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Katholische Kirche: Die göttliche Mission jenseits von Afrika

Katholische Kirche

Die göttliche Mission jenseits von Afrika

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    Kaplan Solomon John Essiet in der Kirche St. Ägidius.
    Kaplan Solomon John Essiet in der Kirche St. Ägidius. Foto: Marcus Merk

    Wenn man eine Reise antritt, ist man irgendwann auch am Ziel. Außer man hat gar keines. Wenn man aber die Welten wechselt, woran erkennt man eigentlich, dass man angekommen ist? Nicht mehr irgendwie dazwischen hängt?

    Vielleicht war vor drei Wochen der Moment erreicht, an dem Kaplan Isidore Uko dann wirklich angekommen ist. Vielleicht gibt es auch gar nicht den einen Moment, sondern viele. Dann war es zumindest einer davon. "Ich weiß nicht, was soll das bedeuten …" So hat Kaplan Isidore seine Predigt in der Basilika St. Ulrich und Afra in Augsburg begonnen. Mit Heinrich Heine und der Loreley. Mit einem Dichter also, dessen Werke die katholische Kirche einst auf den Index der verbotenen Bücher setzte, und mit der deutschen Sehnsuchtshymne, hundertfach vertont. Von Heine und der Loreley ist er dann auf den Menschen zu sprechen gekommen und das Gefühl der Traurigkeit. Zwölf Minuten lang sprach er. Es war seine zweite Sonntagspredigt in dieser großen Basilika. Die ganz große Show, würde man in der Unterhaltungsbranche sagen. Am Ende der Messe hat der Pfarrer ihm dafür gedankt. Und die Gemeinde geklatscht, manche mit den Händen über dem Kopf.

    Ob dieser Moment sich in seiner Erinnerung an die Zeit in Deutschland festhaken wird? Vielleicht. Aber es liegen ja noch Jahre vor ihm. Und das erste ist noch nicht einmal um. Zwei Monate fehlen noch. Am 1. August 2016 ist er gelandet, der erste Flug von Nigeria aus, zum ersten Mal Europa,

    Deutschkenntnisse? Kaplan Isidore lacht.
    Deutschkenntnisse? Kaplan Isidore lacht. Foto: Marcus Merk

    Mit Kaplan Isidore kamen im August sieben weitere Geistliche an. Weltenwechsler wie er. Fünf davon aus Indien, zwei aus Nigeria. Ein Jahr lang sind sie nun auf mehrere Pfarreien in der Stadt Augsburg verteilt. Als Kaplane in der Einarbeitung. Dann erst geht es an den eigentlichen Arbeitsplatz. Die Diözese ist groß. Es kann ein kleiner Ort im Allgäu sein. Oder Nördlingen. Gebraucht werden sie fast überall. Es ist ja kaum mehr Nachwuchs da .

    Weil es der katholischen Kirche an jungen Priestern mangelt, greift die Kirche seit Jahren auf Seelsorger aus dem Ausland zurück. Vor allem in bayerischen Diözesen. 150 ausländische Seelsorger versehen allein im Bistum Augsburg ihren Dienst, die meisten aus Indien, gefolgt von den Priestern aus Polen und Nigeria. Die "Gastarbeiter Gottes", wie sie manchmal genannt werden, stellen damit in der Diözese einen Anteil von fast 20 Prozent. Ohne sie ginge es also nicht. Oder nur anders, vielleicht auch schlechter. Nicht überall in Deutschland und in jeder Pfarrei geht es aber auch besser.

    "Außerordentlich nett" seien alle von Anfang gewesen

    In Neusäß sitzt Kaplan Solomon John Essiet, (34), im schlichten Besprechungsraum gleich neben der Kirche St. Ägidius. Fünf Gemeinden zählen zur Pfarreiengemeinschaft, betreut von zwei Geistlichen: dem Pfarrer und ihm. An einem Wochenende predigt er in Täfertingen, am nächsten in Ottmarshausen, dann Aystetten … Sonntags-Alltag in katholischen Pfarreien. Der Kaplan stammt aus der selben Diözese in Nigeria wie sein Mitbruder Isidore, vor vier Jahren wurde er vom Bischof entsendet. Den Wunsch hatte er nicht geäußert, nach Wünschen wurde auch nicht gefragt, aber gerechnet hatte er damit. "Fast jeder Priester bei uns erwartet, ins Ausland zu reisen. Ich war bereit, überall hinzugehen." Kanada, USA oder eben nun Neusäß. Wo sich zwei Stunden später in der Vorabendmesse auf den vielen Bankreihen in

