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Bücher-Journal: Jesmyn Ward gelingt eine furiose Sehnsuchtsmelodie

Bücher-Journal

Jesmyn Ward gelingt eine furiose Sehnsuchtsmelodie

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    Jesmyn Ward, geb. 1977, wuchs in DeLisle, Mississippi, auf. Sie ist die erste Frau, die zweimal mit dem wichtigsten amerikanischen Literaturpreis, dem National Book Award, ausgezeichnet wurde: für "Vor dem Sturm" (Kunstmann, 2013) und für "Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt" (Kunstmann, 2018).
    Jesmyn Ward, geb. 1977, wuchs in DeLisle, Mississippi, auf. Sie ist die erste Frau, die zweimal mit dem wichtigsten amerikanischen Literaturpreis, dem National Book Award, ausgezeichnet wurde: für "Vor dem Sturm" (Kunstmann, 2013) und für "Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt" (Kunstmann, 2018). Foto: Chris Granger

    Vor zwei Jahren erschien auf Deutsch das Buch „Zwischen mir und der Welt“ von Ta-Nehisi Coates, geschrieben als Brief an seinen Sohn. Es war ein wütendes Manifest, in dem Coates, eine der wichtigsten Stimmen des schwarzen Amerikas, über den in die Identität des Landes eingewebten Rassismus schrieb, und sich zugleich mit der flehende Warnung an seinen Sohn wandte, nicht zu verzweifeln an den Ungerechtigkeiten und auf seinen jungen Körper achtzugeben. Dann folgte im letzten Jahr Colson Whiteheads „Underground Railroad“, ein Roman, in dem er über ein geheimes Fluchtnetzwerk für Sklaven schrieb und die Wurzeln jenes Rassismus aufzeigte, der sich bei den Protesten in Charlottesville gerade mal wieder im hellsten Sonnenlicht präsentierte.

    Ein herausragendes Buch über Gewalt, Armut und Rassismus in Amerika

    Und nun? Liegt auf Deutsch „Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt“ vor von Jesmyn Ward und damit ein drittes herausragendes Buch darüber, was es bedeutet, in Amerika als schwarzer Mensch zu leben, wie jede Generation aufs neue mit Gewalt, Armut und Rassismus konfrontiert wird – ausgezeichnet mit dem National Book Award. Ward, 40, gewinnt ihn bereits zum zweiten Mal. So wie vor ihr im Übrigen der große William Faulkner, geboren wie sie in Mississippi, dem Staat, auf dessen Flagge sich noch immer in der linken oberen Ecke die Kriegsflagge der Konföderierten wiederfindet.

    Ward schreibt über drei Generationen einer schwarzen Familie, die Geschichte selbst ist die eines Roadtrips: Mit ihren zwei Kindern und einer Freundin fährt die Barfrau Leonie in den Norden des Landes, um ihren Freund aus dem Staatsgefängnis „Parchmen Farm“ abzuholen. Es ist eine Höllenfahrt durchs brüllend heiße Land, die Kleine muss sich übergeben, man legt einen Zwischenstopp ein, um sich mit Drogen zu versorgen, die Polizei filzt Auto und Insassen – und ihr Sohn Jojo erfährt, wie Polizisten auf 13-jährige schwarze Jungs reagieren, die an ihrer Hose nesteln: Es klacken die Handschellen und er blickt in die Öffnung einer Waffe …

    Drei Stimmen erklingen: die von Jojo, der umsichtig seine kleine Schwester Kayla versorgt, sich an der Anerkennung seines Großvaters aufrichtet; die seiner Mutter Leonie, süchtig nach Crystal Meth, unfähig, sich um ihre Kinder zu kümmern, immer von Traurigkeit begleitet. Wenn sie zugedröhnt ist, sieht sie ihren Bruder Given, erschossen als Teenager von einem weißen Schulkameraden. „Jagdunfall“ urteilte damals das Gericht. Und dann schließlich noch die Stimme von Richie, der einst mit gerade zwölf Jahren ins berüchtigte Zuchthaus geschickt wurde und dort ums Leben kam. Nun umhergeistert. Zwei Lebende und ein Toter.

    Schriftstellerin Jesmyn Ward sagt selbst, sie hasste Mississippi 

    Jesmyn Ward, die in Stanford studierte, ist mit ihren beiden Kindern zurück nach Mississippi gezogen, in dieses Land, in dem, wie sie schreibt, seit Jahrzehnten und Jahrhunderten Menschen wie ihr erzählt würde, dass sie weniger wert seien. In dem die Armut so weitergegeben würde wie eine krumme Nase und der Tod junger Männer Alltag ist. Einer ihrer Brüder wurde von einem betrunkenen Autofahrer getötet. Auch sein Lied hat sie gesungen in ihrem Buch „Men we reaped“, in dem sie über fünf junge Männer schreibt, die gewaltsam ums Leben kamen. Sie sagt, sie hat diesen Ort gehasst. Aber ihren Kindern wollte sie dennoch auch geben, was sie selbst erlebte: die Geborgenheit und den Schutz einer großen Familie.

    Das ist der Grundton dieses traurigen, aber nicht hoffnungslosen Romans, in dem Ward nämlich vor allem von der Liebe erzählt.   Und in dem sie Lieder singt für jedes Familienmitglied, für die Lebenden und die Toten, und alle furios zu einer großen Sehnsuchtsmelodie komponiert.

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