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30 Jahre Mauerfall: Warum in Kalifornien ein riesiges DDR-Museum steht

30 Jahre Mauerfall

Warum in Kalifornien ein riesiges DDR-Museum steht

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    Justinian Jampol im "Wende Museum".
    Justinian Jampol im "Wende Museum". Foto: Images Courtesy of the Wende Museum/Hannah Caprara

    Mr. Jampol, Sie leiten in Kalifornien, tausende Kilometer von Deutschland entfernt, ein Museum, das sich mit der Geschichte der DDR und des Ostblocks befasst. Wie kommt man als Amerikaner auf so eine Idee?

    Justinian Jampol: Zuerst war es ehrlicherweise nur Pragmatismus. Für meine Doktorarbeit hatte ich all diese Dokumente und Gegenstände aus der DDR-Zeit angesammelt, Fotoalben, Brigadebücher und vieles mehr. Mein Problem war, dass ich keinen Ort hatte, um sie zu lagern. Ich konnte sie ja nicht einfach in meinem Schrank aufbewahren. Deshalb war das Museum am Anfang eher eine Art Archiv für Historiker, die wie ich zur Alltagsgeschichte in der DDR forschten. Mittlerweile hat sich das verändert, weil sich auch die Welt um uns herum verändert hat. Heute können wir aus der Geschichte der DDR und des Ostblocks lernen. Es gibt noch immer Mauern, auch heute werden Menschen von ihrem Staat überwacht. In unseren Ausstellungen versuchen wir, diesen Bogen zur Gegenwart zu spannen.

    Das Leben in der DDR wird oft als grau und eintönig beschrieben. Wenn man sich die Bilder aus dem "Wende Museum" anschaut, bekommt man jedoch einen ganz anderen Eindruck. Wie passt das zusammen?

    Jampol: Als Historiker interessiert mich am meisten, wie Geschichte geschrieben wird. Es ist nicht überraschend, dass die einfachen Erklärungen dabei oft die schlechtesten sind. Geschichte ist kompliziert, weil die Menschen kompliziert sind. Auch in Ländern wie der DDR gab es Leute, die Kunst und Musik gemacht haben, die kleine Löcher im System gefunden haben. Jede Gesellschaft besteht aus unterschiedlichen Typen von Menschen. Es ist gefährlich, ausschließlich in Klischees oder Stereotypen zu denken. Nur dann, wenn man sich die Menschen und ihren Alltag vor Augen führt, kann man auch etwas über diese Zeit lernen.

    Was für Gegenstände stellen Sie in Ihrem Museum aus?

    Jampol: Viele unserer Ausstellungsstücke hätten in klassischen Museen wahrscheinlich gar keinen Platz. Wir haben zum Beispiel eine Sammlung von 2000 Speisekarten aus der DDR. Das sind keine traditionellen Museumsstücke, aber sie verraten sehr viel über die Rezepte, die Preise und den Lebensstil einer Zeit. Daneben stellen wir Notizbücher aus, Möbel, Fotografien, aber auch Kunst. Viele Museen konzentrieren sich immer nur entweder auf künstlerische Werke oder Alltagsgegenstände. Wir sammeln alles, weil wir glauben, dass all diese Dinge zum Leben gehören.

    Können Ihre amerikanischen Besucher denn mit diesen Dingen überhaupt etwas anfangen?

    Jampol: Wir haben alle eine Beziehung zu den Gegenständen, die um uns herum sind. Wir benutzen sie, wir lieben sie, wir hassen sie, wir werfen sie weg oder behalten sie. Auf eine Art sind wir alle die Kuratoren unseres eigenen Lebens. Die Gegenstände aus der DDR und dem Ostblock sind für Besucher aus Los Angeles zwar fremd in Form oder Farbe, aber trotzdem gibt es da eine gewisse Vertrautheit, weil sie diese Dinge aus ihrem eigenen Leben kennen. Wir wollen ihnen die Gelegenheit geben, bei einem Besuch im Museum vielleicht nicht nur über die Menschen in der DDR nachzudenken, sondern auch über ihr eigenes Leben.

    Was wissen Ihre Landsleute denn über das geteilte Deutschland?

    Jampol: Amerikaner haben oft eine sehr einseitige Sicht auf die Ära des Kalten Krieges. Da gibt es nur Schwarz und Weiß. Aber natürlich war alles viel komplexer, komplizierter und vielschichtiger. Und das ist etwas, das sich in unserem Museum gut beobachten lässt. Ich glaube, dass unsere Ausstellungsstücke all jene Menschen überraschen, die so einseitig denken.

    Sie waren elf Jahre alt, als die Mauer fiel. Woher kommt Ihr großes Interesse an einem Land, das Sie gar nicht kennengelernt haben?

    Jampol: Für mich ist es eine einzigartige Fallstudie. Es gibt einen Osten und einen Westen, die sich jahrzehntelang unterschiedlich entwickelt haben. Als Historiker finde ich das extrem spannend.

    Sie sind Ende der neunziger Jahre als Student nach Berlin gekommen. Wie haben Sie die Stadt damals erlebt? Der Mauerfall war ja erst ein paar Jahre her.

