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Bundestagswahl 2017: Der Wald der Wahlplakate: Was noch Politik ist und was nur Werbung

Bundestagswahl 2017

Der Wald der Wahlplakate: Was noch Politik ist und was nur Werbung

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    Ein Wahlplakat von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zur Bundestagswahl 2017. Unser Experte sieht die Plakate der SPD kritisch.
    Ein Wahlplakat von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zur Bundestagswahl 2017. Unser Experte sieht die Plakate der SPD kritisch. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

    Womöglich ist es Ihnen ja noch gar nicht aufgefallen: Es gibt tatsächlich etwas Neues, etwas Spannendes an diesem Wahlkampf. Neu nämlich ist, dass dieser Wahlkampf auch ein Wettbewerb von Spitzen-Werbeagenturen ist. Und spannend ist darum nicht nur, was dabei herausgekommen ist – das werden wir gleich mit einem Profi vom Fach unter die Lupe nehmen. Sondern auch: Was dabei überhaupt herauskommen soll – und was dabei herauskommen kann. Es geht um die Politik in Zeiten der Wahl zwischen Werbung und Wahrheit. Und das führt uns zu zwei Problemen in der Schnittfläche zwischen Demokratie und Marktwirtschaft.

    Echte Probleme. Also nicht diese Details, die nun so mancher Partei Ärger mit ihrer Werbung machen. Der AfD etwa, weil sie – „Unser Programm für Deutschland“ – zum Slogan „Hol dir dein Land zurück“ das Matterhorn abbildete (dafür gibt es, wie wir nachher sehen, vielleicht sogar eine Erklärung). Oder der Ärger des SPD-Abgeordneten Matthias Ilgen in Nordfriesland mit seinem Plakat. Es zeigt ihn, wie er im roten Jackett mit einer Wikinger-Axt auf einen Baum einschlägt, auf dessen Rinde ein Porträt von Donald Trump zu sehen ist – der Text dazu verkündet: „America First? Ilgen Förster!“ Einmal entdeckt, macht so was im Internet viel Ärger, da sind Kommentare und Verhöhnungen ohnehin längst präsenter als die Werbung der Parteien selbst. Auf Ilgen etwa antwortete der Wahl-Blogger Martin Fuchs: „Wahlplakate from Hell: Make Nordfriesland great again!“ Und einen Shitstorm erntete auch die Partei, die bislang eigentlich als Einzige im Netz selbst richtig aktiv ist und deren Vorsitzender auch deutscher Meister der Facebook-Politik ist. Christian Lindner und seine FDP treten online mit einem Wahlspruch an, der reichlich Angriffsfläche bietet: „Digital first, Bedenken second.“ Auweia. Aber, nun ja: Problemchen …

    "Angela Merkel ist das ideale Produkt"

    Ein Problem, das ist, wenn Jean-Remy von Matt sagt: „Angela Merkel ist das ideale Produkt.“ Das wiederum meint Deneke von Weltzien. Und damit wir das jetzt gleich sortiert bekommen: Jean-Remy von Matt ist Chef einer der großen deutschen Werbeagenturen, Jung von Matt in Hamburg, und leitet die Kampagne der CDU in diesem Wahlkampf; Deneke von Weltzien, der seine Karriere an der Fachhochschule für Kommunikationsdesign in Augsburg begonnen hat, war lange Jahre im selben Haus, zuletzt als Geschäftsführer, wechselte dann als Chef der Kreativabteilung zur Agentur Philipp und Keuntje – er ist der Fachmann, der für uns die aktuellen Kampagnen beurteilt. Hier aber geht es ums Grundsätzliche.

    Jean-Remy von Matt, Schöpfer der Saturn-Kampagne „Geiz ist geil“, hat schon mit Angela Merkel geworben, als er sie für Sixt statt ihres üblichen Haarhelms mit einem bildmontierten Steckdosen-Styling zeigte, Text: „Lust auf eine neue Frisur? – Mieten Sie sich ein Cabrio.“ Jetzt arbeitet und wirbt er für sie und schiebt sie von der Model- auf die Produktseite. Deneke von Weltzien hält das für „Hybris des Werbers“, der die politische Welt nach seinen Kategorien liest – und damit für gefährlich.

