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Gesellschaft: Die Macht der Medien: So steht es um unser digitales Leben

Gesellschaft

Die Macht der Medien: So steht es um unser digitales Leben

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    Das digitale Zeitalter ist auch in Deutschland Realität.
    Das digitale Zeitalter ist auch in Deutschland Realität. Foto: Yui Mok, dpa (Symbolbild)

    In den einzelnen Ergebnissen ist diese Studie bereits: alarmierend und amüsant, entlarvend und erhellend. Und das betrifft uns alle. Selbst diejenigen – und das sind gar nicht so wenige, wie sich hier auch zeigt –, die sich überhaupt nicht in der digitalen Welt bewegen.

    Die Studie erfasst das Internet-Verhalten von 16.000 Menschen

    Denn zum ersten Mal wurde der Datenverkehr in Deutschland nun umfassend untersucht und ausgewertet – nicht durch Umfragen, sondern durch die komplette Erfassung des Internet-Verhaltens von 16.000 repräsentativ ausgewählten Menschen. Und umso bedeutender ist das, was die Medienwissenschaftler Martin Andree und Timo Thomsen als „Atlas der digitalen Welt“ herausgegeben haben, weil es weit über die bloße Momentaufnahme aus dem Jahr 2019 hinausgeht und eine Tendenz für die Gesellschaft der Zukunft sichtbar werden lässt. Deren Herausbildung hat sich 2020 wohl nur noch weiter beschleunigt, wie Krisen ja ohnehin oft zu Beschleunigern eines Wandels werden.

    Darum, bevor es zu den saftigen Details geht und gleich um die ganze Dimension in den Blick zu nehmen, zu den beiden grundlegenden Erkenntnissen, die die Forscher durch Einbeziehung zweier Klassiker ihres Fachs erhalten. Da ist zum einen der berühmte erste Satz des Soziologen Niklas Luhmann im Werk „Die Realität der Massenmedien“, der lautet: „Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ Das bedeutet hier gleich zweierlei Entscheidendes: Ein Kulturbruch in der Mediennutzung bedeutet einen Wandel in der Wirklichkeitswahrnehmung und damit in der Wirklichkeit selbst. Und am Bild der dominierenden Mediennutzung lässt sich das herrschende Bild von Welt und Gesellschaft ablesen.

    Medien sind keine neutralen Plattformen, sondern verbreiten Botschaften

    Dazu kommt Marshall McLuhan mit seinem heute wohl virulenteren Satz denn je: „The medium ist the message“. Medien sind also keine neutralen Plattformen, sie verformen allein schon durch ihre Eigenlogik die Inhalte: Denn wie wird hier Aufmerksamkeit erzeugt? Und in welcher Konkurrenzsituation? Mit welchem Ziel? Zusammengenommen mit Luhmann schließlich: Wie wirkt sich der Charakter des herrschenden Massenmediums auf die Wirklichkeitswahrnehmung und damit auf die Wirklichkeit selbst aus?

    Soziale Medien erreichen mehr Menschen als Nachrichtenportale

    Gerade da ist ein Befund der Studie durchaus alarmierend. Die globale Marktmacht der großen Player war immer wieder Thema – jetzt lässt sie sich für Deutschland beziffern. Denn die Zeit, die die Menschen im Internet verbringen, verbringen sie durchschnittlich zu 18,6 Prozent auf Diensten des Alphabet-Konzerns (Youtubeund Google) und zu 15,6 Prozent auf den des Facebook-Konzerns – insgesamt also ein Drittel der Gesamtzeit. Und vor allem die Häufung beim Zuckerberg-Unternehmen bedeutet: Die ohnehin stark über das Wirklichkeitsbild und die Meinungsbildung mitentscheidenden, sogenannten „sozialen Medien“ liegen mit Facebook, Whatsapp und Instagram nicht nur in Händen eines Konzerns – sie erreichen auch weit mehr Menschen als alle klassischen Nachrichtenanbieter mit ihren Online-Präsenzen.

    Das Logo des Video-Portals YouTube auf dem Display eines Smartphones.
    Das Logo des Video-Portals YouTube auf dem Display eines Smartphones. Foto: Monika Skolimowska, dpa (Symbolbild)

    Von den insgesamt 152 Minuten, die jede/r Deutsche – ob mit Smartphone, 74 Min., Desktop, 46, oder Tablet, 31 – im Durchschnitt pro Tag im Netz verbringt, fielen auf diese zusammen nur neun Prozent – das ist halb so viel Zeit, wie die Leute mit bloßem Daddeln im Netz verbringen: beim Gaming. Je jünger die Nutzer sind, desto mehr sind sie auf Social Media unterwegs, desto weniger auf Nachrichten- und Informationsplattformen. Eine Dynamik, die sich tendenziell allerdings nicht mit steigendem Alter verschiebt – die Jüngeren wechseln also nicht auch eher zu den Nachrichten, wenn sie älter werden.

