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Der Traum vom Fliegen: Kann Scheitern eine Chance sein? Am Beispiel des Schneiders von Ulm

Der Traum vom Fliegen

Kann Scheitern eine Chance sein? Am Beispiel des Schneiders von Ulm

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    Die Stadt, die Albrecht Berblinger heute feiert, trieb ihn damals mit Spott und Schande in den Ruin. Sein Traum vom Fliegen machte ihn zum Helden gemacht.
    Die Stadt, die Albrecht Berblinger heute feiert, trieb ihn damals mit Spott und Schande in den Ruin. Sein Traum vom Fliegen machte ihn zum Helden gemacht. Foto: Michael Eichhammer

    Auf dem langen Weg des Scheiterns steht Daniela ganz am Anfang. Am Ufer der Donau, im Schatten der Stadtmauer von Ulm, hat sie sich auf einem kleinen Betonsockel postiert und beginnt zu erzählen: „Es war einmal ein Mann in Ulm. Albrecht Berblinger. Der wollte nicht akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind ...“ Vor Daniela stehen 14 Zuschauer. Es sind ihre Freunde aus dem „Teatro International“. Für ihren „Parcours des Scheiterns“ hat die Theatertruppe in den vergangenen Monaten echte, wahre und auch märchenhafte Geschichten des Scheiterns gesammelt. Gerade läuft die Generalprobe, Station eins des Parcours: Berblingers Geschichte. Und Daniela erzählt sie so, als wäre sie die Erste. Als wären nicht mehr als 200 Jahre vergangen, seit der Ulmer Schneidermeister mit seiner selbst gebauten Flugmaschine elegant über die Donau gleiten wollte – und vor den Augen der Stadt, vor Prinz und Herzog ins Wasser plumpste. Scheiterte! Wobei …

    Im Jubiläumsjahr 2020, zum 250. Geburtstag des Albrecht Ludwig Berblinger, wird der Schneider nun geehrt wie ein Held. Ulm feiert den Flugpionier und Erfinder mit einem Turmbau für 750 000 Euro, einem Musical, einem Wettbewerb für Innovation und Start-ups. Und mit einer „Fuckup Night“: Menschen erzählen vor Publikum, was in ihrem Leben gründlich misslungen ist.

    Die Stadt, die ihn heute feiert, trieb ihn damals mit Spott und Schande in den Ruin

    Berblinger überall und überdimensional: Hinter Daniela funkelt der Turm, der sich in die Höhe dreht wie eine Schraube, wie einst die Berblinger-Flugmaschine, im Licht dieses Sommerabends. Ein Denkmal für einen gescheiterten Mann. An eben dieser Stelle ist er in sein Unglück gesprungen. Sein Gleitflieger hätte den Berblinger in den Olymp der Luftfahrt katapultieren können, zu den Brüdern Wright und den Brüdern Montgolfier. Pustekuchen. Der Wind spielte verrückt. Die Stadt, die diesen Mann heute feiert, trieb ihn damals mit Spott und Schande in den Ruin.

    16 Laienschauspieler erzählen an den Stationen des „Parcours des Scheiterns“. Sie stammen aus Spanien, Frankreich, Rumänien, aus der Türkei, Kuba. Die Stimmung ist heute heiter, es wird viel gelacht. Dabei wären das Projekt und das ganze Jubiläum beinahe gescheitert. Corona. Das Unglück schien Berblinger posthum schon wieder in die Parade zu fahren. Und das war nicht das einzige Problem für die Theatergruppe: „Es war schwierig, mit unserem Aufruf genug Geschichten zusammenbekommen“, sagt die Teatro-Chefin Claudia Schoeppl. Diese Suche, das Grübeln übers Scheitern haben bei ihr Spuren hinterlassen: „Ich bin entspannter geworden“, sagt sie. „Uns ist jetzt wichtig, dass die Geschichten einen positiven Ausgang haben.“ Einerseits. Aber ohne Schönfärberei: „Niemand startet, um zu scheitern.“

    Tuba aus der Türkei erzählt die Geschichten einer Frau, die in „New York, Paris oder Tokio“ leben wollte – und im schwäbischen Wiblingen gelandet ist. Immerhin: Sie stammt aus dem hohen Norden, und erst auf dem Land, im Süden von Ulm, hat sie gelernt, dass Rosen im Jahr zweimal blühen. „Viele Träume, die ich nie geträumt habe, sind wahr geworden.“ Mohammed erzählt ein paar Schritte weiter, im Rosengarten an der Donau, die Geschichte eines Arztes. Sie handelt von Krankheit und ist keine klassische Scheiter-Geschichte: Ein junger Mediziner arbeitet Tag und Nacht für seinen Erfolg, die Arbeit ist sein Leben. Dann stoppt ihn ein Tumor. Die erste Prognose: 10 Prozent Überlebenschance. Nach qualvollen Wochen die zweite Prognose: 90 Prozent Überlebenswahrscheinlichkeit. Er atmet auf und übersteht den Tumor. Doch noch bevor er 50 Jahre alt ist, erleidet er einen schweren Herzinfarkt.