    Eine klassische Definition von Reklame sei: „zu einem Produkt eine gute Story erzählen, damit es sich besser verkauft“. Auch bei einer Wahl gehe es zwar um Geschichten, die Menschen ansprechen sollten – aber in der Werbung seien die Produkte dahinter oft austauschbar. Weltzien: „Insofern sollte Frau Merkel doch geradezu das Gegenteil eines Produkts sein.“ Weil es hier ja darum gehe, für die wirklichen Inhalte zu werben. Und in einer aktuellen Kampagne sieht der Fachmann genau diese Gefahr verwirklicht – aber es ist nicht die von Merkel …

    Experte: Dieses Jahr kein Meilenstein bei Wahl-Kampagnen

    Zunächst aber noch zum zweiten Problem. Weltzien selbst hat nie Wahlwerbung „machen müssen“, wie er sagt, ist also froh darum. Denn eigentlich kämen hier zwei nur sehr schwer vereinbare Formen der öffentlichen Kommunikation zueinander. Mit drei konkreten Haken, die Werber letztlich meist schlecht dastehen ließen.

    1. Es geht in Kampagnen nicht um die politisch Kundigen, die ohnehin wissen, was sie wählen, sondern nur um die paar übrigen Prozent der Unentschlossenen – die Kundigen sind es aber, die das Urteil über die Qualität der Kampagne prägen.

    2. Die Kraft der Kampagne ist gering, weil sie nie das Ziel von Werbung erreichen kann: ein, so Weltzien, „gesamthaftes Bild“ zu gestalten. Dafür aber findet in einem Wahlkampf zu viel anderes auch öffentlich statt, mit zu vielen Beteiligten, die alle für sich sprechen, unkontrollierbar.

    3. Eine gute Kampagne konzentriert sich auf die wesentlichen Aussagen – aber bei so vielen Mitspielern kann hier nichts kantenscharf bleiben, verwässert unweigerlich alles.

    Und dennoch gibt es für den 58-Jährigen zwei Kampagnen der Vergangenheit, die zeigen, was hier trotz allem gelingen kann: 1994, Helmut Kohl, wie ein Turm aufragend aus einem Meer von Menschen, ein Plakat ohne Slogan und ohne Parteilogo; und Gerhard Schröder 1998 dann mit charakterstarken Schwarz-Weiß-Fotos.

    Jetzt also, Herr Experte: Ist 2017 auch etwas von dieser Güte dabei? Wo doch nicht nur Jung von Matt die CDU macht, sondern auch die Agentur Heimat aus Berlin (bekannt etwa für Hornbach-Werbung) die FDP, KNSK (etwa Lucky Strike) die SPD? Die Grünen haben mit „Ziemlich Beste Antwort“ eigens eine Plattform der Köpfe von Agenturen gegründet, mit denen sie in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt erfolgreich waren … Und die AfD, der ja gerne geraten wird, sich an den Erfolgen der SVP ein Beispiel zu nehmen, bei der Agentur Goal, in der Schweiz (siehe Matterhorn?), aber auch beim Guerilla-Literaten Thor Kunkel, der mit seinem Roman „Endstufe“ für Wirbel sorgte. Jahrgang 2017, der Fachmann sagt: „Nein, kein Meilenstein dabei.“

    Am auffälligsten ist die FDP mit ungewöhnlichen Schwarz-Weiß-Fotos von Christian Lindner und einem zum Lesen zu klein gedruckten Text. Im Branchenmagazin Werben&Verkaufen etwa lobte Kommunikationsprofessor Frank Brettschneider den Bruch mit den Traditionen. Ein Insiderreflex für Deneke von Weltzien – denn eigentlich werde damit Lindner das, was bei Merkel zu befürchten war: „Er erscheint als Produkt.“ Erkennbar sei nur, dass es der FDP darum gehe, „einfach die Coolsten zu sein“. Letztlich aber wirkten die Plakate wie Aufschneiderei mit Formatfehler.

