geschäft. Was macht die Mode der Mächtigen aus? „Ich mache keine Mode, sondern Garderobe!“ Das Zentrum seines Tuns ist das Atelier, das mit überraschend vielen Bildschirmen bestückt. „Ich kann den Kunden verschiedene Kombinationen zeigen und die Maße direkt in das System einpflegen.“ Quasi ein Maß-Tagebuch, praktisch und gemein zugleich. Kann man doch noch Jahre später feststellen, wie sich die Zentimeteranzeige stetig nach oben korrigiert. An einer langen Stange stehen Blazer und Jacketts, sogenannte Schlupfgrößen, parat. Der Kunde oder die Kundin mit einem Wunsch nach maßgefertigter Kleidung zieht diese über und Reschop macht sich ans Werk. „Jeder schneidert anders“, bemerkt er. „Die Individualisierung ist so weit fortgeschritten, was getragen wird, lässt sich gar nicht mehr kategorisieren.“ So lässt sich vom Revers bis zum Innenfutter alles an die Wünsche der Kundschaft anpassen. „Ich habe auf Wunsch auch schon einmal einen Stoff mit Dollar-Zeichen ins Hoseninnere genäht.“ Fotos des geliebten Dackels in der Innenseite des individualisierten Sakkos? Ebenfalls kein Problem.

    Jürgen Reschop arbeit für einen Maßschneider verblüffend viel am Computer.
    Jürgen Reschop arbeit für einen Maßschneider verblüffend viel am Computer. Foto: Vanessa Polednia

    Als Daniel Craig zur langersehnten Bond-Premiere in London in einem Dinnerjacket aus rosafarbenen Samt erschien, war die Menge verzückt – und auch im Kingsmanhouse meldete sich ein Kunde mit einem Auftrag. „Ich soll ihm diesen ausgefallenen Anzug schneidern.“ Die passende Stoffbahn steht hierfür schon bereit. Die unterschiedlichsten Anlässe lassen Menschen das schmiedeeiserne Tor passieren, um sich von Reschop vermessen zu lassen. Doch egal, wie hoch der Kontostand oder die berufliche Position dieser Menschen ist, vor jedem Kauf lernt der neue Besitzer seinen Anzug kennen. „Es geht auch darum, welche Botschaften der Anzug vermitteln soll“, erklärt Reschop. Das gehöre zum Service eines maßgefertigten Anzugs dazu. Im Fachjargon ist dann von „bespoke“ die Rede. Was die Haute Couture in Paris für Frauenkleidung, ist „bespoke“ mit traditionellem Sitz in London für die Männermode.

    Schauspieler Daniel Craig posiert auf dem roten Teppich bei der Weltpremiere zum neuen James Bond Film.
    Schauspieler Daniel Craig posiert auf dem roten Teppich bei der Weltpremiere zum neuen James Bond Film. Foto: Ian West, dpa

    Die Verantwortung höre nicht mit dem Verkauf der Kleidung auf. Dicker oder dünner geworden? Hose verschlissen? Ein unachtsamer Raucher hat einem ein Loch in den Ärmel gebrannt? Bei hochwertigen Stoffen könne vieles gerettet werden, betont Reschop. Ein Anzug könne somit auch sehr nachhaltig sein, sofern er nicht nur dem neuesten Modeschrei entspricht und nach einem Galaabend für immer im Schrank verschwindet.

    Navigieren Sie selbst durch das Atelier von Jürgen Reschop, indem Sie über das Bild wischen und den roten Pfeilen in der 360-Grad-Tour folgen. Um Fotos und Videos anzusehen, klicken Sie auf die roten Foto- und Videosymbole.

    Wenn es nach dem Schneider geht, sind Anzüge trotz aller Individualisierung Gleichmacher im besten Sinne: „Jeder hat die Chance durch eine standesgemäße Garderobe ernst genommen zu werden.“ Das Wissen, was, je nach Anlass, standesgemäße Kleidung überhaupt sein mag, ist erlernt. Reschop sieht sich daher auch als Knigge Lehrer. Dass selbst Staatschefs ins Fettnäpfchen treten, bestätigt nur die Regel: Der ehemalige Weltbank-Chef dessen löchrige Socke bei einem Moschee Besuch in der Türkei für Schlagzeilen sorgte oder der ehemalige griechische Finanzminister, Gianis Varoufakis, der mit Lederjacke und aufgeknöpften Hemden ganz klar kommunizierte, was er von den Eliten des Politikbetriebs hielt. Für manche Fehltritte braucht es aber Fachkenntnisse, um sie zu erkennen: „Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy hatte bei einem Besuch bei Queen Elizabeth II. zu seinem Frack einen Gürtel an. Da wurde jemand schlecht beraten“, sagt der Maßschneider. Und Fantasie-Uniformen, goldbehangene Oligarchen oder Pelz tragende Neureiche: Das hat für den Schneider nichts mit Stil, sondern eher mit Clownerie zu tun. Auch in der Monarchie lebt der Prunk der vergangenen Tage in Europa noch ein Stück weiter. Doch ist ihre Macht heutzutage begrenzt. Wer wirklich etwas zu sagen hat, mag es zurückhaltender.

