Nach langer Wartezeit rollt jetzt Ihr Film „Weißbier im Blut“ langsam in die Kinos …
Sigi Zimmerschied: Allerdings dauert das teilweise noch. Das liegt daran, dass die Kinos kein Popcorn verkaufen können. Ich habe die immer für kulturelle Ereignisorte gehalten, aber tatsächlich sind das Imbissbuden mit kulturellen Begleiterscheinungen.
Warten mussten Sie auch auf Ihren ersten Liveauftritt jetzt, in Ihrer Heimatstadt Passau. Hat diese graue Zeit Ihre Weltsicht eingetrübt?
Zimmerschied: Eingetrübt kann ich nicht sagen, weil ich in einem Camus’schen Widerspruch existiere. Ich habe einerseits eine sehr positive Grundhaltung, die auch nicht zerstörbar ist. Aber andererseits bin ich von der Unheilbarkeit der menschlichen Spezies überzeugt. Zwischen diesen zwei Polen entsteht Ironie.
Zimmerschied als echter bayerischer Beamter? „Das ist unvorstellbar“
Apropos Camus: Frei nach dem für ihn so wichtigen Mythos des Sisyphos - ist es nicht ermüdend, wenn der Stein, den Sie den Berg hochrollen, immer wieder hinunterpurzelt?
Zimmerschied: Wäre der Zustand unserer Gesellschaft das Grundmotiv, das mich prägt, dann würde das wohl so sein. Aber mein Schaffenswille kommt woanders her. Ich weiß nicht woher, aber er steckt auf jeden Fall in mir. Die Geschichten entzünden sich, und dann müssen sie raus. Es macht mir immer wieder Spaß, sie niederzuschreiben. Das ist eigentlich die Quelle. Dabei weiß ich natürlich, dass der Menschheit nicht zu helfen ist. Aber den missionarischen Gedanken habe ich schon lange aufgegeben. Ich schaue auf mein Vergnügen, und das habe ich.
Anders als Ihr Kommissar Kreuzeder in „Weißbier im Blut“. Der hat offenbar nicht die gleiche Schaffensenergie wie Sie...
Zimmerschied: Auch beim ihm wird sie noch mal entzündet, und zwar durch die Zuneigung zu einem Kind. Sie ist versteckter und verschlossener als bei mir, aber grundsätzlich ist sie schon vorhanden. Kreuzeder ist ein enttäuschter Sanguiniker, da kommt man zur Melancholie und zu Beginn des Films befindet sie sich im ausgeprägtesten Stadium – einbegriffen Zweifel am Schuldprinzip und manch anderem, was man bayerischen Beamten nicht unterstellen sollte.
Könnten Sie real einen guten bayerischen Beamten abgeben?
Zimmerschied: Das ist unvorstellbar. Dazu müsste ich in die reale Welt einsteigen. Das habe ich ein paarmal in Bereichen des politischen Engagements versucht, und dafür bin ich nicht geeignet. Denn ich habe eine Unruhe in mir, kein Sitzfleisch. Ich kann in meiner Fantasie- und Kreativwelt leben. Solange mich die trägt, halte ich es auch in der realen Welt aus, aber mich eins zu eins auf die einzulassen, das könnte ich nicht.
Wann konkret haben Sie diese Untauglichkeit gespürt?
Zimmerschied: Bei Gremiensitzungen. Für die bin ich komplett untauglich. Wenn eine Idee so lange braucht, bis sie vermodert, da tut es mir um die Ideen und um mich leid. Das gilt auch für diesen Film. Der hat von seinen Anfängen bis jetzt zwölf Jahre gebraucht, ohne dass sich an der Geschichte etwas Wesentliches geändert hat. Dass die Medienlandschaft nicht in der Lage war, diesen Film schon vor elf Jahren zu erkennen, das ist für einen Kabarettisten, der in der Früh eine Idee hat, sie mittags aufschreibt und abends vorträgt, ein unvorstellbarer Prozess. In den möchte ich nicht einsteigen.
Sie scheinen aber dafür in anderen Strukturen gefangen. Obwohl Sie, wie auch in diesem Film, die Provinzialität Ihrer niederbayerischen Heimat immer wieder aufs Korn genommen haben, haben Sie dort ein festes Standbein.
Zimmerschied: Ich spüre da wieder diese Kreuzeder’sche Ambivalenz. Ich mag Passau, ich liebe die Geschichten, die mich damit verbinden, ich liebe es als Theaterbühne, als Fundus für mein Erzählen. Mein Lebensgefühl ist aber in der letzten Zeit immer urbaner geworden. Ich bin sehr gerne in München. Letzten Endes bin ich hin und her gerissen. Wie der Biermann gesungen hat: „Ich möchte am liebsten weg und bliebe am liebsten hier.“
„Die paar Jahre Genderwahnsinn werde ich auch überstehen“
München liegt freilich noch im bayerischen CSU-Orbit. Den möchten Sie also nicht hinter sich lassen?
Zimmerschied: Man entkommt doch diesen Strömungen sowieso nicht. Wir leben momentan in einem Rigorismus, der mit den 70ern vergleichbar ist. Nur jetzt hat man das Problem, dass diese katechetische Unbeweglichkeit von Menschen kommt, mit denen man sich verbunden gefühlt hat.
