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Essay: Ich will ein moderner Mann sein – aber was heißt das heute?

Wie muss ein Mann heute sein. Das frage ich mich schon länger.
Essay

Ich will ein moderner Mann sein – aber was heißt das heute?

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    Ich war dieses Jahr auf der Dating-App Tinder unterwegs. Dort werden einem Online-Profile potenzieller Partnerinnen vorgeschlagen. Ich muss entscheiden, ob ich das Profil nach links schiebe (nichts für mich) oder nach rechts (mit dir will ich schreiben). Im Oktober stoße ich auf Antonia, 26. In ihrem Profil bezeichnet sie sich als loyal, lustig und humorvoll. Und unter ihrem Bild steht ganz genau, was sie sucht: „Keine Sissys (weibliche Männer)“. 

    Ich bin ein Mann, 26 Jahre alt. Ich spiele Fußball, gehe gerne ins Theater und kuschele mit meinen Freunden. Beim Abschiedsspiel von Tennisstar Roger Federer habe ich geweint. Bin ich also eine Sissy? Antonia ist nichts für mich, trotzdem beschäftigt mich das Thema Männlichkeit schon länger. Weil ich eben nicht so bin, wie sich Antonia und andere offenbar den klassischen Mann vorstellen. Darf ich als Mann heute wirklich weinen? Was denken andere über meine lackierten Fingernägel und was ist, wenn meine Partnerin in der Beziehung „die Hosen anhat“? 

    In diesem Text gehe ich auf die Suche, welche Erwartungen es an mich gibt. Wie weiblich darf ein Mann heute sein?

    Wie männlich bin ich?

    Ich wurde als Mann geboren und fühle mich auch so. Aber wie männlich bin ich? Online gibt es für fast alles einen Test. Ich kann herausfinden, welches Tier oder welche Nudelsorte ich angeblich bin. Im Internet finde ich einen Test mit dem Titel "Wie männlich bist du?". Ich werde gefragt, was ich zum Frühstück esse, wie es um meinen Bartwuchs steht und was ich von einer Schießerei halte. Am Ende steht im Ergebnis, ich sei „ein echter Dude“, ein echter Kerl also, „und deshalb vermutlich recht männlich“. Nur wenn ich das Ergebnis des Tests in den Sozialen Medien teilen würde, sei das „so unmännlich wie Pediküre“. Der Test lässt mich ratlos zurück. Nicht dass ich besonders viel von solchen Tests halte, viel mehr irritieren mich die Geschlechterklischees, mit denen das Quiz arbeitet. Ist das ein altes Männerbild oder nur ein anderes Bild, als ich es kenne?

    Ich bin mit zwei Brüdern aufgewachsen, meine Mutter hatte schon gekocht, wenn wir von der Schule nach Hause kamen. Mein Vater arbeitete. Als Jugendlicher klebte ich die Wände in meinem Zimmer voll mit Postern aus der Bravo Sport von Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski. Wahrscheinlich waren die beiden meine ersten männlichen Vorbilder. Ich wollte Fußballer werden. Später machte ich ein soziales Jahr am Theater und beschäftigte mich dort wahrscheinlich zum ersten Mal bewusst mit Männlichkeitsbildern. Männer kleideten sich, wie sie wollten, jeder umarmte und liebte sich – das Geschlecht war egal. Ist das die neue Männlichkeit?

    Der Blick auf Männlichkeit hat sich verändert

    Es gebe verschiedene Vorstellungen von Männlichkeit und das sei nicht mal neu, sagt zum Beispiel Genderforscherin Paula-Irene Villa Braslavsky. Aber es gebe eine bestimmte Vorstellung von richtiger, von eigentlicher, von vorgesehener Männlichkeit. „In der Forschung wird das ‘hegemoniale Männlichkeit’ genannt“, erläutert die Wissenschaftlerin. Braslavsky zufolge geht es bei diesem Männlichkeitsbild um Vorstellungen wie jene, dass der Mann der Familienernährer sei, körperlich stark und unverwundbar und sich von Nicht-Männlichem abzugrenzen habe. Für mich entspricht das dem alten Männerbild, dem ich nicht angehören will. Ich hasse Fitnessstudios und liebe melancholische Musik.

    Trotzdem entspreche ich auch diesem Bild. Zum Beispiel, wenn ich am Wochenende auf dem Fußballplatz stehe, den Schiedsrichter anmotze, meinen Gegenspieler umgrätsche und gelegentlich ein Tor schieße. Aber ist es nicht genauso männlich, wenn ich zu Hause mir die Nägel lackiere und danach mit der besten Freundin ins Theater nach München fahre? Es gibt natürlich auch einen Aperol Spritz davor. 

