Etliche Regalmeter umfasst allein die deutschsprachige Literatur über den Maler Gerhard Richter – sowohl was Primärliteratur in Form etwa von Künstlerbüchern anbelangt als auch Sekundärliteratur in Form von Katalogen. Wie sollte es auch anders sein bei einer jetzt 92-jährigen Kapazität, die achtmal zur Documenta Kassel geladen war und auch auf die venezianische Biennale, dazu die renommiertesten Auszeichnungen weltweit erhielt und gerade zum 21. Mal in Folge das Prädikat des global einflussreichsten lebenden Künstlers erhielt – ohne dass dabei Preise und Verkäufe des Kunstmarkts eine Rolle gespielt hätten.
Eine bildhafte, konzentrierte Darstellung von Gerhard Richters Hauptwerken
Nun ist die Literatur um Gerhard Richter abermals um einige Zentimeter Buchregal gewachsen: Abgesehen davon, dass seine neue New Yorker Galerie einen Katalog zu seinen jüngsten Bleistift-Tinte-Zeichnungen publizierte, ist auch eine weitere Monografie zu seinem Werk erschienen, die nicht zuletzt deshalb bemerkenswert ist, weil sie quasi den Gegenpol darstellt zur ersten umfassenden, schweren Monografie aus der Hand des Kunsthistorikers Armin Zweite, bis 1990 Direktor des Lenbachhauses München („Das Denken ist beim Malen das Malen“, 2019).
Erneut ist es ein Kunsthistoriker und ehemaliger Museumsdirektor, der sich Richter widmet: Uwe M. Schneede, bis 2006 Kopf der Hamburger Kunsthalle, die auch im Besitz einiger bewusst „ramponierter“ Familienporträts ist, wie der Maler selbst sie bezeichnete. Die kleinformatigen Gemälde zeigen seine dritte Frau Sabine mit Neugeborenem – teils wie ein altes, beschädigtes, freigelegtes Wandgemälde wirkend. Wenn Zweite bei seiner Monografie auf weit über 400 großformatigen Seiten eine Art Tiefenbohrung vorlegte, so Schneede nun auf gut 200 handlichen Seiten eine bildhafte, konzentrierte, bündige Darstellung von Richters Malstilen und Hauptwerken. Wer sich ihnen in leicht verständlicher Übersicht nähern möchte, ist damit gut bedient.
Schneede lässt Gerhard Richter in der Monografie zu Wort kommen
Gerade im siebten von elf Kapiteln, das von „Willkür, Zufall, Einfall und Zerstörung“ bei Richters abstrakten Bildern handelt, wird Schneedes anschauliche Erzählweise deutlich. Sie ist vollkommen ausgerichtet auf Richters Wollen, Wirken und – wichtig – seinen kritischen Zwischen-Beurteilungen im Malprozess. Ausführlich kommt der Künstler selbst zu Wort, der Ende der 80er- und in den 90er-Jahren in aller Regel hinter verschlossener Tür seine Abstraktionen malte – begleitet allenfalls durch Musik von Bach, Cage, Schönberg. Die Zitate geben Schneedes Schilderungen authentisches Gewicht, zumal hinsichtlich der kritischsten Momente in der Bild-Entstehung, wenn die Leinwand durch Übermalen ihre Erscheinung komplett veränderte und immer wieder Stadien auftraten, die nach Richter „sehr attraktiv aussehen, sich aber leider nicht lange halten, weil sie zu leicht, zu dumm oder zu sentimental aussehen, auf jeden Fall nicht das sind, was ich möchte … So was hält sich höchstens einen Tag, dann sieht es billig und falsch aus. Und dann beginnt die Arbeit.“
Ja, Richter geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er über sein Malen und über sein Reflektieren des Entstehenden spricht: Das ästhetische Urteilsvermögen, ob etwas gut und brauchbar aussieht, sei wichtiger als die Ausführung selbst. „Wissen, was ausgeführt werden sollte, das ist das Wichtigste.“ Übertragen auf Schneedes Buch heißt das: „Wissen, was geschrieben werden sollte, das ist das Wichtigste.“ Der Autor beherrscht es.
Info: Uwe W. Schneede: „Gerhard Richter. Der unbedingte Maler“, C. H. Beck, 232 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 34 Euro
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