    Erfolgreich scheitern? Scheitern als Chance? Was Coaches sagen

    Befragt man Google nach dem Scheitern, verspricht jedes zweite Ergebnis „Erfolgreich scheitern“ oder „Scheitern als Chance“. Wer auf die Treffer klickt, landet oft auf den Seiten von Coaches. Jenen Menschen also, die als Berater andere vor dem Scheitern bewahren wollen oder dann helfen, wenn alles zu spät ist. Eine schriftliche Umfrage bei Coaches aus Ulm und um Ulm herum: Kann man aus dem Scheitern immer etwas lernen?

    Kann man aus dem Scheitern immer etwas lernen?

    Ralf Hauser ("Berufliches und privates Coaching sowie Gruppen- und Teamsupervision"):

    "Es ist nichts so schlecht, dass es nicht auch für etwas gut ist. Nach Analyse und Reflektion lassen sich Lernchancen ableiten. Wir machen dann diesen Fehler kein zweites Mal und gehen mit neuen Erkenntnissen durch das weitere Leben. Ja, aus jeder Erfahrung des Scheiterns lässt sich förderlich für das Weiterkommen lernen. Davon bin ich überzeugt."

    Julia Kählert (Coach für berufliche Veränderung):

    "Selbstverständlich! Hier sieht man deutlich, was wir aktuell vielleicht unter Stress noch nicht gut beherrschen. Vor einem neuen Anlauf sollte ich mir gut überlegen: Wie kann ich diesen Stress minimieren? Vielleicht durch mehr Unterstützung von außen, längere Vorbereitung, weniger Zuschauer etc. Oder gibt es einen ganz anderen Weg?"

    Ralf Rotzek (Personal Training, Persönlichkeitsentwicklung, Sport-Coaching):

    "Natürlich. Das kann und sollte man auch tunlichst versuchen. Scheitern gehört zum Erfolg wie die Nacht zum Tag. Jeder wirklich erfolgreiche Mensch ist bereits mindestens einmal gescheitert. Denn Erfolg ist die Fähigkeit, von Misserfolg zu Misserfolg zu schreiten, ohne die Begeisterung zu verlieren (Zitat Winston Churchill). Und Schreiten bedeutet Entwicklung, Fortbewegung, Evolution. Mit dem Bewusstsein und dem Willen, aus dem Miss-Erfolg zu lernen, gebe ich mir die Chance, mich weiter zu entwickeln und dies ist die Grundlage unserer Zivilisation. Und genau diese Begeisterung und Fähigkeit zu Lernen und sich weiter zu Entwickeln kann und sollte jeder Mensch erwerben."

    Paula Marin (Life Coach, psychologische Beratung):

    "Eine Erfahrung ist meiner Meinung nach, immer mit dem Gewinn einer neuen Erkenntnis verbunden. Erkenntnisse sind für unsere Weiterentwicklung unentbehrlich. Diese Perspektive zeigt uns,dass das Gefühl von Scheitern sehr subjektiv ist. Wir können sie auch als eine Kraft sehen, die uns vorantreibt: Eine Erfahrung ist meiner Meinung nach, immer mit dem Gewinn einer neuen Erkenntnis verbunden. Erkenntnisse sind für unsere Weiterentwicklung unentbehrlich. Diese Perspektive zeigt uns, dass das Gefühl von Scheitern sehr subjektiv ist. Wir können sie auch als eine Kraft sehen, die uns vorantreibt."

