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Bücher-Journal: Warum 1918 alles verändert hat - ein Buch über die Spanische Grippe

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Warum 1918 alles verändert hat - ein Buch über die Spanische Grippe

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    Die Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney beschäftigt sich in „Die Welt im Fieber“ mit den Ursachen und Folgen der Spanischen Grippe.
    Die Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney beschäftigt sich in „Die Welt im Fieber“ mit den Ursachen und Folgen der Spanischen Grippe. Foto: Dominique Cabrelli

    Der größte Killer des 20. Jahrhunderts – je nach Schätzung fallen ihm zwischen 50 und 100 Millionen Menschen zum Opfer – bleibt über Jahrzehnte unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit. Erst heute, 100 Jahre nachdem er seine Spur von Tod und Verheerung über den Globus gezogen hat, haben Forscher die Daten und Analysemethoden zur Verfügung, um aus einer schier unüberschaubaren Fülle von Beobachtungen eine fast lückenlose Indizienkette zu knüpfen. Schuld am massenhaften Sterben zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Spanische Grippe. Und wir sind gut beraten, diesen Fall gründlich zu studieren. Denn bis ein neues, mutiertes

    In nur zwei Jahren starben 2,5 bis 5 Prozent der Erdbevölkerung an der Spanischen Grippe

    Diese Thesen vertritt die britische Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney in ihrem bahnbrechenden Sachbuch über die Spanische Grippe – und hinterlegt sie mit einer Reihe plastischer Beispiele. Jeden dritten Erdbewohner infiziert die Spanische Grippe – rund 500 Millionen Menschen. Am 4. März 1918 wird der erste Fall aktenkundig. Im März 1920 gilt die Epidemie als überstanden. 2,5 bis 5 Prozent der Weltbevölkerung sterben in nur zwei Jahren – wahrscheinlich mehr als in zwei Weltkriegen zusammen.

    Die Frage, wo das Virus erstmals auftritt, kann immer noch nicht endgültig beantwortet werden. Viel spricht dafür, dass der heimtückische Erreger im amerikanischen Armeecamp Funston im tiefsten Kansas seinen Siegeszug beginnt. Mit den kasernierten Soldaten, die dort für ihren Einsatz in Europa gedrillt werden, kommt er über den Atlantik und später weiter in die ganze Welt. In den Schützengräben der Westfront findet der

    900.000 Soldaten wurden 1918 durch die Spanische Grippe außer Gefecht gesetzt

    Nach bald fünf verheerenden Kriegsjahren setzt die deutsche Heeresführung im Frühjahr 1918 auf eine letzte, entscheidende Offensive. Deren Scheitern – und damit der Ausgang des Krieges und alles, was ihm folgt – könnte auch von der Spanischen Grippe beeinflusst sein. Jedenfalls sind in jenem Frühjahr 900000 deutsche Soldaten durch die Influenza außer Gefecht gesetzt. Aber auch französische und britische Lazarette sind hoffnungslos überfüllt…

    Es sind diese Querverbindungen, die Spinney an vielen Stellen zieht, die einen völlig neuen Blick auf eine Zeit erlauben, die uns seltsam nah und fern in einem erscheint. Antibiotika sind noch nicht erfunden. Gegen die Grippe könnten sie zwar nichts ausrichten. Aber viele der Kranken sterben an bakteriellen Folgeinfektionen, vor allem schweren Lungenentzündungen. Viren sind unbekannt, Ärzte stehen der Krankheit fast genauso hilflos gegenüber wie die Erkrankten. Es ist diese Mischung aus Faszination und Gruseln, die Spinney so meisterhaft erzeugt, die das Buch spannend macht wie einen Thriller.

     Laura Spinney macht globale Verschiebungen sichtbar 

    Der Krieg bringt nicht nur Tod und Verheerung, er sorgt auch dafür, dass politische und gesellschaftliche Ordnungen kollabieren. Die Spanische Grippe beeinflusst diese schmerzhafte Modernisierung an vielen Stellen. Dies ist Spinneys wahres Thema und ihr besonderes Verdienst ist es, unseren so oft auf Europa und Nordamerika verengten Blick zu weiten, um globale Verschiebungen sichtbar zu machen. Auch der Wissenschaft gelingt es erst so, einen Killer dingfest zu machen, der keinen Unterschied macht zwischen Kultur und Hautfarbe. Außer in Europa fallen überall mehr Menschen der Grippe zum Opfer als dem Krieg.

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