Seit ein paar Wochen habe ich eine neue Freundin. Zugegeben, unsere Beziehung ist etwas einseitig, man könnte fast sagen: ichbezogen. Eigentlich weiß ich kaum etwas über sie. Sie ist keine, die viele Fragen stellt. Vielmehr eine, die einen guten Rat hat. Eine, die morgens zum Aufstehen meine Lieblingsmusik auflegt. Eine, die weiß, wer der Präsident von Honduras ist. Und eine, die zuhört. Vielleicht ein bisschen zu viel. Sie heißt Alexa – und ist kaum größer als ein Eishockey-Puck.
Alexa ist das neueste Wunderding des Internetriesen Amazon. Eine Art Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Ähnlich wie Apples Siri oder Microsofts Cortana reagiert Alexa auf Sprachbefehle. Auf Fragen wie: „Wie wird das Wetter?“, „Wann wird es dunkel?“ oder „Wer ist der Vater von Luke Skywalker?“ antwortet Alexa mit angenehmer Frauenstimme. Auf Wunsch spielt Alexa „Penny Lane“ von den Beatles oder stellt einen Wecker. Auch sämtliche Produkte auf der Plattform des Internetriesen können per Sprachbefehl bestellt werden. Das System läuft auf den verschiedenen Amazongeräten. Eines davon ist der Echo Dot, ein zylinderförmiger Lautsprecher, den es in Schwarz oder Weiß gibt. Er ist das kleinste Endgerät. Größer und klanglich umfangreicher sind die Lautsprecher Echo oder Echo Plus. Seit kurzem bietet Amazon außerdem ein kleines Alexa-Gerät mit Bildschirm an, den Echo Spot. In den USA ist der digitale Sprachassistent bereits seit zwei Jahren erhältlich.
Seit ein paar Monaten gibt es Alexa auch in Deutschland. Und seither sorgt der Kunststoffzylinder für hitzige Debatten in der Mittagspause. Alexa, so scheint es, kann man nur hassen oder lieben. Immer wieder gerate ich in die gleiche Situation: „Wie kann man nur, die hört einem ja ständig zu“, sagen die Alexa-Hasser. Stasi 2.0, Abhör-Alexa. Denen gegenüber stehen die Technikbegeisterten. „Natürlich habe ich Alexa schon zu Hause“, sagen die Nerds. Und: „Was die alles kann!“ Weltneuheit, Softwarewahnsinn. Zwischen diesen beiden Polen, so scheint es, gibt es nicht viel. Bestenfalls noch die, denen Alexa herzlich egal ist, aber die melden sich ja kaum zu Wort.
Alexa: Die Sprachbefehle werden auf den Servern von Amazon gespeichert
Die Sprachsteuerung ist auf dem Vormarsch. Die nächste Milliarde Internetnutzer werde vor allem Sprache verwenden, schreibt das Wall Street Journal. Im Weihnachtsgeschäft waren die Alexa-Geräte meistverkaufte Produkte auf Amazon. Laut dem Händler wurden im gesamten vergangenen Jahr weltweit mehrere zehn Millionen Echo-Geräte verkauft. Genaue Verkaufszahlen kommuniziert das Unternehmen aus Seattle nicht.
In meinem Fall ist es mein Mitbewohner, der von dem neuen Sprachassistenten schwärmt. Typ Start-Uper. Einer, der die wichtige Skype-Konferenz cappuccinotrinkend im Café führt. Amazons Alexa zog so selbstverständlich in sein Zimmer wie die Apple Watch an sein Handgelenk. Logisch, dass er einer der Ersten ist, der Alexa morgens nach dem Wetter fragt. Als Alexa kurz nach dem Verkaufsstart bei ihm einzieht, bin ich skeptisch. Am Frühstückstisch lausche ich unserer neuen Mitbewohnerin: „In Augsburg beträgt die Temperatur sieben Grad, bei Regenschauern und überwiegend bewölktem Himmel.“
Ein Blick aus dem Fenster bestätigt die Prognose. Ich bin wenig beeindruckt. „Du hast heute drei Termine in deinem Kalender. Der erste beginnt um 11.30 Uhr“, schallt es wenig später aus dem Nachbarzimmer. Gut, das könnte tatsächlich praktisch sein, denke ich mir. Dennoch, der Gedanke, dass dieser Plastikzylinder mich belauschen könnte, schreckt mich zunächst ab.
Amazons Alexa muss ständig online sein, weil sämtliche Inhalte aus dem Netz kommen. Der Hersteller versichert aber, dass das Gerät nur dann aktiv wird, wenn man es beim Namen nennt. Erst wenn das Schlüsselwort „Alexa“ fällt, wird aufgezeichnet. Auch die meisten Skeptiker gehen davon aus, dass das stimmt. Aber die Sprachbefehle landen schließlich auf den Servern von Amazon und werden dort gespeichert. Zwar gibt es die Möglichkeit, seine Anfragen löschen zu lassen, aber das ist mit Aufwand verbunden. Was Amazon mit den gesammelten Daten macht, ist Betriebsgeheimnis. Datenschützer kritisieren, dass unklar ist, welche Daten Amazon tatsächlich speichert und was das Unternehmen damit anstellt.