    Christina Bergmann (Coaching und Beratung):

    "Damit wir aus Rückschlägen undF ehlschlüssen etwas lernen, müssen wir richtig mit Ihnen umgehen und ein Bewusstsein für unser Scheitern entwickeln. Grundsätzlich fürs Scheitern Akzeptanz üben und darin eine Möglichkeit des Lernens und des persönlichen Wachstums zu erkennen und zu nutzen. "

    Anonym (Lebensberatung, autogenes Training, Meditation, Paarberatung):

    "Aus jeder Erfahrung des Scheiterns ist eine Erkenntnis zu gewinnen. Vorausgesetzt, die Person macht sich durch Reflektion und Durchleuchten des Geschehens, in innerem und äußerem Dialog mit Menschendes Vertrauens, auf die Suche nach „Fehlentscheidungen“, mit Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, um daraus zu lernen."

    Petra Staudacher (Lerncoaching, Geist und Mentalität, Beruf, Ernährung, Bewegung):

    "Das ist ein natürlicher Prozess des Lernens, die meisten Menschen haben die Schwierigkeit, diesen Lernprozess zu erkennen, anzunehmen und daraus sich weiter zu entwickeln. Alle großen Persönlichkeiten, z.B. Fred Astaire, Albert Einstein, sind vor ihrem großen Erfolg gescheitert, beziehungsweise kein Mensch glaubte an sie."

    Hoch hinaus und dann? Mit dem Berlinger-Turm wird in Ulm ein Held des Scheiterns geehrt.
    Hoch hinaus und dann? Mit dem Berlinger-Turm wird in Ulm ein Held des Scheiterns geehrt. Foto: Dagmar Hub

    Heute ist Berblinger Legende. Aber wäre der Schneider nicht 1770, sondern 1970 geboren – was wäre dann? Hundert Handykameras hätten seinen Sturz gefilmt. Die Szene, wie sie ihn als einen blamierten, begossenen Pudel aus den Fluten fischen, würde zehn Minuten später im Netz landen, auf Youtube. Vielleicht säße der Berblinger bald schon im Sessel bei Markus Lanz. 23.30 Uhr, der Moderator zupft seine Krawatte zurecht und fragt ihn, im Modus der Betroffenheit: Was macht das denn mit einem, so eine Bruchlandung? Als nächstes klopfen die Casting-Direktoren von RTL an: Herr Berblinger, im Dschungel ist noch ein Platz frei, zwischen einer, die Topmodel werden wollte und am Ende doch nicht „top“ wurde, sondern Platz 13, und einem Bachelor, der beim Rosenverteilen eine Niete gezogen hat. Ein offensichtlich größenwahnsinniges Schneiderlein? Gescheitert vor den Augen der Welt? Genau der richtige Kandidat.

    Was auch sein könnte: Es klingelt, Elon Musk am Apparat. Er fragt den Mann aus Ulm, ob er mit zum Mars reisen will, 2025. Nein? Auch gut. Stattdessen könne er ja vielleicht seine cleveren Modelle für Beinprothesen weiterentwickeln, in den USA. Ein bisschen moderner nur als die Originalentwürfe aus dem 19. Jahrhundert, ein bisschen digitaler, mit Autopilot. Ein sonniger Platz am Pool in Kalifornien wäre dem Berblinger jedenfalls sicher.

    Geht es darum, wie spektakulär jemand scheitert?

    „Failure is not an option“ – „Scheitern ist keine Option“, das ist das Leitmotiv aller Hightech-Erfinder, Silicon-Valley-Hasardeure und Start-up-Unternehmer: Hoch aufsteigen, tief fallen, wiederholen. Fallen und stolpern ist erlaubt – aber bitte nur in Richtung Erfolg! Der Spruch hat Geschichte: Als sich 1970 die Raumfahrtmission Apollo 13 zum Mond aufmachte, drohte ein tödliches Unglück und die Astronauten mussten umkehren. Gescheiterte Pechvögel? Nein, gefeiert wurden sie, weil sie mit notdürftigen Reparaturen an Bord doch noch ihre Leben retten konnten. Ihr Flug endete im Wasser, im Pazifik. Geht es am Ende darum, wie spektakulär der Scheiternde scheitert, höher, weiter, dramatischer? Dädalus und Ikarus haben sich einen Platz in den griechischen Göttersagen gesichert, als Bruchpiloten der Antike. Otto Lilienthal brach sich 1896 beim Flugversuch das Genick, Reinhard Mey hat ihm ein Lied gewidmet. Immerhin. Und der Berblinger? Eine Witzfigur seiner Zeit. Er starb 1829, verlacht und verstoßen, an der Schwindsucht.

    Nächste Frage an die Coaches: Ist Scheitern eine Frage der inneren Einstellung oder entscheidet das Urteil der Gesellschaft?