    Jampol: Es hat sich ein bisschen wie die Stunde Null angefühlt, die Phase, in der alles Alte weggeworfen wird. Politische Umbruchphasen werden immer von einem materiellen Umbruch begleitet. Menschen wollen ihre alten Dinge loswerden und neue Dinge kaufen. Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel darüber geschrieben: 1990 und 1991 hat sich die Müllmenge, die jeder Einzelne in Ostdeutschland produziert hat, extrem erhöht. Gleichzeitig gab es viele Privatpersonen, die gemerkt haben, dass dort gewissermaßen ein Stück Geschichte weggeworfen wird. So wurden viele Gegenstände gerettet.

    Einer von diesen Menschen waren Sie. Von wem haben Sie diese ganzen Dinge bekommen?

    Jampol: Vieles kam von den Menschen, die ich für ein Zeitzeugen-Projekt befragt habe. Sie haben von ihren Erlebnissen erzählt und sich dabei meistens auf ein Fotoalbum oder ein anderes Erinnerungsstück bezogen. Und am Ende fragten einige, ob ich es nicht mitnehmen will. Ich glaube, für viele ist Los Angeles so weit weg als sei es auf dem Mond. Sie hatten das Gefühl, dass ihre Notizbücher oder Fotoalben sicher sind, aber auch nicht so nah, dass sie gegen sie verwendet werden könnten. Für einige hat auch eine Rolle gespielt, dass ich nicht aus Westdeutschland oder sogar Westeuropa stamme. Ich denke, Sie vertrauten ihre Erinnerungsstücke sogar lieber einem Amerikaner an als etwa einem Menschen aus Bonn.

    In der Rückschau wirkt es ein wenig absurd: Ausgerechnet ein Amerikaner rettet einen Teil der DDR-Geschichte quasi aus dem Müll. Was denken Sie, warum sind viele dieser Dinge nicht schon damals in Museen gelandet?

    Jampol: Ich bin ein großer Anhänger der staatlich geförderten Museen, wie es sie so oft in Deutschland gibt. Gleichzeitig sorgt diese Förderung aber auch dafür, dass Geschichtsschreibung sehr stark politisiert wird. Während ein Historiker versucht, die Dinge möglichst wertfrei für die Nachwelt zu bewahren, geht es der Politik auch immer um aktuelle Strömungen. Und in den Neunzigern wollte man die DDR möglichst schnell hinter sich lassen. Die Bewahrung der Ost-Kultur stand da nicht ganz oben auf der Agenda. Das sieht man auch an den politischen Entscheidungen, die damals getroffen wurden: Bildende Kunst aus der DDR wurde aufgehoben, angewandte Kunst nicht. Defa-Filme landeten in den Archiven, Dokumentarfilme nicht. Ich hatte damals einfach Angst, dass diese Dinge auf immer für die Nachwelt verloren sind.

    Als direkt Betroffener ist es natürlich schwerer, objektiv zu sein. Wie blicken Sie – als zumindest halbwegs Außenstehender – auf die deutsch-deutsche Geschichte?

    Jampol: Wir sind in unserem Museum nicht daran interessiert, ein Narrativ zu entwerfen. Wir sagen nicht: So war es. Zuletzt hatten wir im Museum eine Ausstellung mit DDR-Kunst, in der wir unter jedem Kunstwerk mehrere Beschreibungen angebracht haben, die alle unterschiedliche Aussagen hatten. Wir haben einen westdeutschen Kunsthistoriker, einen Arbeiter aus der ehemaligen DDR und viele andere Menschen gebeten, ihre Einschätzung zu den Kunstwerken abzugeben. Und das hat gezeigt, wie unterschiedlich die Menschen auf ein- und dieselbe Sache blicken.

    Einige Kritiker werfen Ihnen genau das vor: Dass Sie etwa Propaganda-Kunst ohne eine Einordnung ausstellen. Muss man den Besuchern gewisse Dinge nicht erklären?

    Jampol: Wir sind eher ein Archiv als ein Museum. Und das heißt, wir sind offen für Interpretationen von allen Seiten. Wir haben unser eigenes Konzept, und das weicht von dem ab, wie sich viele Menschen ein Museum vorstellen.

    In Deutschland ist ein solch eher lockerer Umgang mit der Geschichte oft schwierig.

    Jampol: Ich glaube, an einem Ort wie Deutschland ist das immer ein wenig schwieriger als in anderen Ländern. Deshalb ist es für Historiker wie mich besonders spannend. Gleichzeitig wird in Deutschland in meiner Wahrnehmung sehr viel über die eigene Geschichte gesprochen und geschrieben – anders als etwa in Rumänien, Ungarn oder Polen. Eine Diskussion über die eigene Geschichte ist für mich Teil einer gut funktionierenden Demokratie. Sobald Geschichtsschreibung verändert oder unterdrückt wird, ist das ein schlechtes Zeichen. Ich würde mir wünschen, dass in manchen Ostblock-Ländern so lebendig über die Vergangenheit diskutiert wird wie in Deutschland.

    Zur Person: Justinian Jampol ist ein US-amerikanischer Historiker und Leiter des "Wende Museums" in Culver City bei Los Angeles, das er im Alter von 24 Jahren gegründet hat. Das Museum besitzt eine der weltweit größten Sammlungen von Alltagsgegenständen aus der DDR.

    Unser Special "30 Jahre Mauerfall": Alle Artikel finden Sie hier in der Übersicht.

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