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Geschichte: Als die Fugger Dillingen den Vorzug vor Augsburg gaben

Geschichte

Als die Fugger Dillingen den Vorzug vor Augsburg gaben

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    Über Jahrzehnte hinweg war Franz Karg (links im großen Bild) der Archivar des Stiftungs- und Familienarchivs, nun ist ihm Stefan Birkle nachgefolgt.
    Über Jahrzehnte hinweg war Franz Karg (links im großen Bild) der Archivar des Stiftungs- und Familienarchivs, nun ist ihm Stefan Birkle nachgefolgt. Foto: Marina Kraut

    Den eigenartig prägnanten Geruch von Kellern nimmt man in manchen Gebäuden auch im ersten Stock wahr. Ebenso die Kälte. Auch die spürt man dort zuweilen oberhalb des Erdgeschosses. Zumindest, wenn das Gebäude über künstliche Wärmeregulierung verfügt und jahrhundertealte Rechnungen oder Beschwerdebriefe aufbewahrt.

    In Dillingen an der Donau, der Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises, steht ein eben solches Haus. In ihm lagern die Geheimnisse der vormals einflussreichsten Familie Augsburgs, der Fugger. Gut, vielleicht nicht alle Geheimnisse, aber zumindest viele Belege, Privatrechnungen oder Unterlagen zu den Bewohnern der Fuggerei. Das Stiftungs- und Familienarchiv ist damit Hüter von 27.000 benutzbaren Daten, von 16,7 Terabyte historischer Stücke unschätzbaren Wertes. Aber wieso Bytes und Daten in einem Archiv, das nach Keller riecht? Die Antwort liefert die Digitalisierung – und ein personeller Wechsel.

    Doch dafür zurück an den Ort, an dem der Geruch von altem Papier in der Nase kitzelt. Dieser liegt im ersten Stock eines gelb angestrichenen Gebäudes, mitten in Dillingen, umzingelt von Wohnhäusern, eingebettet in eine Siedlung. Dort also, bei 15,3 Grad, zieht Stefan Birkle ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Buch aus dem Regal und schlägt es auf. Dazu erklärt der 39-jährige Historiker, wie lange es dauern kann, die altdeutsche Schrift lesen zu können. Seine Finger streifen über das Wort „Summe“, das auch für Laien gut lesbar ist, und Birkle erklärt, wie man sich Buchstabe für Buchstabe vorantasten kann.

    "Ich war immer mehr Historiker als Archivar"

    Über die Schulter schaut ihm dabei Franz Karg, ebenfalls Historiker und bisher so etwas wie das Gehirn des Archivs. Fast 40 Jahre lang, seit 1983, war er dort Archivar. Der 68-jährige Karg kennt die insgesamt auf vier Stockwerke verteilte Sammlung wohl so gut wie kein anderer. Er sagt schmunzelnd über sich: „Ich war immer mehr Historiker als Archivar.“ Karg hat sich während seiner Jahre in der Ziegelstraße darum bemüht, mit Forschungsideen an Universitäten heranzutreten. Er war, wie er sagt, Dienstleister für Doktoranden. Manchmal habe er sie mit Schriften aus dem Archiv überschüttet, so viel habe er zu bestimmten Themen gefunden.

    Sowieso war Karg immer da: Er wohnt nebenan. „Das war damals die wichtigste Frage im Vorstellungsgespräch“, sagt Karg. Eine Pflicht, die auch seine Vorgängerin zu erfüllen hatte. Wer das historische Zeugnis der Fugger hüten wollte, musste buchstäblich auf ihm sitzen. Und das tat Karg unter anderem auf einem aus dem Jahr 1430 stammenden Schriftstück – ein Beleg von Barbara Fugger, dem ältesten Papier im Archiv. Oder Akten aus dem 19. Jahrhundert, die belegen, dass es eine Bewohnerin der Fuggerei nach langem Hin und Her tatsächlich schaffte, eine Kuh in ihrem Gärtchen halten zu dürfen. Tiere sind in der Fuggerei sonst nicht erlaubt. Überliefert ist häufig das, was entweder Streit verursachte oder wo Geld geflossen ist.