    Ist scheitern eine Frage der eigenen inneren Einstellung, oder entscheidet das Urteil der Gesellschaft?

    Paul Marin (Life Coach, psychologische Beratung):

    "Wie wir unsere Erfahrungen bewerten und beurteilen, bleibt ganz unserer inneren Einstellung überlassen. Diese Bewertungen lassen sich meistens auf implizite Werte, Überzeugungen, Glauben sowie Sichtweisen zurückführen, die uns in sehr jungen Jahren von unserer Familie und unserem Umfeld mitgegeben wurden."

    Christina Bergmann (Coaching und Beratung):

    "Scheitern lässt sich messen, denken wir z.B. an den Sportbereich. Es gibt aber auch umfangreiche Forschung zum Thema Scheitern in den unterschiedlichsten Bereichen und Disziplinen. Scheitern und das Erleben bzw. Bearbeiten des Scheiterns ist einerseits individuell, aber andererseits spielen auch soziale oder kulturelle Umweltfaktoren sowie die Konsequenzen des Scheiterns eine Rolle."

    Ralf Rotzek (Personal Training, Persönlichkeitsentwicklung, Sport-Coaching):

    "Alles, was wir bewerten, erfolgt auf Basis unserer individuellen Wahrnehmung und ist deshalb absolut subjektiv. Dennoch kann man unterscheiden zwischen Zielerreichung in absolutem Maße und der Zielerreichung vor dem Hintergrund der eigenen Ansprüche und der entsprechenden Zieldefinition. Wenn ich mir zum Ziel setze, immer der Beste zu sein, immer auf dem Podest ganz oben zu stehen, niemals Fehler zu machen, werde ich sicher häufiger scheitern als jemand, der sich seine Ziele niedriger und erreichbarer ansetzt und das Nicht-Erreichen eher als Schritt auf diesem Prozess versteht, analysiert, korrigiert und einen neuen Versuch unternimmt. Die Frage bleibt: Ist der 2. Platz bereits ein Scheitern, oder eher die Erreichung eines Etappen-Ziels auf dem Weg zum 1 . Platz? Diese Bewertung ist eine Sache der inneren Einstellung und der Umgang mit ihr bedarf viel Erfahrung, Übung, Selbst-Erkenntnis und Selbst-Reflexion."

    Julia Kählert (Coach für berufliche Veränderung):

    "Natürlich kann ich objektiv messen, dass ich eine Prüfung versiebt habe oder einen Job nicht bekommen habe. Aber hier wird nur das Ergebnis gesehen. Das bringt mich nicht weiter. Im Coaching schauen wir uns an, was derjenige im Prozess alles gelernt hat bzw. über sich erfahren konnte. Und was ihn für die Zukunft weiterbringt."

    Anonym (Lebensberatung, autogenes Training, Meditation, Paarberatung):

    "Ermutigungen von außen können Selbsterkenntnis und ein Umdenken und Verstehen des Scheiterns ermöglichen. Andererseits kann eine schwache Resilienz, wenn sich Personen abwenden, die für den Betroffenen wichtig sind - und ganz besonders Häme in der Öffentlichkeit - das angeschlagene Selbstwertgefühl ganz niederdrücken."

    Petra Staudacher (Lerncoaching, Geist und Mentalität, Beruf, Ernährung, Bewegung):

    "Hier gibt es beide Formen der inneren und äußeren Bewertung. Äußere Bewertungen können einen Veränderungsprozess einleiten, letztendlich sollte die eigene Überzeugung ausschlaggebend sein."

    Ralf Hauser ("Berufliches und privates Coaching sowie Gruppen- und Teamsupervision"):

    "Gewonnen und verloren wird zwischen den Ohren. Deshalb glaube ich, dass es eine Frage der inneren Einstellung ist. Objektiv bemessen lässt sich das Scheitern meiner Meinung nach nur durch finanzielle und gesundheitliche Folgeschäden. In meinen Coachings ermutige ich dazu, ein Scheitern als kurzes vorübergehendes Ereignis zu betrachten. Ich kenne Menschen, die sich sagen, ich begnüge mich nicht mit der Opfer-Rolle. Ich will wieder zum Täter meines Lebens werden. Ich stehe immer wieder auf und zeige meinen Gegnern, was in mir steckt."

