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Oktoberfest 2018: Warum Wiesn-Besucher bei Almklausi und Co. mitgrölen

Oktoberfest 2018

Warum Wiesn-Besucher bei Almklausi und Co. mitgrölen

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    Nach der ersten Maß ist man bereit für Ohrwürmer, nervige Newcomer und natürlich Klassiker.  
    Nach der ersten Maß ist man bereit für Ohrwürmer, nervige Newcomer und natürlich Klassiker.   Foto: Sven Hoppe, dpa

    Zugegeben, die Texte sind wirklich simpel. Es geht um Rosis, Cordulas und Babys. Manchmal werden Telefonnummern genannt, das nächste Mal hat jemand Heimweh. Und dann summt noch eine Fliege ums Pferd herum. Dennoch singen Millionen ab Samstag wieder mit. Warum? Alkohol spielt natürlich eine Rolle. Alltagsflucht. Und – darum geht es in dieser Geschichte – Akkorde. Wir wollen es genau wissen, deshalb ab auf die Bank, hoch die Maß und:

    Ein Prosit, ein Pro-osit der Gemütlichkeit

    Nach der ersten Maß intus ist man bereit für all das: Ohrwürmer, nervige Newcomer und natürlich auch Klassiker. Die Wiesn-Musiker „Die Kirchdorfer“ und die „Münchner Zwietracht“ haben schon mal Songs aus ihrer diesjährigen Playlist verraten. Super also, um sich vorzubereiten. Verkündet haben die Blaskapellen auch: Trotz einiger Anwärter, der „Wiesn-Hit 2018“ hat sich nicht herauskristallisiert. Es wird also überwiegend das Gleiche weggesungen wie die vorigen Jahre. Ein paar Newcomer haben sich trotzdem gefunden, „Mama Lauda“ zum Beispiel. Und nun alle:

    Wie heißt die Mutter von Niki Lauda?/ Mama Laudaaa, Mama Laudaaa

    Der Interpret dieses Bierzeltkrachers ist Almklausi. Sein richtiger Name ist Klaus Meier und der klingt so gar nicht nach Party. Almklausi hat ein Faible für Lautmalerei. Am liebsten gibt er Bass-Laute wie „döp döp“ von sich. Seinem Publikum rät er, zu feiern und zu trinken, auch wenn das Geld knapp ist. Wenn man 10,70 Euro pro Maß bedenkt, und das ist heuer der günstigste Bierpreis, wird es wohl darauf hinauslaufen.

    Almklausi aber verdient gut. Und aus musikalischer Sicht hat er laut Volkmar Kramarz alles richtig gemacht. Der Musikwissenschaftler der Universität Bonn ist zwar kein Hit-Orakel. Dafür weiß er genau, wie der Bauplan für ein erfolgreiches Lied im Jahr 2018 aussehen muss, um eine Chance zu haben. Kramarz: „Wenn eine Melodie auf eine Folge von vier ganz bestimmten Akkorden gespielt wird, dann sind wir Menschen vielleicht nicht gleich bezirzt. Wir sind aber bereit, zuzuhören.“ Almklausis Song funktioniert nach der populären „Four-Chord-Formel“ (C-Dur, G-Dur, A-Moll, F-Dur). Wenn dann auch noch Text, Video-Clip und das gesamte Arrangement ansprechend sind, dann ist ein Lied auf einem guten Weg, zu einem Hit zu werden. Und „Mama Lauda“ sei laut Experte so ein Song, der die Massen in einem Bierzelt mit seinen vielen Wiederholungen „an die Wand hauen kann“.

    Wobei es durchaus andere Reaktionen gibt: Wenn Musiker Thomas Wohlschläger von den „Kirchdorfern“ Almklausis Party-Song hört, dann schaudert es ihn. Er betont mehrmals: „,Mama Lauda‘ spielen wir auf keinen Fall.“ Das Lied klinge viel zu sehr nach Mallorca und viel zu wenig nach Tradition. Andere Musikerkollegen hätten es aber schon angekündigt. Die „Münchner Zwietracht“ nimmt den Refrain des Songs in ihr Medley auf. Das Lied ganz spielen? Kommt nicht infrage. Die Strophen kennt ja eh keiner.

