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Geschichte: Wenn der Einzelne das Blatt wenden kann: Ausstellung "Roads Not Taken" in Berlin

Geschichte

Wenn der Einzelne das Blatt wenden kann: Ausstellung "Roads Not Taken" in Berlin

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    Der Fall der Mauer verlief friedlich, doch der Wende-Herbst in Deutschland hätte auch blutig enden können, wie die Ausstellung "Roads Not Taken" im Deutschen Historischen Museum Berlin darstellt.
    Der Fall der Mauer verlief friedlich, doch der Wende-Herbst in Deutschland hätte auch blutig enden können, wie die Ausstellung "Roads Not Taken" im Deutschen Historischen Museum Berlin darstellt. Foto: Deutsches Historisches Museum

    Das blutige 20. Jahrhundert ist für die Deutschen mit einem Glücksfall ausgegangen. Im Herbst 1989 stießen die Brüder und Schwestern im Osten die Mauer um, ohne dass ein Schuss fiel. Angesichts des aufgeblasenen Spitzel- und Sicherheitsapparates der DDR ist das ein Wunder der Geschichte. Doch der Wende-Herbst hätte auch blutig enden können. Dann, wenn Egon Krenz als Nachlassverwalter Erich Honeckers die Hunderttausenden auf den Straßen hätte zusammenschießen lassen. Krenz hatte wenige Monate zuvor die Führung der chinesischen Kommunisten gelobt, die den Aufstand auf dem Platz des Himmlischen Friedens gewaltsam hatte niederschlagen lassen. China ist bis heute eine Diktatur, der Osten Deutschlands demokratisch. 

    Freudentaumel an der Berliner Mauer und ein Traueraltar für die Freiheitskämpfer in China

    Mit diesem Gegenschnitt einer erfolgreichen und einer gescheiterten Revolution beginnt die neue Ausstellung „Roads Not Taken“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Einem großen Bild vom Freudentaumel an der Berliner Mauer steht ein ikonisches vom Panzer-Mann entgegen, der sich in Peking einsam einem Stahlkoloss der chinesischen Armee entgegenstellt. Dazu passt ein Interview mit der DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler, das Besucher und Besucherinnen anhören können. „Es war ein Zeichen an uns“, erinnert sich Birthler. Sie und andere DDR-Oppositionelle bauten in der Berliner Samariterkirche einen Traueraltar für die ermordeten Freiheitskämpfer in China auf. Die Leute brachten weiße Blumen mit, weil in China Weiß die Farbe der Trauer ist.

    Die Brücke von Remagen bei Bonn
    Die Brücke von Remagen bei Bonn Foto: Deutsches Historisches Museum

    Es sind solche Details, die die Ausstellung mit ihren 14 Stationen interessant machen. Es sind solche Details, die man aus dem Geschichtsunterricht eher nicht kennt. Am überraschendsten ist vielleicht, dass Deutschland am Ende des Zweiten Weltkrieges von einer Brücke über den Rhein vor dem Atomaschlag bewahrt wurde. Um den Vorstoß der amerikanischen Armee zu stoppen, versuchte die Wehrmacht die Brücke von Remagen bei Bonn zu sprengen, was aber misslang. 

    Deshalb konnten zehntausende US-Soldaten viel schneller über den Fluss übersetzen als geplant. Das amerikanische Kommando war von monatelangen Stellungskämpfen am Rhein ausgegangen. Wäre es dazu gekommen, dann hätte womöglich die Atombombe nicht Japan, sondern Deutschland getroffen. Die Chemiewerke in Ludwigsburg waren als ein mögliches Ziel ausgewählt. 

    Ausstellung "Roads Not Taken": Was wäre gewesen, wenn es statt der Machtergreifung der Nationalsozialisten einen Putsch der Reichswehr gegeben hätte?

    Wenig bekannt ist auch, dass es in den Tagen der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu einem Putsch der Reichswehr hätte kommen können. General Kurt von Hammerstein lehnte Hitler ab. Ende Januar 1933 machte in Berlin das Gerücht die Runde, Hammerstein wolle die Garnison in Potsdam in Marsch setzen, um die Macht in Berlin zu übernehmen. Militärdiktatur statt Führerstaat. Ausgerechnet dieses Gerücht setzte Reichspräsident Paul von Hindenburg unter Druck, der entgegen seinem Willen Hitler mit der Führung eines Präsidialkabinettes betraute. Hindenburg und die deutsche Militärführung fürchteten den Ausbruch des Bürgerkrieges, sollten die Nazis nicht an der Macht beteiligt werden. In der Rückschau wäre aller Wahrscheinlichkeit nach eine Militärdiktatur besser gewesen als die Schreckensherrschaft Hitlers. Doch es bleibt natürlich hypothetisch, ob Hitler nicht zu einem späteren Zeitpunkt die Macht an sich gerissen hätte. 

    In den entscheidenden Stunden kommt es auf den Einzelnen an oder eine Handvoll Leute. Diese zentrale Erkenntnis der Ausstellung ist eigentlich banal, geht aber manchmal unter in der Betrachtung von Geschichte als Abfolge logischer Entwicklungen. Putins Überfall der Ukraine zeigt mit aller Dramatik, dass Geschichte gemacht wird. Seine Kriegsmotive sind bekannt. Putin will das untergegangene Sowjetimperium auferstehen lassen und betrachtet die Ukrainer als kein eigenständiges Volk. In einem historischen Essay hat der Kremlherr seine Deutung der Geschichte dargelegt. Während sein Antrieb bekannt ist, gelingt es der Ausstellung auf ihrem Weg durch die Geschichte nicht immer, die Beweggründe der Mächtigen herauszuarbeiten. Die Besucher erfahren nicht, warum Krenz seine Hände nicht mit Blut besiedeln wollte oder General Hammerstein den Marsch auf Berlin nicht wagte. Sie erfahren aber, was den Führerattentäter Claus von Stauffenberg zur Tat schreiten ließ, und dass der preußische König 1849 die Kaiserkrone des Paulskirchenparlamentes ablehnte, weil ihr der „Ludergeruch der Revolution“ anhing. 

    Die Kuratoren standen bei der Konzeption außerdem vor einem Problem, das sie nicht auflösen konnten. Für den Fall, dass es anders gekommen wäre, gibt es keine Exponate, die sich ausstellen lassen. Die Ausstellungsmacher haben leider auch zu oft auf die althergebrachte Methode zurückgegriffen, Inhalt über Texttafeln mit kleiner Schrift und alten Zeitungen zu erzählen. So bleibt der Gang durch anderthalb Jahrhunderte deutscher Geschichte ein spannendes Experiment für Leute, die sich ohnehin dafür interessieren.

    Info: "Roads Not Taken" im Deutschen Historischen Museum Berlin, Laufzeit bis 24. November 2024, geöffnet täglich 10 bis 18 Uhr, donnerstags 10 bis 20 Uhr.

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