    Experte: AfD zu dreist, "Augenkrebs" bei Linken und Grünen

    Richtig enttäuscht ist der Werber von seinen Ex-Kollegen. Zu loben sei bei Jung von Matt nur der Grafikdesigner, der wie bei Merkel alle Bilder der CDU-Kampagne mit den deutschen Farben, modern stilisiert, gestaltet hat. Die Fotos aber wirkten auch bei Themen-Motiven etwa zu Arbeit und Familie wie die übliche People-Fotografie, „werblich weich gewaschen“. Genauso bei der SPD, die den Profi an Deutsche-Bahn-Annoncen erinnern. Nachdem Jung von Matt eigentlich eine starke Text-Agentur sei, enttäuschten bei der CDU vor allem die „Leerphrasen“, bei Merkel: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“ Aber auch Schulz fehle das Kernige – sein Text sei „total generisch“, die Schlüsselworte „Ideen“ und „Zukunft“ wirkten kraftmeierisch, hätten aber keine Kraft. Als Slogan: „null merkfähig“. Da gelte, so Weltzien, der Satz seiner Oma: „In Gefahr und größter Not ist der Mittelweg der sichere Tod.“

    Mit diesem großen Wahlplakat macht die CSU in Augsburg Werbung für ihre Sache. Unser Experte lobt die Kampagne der Union.
    Mit diesem großen Wahlplakat macht die CSU in Augsburg Werbung für ihre Sache. Unser Experte lobt die Kampagne der Union. Foto: Ulrich Wagner

    Bleiben noch zwei Parteien, die auf Foto-Text-Kombinationen setzen: CSU und AfD – eine davon übrigens so was wie der Sieger in unserem Experten-Ranking. Es ist nicht die AfD. Warum? Das Kampagnen-Motto „Trau dich, Deutschland!“ mag frech und selbstbewusst wirken – mit den Zuspitzungen in den Bildthemen steigere sich das aber zu einer Dreistigkeit, die wohl nur noch ohnehin schon überzeugte Anhänger anspreche. Und Weltzien sagt: „Die Deutschen mögen keine Dreistigkeit.“ Überzeugender also findet der Werber die CSU: „Ordentliches Handwerk, hier ist am wenigsten schiefgegangen.“ Das dominante Blau, die Ruhe, die knappe Botschaft, die immer auf das Schlüsselwort „Klar“ setzt, vermittle ein Selbstverständnis und ein Selbstbewusstsein, das den anderen abgeht.

    Vor allem den beiden Parteien, die praktisch ausschließlich auf Schrift und Farbgestaltung setzen: Die Grünen und Die Linke. Beide wetteiferten gestalterisch in der Kategorie „Augenkrebs“. Letztlich „Sieger“ beim Profi: die Grünen. Die in der Farbform versteckte Symbolik von Weltkugel oder abgenagtem Apfel verstehe optisch kein Mensch. Die Texte könnten das herausreißen, sie kämen in der Gestaltung sehr aggressiv daher – blieben inhaltlich dann aber schwach bis zur Peinlichkeit. „Schade eigentlich.“

    Millionen an Steuergeldern fließen in die Kampagnen

    Und die Linke mit ihren Farbsignalen zu großen Themen wie Respekt, Mensch, Zuhause? „Ehrenwert“ findet der Profi das Konzept, darauf je mit einem Versprechen zu antworten. Bloß leider seien das Folgende (zu „Nähe“ etwa „Mehr Personal in Pflege und Gesundheit“ oder zu „Verdient“ dann „Sicherer Job, planbares Leben“) ein „Easy Buy“: Etwas, das alle abnickten – aber letztlich glaubt keiner, diese Partei würde das hinkriegen. „Eine Operettendiskussion.“ Und selbst wer das glaube, der würde rational überzeugt, aber „emotional transportieren diese Plakate die reinste Freudlosigkeit“. Noch ein Ausfall.

    Schlechte Bilanz also. Aber wer darum jetzt motzt, dass Millionen Euros an Steuergeldern in solche Kampagnen fließen, dem entgegnet Deneke von Weltzien: Eine solche Kritik sei zu billig. Denn: „Verglichen mit dem, was wir etwa in die Bankenrettung gesteckt haben, ist das doch Handgeld.“ Und die Präsentation der Parteien, die politische Information der Bürger und damit der Aufruf zur Wahl – das sei nun mal wirklich „systemrelevant“.

    Die aktuellen Meldungen zur Bundestagswahl finden Sie in unserem News-Blog.

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