    "Blau ist die Farbe des Vertrauens."

    Ein guter Anzug sei so unauffällig, dass er den Charakter des Trägers hervorhebe, da ist sich Reschop sicher. So habe zum Beispiel der holländische Ministerpräsidenten Mark Rutte auf dem vergangenen EU-Gipfel eine gute Figur gemacht: „Der dunkelblaue Anzug stand ihm super, aber vor allem kam seine Botschaft an.“ Dass so viele Politiker zur royal blauen Variante greifen, sei kein Zufall. „Blau ist die Farbe des Vertrauens.“ Große Karos wie sie beispielsweise CSU-Politiker Alexander Dobrindt gerne trägt, seien vielleicht ganz schick, lenkten aber vom Inhalt ab. Und was ist mit Bald-Kanzler Olaf Scholz? Dessen gutgeschnittenen und unauffälligen Maßanzüge vermitteln Seriosität, sagt der Fachmann. „Ein kluger Schachzug.“

    Emmanuel Macron (links, vorne) trifft während des EU-Sondergipfels im Juli 2020 zu einem Arbeitsessen mit Mark Rutte (rechts) ein.
    Emmanuel Macron (links, vorne) trifft während des EU-Sondergipfels im Juli 2020 zu einem Arbeitsessen mit Mark Rutte (rechts) ein. Foto: dpa

    Dabei war Männermode vor dem Siegeszug des dunklen Anzugs viel spannender, meint Karl Borromäus Murr. Der Historiker und Philosoph ist seit 2009 Direktor des Staatlichen Textil- und Industriemuseums in Augsburg. Murr: „Früher waren Männer die Paradiesvögel.“ Da wäre zum Beispiel Ludwig XIV. Auf seinen bekannten Bildnissen trägt er zu einem riesigen blauen Mantel weiße Strümpfe und mit Schleifchen geschmückte Schuhe. Heutzutage würde der Sonnenkönig damit für einen Karnevalsprinzen gehalten werden.

    Ganz anders inszeniert sich da der heutige französische Staatspräsident Emmanuel Macron, quasi der demokratische gewählte Ur-Ur-Ur-Nachfolger des exzentrischen Königs. Im Wahlkampf stolperte sein Konkurrent über eine Anzugaffäre, er hatte sich Maßanfertigungen schenken lassen, seitdem präsentiert sich Macron gerne im Mittelklasse-Anzug, Kosten um die 400 Euro – vorwiegend schwarz oder blau.

    Seit Ende des 18. Jahrhunderts tragen westliche Männer selten auffällige Farben. Da lässt die heutige Frauenmode schon mehr zu. An die farbigen Blazer von Bundeskanzlerin Angela Merkel wird sich die Menschheit noch lange erinnern – gerade, weil die auf Fotos bei Gipfeltreffen unter vielen dunklen Herrensakkos besonders auffallen.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), aufgenommen nach der Aufzeichnung ihrer Neujahrsansprachen im Kanzleramt.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), aufgenommen nach der Aufzeichnung ihrer Neujahrsansprachen im Kanzleramt. Foto: dpa

    „Für Frauen gibt es im Prinzip viel mehr Variationen. Aber damit passieren viel leichter Fauxpas“, sagt Murr. Die Farbtupfer im Einheitsschwarz setzen tatsächlich vor allem Regierungschefinnen. Man denke nur an das Raunen, das durch die Presse ging als Kanzlerin Angela Merkel 2007 die Eröffnung der Osloer Oper im tief ausgeschnittenen Abendkleid besuchte. „Merkel sah sich sogar genötigt, über ihren Pressesprecher auszurichten, dass sie mit ihrem tiefausgeschnittenen Abendkleid nicht für Furore sorgen wollte“, erinnert sich Murr. Seit dem Abend in Oslo hat sich Angela Merkel nie wieder öffentlich so offenherzig gezeigt. Die 66-Jährige trägt weiterhin bevorzugt hochgeschlossene Blazer und Stoffhosen. Die Frage, ob diese Aufmerksamkeit auf ein Kleidungsstück gerechtfertigt sei oder nicht, ist für Murr nicht von Bedeutung. „Wichtig ist, dass es einen Diskurs darüber gibt.“