Was heißt das genau?
Zimmerschied: Früher hat man nichts gegen den Heiligen Geist und die Jungfrau Maria sagen dürfen, und heute darf man nichts gegen Klima-Überschwang und Gender-Wahn sagen. Da gibt es diese neuen Tabus, die mit derselben ironiefeindlichen Unterkühltheit präsentiert werden. Man kommt dem Menschen nirgends aus. Ob du in Passau bist oder in München oder in Berlin oder auf der Zugspitze – da vielleicht noch am ehesten.
Überrascht Sie, dass dieses neue Zelotentum eher auf der linken Seite des politischen Spektrums zu finden ist?
Zimmerschied: Nein. Ich habe das viel eher erwartet. Man ist als Autor doch auch Seismograf. Diese Tendenzwende war überfällig, weil jede Generation aus denselben Bestandteilen besteht. Da gibt es nun mal die Eiferer und die sind normalerweise ein bisschen im Hintergrund. Aber im Zusammenhang mit einer Katastrophe wie der Pandemie steigen die Ängstlichkeiten, und jeder versucht schnell, auf der gerechten Seite zu sein, für den Fall, dass es das Fegefeuer doch gibt. Da sind Verhärtungen und Verkrustungen erwartbar.
Sigi Zimmerschied: „Das Fernsehen hat die Ironie kaputt gemacht“
Sie klingen so gelassen, als würde Sie das nicht weiter beunruhigen.
Zimmerschied: Das wird auch vorbeigehen. Ich habe in dieser Hinsicht bereits eine Impfung. Ich bin immun. Ich habe den Strauß und die Päpste und die katholischen Kleriker, die Weltkriegsveteranen und die 80 Prozent CSU in Passau überlebt. Da werde ich diese paar Jahre Genderwahnsinn und neue Moralität überstehen. Die Fähigkeit, Ironie verstehen zu können, hat sich kurioserweise schon längere Zeit abgebaut. Das habe ich als Kabarettist frühzeitig begriffen. Das hängt sehr viel zusammen mit der Trivialisierung von Ironie durch die Medien. Die Unterhaltungsabteilungen in den Fernsehstationen haben der Ironie einen oberflächlichen Teppich bereitet. Auf diese Weise haben Sie deren tieferschürfende Form im Kabarett kaputt gemacht.
Aber damit wird Ihnen ja eigentlich die Grundlage für Ihr Schaffen entzogen.
Zimmerschied: Das Publikum ist ja keine homogene Masse. Ich habe nie die Mehrheit auf meiner Seite gehabt. Zu mir sind schon immer die Andersdenkenden gekommen, wenn ich vom Kabarett ausgehe. Dieses Publikum wird das also kaum berühren. Also habe ich keine Angst um meine Lebensgrundlage.
"Künstlerische Arbeit, die mit Rebellion zu tun hat"
Andererseits sind Sie in Ihrer Heimatstadt, in der Sie früher als Nestbeschmutzer galten, längst ein kulturelles Aushängeschild, mit dem sich die Honoratioren schmücken …
Zimmerschied: Das ist eine Entwicklung, der nicht mal ich auskomme. Ob ich will oder nicht, irgendwann wird man im Fremdenverkehrsprospekt auftauchen. Das Scharfrichterhaus, wo ich seit meinen Anfängen auftrete, ist ein wunderschönes Lokal. Und da gehen auch mal Andersdenkende hinein. Das ist für die wie ein Abenteuerurlaub, und damit habe ich keine Probleme. Die Frage ist, wie agiert man trotzdem, wie agiert man im Kern, in der Programmgestaltung, was setzt man da noch für Akzente? Und in der Hinsicht lasse ich mich nicht unterkriegen.
Was war damals Ihr Antrieb, als Sie in den 70ern mit Stücken wie „Die Himmelskonferenz“ die katholischen Denkschemata infrage stellten?
Zimmerschied: Das Wesentliche damals war nicht die Attacke gegen die Kirche. Es ging darum, mir persönlich einen Freiraum zu schaffen, in dem ich leben und agieren kann, so wie ich bin. Das war die Wurzel der Gegenwehr. Und da steht halt manchmal was dagegen. Damals war es die katholische Kirche, heute sind es, wie gesagt, kurioserweise die Leute aus den vermeintlich eigenen Reihen, übermorgen werden es die Immobilienhändler sein, was weiß ich. Das ist ein Dauerzustand, in dem man immer wieder versucht, sich einen Raum zum Atmen zu schaffen. Das ist der Kern der künstlerischen Arbeit, die mit Rebellion zu tun hat. Und das andere ist Bühnenbild, zeitgeistige Begleiterscheinung.
Zur Person: Mit „Weißbier im Blut“ hat Siegfried „Sigi“ Zimmerschied jetzt eine auf ihn zurechtgeschneidertes Kinoplattform – nachdem er der 67-Jährige zuvor seit Rosenmüllers „Räuber Kneißl“ (2008) unenwegt in Filmen auftaucht, vor allem bei Rita Falk freilich. Kabarettist ist er, seit 1975 mit Bruno Jonas in seiner Heimat Passau die Kabarettgruppe „Die Verhohnepeopler“ gegründet hat und gleich mit einem Skandal startete.
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