    Er hat seinen Stil gefunden, wenn man das so sagen darf. Ein schneller Scherz, eine nette Geschichte. Er wolle nicht die nigerianische Kultur hier nach Deutschland importieren. "Bei uns wird im Gottesdienst viel getanzt und gesungen, hier wollen die Leute zur Ruhe kommen." Das verstehe er. Anderes Leben, andere Bedürfnisse. Aber er versuche, den Gottesdienst eben auf seine Art ein wenig lebendiger zu gestalten. "Ich habe im Laufe der Zeit gemerkt, dass die Menschen es mögen, wenn man die Atmosphäre etwas lockert. Ab und zu bringe ich die Gemeinde in der Predigt zum Lachen, das kommt immer gut an." Er selbst aber ja auch. Eine Typsache. Wenn einer die Menschen gerne mag, mögen sie ihn meist auch. Welt hin oder her.

    "Bei uns wird im Gottesdienst viel getanzt und gesungen, hier wollen die Leute zur Ruhe kommen", sagt der Kaplan.
    "Bei uns wird im Gottesdienst viel getanzt und gesungen, hier wollen die Leute zur Ruhe kommen", sagt der Kaplan. Foto: Marcus Merk

    "Außerordentlich nett" seien hier alle von Anfang gewesen. Als er selbst noch kein Auto hatte, gab es eine Art Shuttleservice für ihn zu den Messen. Jetzt fährt er selbst. Manchmal tauft er Kinder, deren Eltern er schon verheiratet hat. Einmal wünschte sich ein Mann nach der Krankenkommunion, der Kaplan möge ihn beerdigen. Im Religionsunterricht korrigieren ihn die Kinder noch manchmal. "Herr Kaplan, so sagt man das aber nicht" oder "Herr Kaplan, meinen sie Jünger oder Junge". Von den Kindern habe er viel gelernt. Weil sie sich nicht scheuen, einen auf einen Fehler hinzuweisen. Geradeheraus. So etwas mag er. Kaplan Solomon sagt, er fühle sich hier zu Hause. Ganz angelangt in der neuen Welt.

    In der Studie zur Situation der ausländischen Priester in Deutschland, die die Deutsche Bischofskonferenz vor sieben Jahren in Auftrag gab, wäre Kaplan Solomon wohl zu den Fällen des "Gelingens" gerechnet worden. An alle damals 1312 Gastpriester wurden Fragebogen verschickt, knapp die Hälfte kam ausgefüllt zurück. Außerdem befragten die Wissenschaftler die Personalverantwortlichen in den Diözesen und fertigten Fallstudien an, schauten also genauer hin. Das Ergebnis, nun ja, es musste wohl erst einmal verdaut werden. Auch wenn die meisten der Seelsorger, nämlich über 80 Prozent, erklärten, sie würden sich sehr wohl oder zumindest eher wohl fühlen. In den Handlungsempfehlungen an die Bischofskonferenz stand dann aber der Satz: "Als Königsweg zur Lösung des Problems eignet sich der Einsatz ausländischer Priester nicht." Gehe man von den Mindestanforderungen für Priester in der heutigen Seelsorge aus, so seien die Risiken, dass sie von ausländischen Priestern unterschritten werden, hoch.

    Alles immer nur auf Deutsch!

    Was die Wissenschaftler der Universität Münster nämlich herausfanden: dass die Kluft zwischen den Welten manchmal kaum zu überwinden ist. Dass es Konflikte gibt. Weil Kirche nicht gleich Kirche ist. Weil man in Indien, Polen oder Nigeria als Pfarrer eine andere Autorität genießt, vor vollen Kirchenbänken predigt, sich nicht mit aufmüpfigen Laien auseinandersetzen muss, nicht mit Frauen, die Mitsprache in der Gemeinde einfordern, und auch eher nicht mit penibel rechnenden Verwaltungsreferenten, wenn es um Geld und Projekte geht. Weil die Menschen dort zum Pfarrer kommen, nicht der Pfarrer zu den Menschen. Was die moderne Lebensweise in Deutschland angeht, signalisierte die Mehrheit der Seelsorger denn auch Distanz …

    Das größte Problem jedoch: die Sprache. Geistliche Kommunikation sei nicht mit einer Alltagsunterhaltung zu vergleichen, sagt Stefan Leibold, Mitverfasser der Studie: "Für ein seelsorgerisches Gespräch reicht es nicht aus, einigermaßen gut Deutsch zu sprechen. Ich muss auch die Zwischentöne hören können und das ist etwas, was Menschen aus einem anderen Kulturraum nur sehr schwer lernen." Die Selbstwahrnehmung der ausländischen Priester und die Fremdwahrnehmung sind da den Ergebnissen der Studie nach nicht unbedingt deckungsgleich. Kein Pfingstwunder, wie es in der Apostelgeschichte steht: "Plötzlich hörte man ein mächtiges Rauschen, wie wenn ein Sturm vom Himmel herab weht. Das Rauschen erfüllte das ganze Haus, in dem die Jünger waren … Alle wurden vom Geist Gottes erfüllt und begannen in verschiedenen Sprachen zu reden, jeder wie es ihm der Geist Gottes eingab."