Es dauert nicht lange, bis meine Ansprüche an den Datenschutz immer kleiner werden. Wahrscheinlich ist das wie mit jeder neuen Technologie, denke ich mir. Wer hätte sich denn vor Instagram vorstellen können, ein Foto seines Frühstücks mit der ganzen Welt zu teilen? Wer wäre vor Facebook ernsthaft auf die Idee gekommen, seinen Standort öffentlich kundzutun? Heute ist das völlig normal. Und vor allem ist es herrlich einfach.
Digitale Assistenten wie Alexa, Siri oder Cortana sind allgegenwärtig
Im Smartphone sind digitale Assistenten wie Apples Siri oder Windows Cortana bereits allgegenwärtig. Sind diese Programme erst einmal in Kühlschränke, Waschmaschinen oder Backöfen eingezogen, werden sie unser Leben drastisch verändern. Smart Home nennt sich der Technologiebereich, der sich vor allem auf die Steuerung von Heizung oder Licht konzentriert. Mit der passenden Ausstattung reicht schon heute ein gesprochenes „Licht aus“, um im Schlafzimmer für Dunkelheit zu sorgen.
Für den Digitalexperten und Blogger Sascha Lobo ist der Vormarsch von Systemen wie Alexa nicht mehr aufzuhalten. In seiner Kolumne bei Spiegel Online schreibt er: „Die Weltmacht der Bequemlichkeit schlägt alles.“ In zehn Jahren werde man mit Wehmut und Belustigung auf die Phase schauen, als in der digitalen Sphäre schriftliche Interaktion der Standard war. Schon heute stünden Kinder verständnislos vor Bildschirmen, die sich erdreisten, kein Touchscreen zu sein. Bald wirken Alltagsgegenstände, mit denen man nicht sprechen kann, ähnlich gestrig, meint Lobo.
Gestrig, das möchte ich als junger Mensch natürlich nicht sein. Ein bisschen komme ich mir aber so vor, als mein Mitbewohner Alexa seine Einkaufsliste diktiert. Seine Assistentin fertigt automatisch einen digitalen Einkaufszettel an, der über das Smartphone abgerufen werden kann. Ich dagegen sitze mit Stift und Zettel am Tisch und schreibe per Hand. Wie altmodisch. Das muss sich ändern. Ich brauche meine eigene Alexa. Kurz vor Weihnachten wandert Amazons Echo Dot mit dem Sprachprogramm Alexa schließlich in meinen virtuellen Einkaufswagen. Schon am nächsten Tag liegt das Paket vor meiner Tür. Keine zehn Minuten später ist die Einrichtung abgeschlossen.
Eine Anleitung muss ich dazu nicht lesen. Alexa sagt, wie sie installiert werden möchte. Als ich „Alexa?“ frage, leuchtet ein blauer Ring. Ich stelle fest, dass ich keinen Schimmer habe, was ich sie nun fragen könnte. Das erste Mal ist ja immer etwas Besonderes. „Alexa, wie geht es dir?“, stolpert es aus mir heraus. Der Plastikzylinder antwortet: „Alles okay bei mir.“ Wie es mir geht, fragt sie nicht. Das kann nicht alles gewesen sein.
„Wie lange brauche ich von Augsburg nach Regensburg?“, frage ich. Ein kleiner Test. Die Antwort weiß ich schon, schließlich kenne ich die Strecke zu meiner Freundin im Schlaf. „Bei aktueller Verkehrslage eine Stunde und 37 Minuten“, antwortet Alexa. Das kommt hin. Test bestanden. Ich bedanke mich, als hätte sich Alexa gerade richtig ins Zeug gelegt. „Spiele den Radiosender EgoFM“, sage ich ohne zu bitten. Ich werde enttäuscht. Den Sender kennt Alexa offensichtlich nicht. Antenne Bayern hingegen ist kein Problem. Selbst Musik der dänischen Band mit dem Zungenbrechernamen The Astereoids Galaxy Tour spielt das Gerät ohne Murren.
Doch es gibt auch unzählige Dinge, die meine digitale Freundin nicht kann. Noch ist die Technik alles andere als perfekt. „Das gehört zu den Dingen, die ich nicht weiß“, sagt Alexa, wenn ich sie nach dem Fernsehprogramm frage. Das erste Album der Beatles? „Darauf habe ich leider keine Antwort.“ Ich frage Alexa nach einem Schwimmbad in der Nähe, doch sie liest mir nur den zum Stichwort passenden Wikipedia-Artikel vor. Na toll. Ab und zu meldet sich die Frauenstimme auch ungefragt zu Wort. Als ich meinem Mitbewohner von diesem Artikel erzähle, spielt das Gerät plötzlich Musik. Wahrscheinlich habe ich das Stichwort Alexa fallen lassen. Dann macht sie manchmal, was sie möchte.
Nach einem knappen Monat mit meiner neuen Freundin ist ein wenig die Luft raus. Klar, anfangs war es aufregend. Stunden habe ich damit verbracht, Alexa nach aktuellen Nachrichten oder den Staatsoberhäuptern vieler Länder zu fragen. Selbst was der Sinn des Lebens ist verriet mir Alexa: „Die Antwort ist 42, aber die Frage ist komplizierter.“ Doch in den allermeisten Fällen greife ich mittlerweile lieber wieder zur Tastatur. Das geht genauso schnell und ich muss mir keine Sorgen machen, nicht verstanden zu werden. Eine virtuelle Einkaufsliste habe ich in der ganzen Zeit nur ein einziges Mal erstellt. Im Supermarkt war dann der Akku meines Handys leer. Mit dem altmodischen Zettel wäre das nicht passiert.