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August-Serie (5) - Ende: Ein Tag im Sommer: In der Hitze der Nacht

August-Serie (5) - Ende

Ein Tag im Sommer: In der Hitze der Nacht

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    2 Uhr nachts auf dem Marktplatz in Günzburg.
    2 Uhr nachts auf dem Marktplatz in Günzburg. Foto: Bernhard Weizenegger

    In der Nacht ist die Welt sich selbst überlassen. Was geschieht da draußen, während wir schlafen (oder zumindest zu schlafen versuchen) und nicht aufpassen? Fliegen grazile Elfen um die Geranien, planschen plumpe Zwerge mit knallroten Taucherbrillen im 50-Meter-Becken? Springen silberne Fische aus den nachtschwarzen Bächen und Flüssen und schnappen nach den goldenen Sternen? Nimmt der Mann im Mond noch einen doppelten Espresso? Tanzen die leeren Bierflaschen auf dem leeren Gehsteig bis sie zerspringen vor Glück?

    Tätowieren Nachtfalter ihre Flügel nachts in den Entwertern der im Depot abgestellten Straßenbahnen? Rauben Katzenbanden Güterzüge aus? Kappen Nachtschattengewächse ihre Wurzeln? Machen sich Glühwürmchen einen Spaß daraus, Bewegungsmelder an- und auszuknipsen? Steigen in den Heimatmuseen die Vorfahren aus den Ölbildern? Feiern andere die Nacht durch auf Waldlichtungen? Oder ist die Sommernacht einfach doch nur verkehrsberuhigt, lau, still und laternenlichtfahl? Bloß ein Murmeltier, das nicht friert.

    Angeblich schlafen nachts ja sogar die Bäume und lassen sich hängen. Die Sommernacht ist wie ein leeres Cocktailglas – man kann sich mit ein bisschen Fantasie und ein paar träumerischen Zutaten alles darin mixen. Und wer das Glas in einer Vollmondnacht dann gegen das Licht hält … Gibt’s ein prickelnderes Elixier? Man kann aber auch Leitungswasser reintun und das Glas auf den Nachttisch neben den Funkwecker stellen und die Rollläden schließen.

    Die romantische Variante - ehrlich gesagt eher selten 

    Vermutlich lassen sich die Sommernächte, die wir mit allen Sinnen aufmerksam, gierig und hochgestimmt ganz durchwacht und genossen haben – im Hochsommer sind das zwischen zwei Dämmerungen ja kaum sechs Stunden, im Prinzip also Kurzarbeit – an den Fingern einer Hand abzählen. Ferienlager, ewig vorm Zelt gesessen und beseelt durchgequatscht, die Wangen länger glühend noch als das Lagerfeuer ... Romantischere Varianten („und dann ging die Sonne auf“). Im Auto nachts durchgefahren bis Neapel und morgens dann das Meer. Gewöhnlicher aber sind doch die alltäglichen Sommernächte, die Fußnoten im Tagebuch. Schön, wenn keine Stechmücke im Zimmer ist, die einem das Blut aus dem unruhigen Nachtnacktschlaf schlürft und aus der Unsichtbarkeit immer neue Angriffe fliegt. Schön, wenn es wenigstens soweit abkühlt, dass die Haut sich nicht anfühlt wie Frischhaltefolie, auf und unter der ein Feuchtigkeitsfilm klebt. Wunderbar sogar, wenn schöner Durchzug die Vorhänge am offenen Fenster sanft bläht, sodass die Segel ordentlich gespannt sind, um in tiefen Schlafgewässern durch die Nacht zu kreuzen. Eine Gnade, wenn die Nachbarn und ihre Gäste gegen 1.45 Uhr im Garten nicht mehr schallen und lallen und über alles immer noch lauter lachen.

    Sommernächte, die einen von allen diesen Plagen verschonen, sind von Hannes Wader zeitlos und „Sommernacht“-gültig besungen worden. Es gibt eine Menge Leute, die solche Passt-alles-soweit-Nächte im Zwölferpack bei Amazon bestellen würden, gäbe es sie denn – und sei es auf Rezept.

    Öffne das Fenster, lass die Sommernacht in alle Räume

    Tiefer Schlaf und leichte Träume

    Weisen die Sorgen in ihre Schranken und du weißt

    Du begrüßt den Morgen

    Mit wachem Geist und klaren Gedanken

    Wer träumte nicht davon, nach einem schönen heißen Augusttag, dessen laulauer Abend gesellig und gut war, wie ein glatt und müd geschliffener Edelstein abzusinken ins kühle Dunkel der Nacht? Tja. Aber dann fühlst du dich doch bloß wie ein schmirgeliger Bimsstein, löchrig und zu leicht fürs Abtauchen in das Labsal des Sommerschlafs. Es nervt aus allen Poren: Die Luft im Zimmer klebt wie eine fette Fliege an der Decke, im Bauch grunzen die Grillwürstchen, im Kopf rumort der Riesling mit dem Gin, das übel zerknautschte Kopfkissen ist wie ein schlaffes Riesenmarshmallow und zwei übermütige Autoidioten liefern sich draußen ein spätes Wettrennen auf Kopfsteinpflaster. Wer so durch die Sommernacht schrammt, werter Hannes Wader, der ist für die nett gemeinte Sommernachtshymne verloren und wacht als zerschundenes Schmuddelkind auf.