    Kaplan Solomon John Essiet in der Kirche St. Ägidius in Neusäß.
    Kaplan Solomon John Essiet in der Kirche St. Ägidius in Neusäß. Foto: Marcus Merk

    Und vielleicht hier nun, an dieser Stelle, die kleine Geschichte, über die Kaplan Isidore sich im Nachhinein so amüsieren kann. Dass er nämlich tatsächlich nicht erwartet hatte, "dass es hier auch Leute gibt, die wenig oder gar kein Englisch sprechen". Er habe angenommen, es sei wie in Nigeria, mit englischsprachigen Zeitungen eben und auch englischsprachigem Fernsehen. Aber dann: Alles immer nur auf Deutsch! Das musste er auch den Menschen zu Hause erklären. Und wie es sich anfühlt, wenn man irgendwo hinkommt und erst einmal nichts versteht. Bis man sich langsam in die Sprache hineinfindet. Die Fälle, die Artikel, der Bedeutungsunterschied zwischen froh und fröhlich …

    Die Sprache ist eine große Herausforderung", sagt Kaplan Isidore. "Und das Wetter." Im Winter zog er sich eine Erkältung zu. Aber so ein Schnupfen vergeht ja einfach und ist auch keine große Sache. Aber wenn er im Beichtstuhl nicht die richtigen Worte finden würde, den richtigen Trost, das wäre etwas Ernstes. "Wenn der Priester in dieser Situation nicht gut handelt, kann er eine Seele verlieren." Er tut, was er kann. Was man machen soll, wenn man eine Sprache lernt. Zeitunglesen, Fernsehschauen, Vokabel pauken. Schön wäre, sagt Kaplan Isidore, wenn er noch jemanden finden würde, der ihm ein wenig hilft. Freunde also. Die vermisst er. Und die Familie, seine drei Brüder, etwa einmal alle zwei Wochen telefoniert er mit zu Hause. Man muss ja heute die eine Welt zum Glück nicht ganz verlassen, wenn man in der anderen lebt.

    Sieben Monate Intensiv-Sprachkurs, danach Führerschein

    Auf die Frage, wie es ihm in Augsburg gefällt, sagt Kaplan Isidore: "Super." "Toll." Und: "Ich mag alles." Menschen, Essen, Wetter. Wobei es mit den Menschen wie mit dem Wetter ist: gelegentlich kühler als zu Hause. Alle seien unglaublich hilfsbereit, aber es dauere eben oft ein wenig länger, bis sich jemand öffne. Manchmal wünscht er sich, dass nach dem Gottesdienst noch ein paar Gemeindemitglieder vor der Kirche warten. Aber bis er sich umgezogen habe, seien meist alle weg. Stadt eben.

    Der Familien- und Freundesersatz, das sind nun: Kaplan Solomon, bei dem er den ersten Monat verbracht hat. Stadtpfarrer Christoph Hänsler und ein Praktikant, mit denen er im Pfarrhaus lebt. Und seine Mitbrüder, mit denen er das Ausbildungsprogramm absolviert. Sieben Monate Intensiv-Sprachkurs, danach der Führerschein und dazwischen, verteilt auch noch über die nächsten zwei Jahre, einzelne Ausbildungseinheiten: Wie führt man hier ein Taufgespräch, was sagt man bei einer Beerdigung, wie gestaltet man den Religionsunterricht, was versteht man unter Mitarbeiterführung. Es geht also grob gesagt darum, wie eine bayerische Pfarrei so funktioniert und was vom Pfarrer alles erwartet wird. Und was nicht. Die Wissenschaftler aus Münster stießen beispielsweise auf einen Fall, da teilte ein afrikanischer Pfarrer der Sekretärin im Büro mit, die Jugendlichen könnten nun sein Auto waschen. Das nun eher nicht.