    An Almklausi scheiden sich die Geister. Nur der Partymeute ist das scheinbar egal. Die singt erstaunlich vieles mit, auch:

    O bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao

    Das war übrigens ein Partisanenlied. Eine Art antifaschistische Hymne. Bald an die 100 Jahre alt und so beliebt wie nie zuvor – dank der neuen Serie „Haus des Geldes“, in der das Lied gesungen wird und zahlreichen DJ-Fassungen. Verrückte Welt. Da steigen doch tatsächlich Menschen auf Bänke, um ein altes Anti-Nazi-Lied zu singen. „Aktuellen Musikstandards entspricht das Lied nicht unbedingt“, sagt Kramarz. „Damit das Lied heute funktioniert, wird es extrem elektronisch dekoriert, also auf modern getrimmt.“ Dann lassen sich auch zu diesem eher traditionellen Lied Entgleisungen auf der Wiesn beobachten.

    Seit über 20 Jahren schaut Psychologin und Wahl-Münchnerin Brigitte Veiz genauer auf das feiernde Volk. Ihre Theorien hat sie im Buch: „Das Oktoberfest – Masse, Rausch und Ritual“ festgehalten. Ja, es gibt auch Zuckerwattenesser und Achterbahnfahrer – die Braven. Viel spannender findet die Psychologin aber die Feierwütigen. Die, die singen wollen. Und die Atmosphäre im Bierzelt macht es ihnen leicht, Druck abzulassen. Veiz: „Im Festzelt wird aus einem Individuum eine Gemeinschaft.“

    In unserem Podcast "Bayern-Versteher" diskutiert ein Wiesn-Liebhaber mit einem, den es so gar nicht mehr dorthin zieht.

    Das passiert vermutlich in etwa so: Erst duzt die Lederhose das Dirndl. Dann wandern Bier und Hendl zum Schariwari am Nachbartisch. Dem Mieder am Tischende wird zugeprostet. Und die vorbeilaufende Schürze animiert alle zum Ententanz. Und siehe da, die Trachtenansammlung hat sich verbrüdert. Veiz: „Alle fühlen sich gleich mit der Masse – glücklich, losgelöst.“ Und dann können sie einfach nicht anders als bei DJ Ötzi aufzustehen und zu grölen:

    Hey, hey baby / Ohh Ahh

    Das ist aber auch ein verflixter Ohrwurm dieses „Hey Baby“. Und das trotz bemerkenswert wenig Inhalts. DJ Ötzi will wissen, ob seine Angebetete, im Lied durchweg „Baby“ genannt, sein Mädchen sein will. Laut Musikwissenschaftler Kramarz handelt es sich bei diesem Lied um einen anderen Vertreter der populären Harmoniefolgen, einen sogenannten „Turn Around“ (C-Dur, A-Moll, F-Dur, G-Dur). Dieselben Akkorde, wie bei der „Four-Chord-Formel“, nur eben durchgemischt. Seit den 50er Jahren sei diese Kombination eine gängige Alternative zum Blues und harten Rock gewesen. Kramarz: „Wenn in der Rock’n’Roll-Ära Liebe und Schmerz thematisiert wurden, hat man den ,Turn Around‘ gewählt“. Und ja, in Herzensangelegenheiten ist auch DJ Ötzi unterwegs.

    Unerfüllte Liebe. Vielleicht ja wirklich das passende Thema fürs Oktoberfest, wo doch nachts alle mit Schlagseite in die Betten fallen. Einige wachen sogar in fremden Betten auf, so wie Newcomer Josh. Und trotzdem bleibt die Liebe zu seiner Herzensdame Cordula unerfüllt. Sie ist verheiratet. Verzwickte Situation aber auch. Sein Lied wird zum Beispiel von den „Kirchdorfern“ im Hacker-Festzelt – „Himmel der Bayern“ gespielt. Testlauf. Ob die Menschenmasse mitgrölt, wenn es heißt:

    Cordula Grün, / Cordula Grün, [...] ich hab dich tanzen geseh’n

    Schließlich ist Sänger Josh nicht so bekannt wie DJ Ötzi. Einfach nur Josh ist aber auch Österreicher. Punkt für Josh. Kramarz hört bei Joshs Ode an Cordula sofort, dass sie neu ist. Warum? Der Musiker hat die übliche „Four-Chord-Formel“ variiert: Er arbeitet doppeltaktig, was das Lied luftiger klingen lässt. Zudem hat der Song einen zusätzlichen Moll-Akkord. Was Moll angeht, so hat sich in den vergangenen Jahren viel in der Hörer-Wahrnehmung getan. Kramarz: „Mittlerweile lieben Menschen Moll. Es klingt nicht mehr nur traurig und gedrückt, sondern wuchtig, jugendlich und lässig.“ All das will Josh sein. Ein Künstler eben, der über ernste Themen wie Ehebruch philosophiert – schwierig mitzusingen ist auch „Cordula Grün“ nicht.

    Genau deshalb hat das Josh-Lied auch Potenzial beim Oktoberfest, erklärt Brigitte Veiz. Wiesn-Kracher sind leicht mitsingbar, auch im Vollrausch. Der Text ist nicht zu anspruchsvoll, am besten vollgespickt mit leicht wiederholbaren Worten oder Lauten. Schließlich wollen auch ausländischen Besucher auf ihre Kosten kommen. Trend-Themen sind Liebe, Party, Sehnsucht oder Heimat. Beliebt sind auch Lieder mit Choreografie, wie „Macarena“. Klingt doch machbar. Oder? Veiz: „Es wurden schon viele Lieder für die Wiesn geschrieben, die keine Hits wurden. Niemand weiß, wie die Zeltbesucher reagieren.“ Und dann gibt es auch noch Selbstläufer wie:

    Hodi odi ohh di ho di eh

    Wenn einer verstanden hat, wie das Musikgeschäft funktioniert, dann Andreas Gabalier. Der Bauplan von „Hulapalu“ – wer hätt’s gedacht – eine gängige Akkordformel. Diesmal die „Moll-Pop-Formel“. Kramarz: „Gabalier startet sogar mit dem Moll-Akkord, das Aufregendste, was diese Formeln hergeben.“ So wirklich neu ist es trotzdem nicht. Laut Kramarz bietet die Pop-Szene Jahr für Jahr dasselbe in immer nur leichter Variation an. Der Musik-Experte nennt ein plakatives Beispiel: „Der heutige Golf hat zwei Achsen und vier Räder und ist damit quasi nicht viel anders als ein Trabant. Nur mit Navi und diversen anderen Entwicklungen.“

    Gabaliers Oktoberfest-Erfolg lässt sich auch schlicht mal so erklären. „Die Annäherung an Bayern und das Heimatgefühl ist auf der Wiesn nie verkehrt“, sagt Brigitte Veiz. Und Gabalier bringt wie kein Zweiter einen alpinen Anstrich mit. So wie er aussieht, trägt er die Tracht auch unter der Dusche. „Hulapalu“ ist deshalb auf dem besten Weg im Wiesn-Gedächtnis zu bleiben. Direkt neben „Skandal im Sperrbezirk“ und dem Wiesn-Lied schlechthin: „Fürstenfeld“. Ohne Geld und Maß, ein letztes Mal hoch auf die Bänke und alle:

    I will wieder ham, [...] i will ham nach Fürstenfeld

    1984. Das war noch eine Zeit. Musikwissenschaftler Kramarz kommt ins Schwärmen. Da gab es noch „Songwriter-Songs aus den Atomkraftwerktagen“. In der Musik herrschte „wilde Extrovertiertheit“ und „Experimentierfreude“, wie in den 60er Jahren. „Fürstenfeld“ ist Teil der Pop-Geschichte. Keine „Four-Chord-Formel“, schlicht strukturiert, ganz ohne Moll-Akkord. Wenn die Nummer neu wäre, würde das moderne Ohr sich wohl taub stellen. Hellhörig wird es dagegen bei Almklausis „Mama Lauda“, die übrigens Elisabeth heißt.

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