    Dass Nachrichten also tendenziell eher weiter zu verlieren drohen, sorgt dafür, dass sie sich der Funktionslogik der konkurrierenden Gewinner annähern: dem Anreizgebaren in den Netzwerken. Informationen erhalten zur Sicherung von Aufmerksamkeit immer Aufregercharakter. Der drastischste Unterschied aber wird, so die Studienmacher, offenkundig, wenn man die Nutzungsnormalität der vorher herrschenden Massenmedien mit der aktuellen vergleicht: Zeitungsausgaben werden über eine halbe Stunde oder mehr hinweg an einem Stück gelesen – online sind es meist nur Stippvisiten, die sich womöglich über den Tag hinweg wiederholen, aber in aller Regel kaum Zeit genug für ausführlichere oder vertiefte Lektüre bieten. Aber der Reiz von Textinhalten auf die Nutzer nimmt im Vergleich zu dem von Bildinhalten ohnehin immer weiter ab.

    Studie: Ältere Männer nutzen Pornografie-Seiten am häufigsten

    Vom Alarmierenden zum Amüsanten – wenn es das denn ist. Eine typische gesellschaftliche Sorge im Internetzeitalter ist, dass junge Menschen viel zu leicht in Kontakt mit pornografischen Inhalten kommen. Tatsächlich werden fast 80 Prozent der 14- bis 24-Jährigen von Anbietern wie Youporn und xhamster erreicht – auf männlicher Seite. Auf weiblicher sind es nur 43, was aber auch vergleichsweise hoch ist. Der Anteil nimmt im Verhältnis zum Alter immer weiter ab. Am meisten Zeit mit Pornografie verbringen ältere Männer, im Durchschnitt drei Stunden pro Monat und mehr – mehr als dreimal so viel wie die Jungs, bei den älteren Frauen sinkt die Zahl bis zu knapp über 15 Minuten. Solche Inhalte werden übrigens in überragenden Anteilen am Desktop zu Hause konsumiert – was wohl erwartbar ist. Aber inzwischen ist das auch bei Dating-Plattformen immer mehr so. Die Macher der Studie sehen darin aber keine Nähe zum Intimbereich, sondern eine Verschiebung hin zum Organisatorischen: Das Kennenlernen wird am Computer geplant und verwaltet wie sonst etwa das Online-Banking.

    In Puzzle- und Rätselspielen wie «Candy Crush Saga» muss vor allem der Ungeschickte zahlen: Hier schaltet echtes Geld neue Leben und kleine Helfer frei.
    In Puzzle- und Rätselspielen wie «Candy Crush Saga» muss vor allem der Ungeschickte zahlen: Hier schaltet echtes Geld neue Leben und kleine Helfer frei. Foto: Franziska Gabbert (dpa)

    Frauen übrigens verbringen dafür im Durchschnitt weit mehr Zeit mit Gaming im Internet als Männer (über 19,5 gegenüber 12 Stunden im Monat) – vor allem am Smartphone und eben nicht nur die Jüngeren. Eine Lösung dieses Rätsels heißt „Candy Crush“ und verdaddelt sehr vielen Frauen offenbar die Zeit zwischendurch – ohnehin ein Beispiel dafür, dass das reine Verdaddeln im Netz bei aller stresserhöhenden Lebenszeitverdichtung zunehmend Konjunktur hat. Was aber ohnehin nicht mit Erholung zu verwechseln ist – das eine versucht das zu vermeiden, was das andere gerade herzustellen versucht: lange Weilen.

    11,7 Millionen Menschen in Deutschland leben laut Studie offline

    Die gibt es womöglich bald nur noch bei einer Gruppe, die in Deutschland immerhin noch 11,7 Millionen Menschen im Alter über 14 Jahren ausmacht: die offline leben, nicht im Internet sind. Davon liegen erwartungsgemäß gut 73 Prozent im Altersbereich von über 70 und gut zwei Prozent in dem unter 30 – aber immerhin knapp drei Millionen Menschen zwischen 30 und 59 Jahren sind es auch, die sich gar nicht im Netz aufhalten.

    Was die Studie aber im umfassenden Blick klarmacht: Diese leben nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich immer mehr in einer anderen Welt. In einer, für die nicht zutrifft, was die Forscher als Tendenz der Zukunft ansehen: Wir sehen und verstehen unsere digitale Welt so, wie sie uns von den großen Internet-Konzernen gezeigt wird. Und in der Folge eben auch nicht mehr nur die digitale. Dagegen, sagen die Macher, helfen nur: Ein mündiger Konsument und eine regulierende Politik. Eine wackelige Wette auf die Zukunft …

    Martin Andrer und Timo Thomsen: Atlas der digitalen Welt. Campus, 272 S., 32 Euro

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