    Kaplan Solomon John Essiet während des Gottesdienstes.
    Kaplan Solomon John Essiet während des Gottesdienstes. Foto: Marcus Merk

    "Für uns ist es wichtig, dass die ausländischen Priester einen klaren Blick auf die Kirche in Deutschland gewinnen, dass wir ihnen ein Fundament bauen für die Arbeit, die Gemeinschaft untereinander fördern", sagt Domvikar Martin Riß, seit September zuständig für die Ausbildung in der Diözese. Und er versuche, engen Kontakt zu halten. Seit etwa zwei Jahrzehnten gibt es das Konzept, dazu zählt auch das jährliche Treffen aller Weltpriester aus dem Bistum. Deren Wirken sei mehr als eine willkommene Hilfe. "Wir wollen ja nicht nur Löcher stopfen," sagt Hänsler, von dem Riß die Aufgabe letztes Jahr übernommen hat. Beide sehen es so: "Für uns ist es eine große Bereicherung." Weil die ausländischen Seelsorger ja auch ihre eigenen Erfahrungen mit einbringen und ihre eigene Art der Glaubensvermittlung. "Zum Beispiel ihre große Freude daran, den Glauben gemeinsam in der Gemeinschaft zu feiern", sagt Riß. Gelebte Weltkirche, deren oberster Hirte aus Argentinien kommt.

    "Kommen nach Europa und bringen die Früchte mit"

    Einen Fall wie in Zorneding bei München gab es in all den Jahren im Bistum Augsburg nicht. Ein Pfarrer aus dem Kongo legte im vergangenen Jahr wegen rassistischer Angriffe sein Amt nieder. In der Studie der Universität Münster gab etwa jeder sechste ausländische Priester an, Erfahrung mit Rassismus gemacht zu haben. Kaplan Solomon sagt auf die Frage danach: "Umgekehrt." Er habe nur das Gegenteil erlebt. Eine Art Freundlichkeitsextremismus.

    Ob er sich als Missionar fühlt? Der hier den Glauben wieder neu entfachen kann? Immerhin mehr als 30 Prozent der befragten Seelsorger hatte das im Fragebogen der Universität Münster als wesentliche Motivation genannt. Am häufigsten aber wurde folgende Antwort angekreuzt: "Mein Bischof hat mich geschickt." Wobei das eine das andere nicht ausschließt. Kaplan Solomon, der hier an der Universität promovieren möchte, sagt: "Grundsätzlich ist jeder Priester ein Missionar." Mit dem Auftrag, das Evangelium zu verkünden. Und man könne es ja auch so sehen: Vor vielen Jahren habe Europa Afrika missioniert, "jetzt kommen wir nach Europa und bringen die Früchte mit".

    Ob er sich vorstellen kann, für immer zu bleiben? Kaplan Solomon lacht und schüttelt den Kopf.
    Ob er sich vorstellen kann, für immer zu bleiben? Kaplan Solomon lacht und schüttelt den Kopf. Foto: Marcus Merk

    Er versteht die Zusammenarbeit zwischen den Diözesen als gegenseitige Hilfe: "Wir wissen um den Priestermangel in Deutschland, aber unsere Priester lernen auch hier und nehmen das Wissen wieder mit nach Hause." Was ihm hier zum Beispiel gefalle: Dass die Menschen sagen, wenn ihnen etwas an ihrer Kirche nicht gefällt. Der Mut. Und wie wichtig es ist, als Priester dann auch zuzuhören. "Auch in Afrika wird die Zeit kommen, in der die Leute sagen, was man anders machen soll." Ob er sich vorstellen kann, für immer zu bleiben? Kaplan Solomon lacht und schüttelt den Kopf. Nigeria, Bayern und zurück.

    Zehn Jahre, so lange etwa schätzt Kaplan Isidore, wird er hier sein. Die neue Welt erkunden. Nun aber geht es erst einmal noch um die Sprache. Wobei: Zehn Monate Deutsch und dann schon Heinrich Heine. Für seine Predigt habe er sich das Lied von der Loreley auf Youtube angesehen, sich in den Text vertieft. Er hat seine eigene Deutung gewonnen. Dass es um die Trauer gehe, wenn Menschen etwas Schönes verlieren, wie schwach sie sich dann fühlen. Auch der Pfarrer hat ihm vor der ganzen Gemeinde sein Lob ausgesprochen. Und ihm später noch einen kleinen Tipp gegeben: Wenn er in Zukunft vielleicht noch ein, zwei Minuten kürzer spreche. In Nigeria kann eine Predigt auch schon mal eine Stunde dauern. Eine andere Welt. Zehn Minuten, mehr sind die Gläubigen aber hier nicht gewohnt …

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