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Bücher-Journal: "Patria": Ein spannender Schmöker mit viel Zeitgeschichte

Bücher-Journal

"Patria": Ein spannender Schmöker mit viel Zeitgeschichte

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    Fernando Aramburu gilt als eine der wichtigsten Stimmen in der spanischen Literatur: Nun ist sein Roman „Patria“, der den langen Schatten der baskischen Untergrundorganisation ETA beschreibt, auch auf Deutsch erschienen.
    Fernando Aramburu gilt als eine der wichtigsten Stimmen in der spanischen Literatur: Nun ist sein Roman „Patria“, der den langen Schatten der baskischen Untergrundorganisation ETA beschreibt, auch auf Deutsch erschienen. Foto: Jorge Rios Ponce, dpa

    Weit über 700 Buchseiten. Die (gekürzte!) Hörbuchversion mit der wie immer wunderbaren Eva Mattes (Argon, 3 CD-ROM, 22,95 ¤), aber 16 Stunden lang. Es muss schon ein besonderer Sog in dieser Geschichte liegen, dass sich dieses „Patria“ vom bislang unbekannten spanischen Autor Fernando Aramburu sofort zum Publikumsliebling entwickelt hat. Etwa in der Art von Elena Ferrante oder gar Ken Folletts historischen Bestsellerromanen?

    Die Geschichte hat nicht nur in Spanien eine aktuelle Botschaft

     Tatsächlich ist das Buch ein Schmöker im besten Sinne. Zum Versinken abends auf der Couch, samt nicht nachlassender Spannung und Vorfreude auf den nächsten Abend, mit schnell lieb gewonnenen Figuren einerseits und interessant zwiespältigen andererseits. Dramatische Zeitgeschichte wird darin aufgearbeitet, eine, die nicht nur in Spanien eine aktuelle Botschaft hat. Und sie wird unmittelbar durch bewegende, persönliche Schicksale miterlebbar. Es erwächst die Frage: In diese Umstände verwickelt – auf welcher Seite wäre ich gestanden?

    Diese Umstände, das sind die Kämpfe um eine baskische Unabhängigkeit, geprägt vom Terror der nationalistischen Untergrundorganisation Eta (wer dächte da heute nicht an die anhaltende Krise in Katalonien?). Aramburu (Jahrgang 1959) erzählt über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg vom (unvermeidlichen?) Weg in den Bürgerkrieg und von den (heillosen?) Versuchen, die Wunden zu heilen, anhand eines fiktiven Dorfes. Vor allem aber durch die eng verwobene Geschichte zweier Familien. Am Anfang sind die beiden Mütter beste Freundinnen, die Väter ebenso, obwohl der eine einfacher Stahlarbeiter, der andere erfolgreicher Unternehmer ist – und auch die Kinder stehen einander nahe.

     Ein Dorf wird in „Patria“ durch die Terrororganisation Eta gespalten 

    Doch dann kommt der Konflikt ins Dorf und spaltet deren Schicksale auf die schlimmstmögliche Weise, richtet sie gegeneinander. Ein Sohn des Stahlarbeiters, Joxe Mari, wird über Freunde, Mutproben und geschickte Anwerber zum Eta-Mitglied, zum Attentäter, zum Mörder. Der Unternehmer, Txato, wird zum Anschlagsopfer. Weil er sich der Erpressung widersetzt, als vermeintlicher Wohlhabender und dann verpönter Ausbeuter zusätzliche „patriotische Steuern“ zu zahlen. Kann es sein, dass

    Aramburus zentrale Figuren sind die beiden Ehefrauen: Bittori, die bis ins Mark zerstörte Witwe, und Miren, mit ganzem Herzen mit ihrem Terroristen-Sohn solidarisch. Man kann das alles hier erzählen, weil es auch bei Aramburu sehr schnell offenliegt. Der Reiz seines Buches besteht nämlich darin, dass er in ständigen Zeitsprüngen das skizzierte Szenario immer mehr mit Details füllt, allesamt kleine Schlüsselszenen. Wie ein Mosaik fügt sich „Patria“ so zu einem Panorama des menschlichen Lebens, mit allen Schönheiten und allen Abgründen, ohne Schwarz und Weiß.

    „Patria“ hat drei kleine Makel  

    Drei kleine Makel bleiben.

    Einer inhaltlich: Das Bemühen, wirklich alle Szenen und Figuren mit Bedeutung aufzuladen, führt ins Melodramatischen – denn jeder muss hier schicksalhaft für einen Zug des Zeitgeistes stehen, ob in Fragen des Glaubens, der Liebe, der Sexualität oder der Politik.

    Einer sprachlich: Hübsch, wie Aramburu den bloßen Erzählfluss immer wieder durch kleine Eigenwilligkeiten aufbricht – aber manche Manierismen können mit der Zeit auch nerven. Zum Beispiel dieses ständige Fragen. Dann rief sie an. Wann? Um elf Uhr. Dann hat er es plötzlich verstanden. Was?  …

    Einer konzeptionell: Wer von allen Figuren alles erklärt, kommt dem Menschen dadurch womöglich gerade nicht auf die Spur. Er schafft eben eher eine Parabel. Aber eine sehr schöne.

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