    Maria stammt aus Holland, als professionelle Geschichtenerzählerin coacht sie das Teatro-Team. Im Ulmer Rosengarten, gleich neben dem Beet mit der Sorte „William Shakespeare“, erzählt sie jetzt das Märchen von Gudbrand: Es war einmal ein gut gelaunter, blauäugiger Bauer, der wollte sein Pferd verkaufen. Er tauschte den Gaul gegen eine Kuh – dann gab er die Kuh für ein Schwein her und das Schwein für einen Hahn. Am Ende seiner Tauschgeschäfte blieb dem naiven Gudbrand nur eine warme Mahlzeit. Glücklich war er trotzdem. Maria findet, dass Scheitern auch davon abhängt, wie man seine eigene Geschichte liest und konstruiert.

    Laura aus Spanien erzählt unterm Metzgerturm, gleich bei einer Parkbank und einem Mülleimer, eine wahre Lebensgeschichte. Es geht ums Geld. Eine Frau hat sie dem Teatro anvertraut: Sie hat als Kassiererin nie viel verdient. Genug aber, um ihrem Sohn ein Studium zu ermöglichen. Im hohen Alter ist es nun ihr größter Spaß, sich einmal im Monat mit Freunden zu treffen. Kaffee, Kuchen, Prosecco. Aber um sich das – und etwas Nagellack – leisten zu können, muss sie Pfandflaschen aus Mülleimern fischen. Als Laura die Geschichte beendet hat, applaudieren ihre Freunde. Doch dann halten alle kurz den Atem an. Der Zufall will es so: Eine Frau schleicht an der Bank vorbei. Sie trägt eine Plastiktüte in der Hand und wirft einen langen Blick in den Mülleimer. Sie findet nichts. Sie zieht weiter.

    Gibt es eine typisch deutsche Art zu scheitern?

    Gibt es eine typisch deutsche Art zu scheitern? Deutsche scheitern selten, aber dann gründlich und spektakulär, findet Daniela. Maria nickt: „Sie sind aber auch diejenigen, die am meisten vorbeugen gegen das Scheitern.“ Daniela lacht. „Ja. Es gibt diesen typisch deutschen Spruch: Sicher ist sicher.“ Die Scham zu scheitern sei in Deutschland groß. In Buenos Aires, Danielas Heimatstadt, gehe man offener mit Niederlagen und Patzern um. Die Einstellung hat sich Daniela bewahrt: „Als Migrant scheitert man erst einmal sowieso tagtäglich, hier und da.“

    Die „Fuckup Night“ ist keine Ulmer Erfindung und Scheitern ist heute auch in Mode. Allerdings nur im Blick durch den Rückspiegel, auf der Überholspur. Wie man es dreht und wendet: Im Moment, wenn es passiert, macht Scheitern keinen Spaß. Die Universität Hohenheim hat 2015 eine Studie verfasst. Ein Ergebnis: Bei älteren Menschen – also jenen, die statistisch über die größte Scheiter-Erfahrung verfügen – trübt sich die positive Einstellung zum Scheitern. Was die Studie auch besagt: „Fehler, deren Gründe außerhalb des eigenen Einflusses liegen, werden eher akzeptiert.“ Man kann an etwas oder an jemandem „scheitern“. „Versagen“ kennt einen klaren Schuldigen. Letzte Frage an die Coaches: Was würden Sie dem Berblinger heute raten?

    Was würden Sie dem Berblinger heute raten?

    Ralf Rotzek (Coach, Persönlichkeitsentwicklung, Sport-Coaching):

    "Ich würde ihm dabei helfen, den Spott und die Häme auszublenden und sich stattdessen selbst auf die Schulter zu klopfen. Immerhin stand er oben, ganz alleine, wagemutig, entschlossen, während die anderen Menschen nur zusahen und keine Ahnung (und wahrscheinlich auch kein Interesse) hatten, wie viel Cleverness, Herzblut, Zeit und Geduld er in diese Idee investiert hatte. Um seine Frustration zu bewältigen, würde ich ihm dabei helfen, einen Schritt zurück zu machen und versuchen, die Situation aus der Distanz zu beurteilen, möglichst objektiv zu analysieren, sich Verbündete und Unterstützer zu suchen und sich ein neues, sicher erreichbares (Etappen-) Ziel zu setzen."

