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Aus dem Archiv: Warum die Coronakrise ein Weckruf für die Landwirtschaft sein kann

Aus dem Archiv

Warum die Coronakrise ein Weckruf für die Landwirtschaft sein kann

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    Ein Landwirt bearbeitet ein Feld bei rotem Abendhimmel. Den ersten dämmert's schon: Die Coronakrise kann auch eine Chance für die Landwirtschaft sein.
    Ein Landwirt bearbeitet ein Feld bei rotem Abendhimmel. Den ersten dämmert's schon: Die Coronakrise kann auch eine Chance für die Landwirtschaft sein. Foto: Philipp Schulze, dpa

    Es klingt eigentlich wie klassischer Hollywoodstoff: ein Paar, das schon so lange zusammen ist, dass die Erinnerung an die Zeit zuvor fast völlig verblasst ist. Man ist miteinander gewachsen und hat sich doch unmerklich jeden Tag ein wenig weiter auseinandergelebt. Man glaubt sich gut zu kennen – und verlernt darüber, miteinander zu reden. Bis irgendwann der Tag kommt, an dem man merkt, dass man das Leben mit einem Fremden teilt – ohne den man aber nicht sein kann. Just in diesem Moment passiert es: Eine große Krise bricht herein – was nun?

    Die Paartherapeutin: Julia Klöckner

    Und damit zu Julia Klöckner. Die Bundeslandwirtschaftsministerin von der CDU hat zwar auch das Talent, nahtlos zwischen der Rolle der Pfälzer Winzertochter und Mutter Courage der Kleinbauern und jener als Anwältin internationaler Agrarhandelsverträge hin- und herzuwechseln. Momentan ist sie aber vor allem als Paartherapeutin gefragt. Denn der eben skizzierte Plot basiert, wie alle guten Geschichten aus Hollywood, auf einer wahren Geschichte. Corona hat das Potenzial, auch in der Landwirtschaft eine große Krise auszulösen. Aber schon lange bevor das Virus alles änderte, hatten sich Bauern und Verbraucher in Deutschland scheinbar nichts mehr zu sagen.

    Über Monate haben Landwirte mit aufsehenerregenden Protestaktionen gegen existenzgefährdende Einkommen, unverhältnismäßige Regulierung und fehlende Wertschätzung demonstriert. Die Sternfahrten mit riesigen Traktoren nach Berlin und durch viele andere Großstädte der Republik waren zwar großes Kino. Aber die Massen für sich eingenommen haben die Landwirte dabei nicht.

    Die Sorgen gerieten wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit

    Immerhin haben sie erreicht, dass sie und ihre Sorgen wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geraten sind. Man spricht zwar noch nicht unbedingt miteinander, aber immerhin schon wieder übereinander. Angela Merkel hat Bauernvertreter empfangen und Julia Klöckner muss nun liefern. Nur was? Das wissen wohl noch nicht einmal die Bauern selbst. Denn die Bauern gibt es so längst nicht mehr – wenn es sie denn je gegeben hat. Wie auch nicht die Verbraucher. Nur eben immer noch die Politik, denn es gibt ja nur eine Julia Klöckner – auch wenn man sich das manchmal laut sagen muss, verfolgt man ihre Auftritte über längere Zeit. Dagegen gibt es neben dem Bauernverband nun eine Organisation wie „Land schafft Verbindung“ und längst schon strikt abgegrenzte Standesorganisationen wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft oder den Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, ganz abgesehen von den diversen Ökolandbauverbänden.

    Und auch aus dem Verhalten der Verbraucher lässt sich vieles herauslesen, aber sicher keine einheitliche Vorstellung davon, ob die Bauern nun Lebensmittel möglichst billig oder mit dem größtmöglichen Respekt für Tiere und Umwelt erzeugen sollen. Nur dass wir die Landwirtschaft dringend brauchen, dass sie systemrelevant ist, wie das in diesen Tagen heißt, das scheinen nun die meisten verstanden zu haben. Höchste Zeit, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen.

