Im Leben ist es nicht wie im Film. Da weiß man immer, womit man es zu tun bekommt. Im Science Fiction mit dem Weltraum, im Horror-Thriller mit Monstern, im Liebesfilm mit einem Happy End. Aber das Leben ist eben nicht so berechenbar, weiß Film-Fan Sebastian. Er ist sich deshalb nicht sicher, was er davon halten soll, dass er am Morgen noch einem Taylor-Swift-artigen PPW (perfektes weibliches Wesen) einen Kugelschreiber geliehen hat und nichts mehr erhofft hatte, als ein Wiedersehen mit diesem Traum-Mädchen, nun aber mit der flippigen Frida im Kino sitzt und „Casablanca“ anschaut. Frida hat ihn aus einer peinlichen Situation gerettet, und jetzt sieht es so aus, als ob er sie nicht mehr los wird an diesem Schnuppertag an der Uni.
Das ganz große Gefühlskino, aber nie driftet Bauer ins Kitsch und Pathos ab
Der australische Erfolgsautor Michael Gerard Bauer startet furios in seinen neuen Jugendroman „Dinge, die so nicht bleiben können“ und hält Tempo wie Niveau mühelos bis zum Ende. Nur knapp einen Tag beschreibt er und lässt dabei die Möglichkeiten anklingen, die das Leben 16-Jährigen bietet: die Erfahrung von Freundschaft, die Hoffnungen auf die Zukunft und die Sehnsucht nach Vertrauen, ebenso aber die tiefen Verletzungen, die in der Vergangenheit liegen. Das ganz große Gefühlskino also, aber nie driftet Bauer in Kitsch und Pathos ab. Witzig, spritzig und eloquent treffen – auch in der glänzenden Übersetzung von Ute Mihr – drei Jugendliche (Sebastians Freund Tolly ist zwischendurch auch mit dabei) aufeinander, die wissen, wie der Schlagabtausch mit Worten funktioniert. In „Nennt mich nicht Ismael“ und den beiden Folgebänden hatte Bauer die flotte Dialogkunst schon zur Meisterschaft gebracht, nach einem allzu um Komik bemühten Abfall in „Die Nervensäge, meine Mutter, Sir Tiffy, der Nerd & ich“ ist ihm dies nun wieder gelungenen. Bemerkenswert dabei: Die Figuren sind glaubwürdig, auch wenn es nur wenige Jugendliche geben wird, die es mit der Schlagfertigkeit Fridas, Sebastians und Tollys aufnehmen können.
Die Stadtplaner - "karrieremäßig eine sichere Bank"
Vor allem Tolly, der eigentlich Warren Peace heißt und seinen Spitznamen einem herrlichen literarischen Bezug verdankt, weiß, was er mit Worten bewirken kann. Seine Scharfsinnigkeit und seinen Mut nutzt er, um sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren. Ich-Erzähler Sebastian ist zurückhaltender, eher darauf bedacht, nicht aufzufallen, denn um sein Selbstvertrauen ist es nicht gut bestellt. Ihn zieht es beim Tag der offenen Tür an der Uni zu den Stadtplanern, „karrieremäßig eine sichere Bank“, denn Städte wird es immer geben.
Frida dagegen ist eine schräge Erscheinung, die auffällt: weiße Kleidung, weiß-blonde Haare, auf der einen Seite lang herabfallend, auf der anderen kurz geschoren, ein Ohr von oben bis unten mit Piercings und Ringen verziert. Je nachdem, von welcher Seite man sie ansieht, wirkt sie anders. Im Laufe des Tages bemerkt Sebastian, dass auch die Persönlichkeit des Mädchens einige Facetten hat. Ihr Auftreten ist forsch, aber ihr Blick verliert sich immer wieder, und ob die Geschichten, die sie so locker aus dem Ärmel schüttelt, wahr sind, daran bekommt er Zweifel. Es sind schockierende Erlebnisse, die sich dem Jungen durch Zufall dann offenbaren.
Reden als erster Schritt, um mit der Vergangenheit abzuschließen
Aber Frida kann nicht nur erzählen, sondern auch zuhören, hat ein Gespür für die Zwischentöne Sebastians, hinter denen sich eine Familienkatastrophe verbirgt. So machen beide Teenager die Erfahrung, dass Reden zwar die traurigen Ereignisse nicht ungeschehen machen kann, aber der erste Schritt ist, mit der Vergangenheit abzuschließen. So wie Sebastians Großmutter ein Bild ihres brutalen Ehemannes im Foto-Album ließ, weil es ihr gefiel „dem Bastard in die Augen zu schauen und dann eine neue Seite aufzuschlagen – eine Seite mit besseren und glücklicheren Erinnerungen.“
„Wenn du ein paar Erinnerungen brauchst … bessere, ich dachte einfach, ich könnte dir vielleicht dabei helfen …“, bietet Sebastian Frida an. Klingt nach einem Happy End, auch wenn „Dinge, die so nicht bleiben können“ viel, viel mehr ist als eine Liebesgeschichte.
Michael Gerard Bauer: Dinge, die so nicht bleiben können. Aus dem Englischen von Ute Mihr. Hanser, 224 Seiten, 15 Euro – ab 13 Jahre. Hier geht es zur Leseprobe.
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