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Gesellschaft: Von Zuckerbergs Meta zum neuen Matrix-Film: Unsere Zukunft in der Simulation

Gesellschaft

Von Zuckerbergs Meta zum neuen Matrix-Film: Unsere Zukunft in der Simulation

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    „The Matrix Resurrections“ setzt ab kommender Woche im Kino die Frage nach der Wirklichkeit und einem Ersatzleben im Virtuellen fort.
    „The Matrix Resurrections“ setzt ab kommender Woche im Kino die Frage nach der Wirklichkeit und einem Ersatzleben im Virtuellen fort. Foto: Warner Bros. Pictures

    Was ist die Wirklichkeit? Die Frage mag unangenehm sein. Denn mit ihr steht das in Zweifel, was uns doch als das unmittelbar Gegenwärtige, das Selbstverständlichste erscheint. Also wozu stellen? Weil sich eine ähnliche wie von selbst stellt. Je nach bevorzugtem Online-Kanal, nach Ansicht zur Corona-Impfung oder zur Klima-Problematik: In welcher Wirklichkeit leben Sie? Gibt es eine wahre Wirklichkeit?

    Dem ewigen Nörgler und Zauderer Woody Allen schien die Antwort noch leicht: „Ich hasse die Realität, aber es ist der einzige Ort, an dem man ein gutes Steak essen kann.“ Aber gerade das konterte der Science-Fiction-Film „Matrix“ klug. Die uns unmittelbar erscheinende Wirklichkeit wird dort als Simulation entlarvt. Hinter der verbirgt sich die apokalyptisch gewordene Welt, in der die Menschen ums bloße Überleben kämpfen. Und derjenige unter den Kämpfenden, der zum Verräter wird, erklärt sich beim Essen eines Steaks in der

    30 Jahre nach der Erfindung von "Metaverse" und "Avatar"

    Wie arrangiert wirkt es da, dass 22 Jahre nach „Matrix“ und 18 Jahre nach Vollendung der Film-Trilogie nun die Fortsetzung in die Kinos kommt: „The Matrix Resurrections“. Auferstehungen also just in eine Zeit hinein, in der Mark Zuckerberg Facebook-Konzern heißt künftig MetaFacebooksein Unternehmen Facebook in Meta umbenannt hat und per Avatar seiner Selbst den Übergang ins „Metaverse“ verkündete: eine computergenerierten Wirklichkeit, in der alle Online-Möglichkeiten kombiniert würden. Was selbst wiederum eine Auferstehung ist.

    Mark Zuckerberg, CEO von Facebook, hat sein Unternehmen umbenannt.
    Mark Zuckerberg, CEO von Facebook, hat sein Unternehmen umbenannt. Foto: Mark Lennihan, AP/dpa

    Denn 30 Jahre nach seinem Erscheinen ist just jetzt in frischer Übersetzung ein bahnbrechender Roman von Neal Stephenson neu erschienen: „Snow Crash“ (Übs. Alexander Weber, 576 Seiten, 16,99 Euro). Es ist die Geburt des sogenannten „Cyber Punk“, dessen Ästhetik auch „Matrix“ verpflichtet blieb – und es ist das Buch, in dem zum ersten Mal diese Begriffe auftauchen: „Avatar“ und „Metaverse“. Der US-Autor, eigentlich Physiker, heute längst als Technologie-Berater selbstständig, stellte sich das damals noch so vor: „Aus dem Inneren des Rechners bricht ein gebündelter Lichtstrahl empor und verteilt sich durch die Fischaugenlinse in alle Richtungen. Mit Hilfe elektrischer Spiegel wird er auf das Glas von Hiros Brille projiziert, wo er hin und her rast, so wie der Elektronenstrahl eines Fernsehers den Schirm einer Bildröhre bemalt. Das so entstandene Bild schwebt vor Hiros Augen in der Luft, zwischen ihm und der Wirklichkeit …“ Bei „Matrix“ ist es ein Stecker im Nacken, mit dem das Hirn eingeloggt wird.

    "Wenn du in einem Drecksloch haust, gibt es immer noch das Metaverse"

    Entscheidend aber schon bei Stephenson: „Also ist Hiro eigentlich gar nicht hier. Er ist in einem computergenerierten Universum, das ihm sein Rechner auf die Brille malt und in seine Kopfhörer pumpt. Hacker nennen diesen imaginären Ort das Metaverse. Hiro verbringt eine Menge Zeit im Metaverse.“ Denn: „…wenn du in einem Drecksloch haust, gibt es immer noch das Metaverse, und im Metaverse ist Hiro ein Kriegerprinz.“

    Hier scheint auf, was in vielen folgenden Fantasie-Versionen des Metaverse bestimmend war: Wenn die herkömmliche Wirklichkeit ein immer prekärerer Ort wird und vor allem die Versprechen des Kapitalismus für die Massen nicht mehr eingelöst werden können: Wohlstand, Frieden, Freiheit, Individualität – dann können diese in noch viel umfänglicherer Form computergeneriert zugänglich und erlebbar werden. Sei, wer immer du sein willst – so ist es etwa auch im von Steven Spielberg verfilmten Metaverse von „Ready Player One“, das passend den Namen „Oasis“ trägt und in das man sich, schon sehr nah an heutigem Standard, durch VR-Helm und Sensorik-Anzug hineinversetzt.