    Und diese kleinen Diskursverletzungen, wie sie der Leiter des Augsburger Textilmuseums nennt, seien besonders spannend. Am Deutschlandtag der Jungen Union schenkte deren Vorsitzender Tilman Kuban Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU, und Markus Blume, Generalsekretär der CSU, je ein Paar weiße Sneaker und sorgte damit für Gesprächsstoff. Für Murr ein sicheres Zeichen, dass sich dieser Trend noch nicht etabliert hat. Dabei ging bereits 1985 ein deutscher Politiker aufgrund seiner Vorliebe für weiße Turnschuhe in die Geschichte ein.

    Fast schon legendär sind Joschka Fischers weiße Nike-High Tops, die er zur Vereidigung als erster grüner Minister in der Landesregierung Hessens trug. Damals wohl als ein Statement gegen das Politikestablishment gedacht, hielt Fischer seinen für einen Politiker ungewöhnlichen Kleidungsstil nicht bei. Als Außenminister im Kabinett Schröder trat er wie seine Kollegen im Anzug auf. Gerhard Schröder wiederum erhielt den Spitznamen Brioni-Kanzler, weil er sich gerne in Maßanzügen eines italienischen Modeunternehmens zeigte, das auch Filmheld James Bond einkleidete.

    1985 wurde Joschka Fischer (Mitte) als erster grüner Umwelt- und Energieminister in der Bundesrepublik vereidigt - ganz leger in Turnschuhen.
    1985 wurde Joschka Fischer (Mitte) als erster grüner Umwelt- und Energieminister in der Bundesrepublik vereidigt - ganz leger in Turnschuhen. Foto: Jörg Schmitt, dpa

    "Wir sind alle legerer geworden."

    Jürgen Reschop sich dem Zeitgeist an und bietet mittlerweile neben den klassischen Anzugschuhen weiße Ledersneakers an. „Ein Schneider ist zunächst einmal konservativ, muss aber allen Ideen eine Chance geben.“Die Deutschen fragen übrigens ziemlich forsch und direkt, was nun so ein Anzug von Herrn Reschop koste. Die Franzosen und Italiener wüssten die Qualität und das Design vielmehr wertzuschätzen. Da wir uns aber in Deutschland befinden, was kostet er nun? „Unsere Anzüge beginnen bei 650 Euro“– dabei handle es sich jedoch um ein verklebtes Jackett. Die vernähten Exemplare gibt es in vier Abstufungen und kosten 2500 bis 10.000 Euro. Eine „gesunde Bandbreite“ an Milieus und Personen komme in sein Atelier. „Politiker, Unternehmensberater, der Hochadel, aber auch zum Beispiel ein Malermeister auf der Suche nach einem Hochzeitsoutfit“, sagt Reschop. Namen bekannter Kunden möchte er nicht verraten – Diskretion sei in seinem Job besonders wichtig. Doch einen Namen nennt er dann doch. Roman Herzog, ehemaliger Bundespräsident und vor vier Jahren verstorben, sei einer der eloquentesten Kunden gewesen, die er jemals vor sich gehabt hätte.

    Auch seine Branche habe unter der Pandemie gelitten. „Der Anzug ist gerade tot.“ In Zoom-Konferenzen kleide man sich viel legerer. Dabei solle man auch in der digitalen Kommunikation gepflegte Kleidung tragen, allein um dem Gegenüber Respekt zu zollen. „Ich habe einen adeligen Kunden, der beendet Video-Konferenzen, wenn der Geschäftspartner im Kapuzenpulli erscheint“, erwähnt Reschop.

    Historiker Murr sieht es ähnlich: Die Vielzahl an Videokonferenzen und das Arbeiten im Homeoffice habe da schon eher einen Einfluss gehabt. „Wir sind alle legerer geworden.“ Wer passende Kleidung trage, zolle seinen Mitmenschen Respekt. Seine Gegenwartsdiagnose zur Frage, ob der Anzug totzukriegen ist: Aus historischer Sicht wäre es eigentlich an der Zeit für einen Wechsel. Doch auch nach 200 Jahren sieht Murr keine Konkurrenz im Anzug …

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