    Die Digitalisierung hielt Einzug mit dem privaten Computer

    Heute ist das anders. Der neue Archivar Stefan Birkle muss nicht mehr 24 Stunden sieben Tage die Woche vor Ort sein. Birkle pendelt von seinem Wohnort im Unterallgäu, macht hin und wieder Homeoffice. Ganz modern also. Überhaupt – das Archiv hat sich seit dem Amtsantritt von Karg und bis zur Übernahme von Birkle im Januar dieses Jahres enorm gewandelt. Während Karg als Einzelkämpfer und mit seinem privaten Computer anfing, hat Birkle, der seit 2011 im Archiv arbeitet, zwei Mitarbeiterinnen an seiner Seite. Für die Vorbereitungen zum 500. Jubiläum der Fuggerei waren beide Historiker im Einsatz.

    Das Archiv mit seinen oft jahrhundertealten Dokumenten ist eine regelrechte Schatzkammer.  
    Das Archiv mit seinen oft jahrhundertealten Dokumenten ist eine regelrechte Schatzkammer.   Foto: Marina Kraut

    Ein Wandel hin zu digitalisiertem Arbeiten sei möglich geworden, als sich der Administrator der Fuggerschen Stiftungen, Wolf-Dietrich Graf von Hundt, dafür eingesetzt habe. Natürlich gibt es inzwischen mehr als einen Computer, und Karg konnte mit der Sicherungsverfilmung beginnen. Bei diesem staatlich geförderten Prozess werden zentrale Dokumente, die einen für die Gesellschaft relevanten Wert besitzen, auf Mikrofilmen langzeitgesichert. Der Mehrwert für das Fugger-Archiv: „Die Dokumente sind jetzt auch am Computer lesbar“, sagt Birkle. So konnte auch der digitale Lesesaal entstehen. Birkle muss jetzt nicht mehr stunden- oder tagelang im Archiv nach Dokumenten suchen. Er macht das nun am Computer, meistens jedenfalls. Birkle und seine Mitarbeiterinnen waren für die Umstellung die treibenden Kräfte, sagt Karg anerkennend. Irgendwie könne Birkle gut mit den IT-Spezialisten. Vielleicht wird er deswegen mehr Archivar als Historiker sein? Man wird sehen.

    Jedenfalls hat der individuelle Schwerpunkt eines Archivars große Bedeutung. Denn er ist es, der festlegt, was weg kann – und was bleiben soll. Er ist es, der es in der Hand hat, auf welche zeitgenössischen Dokumente die Nachwelt einst Zugriff haben wird. Er entscheidet, wie detailliert Bewerbungsunterlagen der jetzigen Bewohner der Fuggerei in Augsburg aufgehoben werden. Was interessiert die Forschung in 50 Jahren? Was ist die Information, die bleiben soll? Und vor allem: Wie soll archiviert werden? Den Archivar beschäftigen heute Software-Fragen. Dokumente aus dem Jahr 2022 sind digital und müssen dementsprechend auch so gespeichert werden. Fragen, mit denen sich Birkle nun auseinandersetzen muss.

    Fakt ist, und darin sind sich die Historiker einig: „Von einem Archivar wird erwartet, dass er sein Archiv kennt.“ Birkle weiß: Einfach ist das nicht. Denn in Dillingen lagert so viel, dass selbst die Historiker nicht wissen, was da noch alles verborgenes geschrieben steht. „Das ist aber auch das Spannende an diesem Beruf“, sagt Birkle.

    Die Erwartung eines neuen Kriegs gab den Auschlag

    Bleibt noch die Frage nach dem Standort: Warum Dillingen und nicht Augsburg für das Fugger-Archiv? Ja, seufzen die Herren, die Frage passe in die heutige Zeit, der Standort sei dem Krieg geschuldet: Weil Augsburg während des Zweiten Weltkrieges stark unter Bombenangriffen zu leiden hatte und 1950 der Korea-Krieg dem über den Archiv-Standort entscheidenden Seniorat erneut Sorgen bereitete, entschied dieser sich für einen neuen Sitz auf dem Land.

    Im ersten Stock klappt Birkle das Buch mit dem Wörtchen „Summe“ wieder zu und schiebt es zurück an seinen Platz. Ob er die Seite aus dem 17. Jahrhundert je wieder aufschlagen wird, ist ungewiss. Zeit, sich auf vier Stockwerken mit Kellergeruch zu verwirklichen, bleibt ihm jedenfalls noch reichlich.

    Fuggerei-Jubiläum : Vom 6. Mai bis zum 12. Juni wird in Augsburg das 500-jährige Jubiläum der Fuggerei gefeiert. Zentraler Anlaufpunkt ist dabei ein eigens auf dem Rathausplatz errichteter Pavillon mit einer Ausstellung (täglich 10 bis 22 Uhr). Zahlreiche Workshops und weitere Veranstaltungen ergänzen das Programm (www.fuggerei-next500.de).

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