    Die Bauern stehen unter Druck

    Also: Tatsachen bitte. Bernhard Forstner hat sie. Er arbeitet beim Thünen-Institut in Braunschweig, dem wichtigsten staatlichen Agrarforschungsinstitut, und kann erklären, warum Bauern in Deutschland so wirtschaften, wie sie es tun. Erste Tatsache: Sie stehen unter Druck.

    Seit Jahrzehnten nimmt die Anzahl der Betriebe ab. Und die Betriebe, die weitermachen, bewirtschaften immer größere Flächen oder halten immer mehr Tiere. Allein von 1999 bis 2016 ging die Zahl der Betriebe von 434.000 auf 275.000 zurück – minus 37 Prozent. Besonders stark hat die Zahl der arbeitsintensiven Tierhaltungen abgenommen. Entsprechend sinkt auch die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft. Heute sind es noch 1,4 Prozent der Erwerbstätigen. 2040 könnten es nur noch 325.000 Personen sein. Der Durchschnittsbetrieb dürfte dann fast 100 Hektar größer sein als heute. Mit rund 160 Hektar stößt er in Dimensionen der heutigen Farmen in Nordamerika vor: landwirtschaftliche Industrieunternehmen, die mit dem viel beschworenen bäuerlichen Familienbetrieb wenig gemein haben.

    Größe allein ist kein Erfolgsrezept

    „Wir haben enorme Größenvorteile in der Landwirtschaft, und die führen dazu, dass ein Betrieb, der wirtschaftlicher arbeitet, weil er vielleicht auch besser geführt wird, zum Wachsen neigt. Und wenn sich das lohnt, wächst er weiter, so lange, bis sich das nicht mehr lohnt. Das kann erhebliche Größenordnungen annehmen“, erklärt Forstner mit dem nüchternen Blick des Betriebswirtschaftlers. Größe allein sei zwar kein sicheres Erfolgsrezept, denn sie erfordert auch ein gutes Management. Aber der Größere produziert meist günstiger – also kann er mehr investieren: in Technik, die hilft, noch effizienter zu werden. Und in das immer knappere Pachtland – um wieder größer zu werden. Und dann gibt es ja noch die Politik.

    „Wenn ich mehr Auflagen mache, komme ich auch in Zielkonflikte: Bei der Tierhaltung zum Beispiel wollen wir kleinere Betriebe, mehr Einheiten im ländlichen Raum. Sie bieten einen anderen Zugang, weil man sich im Alltag begegnet, miteinander sprechen kann. Auf der anderen Seite hören vor allem die kleineren Betriebe auf, Tiere zu halten, wenn Haltungsauflagen zunehmen und Investitionen fällig werden. Weil es sich für sie dann nicht mehr lohnt“, sagt Forstner. Aber er betont auch: Groß heißt nicht automatisch schlechter. „Bessere Haltungsbedingungen, Umwelt- und Klimaschutz – auch die großen Betriebe machen das, wenn man ein schlüssiges Konzept hat und das letztlich bezahlt.“ Nur wenn bei einem großen Betrieb etwas schiefläuft, hat das eben größere Folgen – auch für das Ansehen aller anderen Betriebe in der Öffentlichkeit. Womit wir spätestens jetzt bei der anderen Hälfte des Paares wären.

    Landwirte müssten offener werden, damit Verbraucher bewusster kaufen

    Ganz an den Haaren herbeigezogen ist es wohl nicht, wenn Landwirte klagen, dass zwar alle mitreden, wenn es um ihren Berufsstand geht. Aber nur die wenigstens wirklich mal in einem Betrieb waren. Oder sich zumindest mal fragen, wie ihr Einkaufsverhalten die Landwirtschaft prägt. Forstner sieht es so: „Ich sehe eine Bringschuld und eine Holschuld. Die Landwirte müssen wieder offener werden, darüber sprechen, wie in der Realität gewirtschaftet wird. Man sollte, nur zum Beispiel, die Schweinehaltung so beschreiben, wie sie wirklich ist. Nur dann kann ich als Verbraucher die Prozessqualität bewusst kaufen oder es sein lassen.