    Christina Bergmann (Coaching und Beratung):

    "Christina Bergmann: Ich würde Ihm nichts raten, weil professionelle Coaches nicht raten, aber ich würde ihn auf dem Weg seinen gescheiterten Flugversuch zu bearbeiten begleiten. Ein Coaching Ziel könnte sein, dass er die Perspektive wechselt und seinen gescheitertenF lugversuch nicht als Misslingen seines eigentlichen Ziels anerkennt. Dass er Gefühle wie vielleicht Scham und Enttäuschung zulässt und damit umzugehen lernt. Sein Selbst stärken, damit er wieder an Selbstvertrauen gewinnt und eszur Neuausrichtung seiner inneren Haltung und Bewertung kommen kann.Schließlich um das gescheiterten Vorhabens zu analysieren, den Blick nach vorne richtet und neue Möglichkeiten entwickelt."

    Julia Kählert (Coach für berufliche Veränderung):

    "Die kleinen Schritte zu sehen, die ihn bis hierher gebracht haben. Jeder von uns geht, wenn er Neues wagt, viele kleine und größere Wagnisse ein. Aber viel schlimmer wäre es doch gewesen, wenn er es nicht versucht hätte, seinen Traum zu verwirklichen. Vielleicht wäre es ein,e Option gewesen, seine Erfahrungen mit anderen Wissenschaftlern die den gleichen Traum haben, zu teilen. Denn er wäre jetzt ein Experte darin, was mit der damaligen Technik nicht geklappt hat. "

    Anonym (Lebensberatung, autogenes Training, Meditation, Paarberatung):

    "Dem Bruchpiloten könnte ich zunächst nichts raten,weil ich ihm genau zuhören muss, um seinen augenblicklichen emotionalen Zustand zu erfassen. Aufgrund früherer emotionaler Erfahrungen von „Niederlagen“ würde ich mit ihm zusammen ein stabilisierendes Konzept ausarbeiten, wie er im Leben weitermachen könnte. Da ich mit Elementen des Aufstellens systemischer Ordnungen arbeite, würde er selbst durch seine Frustrationen hindurch und letztlich Schritt für Schritt herausgehen."

    Ralf Hauser ("Berufliches und privates Coaching sowie Gruppen- und Teamsupervision"):

    "Ich würde im Coaching den Fokus auf das legen,was aus dieser Situation gelernt werden konnte. Der Mut und die Risikobereitschaft waren bemerkenswert und könnten in zukünftigen Projekten gewinnbringend zum Einsatz kommen. Ich würde auch daran arbeiten, wie mit dem Thema „massive Abwertung“ umgegangen werden kann. Wenn Menschen durch andere Menschen abgewertet werden, haben sie oft nur die Möglichkeit, selbst andere Menschen abzuwerten, um sich wieder besser zu fühlen (und zu überleben). Zum Misserfolg zu stehen, Abwertungen erkennen, ohne von Ihnen überwältigt zu werden und an einem Plan für die Zukunft arbeiten, wäre mein Rat als Coach. "

    Petra Staudacher (Lerncoaching, Geist und Mentalität, Beruf, Ernährung, Bewegung):

    "Wenn ich diese Geschichte betrachte fallen mir zwei Details auf: VISION und MUT! Das Scheitern aus heutiger Sicht kann künftig ein Erfolg darstellen. Alle Entdeckungen des Weltgeschehens basieren auf unzählige Fehlversuche bis sich letztendlich ein Erfolg einstellte.Aktuell forschen viele Wissenschaftler in Laboren an einen Impfstoff zur Bekämpfung der Corona Pandemie. Es werden viele Lösungsansätze nicht zum Erfolg führen!"

    Paul Marin (Life Coach, psychologische Beratung):

    "Auch wenn andere den Schatz, der deinen Traum und deine Vision verbirgt,nicht erkennen und verstehen können, lasse nicht zu, dass der Lärm dieser Meinungen deine innere Stimme zum Schweigen bringt. Große Visionen brauchen Zeit und Geduld um sich in Meisterwerke zu verwandeln. Mut und wahre Freiheit besitzt der, der seinem Herzen und seiner Intuition folgt. Diesen zu vertrauen, ist ein Symbol von Selbstliebe und eine Bestätigung gegenüber deinem Leben."

    In ihrer Geschichte des Schneiders lässt Daniela ihn sagen: „Man klebt einfach am Boden fest.“ Das gilt heute nicht mehr. Man muss nicht alle Dinge akzeptieren, wie sie sind!

    Parcours des Scheiterns: Mohammed aus Syrien erzählt im Ulmer Rosengarten eine Geschichte des Scheiterns.
    Parcours des Scheiterns: Mohammed aus Syrien erzählt im Ulmer Rosengarten eine Geschichte des Scheiterns. Foto: Veronika Lintner

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