    Wenn diese Oase nun technisch so weit fortentwickelt wäre, dass sie in unserem Gehirn die Sinneswahrnehmungen so perfekt simulieren, dass ein Steak sich eben echt, vollkommen wirklich anfühlt und schmeckt: Wer könnte dem Darbenden verdenken, sich dieser Sehnsuchtserfüllung hinzugeben? Wer dem Versehrten, sich in einen heilen Körper zu versetzen? Wem fiele da selbst nichts ein? Und wäre das nicht sogar eine Lösung für eine in der Masse womöglich darbendenden und versehrten Menschheit der Zukunft auf einem darbenden und versehrten Planeten?

    Verliert die Unterscheidung den Sinne, wenn wir keinen Unterschied merken?

    Wenn wir den Unterschied gar nicht merken – verlöre dann die Unterscheidung zwischen den Wirklichkeiten nicht auch ihren Sinn? Die Vision von „Matrix“, in der die Menschen, während sie zu leben meinen und nur in der Simulation sind, tatsächlich im Nacken eingeloggt und ansonsten in einem Nährstoffbad ruhend als Energielieferant für die der herrschenden Maschinen: Sie setzt ein Problemszenario der modernen Erkenntnistheorie in Szene – die Frage nach dem „Gehirn im Tank“. Woher können wir wissen und wie können wir feststellen, dass wir nicht bloß ein solches sind, ein Bewusstsein, dem all seine Gedanken und Wahrnehmungen nur als Simulationen eingegeben sind?

    Das wiederum ist die Auferstehung eines Klassikers der Philosophie: René Descartes und sein „Cogito ergo sum“. Als letzte Gewissheit blieb dem Franzosen vor 400 Jahren bereits, dass der Mensch selbst existiert, insofern er denkt und sich seiner selbst bewusst ist. Um die Wirklichkeit der äußeren Welt und des Erlebens nachzuweisen, brauchte Descartes schon einen ganzen Gottesbeweis. Beim modernen „Gehirn im Tank“ blieb Hillary Putnam schon nur noch die Sprache und ihr notwendigen Gehalt an Wirklichkeit, um die Wirklichkeit vom Simulationsverdacht zu retten.

    Wirklichkeiten im Pipi-Langstrumpf-Prinzip

    Aber selbst wenn der Nachweis der Wirklichkeit ausbleibt, entbindet das nicht von der Frage, welche wir haben wollen. Von Nicklas Luhmann stammt der Satz: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ Damit lässt sich heute auch wunderbar zeigen, wie im Zeitalter des Massenmediums Internet das Wissen und die Wahrnehmung zersplittert. Es ist wie der Sieg der Pippi-Langstrumpf-Prinzips über die Wirklichkeit: Statt mit seiner Meinung eine Haltung zur Wirklichkeit zu beziehen, um diese womöglich zu ändern, kann sich jeder nun durch die auf allen Kanälen frei flottierende Auswahl an Weltwahrnehmungen die Wirklichkeit aussuchen, die zur eigenen Meinung passt.

    Wenn es auf diesem Weg weiter geht, wird es womöglich nicht nur besser, sondern auch unvermeidlich sein, dass den Menschen frei gestaltbarer Avatare im „Second Life“ zur Verfügung stehen – denn ein Besorgen und Kümmern um eine noch irgendwie gemeinsame Wirklichkeit wird dadurch verunmöglicht. Und überhaupt: Der Versuch des Verstehens und der Verständigung mit einer Weltwahrnehmung, die nicht der eigenen entspricht, die Auseinandersetzung mit Andersmeinenden ist womöglich der beste Nachweis für die Wirklichkeit. Was bleibt uns sonst? Wir sind alle keine Kriegerprinzen. Übers Steak-Essen kann man durchaus auch streiten.

    Doch die Wahrscheinlichkeit angesichts des Fortschritts und des menschlichen Wesens ist hoch dafür, dass ein immer größerer Teil der menschlichen Zukunft auf einem krisengezeichneten Planeten in einem Metaverse liegen wird – es muss ja nicht das von Mark Zuckerberg sein. Und vielleicht hieße es dann tatsächlich besser „Oasis“.

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