    Wenn ich das Fleisch beim Metzger sehe, möchte ich wissen: Was steckt dahinter? Die Holschuld beim Verbraucher ist, dass er nicht davon ausgehen darf, dass wie beim „Strom aus der Steckdose“ das Fleisch direkt von der Theke kommt, sondern er sich genauer informieren muss.“ Hat ja keiner behauptet, Paartherapie wäre einfach. Aber es geht wohl nicht ohne. Die Landwirtschaft mag nur ein kleiner Teil der Wirtschaft sein. Aber sie sichert unsere Ernährung, formt Dörfer und Landschaften und entscheidet darüber mit, wie es der Umwelt geht. Wie könnte er also aussehen, der Weg in die Zukunft?

    Die Digitalisierung und Automatisierung sind nicht aufzuhalten

    Einer, der das wissen muss, hat sein Büro in Marktoberdorf. Heribert Reiter leitet die Forschung und Entwicklung beim Landmaschinenhersteller Fendt, der zum US-Konzern Agco gehört. Reiter untersteht die Entwicklung aller Agco-Traktormarken weltweit – und er ist sich sicher, dass auch in der Landwirtschaft Digitalisierung und Automatisierung nicht aufzuhalten sind. „Das ist nichts anderes, als einen Prozess zu optimieren, der seit Jahrtausenden derselbe ist: Auch in Zukunft wird der Landwirt ein Samenkorn in den Boden bringen und alles dafür tun, damit ein gesunder optimaler Ertrag entsteht“, sagt Reiter.

    Ob dieser Prozess dann noch auf einem Feld abläuft oder in einem Hochhaus mit künstlicher Beleuchtung und komplett abgeschottet von der Umwelt? Abwarten. Sicher ist aber: Die Technik ist weiter, als die meisten Verbraucher ahnen. Längst fahren Traktoren und Mähdrescher mit Satellitentechnik zentimetergenau und weitgehend selbstständig über das Feld. Sensoren erfassen in Echtzeit alle Betriebsdaten der Maschinen, aber auch wie viel Weizen etwa gerade geerntet wird. Die Daten landen direkt in der Betriebssoftware und der Bauer weiß sofort, welchen Preis er aktuell dafür bekommt. Das ist erst der Anfang einer Entwicklung, die nicht nur die Produktivität weiter steigern und das Berufsbild des Landwirts radikal verändern wird. Die Digitaltechnik soll auch helfen, die Konflikte zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit zu entschärfen.

    Da wird schon an Schwarmtechnologien geforscht

    „Alles was man denken kann, findet eines Tages statt, sonst könnte man es ja nicht denken, heißt es. Und ich denke, das stimmt auch“, sagt Reiter. Bei Fendt forschen sie schon an Schwarmtechnologien: viele kleine Roboter, die wie Ameisen zusammenarbeiten, ohne dass ein Mensch sie beaufsichtigen muss. Doch wo bleibt der Landwirt, wenn künftig in einem Kontrollzentrum wie bei der Nasa noch ein Agraringenieur sitzt und alles überwacht?

    „Die Formen, wie wir Landwirtschaft betreiben, werden sich verändern. Viele Betriebe müssen ihre Art der Bewirtschaftung umstellen, um zu überleben. Doch wer engagiert ist und offen für die neue Technik, um den mache ich mir keine Sorgen“, sagt Reiter. Nebenbei könnte durch die neue Technik auch die Versöhnung mit dem Verbraucher gelingen: „Ich glaube, die Verwendung von Pestiziden wird irgendwann gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert werden. Aber wenn wir irgendwann auf einem Feld jede Pflanze einzeln betrachten können, kommt vielleicht einmal eine Drohne und schießt das Unkraut mit der Laserkanone ab.“ Zukunftsmusik. Aber sich auf gemeinsame Ziele zu einigen, gehört zur Paartherapie.

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