    Den Schmelz von der samtweichen Sommernacht kratzt wenig galant auch Ludwig Thoma in der letzten Strophe seines „Sommernacht“-Gedichts, wenn es – nach viel Schmu und Sehnen, jungem Hochzeitsglück, mondbeglänztem See und selig-süßem Bangen – heißt:

    In der lauen Sommernacht

    Wird sie dann im Bette sitzen,

    „Männchen“, fragt sie, „sag mir doch,

    Musst du auch so grässlich schwitzen?“

    Entzaubert ist die Sommernacht grässlich schnell, das ist keine große Affäre. Aber ihre Magie kennt doch jeder, der einmal mitten in so einer Sommernacht hinauf und hinausgeschaut hat und vom Himmelszelt so etwas wie ein Hochgefühl der Endlosigkeit gespiegelt sah. Wenn sich die Nachtruhe ausdehnt bis in die Spitzen der Baumkronen, wenn die Luft ganz weichgespült ist und das spezifische Gewicht von Blütenstaub zu haben scheint – dann sollte man nicht auf die Uhr schauen, sondern in die Sterne und das Überzeitliche segnen … Kleiner Mann, was nun? Du begreifst nichts, aber irgendetwas lupft dich in Sphären, von denen der Mensch zur Tagesthemenzeit noch keine Ahnung hat.

    All das Flüchtige, das uns tagsüber begleitet, gerinnt in solchen Sommernachtsmomenten zu einem Pfropfen nichts, weggeschnippt von einem Fingerzeig der Ewigkeit. Allein ein Sommernachtsaugenzeuge sein, das heißt vermutlich: Ich habe alles und nichts gesehen. Sommernachtsohrenzeuge sein kann bedeuten: Ich habe das Echo der Stille gehört.

    Da kann die Sommernacht als Event, als Party am Brunnen mit Mojito und Strohhalm, als Nachtwache mit Bierkasten am Strand zwar nicht mit- aber doch alternativ gut dagegenhalten. Wenn nicht eine Sommernacht, welche dann ruft nach Durchmachen, nach Aussüffeln, Hineinwerfen in das tropische Gefühl, das einen empfängt mit offenen Armen. Stell Dir vor es ist drei und niemand friert in der Hitze der Nacht! Kein Widerhaken der Kälte. Um drei noch 22 Grad – und dann die Welt sich selbst überlassen? Sommersünde! Mit Erlaubnis von Hannes Wader sei ein Schlager von G. G. Anderson zitiert:

    Sommernacht in Rom, sie geht nie zu Ende

    Sommernacht in Rom, unsre Herzen brennen

    Es ist die Glut, die ewig lebt

    Nie vergeht für uns zwei

    Der Sommer und seine nachglühenden Nächte machen unsere Städte durchlässig und die Häuser löchrig. Überall die offenen Fenster, die offenen Balkontüren in der Dunkelheit. Man hat ein wenig das Gefühl, Teil einer durchschnaufenden Gemeinschaft zu sein – die ganze Straße ein großer Schlafsaal. Auch andere wälzen sich jetzt in der trägen Luft, die stehen geblieben ist wie eine verklumpte Sanduhr. Es ist, als habe der Sommer die Hitze des Tages nur zusammengeschoben, um sie dann in den nachtdunklen Wohnungen und Schlafzimmern abzuladen und liegenzulassen.

    Noch ein kaltes Bier? Auf den Balkon setzen und wieder zu rauchen anfangen wie der Unterhemdmann von gegenüber? Wie James Stewart in Alfred Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ aus lauter Langeweile und Hitzeagonie nachts Ausschau halten nach einem Nachbarn, der zufällig eine Leiche im Koffer über die Außentreppe wuchtet? Die Ratgeberbranche überschüttet uns mit anderen Tipps fürs Überstehen einer Hitzenacht im Bett. Lauwarm duschen! Und: „Auch wenn es sehr heiß ist, sollten Sie niemals ohne Decke oder gar nackt schlafen. Nachts kühlt sich das Schlafzimmer immer mehr ab. Wenn Sie vorher geschwitzt haben, können Sie sich leicht erkälten, wenn kein Laken oder Schlafanzug den Schweiß aufsaugen kann. Als Decke eignet sich daher am besten ein leichtes Baumwolllaken und auch bei der Schlafkleidung sollten Sie auf Baumwolle setzen (...) Ist Ihnen abends sehr heiß, können Sie den Schlafanzug kurz in die Kühltruhe legen.“ Dann doch lieber nackt auf ein Gewitter warten, das die Sommernacht krachend zerlegt und den Großen Wagen da oben ins Schlingern bringt und dann schwarz verschlingt.

    Und wenn nicht, trotzdem: Gute Nacht.

    Die anderen Teile unserer Serie lesen Sie hier:

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