    Lackierte Fingernägel und Aperol Spritz. Ist das männlich?
    Lackierte Fingernägel und Aperol Spritz. Ist das männlich? Foto: privat

    Wie sieht das moderne Männerbild aus?

    Männlichkeit sei inzwischen erklärungsbedürftig, unsicher, aber eben auch gestaltbar und vielfältiger geworden, sagt Forscherin Braslavsky. Dag Schölper, Geschäftsführer des Bundesforum Männer, das Lobbyarbeit für Jungen, Männer und Väter betreibt, stellt fest: "Es ist für Männer wichtig geworden, sexy zu sein." Wie also sieht mein Männerbild aus?

    Klar, ich will gut aussehen, trimme wöchentlich meinen Eine-Woche-Bart auf sechs Millimeter, trage gerne schöne Pullis, auf deren Zettel "unisex" steht. Die Fingernägel habe ich mir auf einem Festival lackiert, dazu ein wenig Glitzer ins Gesicht. Fand ich schön. Vor dem nächsten Fußballtraining kam jedoch der Nagellackentferner zum Einsatz. Auf die Sprüche? Keine Lust. Zu festgefahren scheinen mir Geschlechterklischees noch in viel zu vielen Lebenslagen.

    Beim Dating spielen Rollenbilder eine große Rolle

    In einem Lebensbereich, in dem es immer noch stark auf das Geschlechterrollen ankommt, ist das Dating. Dort traf ich auch Antonia. Im Online-YouGov führte im Auftrag der Dating-Plattform Bumble in mehreren europäischen Ländern eine Studie durch. Thema waren die unterschiedlichen Erwartungen und erwarteten Verhaltensweisen in romantischen Beziehungen – abhängig vom Geschlecht. Das Ergebnis war eindeutig: 74 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass es unterschiedliche Erwartungen aufgrund des Geschlechts gibt. So gaben 52 Prozent an, dass der erste Kuss von Mann ausgehen sollte, nur acht Prozent sagten, dass die Frau den ersten Schritt gehen sollte.

    Beim Dating sind Geschlechterrollen noch ziemlich klar.
    Beim Dating sind Geschlechterrollen noch ziemlich klar. Foto: privat

    Ich erinnere mich an ein Date aus dem Frühjahr. Ich hatte mich zweimal mit jemandem getroffen. Wir fanden uns witzig, lachten viel. Geknutscht hatten wir noch nicht, obwohl ich vielleicht gerne wollte. Mit einem Kumpel redete ich über die Treffen. „Klar musst du den ersten Schritt gehen, das wollen die Frauen so“, sagte er. Ich war verunsichert. Eigentlich schätzte ich mein Date als eine Frau ein, die ganz genau weiß, was sie will. Wäre es zu viel verlangt, wenn sie den ersten Schritt gehen würde, oder muss ich das wirklich als Mann? Was erwartet sie von mir? Ich ergriff die Initiative. Beim dritten Date küssten wir uns. Wir wollten es beide. Für den Text habe ich noch einmal mit ihr darüber gesprochen, wie sie die Situation empfunden hatte. Sie sei ein wenig schüchtern in solchen Situationen, sagt sie, am Geschlecht lag es nicht. 

    Mann sein – noch immer ein Privileg

    Trotzdem stelle ich mir eine Frage: Wäre die Welt mit klaren Rollenbildern nicht einfacher, wenn ich weiß, dass ich als Mann die Aufgabe habe, stark zu sein, Auto zu fahren und meiner Partnerin zu sagen, was sie am Abend kochen soll? 

    Nein, ich will in einer Welt leben, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Noch immer bin ich als Mann privilegiert. Laut Statistischem Bundesamt verdienten Frauen im Jahr 2021 pro Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Zwar arbeiten Frauen öfter in schlechter bezahlten Branchen, doch auch der sogenannte bereinigte Gender-Pay-Gap liegt laut den neuesten Zahlen aus dem Jahr 2018 bei immer noch sechs Prozent. Das heißt: Frauen mit vergleichbaren Qualifikationen und Tätigkeiten verdienen immer noch weniger als Männer.

    Sich diesem Privileg bewusst zu sein und sich für Gleichberechtigung einzusetzen, gehört für mich zum modernen Männerbild. Auch wenn das für mich als Mann bedeutet, auch einmal zurückzustecken. Für mich ist klar, dass sich ein moderner Mann für Gleichberechtigung einsetzen muss. Wie ich sonst so bin, bin ich gerne. In erster Linie als Mensch, und das unabhängig vom Geschlecht. Mein Leben als Mann mag ich trotzdem gerne. Ich liebe es, Fußball zu spielen, und finde lackierte Fingernägel schön. Und vielleicht ist gerade das Nachdenken über Männlichkeit das, was einen modernen Mann ausmacht.

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